GEGENARGUMENTE

WAS MAN ÜBER EINE GESELLSCHAFT LERNEN KANN, WENN IN IHR ARBEITSLOSIGKEIT EIN PROBLEM IST!

Einleitung

Einer erklecklichen Anzahl von Menschen wird hierzulande und weltweit mitgeteilt, dass ihre Arbeit nicht mehr gebraucht wird. Niemand hält dies für eine Frohbotschaft dahingehend, dass in Hinkunft weniger Arbeit nötig ist, und die Menschen sich daher nicht mehr so abrackern müssen.

Im Gegenteil, so als ob dies völlig selbstverständlich wäre, ist sich die gesamte demokratische Öffentlichkeit darin sicher, dass jeder und vor allem jeder gerade arbeitlos Gemachte eine Arbeit braucht, dass also - in anderen Worten - den Arbeitslosen nicht Geld, sondern Arbeit fehlt.

Statt darüber stutzig zu werden, wieso ausgerechnet der Umstand, dass laufend mit immer weniger menschlicher Arbeitskraft immer mehr produziert wird, zwangsläufig zur Verarmung der nicht mehr gebrauchten Menschen führt, wird nicht die vom Kapitalismus produzierte Armut, sondern die Arbeitslosigkeit von allen Seiten zum nationalen Problem erklärt. Und selbst die kritische Öffentlichkeit erwartet und fordert von der Politik "Rezepte gegen die hohe Arbeitslosigkeit"(Volksstimme 9.1.2003).

Dieser Sichtweise wollen wir in unserer heutigen Sendung entgegentreten. Wir wollen erklären, warum die Sorge um die Arbeitslosigkeit nicht mit einer Sorge um die Arbeitslosen zu verwechseln ist, und warum es näher besehen ein vernichtendes Urteil über eine Gesellschaft ist, wenn in ihr ausgerechnet Arbeitslosigkeit ein Problem ist. Was man aus diesem Umstand lernen kann, ist das Thema der heutigen Sendung:

  1. Im Kapitalismus brauchen Menschen Arbeit, obwohl die Gesellschaft ihre Arbeit nicht braucht!
  2. Im Kapitalismus brauchen Menschen Arbeit, können aber nicht arbeiten, weil sie qua Eigentum von den Arbeitsmitteln getrennt sind!
  3. Im Kapitalismus ist die Überarbeit die Bedingung der für die Arbeiter notwendigen Arbeit!
  4. Der Kapitalismus ist die erste Gesellschaft, in der ausgerechnet die Ergiebigkeit der Reichtumsquellen für Elend sorgt!
  5. Die Sorge um Arbeitslosigkeit ist nicht mit einer Sorge um die Arbeitslosen zu verwechseln oder vom Schaden praktischen Denkens!

Im Kapitalismus brauchen Menschen eine Arbeit, obwohl die Wirtschaft ihre Arbeit nicht braucht!

Wenn es Arbeitslosigkeit gibt, ist das ein Indiz für eine absurde Lage und zugleich auch eine fundamentale Kritik, und zwar nicht deswegen weil Leute keine Arbeit finden. Um ein Indiz einer absurden Lage handelt es sich, weil Leute eine Arbeit brauchen, die Gesellschaft aber ihre Arbeit gar nicht braucht. Die Leute brauchen Arbeit, obwohl es die Arbeit gar nicht braucht.

Arbeit - philosophisch hochtrabend ausgedrückt - ist der Aufwand, den die Menschen treiben müssen, um die Natur ihren Bedürfnissen gemäß zu machen. Primitiv ausgedrückt ist Arbeit der Aufwand, den die Menschen treiben müssen, damit es Wohnungen gibt, Brot gebacken wird und Wurst auf die Semmel kommt. Arbeit ist ein notwendiger Aufwand zur Befriedigung von Bedürfnissen. Bei diesem notwendigen Aufwand - und jedem Individuum geht es ja auch so - handelt es sich um eine Sache, bei der man zufrieden ist, wenn sie weniger wird. Als Individuum, als Mensch, der der Natur mit seinen Bedürfnissen gegenübersteht, strengt man sich an, wenn es sein muss, und ist zufrieden, wenn die Arbeit erledigt ist und man sich an den Genuss ihrer Früchte machen kann. Und wenn Mittel und Wege gefunden werden, die Arbeit zu verkürzen, also die Bedürfnisse in kürzerer Zeit mit weniger Aufwand zu befriedigen, dann ist das für jeden einzelnen in seiner privaten Logik gut und nicht schlecht. Dann ist es ein Zuwachs an Freizeit, oder umgekehrt ein Zuwachs an materiellem Reichtum.

Nicht in unserer Gesellschaft. Die ist arm an Arbeit, heißt es. Regierung und Opposition, Gewerkschaft und sogar die Reste der österreichischen Linken, allesamt sind sie einhellig der Meinung, der Kampf gegen Arbeitslosigkeit ist eine zentrale Aufgabe der Politik. Aber so selbstverständlich und durchgesetzt dieser politische Standpunkt quer durch alle politischen Lager ist, sowenig selbstverständlich ist er in Wahrheit. Arm an Arbeit, das ist ja dasselbe wie umgekehrt ausgedrückt, zu reich an den Produkten der Arbeit. Alles, was die Arbeit erledigen soll, ist schon erledigt. Dann fehlt es an was? In Wahrheit fehlt es dann an nichts! In unserer Gesellschaft fehlt es dann an Arbeit.

Ausgerechnet die Abnahme des Aufwandes, den man treiben muss, eine Abnahme, die zeigt, dass die Gesellschaft reicher geworden ist und die noch jeden in seiner pivaten Kalkulation zufrieden stimmt, wird in unserer Gesellschaft als Katastrophenlage, als Problemsituation besprochen und dieser Aufwand kriegt dann noch dazu den Charakter einer begehrten Mangelware. Ausgerechnet nach Arbeit - nach der Mühsal - gibt es ein ungemein wichtiges und dann auch noch häufig nicht befriedigtes Bedürfnis.

Nach Arbeit hat aber niemand ein Bedürfnis, nach den Früchten der Arbeit haben Menschen ein Bedürfnis. Deswegen wenden sie die Arbeit auf, damit die Früchte da sind. Aber nach Arbeit selbst hat man kein Bedürfnis. Unsere Gesellschaft schafft es, dass sie Arbeit zu einem entscheidenden Bedürfnis macht, und zwar noch dazu zu einem für viele nicht befriedigten.

Im Kapitalismus brauchen Menschen Arbeit, können aber nicht arbeiten, weil sie qua Eigentum von den Produktionsmitteln getrennt sind!

Was lässt sich daraus erschließen, dass es Leute gibt, die Arbeit bräuchten, aber keine Arbeit kriegen? Dieser Umstand zeigt zuerst einmal, dass die Menschen in diesem Land unfähig gemacht worden sind, den notwendigen Arbeitsaufwand zur Befriedigung ihrer eigenen Lebensbedürfnisse, den notwendigen Aufwand zur Erarbeitung des eigenen Lebensunterhalts auch zu leisten. Um die Absurdität dieses Umstandes zu verdeutlichen: Arbeit ist etwas, das man macht, wenn es nötig ist, und man ist zufrieden, wenn sie erledigt ist. In unserer Gesellschaft passiert die Eigentümlichkeit, dass Menschen Arbeit bräuchten, aber das nicht machen können, was sie machen müssen und, weil sie es müssen, auch möchten. Ich müsste arbeiten, kann aber nicht. Wie gibt es das denn eigentlich, dass jemand arbeiten müsste, aber nicht kann? Wer arbeiten muss, kann doch auch. Wer abspülen muss, geht hin und macht es, wer die Wohnung putzen muss, erledigt es. Aber arbeiten müssen und nicht arbeiten können, was ist denn da los?

Also, Arbeitslosigkeit verweist darauf, dass die Menschen unfähig gemacht worden sind, den für ihren eigenen Lebensunterhalt nötigen Arbeitsaufwand auch zu erledigen. Wie das kommt? Sehr einfach! Sie sind getrennt von den Arbeitsmitteln. Sie müssten arbeiten, die Arbeitsmittel stehen ihnen aber nicht zur Verfügung. Sie sind, marxistisch gesprochen, bloßes Arbeitsvermögen. Die Leute sind bloße Möglichkeit der Arbeit und ob aus der Möglichkeit eine Wirklichkeit wird, das liegt an dem, der der Träger des Arbeitsvermögens ist, überhaupt nicht, er von sich aus kriegt das gar nicht hin. Von der Möglichkeit, die er ist - er könnte arbeiten, und er müsste arbeiten - gibt es keinen Übergang zum Tun. Um aus diesem seinem Können und Müssen auch ein Tun werden zu lassen, ist er darauf angewiesen, dass er einen anderen findet, der die Produktionsmittel hat, die ihm selbst abgehen und der ihn auch noch an diese Arbeitsmittel heranläßt. Bloß wenn er einen findet, der Arbeitsmittel besitzt und ihn an sie heranläßt, bloß dann kann er den für ihn selber nötigen Arbeitsaufwand erledigen.

Im Kapitalismus ist die Überarbeit die Bedingung der für die Arbeiter notwendigen Arbeit!

Wenn ein Unternehmer einen Bewerber, den er am Arbeitsmarkt vorfindet, in seinem Betrieb aufnimmt und ihn dort, wie es heißt, beschäftigt, dann ist das - jeder weiß das - alles andere als ein Geschenk. Nicht nur, weil er seinen Lebenunterhalt in jedem Fall selbst erarbeiten muss. Aber das allein reicht ja nicht, er wird nicht an die Arbeitsmittel herangelassen, um seinen eigenen Lebensunterhalt zu erarbeiten, und er wird nicht an sie herangelassen, sofern er nur seinen Lebensunterhalt erarbeiten würde. Er muss mehr abliefern, er muss mehr erarbeiten als seinen Lebensunterhalt, er muss über das, was er als Lohn kriegt hinaus einen Gewinn erwirtschaften, dann und nur dann findet die für ihn notwendige Arbeit überhaupt statt. Mit den Worten des alten Marx gesprochen, in dieser Gesellschaft ist die Mehrarbeit nicht das, was man erledigt, wenn man schon genug gemacht hat und noch mehr machen will, sondern hier ist die Mehrarbeit, die Überarbeit, die Bedingung der notwendigen Arbeit. Wenn nicht mehr als das Notwendige herauskommt, dann findet auch das Notwendige nicht statt.

Hunderttausende in Österreich und Millionen auf der ganzen Welt leiden Mangel, haben kein Einkommen, sind in Armut und sinken immer tiefer in Armut. Die würden ihren Lebensunterhalt jederzeit erarbeiten wollen, aber vor diese Erlaubnis, ihren Lebensunterhalt erarbeiten zu dürfen, ist die Schranke des Gewinns gesetzt. Wenn die Arbeit nicht dafür taugt, einem Unternehmer einen Gewinn zu erwirtschaften, dann findet auch diejenige Arbeit, die den Lebensunterhalt der Leute erarbeiten würde, einfach nicht statt. Und für diesen Gewinn werden jetzt und auf absehbare Zeit laut offizieller Statistik eben hunderttausende Österreicher einfach nicht gebraucht.

Was gesellschaftlich notwendige Arbeit ist und was nicht, entscheidet sich in dieser Gesellschaft einzig daran, ob sie mit Gewinn abzuwickeln ist oder nicht. Sie ist definiert einzig von den Bedüfnissen der Wirtschaft und nicht von denen der Konsumenten. Gesellschaftlich notwendige Arbeit ist diejenige, deren Produkt zu einem solchen Preis verkauft werden kann, dass damit Gewinn gemacht wird. Andere Arbeit, die vielleicht auch nötig wäre, mehr Kindergärten, kleinere Schulklassen findet nicht statt, weil sie nicht mit Gewinn abzuwickeln ist, weil sie - geldlich gesehen - nichts bringt, sondern bloß kleinere Schulklassen und mehr Kindergartenplätze. Oder, in den Worten von Marx: "Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern fürs Kapital. Es genügt daher nicht länger, daß er überhaupt produziert. Er muß Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient."(KI, S532) Also, warum sind hundertausende Österreicher überflüssig für die gesellschaftlich notwendige Arbeit? Sie sind überflüssig für die gesellschaftliche notwendige Arbeit, weil alles was sich mit Gewinn produzieren lässt, schon produziert ist. Oder anders ausgedrückt: hunderttausende Österreicher sind deshalb überflüssig, weil die Arbeit schon so enorm produktiv ist.

Der Kapitalismus ist die erste Gesellschaft, in der ausgerechnet die Ergiebigkeit der Reichtumsquellen für Elend sorgt!

Arbeitslosigkeit ist ein Indiz - in Europa und den USA schon gleich -, einer enorm gestiegenen Produktivität der Arbeit. Millionen werden nicht gebraucht, weil die, die gebraucht werden, so produktiv arbeiten, dass alles was Unternehmer mit Gewinn verkaufen können, schon längst hergestellt wird. Die Unternehmer steigern laufend die Produktivität der Arbeit, die sie einkaufen. Sie organisieren laufend neue Maschinerie, an der produktiver gearbeitet werden kann, an der also in weniger Zeit dasselbe Produkt, oder in der selben Zeit mehr Produkt erzeugt werden kann. Sie machen dadurch für sich die Arbeit billiger, sie sparen durch Produktivität der Arbeit an bezahlter Arbeit.

Im Kapitalismus dient die Steigerung der Produktivität also nicht dazu, Arbeit zu ersparen. Im Kapitalismus dient diese Steigerung vielmehr einzig dazu, den Unternehmern bezahlte Arbeit zu ersparen. Unternehmen investieren, entlassen Leute und die verringerte Anzahl an Leuten stellt genausoviel Produkt her oder mehr als gestern die größere Belegschaft. Das Ergebnis, die Arbeit insgesamt, nicht unbedingt der einzelne Arbeiter, ist für die Unternehmen billiger geworden. Sie haben eine kleinere Gesamtlohnsumme bei der Herstellung derselben Produktenmenge.

Aber nicht nur das. Neben der Verringerung der Gesamtlohnkosten eines Betriebes durch die Verringerung der Zahl der pro Betrieb beschäftigten Arbeiter verbilligen die Unternehmer im Zuge von Produktivitätssteigerungen zusätzlich auch noch jeden einzelnen Beschäftigten. Jeden Handgriff der an der neuen Maschinerie nicht mehr notwendig ist, jede Vergiftung, die jetzt - weil für den Betriebserfolg nicht mehr zweckmäßig - unterbleibt, rechnen sie in eine Minderbelastung der Beschäftigten um und rechtfertigen so die Senkung deren Lohns. Und schließlich nutzen sie dann auch noch jede sich aus einer Neuorganisation des Arbeitsablaufes ergebende Gelegenheit, die Intensität der Arbeit zu steigern, den Arbeitstag dichter zu gestalten und Zeiten des Stillstands zu verringern - schließlich wollten sie nicht Arbeit, sondern bezahlte Arbeit einsparen.

Arbeitslose gibt es in unserer Gesellschaft also nicht, weil es an Produktionspotenzen fehlen würde, Arbeitslose gibt es im Gegenteil, weil die Reichtumsquellen von den Unternehmern so ergiebig gemacht worden sind. Sie steigern die Produktivität der Arbeit einzig zu dem Zweck ihre Stückkosten zu senken und damit ihren Gewinn pro Produkt zu vergrößern.

Eine weitere Absurdität dieser Gesellschaft besteht darin, dass weltweit Millionen arm sind, ausgerechnet deshalb, weil die Reichtumsquellen so ergiebig gemacht worden sind. Dass Arbeit überflüssig gemacht wird, das ist nach der Seite des materiellen Reichtums Überfluss, das bedeutet, wir können alles produzieren, was wir wollen, es gibt von allen Produkten genug. Die Reichtumsquellen, die Mittel der Produktion, sind so außerordentlich ergiebig, dass die Gesellschaft weniger Arbeit braucht. In jeder anderen Gesellschaft ist das ein Segen für alle, in unserer Gesellschaft ist es ein Gewinn für die Unternehmer, sie machen ihr Geschäft mit niedrigeren Lohnkosten, ihr Reichtum wächst, und auf der anderer Seite wächst ausgerechnet wegen des materiellen Reichtums und der Ergiebigkeit der Reichtumsquellen das Elend derer, die nicht gebraucht werden und die sich daher auch ihren Lebensunterhalt nicht mehr erarbeiten können und dürfen. Dann kommt die absurde Lage zustande, dass gerade weil die Gesellschaft die Arbeit von vielen nicht mehr braucht, diese gerade deswegen umso verzweifelter Arbeit brauchen. Die Gesellschaft braucht sie und ihre Arbeitskraft gar nicht, aber gerade deshalb brauchen sie um so drängender ausgerechnet Arbeit.

Die Sorge um Arbeitslosigkeit ist nicht mit einer Sorge um die Arbeitslosen zu verwechseln oder vom Schaden praktischen Denkens!

Arbeitslosigkeit und die damit einhergehende Verarmung der nicht mehr gebrauchten Arbeitskräfte sind notwendiges Resultat des Kapitalismus, und von daher eine fundamentale Kritik an dieser Wirtschaftsweise. Ein kleines bißchen erstaunlich könnte es einem von daher schon vorkommen, dass die Politiker diese Schande ihres Gesellschaftssystems, das sie vertreten, nicht verschweigen oder wenigstens versuchen, davon abzulenken. Eher schon im Gegenteil.

Das Problem Arbeitslosigkeit ist die letzte anerkannte Fassung der sozialen Frage. Da ist etwas im Argen, wenn es Arbeitslosigkeit gibt, das geben sie zu. Sonst gibt es keine soziale Frage mehr, die Löhne sind hoch genug, die Versorgung geht schon viel zu weit, aber ein Problem gibt es, die Arbeitslosen. Und die stellen sie immer wieder ins Zentrum der politischen Argumentation und haben dabei keine Angst, dass ihnen die Öffentlichkeit, die sie mit dem Thema Arbeitslosigkeit behelligen, solche Auskünfte zurück geben könnte, wie wir sie jetzt gerade gegeben haben, dass dann auch einmal in den Zeitungen steht, was für ein absurdes System wir haben, in dem Reichtum und Überfluss zu Not und Elend führen. Das passiert nicht. Statt dessen wird das Thema öffentlich gewälzt und niemand fürchtet, dass die Kritik nach hinten losgehen könnte. Vielmehr landet die öffentliche Debatte über die Arbeitslosigkeit zielsicher bei der Sorge um die Gewinne und die Gesundheit der Wirtschaft. Und dem Verständnis für die Sorgen und Probleme der Arbeitslosen folgt regelmäßig die Kritik, welche Probleme sie - die Arbeitslosen - dem Staat und seinem Haushalt machen. Wenn die Regierung sich selbst dafür kritisiert, dass sie dem Volk nicht genügend Erwerbsgelegenheiten zu verschaffen vermag, ist sie im nächsten Atemzug dabei, den Arbeitslosen vorzuwerfen, es läge an ihnen, an ihrer fehlenden Qualifikation, an ihrer mangelnden Flexibilität usw. Woher kommt diese schlafwandlerische Sicherheit, dass bei diesem Kritikthema niemand fürchtet, es könnte zu einer fundamentalen Abrechnung mit diesem System kommen, sondern dass jeder weiß, dass es am Schluss eine Hetze gegen die Arbeitslosen wird. Wie geht das?

Die Umdeutung ist schon im Wort Arbeitslosigkeit selbst angelegt. Der Ausgangspunkt ist, Arbeitslose sind Menschen, die darauf angewiesen wären, bei einem Unternehmer zu arbeiten, die aber nicht beschäftigt und deswegen ohne Einkommen sind. Ihres wahres und einfaches Problem ist, sie haben kein Geld. Schon das Problem so zu fassen, sie hätten keine Arbeit, ist eine entscheidende Verdrehung dieses Problems. Natürlich haben sie keine Arbeit, aber deswegen ist es noch lange nicht richtig, dass sie deshalb notwendig verarmen müssen.

Wenn man hergeht und sagt, den Arbeitslosen fehlt nicht das Geld sondern die Arbeit, dann ist man weg davon, sich die Arbeitslosigkeit und die dabei unterstellte Armut zu erklären, und dabei gelandet, den Arbeitslosen wieder Arbeit verschaffen zu wollen. Und schon wird alles, was wir vorher kritisiert haben, zu lauter Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die Arbeitslosen arbeiten können. Konstruktives oder praktisches Denken heißt das. Nicht fragen, wo kommt das Problem her, sondern schauen, wie man damit fertig wird. Wer fragt wo es her kommt, der lehnt am Schluss das ganze System ab, in dem Menschen bloß leben können, wenn sie einen Unternehmer finden, der sie brauchen kann. Praktisch denken heißt: "Was fehlt denn eigentlich, dass sie wieder Arbeit finden?" Und wenn man sich das Problem so stellt, dann kommt man gleich ins richtige Fahrwasser. Was fehlt, dass die wieder Arbeit finden, ist ein Unternehmer, der sie brauchen könnte. "Warum gibt es denn keinen Unternehmer, der sie brauchen kann?" Jetzt erinnert man sich an die wirkliche Rechnung des kapitalistischen Unternehmers und sagt: "Gewinn muss er machen." Warum sind die arbeitslos? "Weil mit ihnen kein Gewinn zu machen ist." Was ist also ihr Problem? "Die Kerle sind nicht ergiebig genug." Wie kann man ihnen helfen? "Man muss sie für die Unternehmer ergiebiger machen."

Dass der Lohnarbeiter davon lebt, dass er mit seiner Arbeit jemand anders reich macht, das sagen sonst nur Kommunisten. Und die sagen das, weil sie dagegen sind, weil sie mit der Auskunft Protest einlegen wollen, weil sie sagen wollen, mit der Auskunft habe ich das ganze Übel dieser Gesellschaft. Jetzt kommen Politiker, Wirtschaftskämmerer, Wirtschaftsexperten und sagen, na wenn Menschen nun mal davon leben, dass sie andere reich machen, dann ist es kein Wunder, wenn sie nicht leben können, wenn es ihnen nicht gelingt die anderen reich zu machen. Dann ist das doch der Fehler der Sozialversicherung oder von denen, dass sie nicht in der Lage sind, einen Unternehmer zu bereichern. Und dann ist ja klar, dass keine Arbeit für sie gefunden werden kann. Wie kann man denen helfen? Dadurch dass man dafür sorgt, dass Kapitalisten mehr von ihnen haben.

Dort landet man, wenn man das Problem "Arbeitslosigkeit" lösen will. Es ja noch nicht einmal böser Wille, es ist ja objektiv, so zynisch sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, anders als durch die Verschärfung der Ausbeutung kann man den Arbeitslosen gar nicht helfen. Es stimmt ja wirklich, deren Problem ist, dass sie sich für Kapitalisten nicht lohnen. Die Lösung kann dann nur sein, sie müssen sich mehr lohnen.

Die Arbeiter müssen billiger werden, sie müssen flexibler werden , sie müssen leichter handhabbar sein, weniger Rechte haben. So werden ein ums anderemal die Lohnnebenkosten gesenkt, eine weitere Verbillligung älterer Arbeitnehmer in Aussicht gestellt, eine weitere Arbeitszeitflexibilisierung und eine Lockerung von Kündigungsbestimmungen gefordert. Und die Arbeitslosen müssen in ständig zunehmenden Maß ihre Bereitschaft unter Beweis stellen, sich allen Anforderungen des Kapitals stellen zu wollen, um Arbeitslosengeld zu erhalten.

Und selbst wenn sie alle an sie gestellten Forderungen erfüllen - und sie können gar nicht anders, dafür sorgt schon der Staat mit seiner politischen Gewalt - ist noch nicht einmal der Erfolg garantiert, dass sie in Hinkunft wieder beschäftigt werden.

Resümee

Als Arbeiter, Arbeitsloser oder auch als Arbeitnehmerfreund Arbeitslosigkeit zum Problem zu erklären und mit dem Ruf nach Arbeitsplätzen zu beantworten ist ein schwerer Fehler, denn

· wenn Menschen Arbeit brauchen, obwohl ihre Arbeit gar nicht gebraucht wird,

· wenn Menschen arbeiten müssen, gleichzeitig aber von den Produktionsmitteln ausgeschlossen sind,

· wenn Menschen ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen müssen, dass Unternehmer an ihnen verdienen,

· wenn die steigende Produktivität die Unternehmer reicher und die Arbeiter ärmer macht,

dann liegt die Schädlichkeit des Wirtschaftssystems für die Masse seiner Insassen nicht darin, dass es nicht genügende Arbeitsplätze gibt, sondern darin, dass im Kapitalismus nicht für den Lebensunterhalt, sondern einzig für den Gewinn produziert wird. Seine soziale Gemeinheit beginnt nicht damit, dass die Leute Arbeit brauchen und keine finden, sondern sie besteht darin, dass sie Arbeit brauchen. Dass sie dann allzu oft keine finden, folgt daraus von ganz allein. Statt Rezepte gegen die hohe Arbeitslosigkeit zu verlangen, kommt es daher darauf an den dieses Wirtschaftsystem abzuschaffen.