Pazifisten für den Krieg

Über die Wandlung von ehemaligen Friedensbewegten und Wehrdienstverweigerern zu Befürwortern von Waffenlieferungen und Militärdienst

 

Wieder einmal herrscht Krieg. Aus der Weigerung der Nato und der USA, Russlands Sicherheitsbedenken ernst zu nehmen und der Weigerung der Ukraine, auf einen Nato-Beitritt zu verzichten, hat Russland den Schluss gezogen, in der Ukraine einzumarschieren und damit seinen Sicherheitsinteressen gewaltsam Geltung zu verschaffen. Nicht nur die USA und ihre NATO-Verbündeten, auch die Europäische Union, sie alle ergreifen entschlossen die Partei der Ukraine, erklären den Krieg in der Ukraine zu ihrem Krieg. Nicht in dem Sinn, dass sie sich an der Seite der Ukraine mit eigenen Soldaten ins Kriegsgeschehen einmischen, aber ansonsten die Ukraine, mit allem, was sie an ökonomischen und militärischen Mitteln aufzubieten haben, unterstützen. Finanzhilfen für die Ukraine, einem Wirtschaftskrieg gegen Russland und militärische Unterstützung ohne Ende. Die militärische Hilfe umfasst Ausbildungsleistungen für die ukrainische Armee, Geheimdienstkooperationen aber vor allem Waffenlieferungen bis zu einem Ausmaß, das – wie sie selbst immer wieder beteuern – gerade noch nicht als direkte Kriegsbeteiligung gewertet werden kann. Auch das neutrale Österreich stellt sich hinter die von der EU ausgerufene „Zeitenwende“, reiht sich mit Ausnahme von eigenen Waffenlieferungen voll und ganz in die europäische Front gegen Russland ein.

 

Parallel dazu findet eine geistige Mobilmachung statt, die angeheizt durch eine mediale Kriegshetze und Kriegspropaganda hierzulande die Zustimmung zu „unserem Krieg“ gegen Russland befeuern soll. Dass Friedensdemonstranten mit Aufrufen gegen die Lieferung von (schweren) Waffen an die Ukraine von politischen Repräsentanten des „Europa des Friedens“ heutzutage nicht nur ins moralische Out gestellt werden, ja sie mehr oder minder als Landesverräter abgestempelt werden, wie das der stellvertretende Chef der FDP-Fraktion im Bundestag, Alexander Graf Lambsdorff  in einem Gastbeitrag in der Zeitschrift Die Zeit vom 12.April macht, ist das eine:

 

Wenn Ostermaschierer jetzt Abrüstung fordern und in Interviews vorschlagen, die Ukraine „gewaltfrei zu unterstützen“, spucken sie den Verteidigern Kiews und Charkiws ins Gesicht. Sie traumatisieren die zu uns Geflüchteten ein zweites Mal, denn sie schützen die Mörder und Vergewaltiger von Butscha, Irpin und Mariupol. Die Ostermaschierer sind die fünfte Kolonne Wladimir Putins, politisch und militärisch.“

 

Solche Beschimpfungen entsprechen der von Europa ausgerufenen „Zeitenwende“. Dass zu der Pazifismus nicht passt, wird Gegnern von deutschen Waffenlieferungen auf einer Mai-Kundgebung in Nordrhein-Westfalen vom deutschen Bundeskanzler, Olaf Scholz, wie folgt entgegengehalten:

 

Ich respektiere jeden Pazifismus, ich respektiere jede Haltung“ ruft Scholz laut. „Aber es muss einem Ukrainer zynisch vorkommen, wenn gesagt wird, er soll sich gegen die Putinsche Aggression ohne Waffen verteidigen. Das ist aus der Zeit gefallen!“ (Olaf Scholz auf einer Mai-Kundgebung in Nordrhein-Westfalen, Zeit vom 12.Mai 2022 „Die Alleshasser“)

 

Es sind nicht nur die grünen Friedensfreunde in Amt und Würde, wie Baerbock und Habeck, die sich seit 24.2.2022 den Krieg der Ukraine gegen die Russische Föderation als „unseren Krieg“ auf ihre Fahnen geschrieben haben und ihn unter dem Beifall ihrer grünen Regierungskollegen hierzulande mit der Versendung von Kriegsgerät aller Art verlängern. Auch die außenpolitische Sprecherin der österreichischen Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic begrüßt die Lieferung von schweren Waffen durch Deutschland an die Ukraine in einem Puls24-Interview vom 10.Mai damit, dass sie gegen „Unterwerfungspazifismus“ sei und beweist damit wahrlich ihre Schwesternschaft mit der deutschen Außenministerin Baerbock, die Ende Mai vor „Kriegsmüdigkeit“ in westlichen Staaten warnt.

 

Den Abschied von den Parolen „Frieden schaffen ohne Waffen“ oder „Nie wieder Krieg“ haben außerparlamentarisch auch ehemalige Friedensbewegte, ehemalige Pazifisten massenhaft und in Höchstgeschwindigkeit hinbekommen. Es herrscht Krieg und ausgerechnet im Moment des Aufflammens eines Krieges melden sich Prominente und Journalisten zu Wort, um zu gestehen, dass sie, die sie früher Pazifisten waren, angesichts des wirklichen Stattfindens von Krieg nicht anders können, als diese ihre Einstellung zu korrigieren. Leute, die das militärische Handwerk des Tötens einmal rundweg abgelehnt hatten, schlüpfen willig in die Rolle eines Feldherrn, der über Leben und Tod entscheidet und fordern immer mehr und noch schwerere Waffen – auch rücksichtslos gegenüber möglichen Folgen.

 

Was ist da los? Wie ehemalige Pazifisten ihren Wandel begründen und was von diesen Argumenten zu halten ist, damit wollen wir uns in der heutigen Sendung anhand von zwei Beispielen beschäftigen.

 

Das erste Beispiel ist Andreas Frege, Künstlername Campino, seines Zeichens Frontmann der Punk-Band „Die Toten Hosen“, der der Deutschen Presse-Agentur am 15.Mai 2022 ein Interview gegeben hat, das unter dem Titel „Wegen Ukraine: Campino zweifelt an Wehrdienstverweigerung“ in mehreren deutschen und österreichischen Zeitungen erschienen ist.

Das zweite Beispiel ist ein im Profil vom 23.04.2022 erschienener Leitartikel von Robert Treichler mit dem Titel „Der Irrtum der Pazifisten