GEGENARGUMENTE

ÖGB BUNDESKONGRESS 2003 - Ein Arbeiterverein besinnt sich auf die Menschen, um sich als Staatsgewerkschaft zu erhalten

Vom 14. bis 17. Oktober hat der 15.Bundeskongress des ÖGB stattgefunden. Dieser Bundeskongress stand ganz im Zeichen der fortgesetzten Entmachtung des ÖGB durch die schwarz-blaue Bundesregierung. Diese hat mit der jahrzehntelangen Tradition, dem ÖGB nicht nur Mitspracherechte im Betrieb sondern auch in diversen staatlichen und halbstaatlichen Institutionen einzuräumen, Schluss gemacht hat. Hatte der ÖGB früher etwa einen zwar nicht gesetzlichen fixierten aber doch faktischen Anspruch auf den Posten des Sozialministers, besetzten seine führenden Vertreter die entscheidenden Schaltstellen in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung und wurde der ÖGB seit seiner Gründung nach dem 2.Weltkrieg wie selbstverständlich zu allen geplanten wirtschafts- und sozialpolitischen Gesetzen gehört, so ist davon heute keine Rede mehr. Was früher die Stärke des Modells Österreich ausgemacht haben soll, ist für die Regierung heute eine unerträgliche Behinderung notwendiger staatlicher Reformen.

Der 15.Bundeskongress, auf dem laut ÖGB "die ideologischen und inhaltlichen Weichen für die nächsten Jahre gewerkschaftlicher Tätigkeit gestellt werden" stand nun ganz im Zeichen seiner Entmachtung. Sein Motto lautete: "Menschen sind unsere Stärke". Im Unterschied zum vorangegangenen Bundeskongress, dessen Thema "Sicherheit im Wandel" war, ein Thema, das es zumindest noch erlaubt an die Arbeitswelt und die Interessen der Arbeitnehmer zu denken, war damit klar, dass es um den ÖGB selbst und seine Stärke gehen wird. Eröffnet wurde der Bundeskongress daher dazu passend vom Präsidenten des ÖGB Verzetnitsch mit den Worten "Wir sind putzmunter!". Gemeint war das nicht als Drohung an die Bundesregierung, der eigenen Entmachtung nicht länger zusehen zu wollen, sondern als Betonung der eigenen Bedeutung auch ganz jenseits seines ehedems angestammten Platzes neben den Regierungsbänken. Er möchte eine Gewerkschaft von Menschen für Menschen sein.

Warum eine Gewerkschaft, die sich einmal als Arbeiterverein gegründet hat, heute eine Gewerkschaft von Menschen für Menschen sein möchte und was davon zu halten ist, ist das Thema der heutigen Sendung.

Der ÖGB - die Gewerkschaft für Menschen

Was will der ÖGB und worin besteht der Nutzen des ÖGB für die Arbeitnehmer? Zu all diesen Fragen konnte man von seinem Präsidenten Verzetnitsch am 15.ÖGB-Bundeskongress folgendes erfahren:

"Wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter kämpfen jeden Tag für menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Wir kämpfen für einen gerechten Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am erwirtschafteten Gewinn. Wir setzen uns für soziale Gerechtigkeit und sozialen Frieden ein."(Verzetnitsch, Rede auf dem ÖGB-Bundeskongress am 15.10.2003)

Eine interessante Auskunft darüber, wie unsere österreichische Wirtschaft so funktioniert, die man von Verzetnitsch da erhält. Wenn er und seine Gewerkschaft Tag für Tag für menschenwürdige Arbeitsbedingungen kämpfen müssen, dann heißt das doch umgekehrt, dass die Wirtschaft - die Unternehmer im Handel, in der produktiven Industrie und im Dienstleistungsbereich - in ihrer betrieblichen Praxis Tag für Tag für Zustände in der Arbeitswelt sorgen, die ein Präsident des ÖGB für eines Menschen unwürdig befindet. Keine Rede ist davon, dass die Arbeiter – wie Verzetnitsch das ausdrückt – einen gerechten Anteil am wirtschaftlichen Ertrag kriegen würden. Und das nicht als die große Ausnahme, sondern als Regel. Wenn es aber nicht reicht, dass Menschen arbeiten, sondern sie sich zusätzlich zu ihrer Arbeit noch gegen ihre Arbeitgeber organisieren müssen, damit sie überhaupt ordentliche Arbeitsbedingungen haben, dann spricht das gegen diese Wirtschaft, dann kann daraus streng logische eigentlich nur eines folgen, solche Zustände sind ein für alle mal aus der Welt zu schaffen.

Nicht für Verzetnitsch, nicht für den ÖGB! Als Auskunft über die Wirtschaft, darüber welche Löhne, Arbeitszeiten oder Arbeitsbedingungen offenbar die passenden für die Durchsetzung der von ihr verfolgten Zwecke sind, will Verzetnitsch seine eigenen Aussagen gerade nicht verstanden wissen. Er will nicht diese Wirtschaft kritisieren geschweige denn sie abschaffen, im Gegenteil. Gegen den unmittelbaren Augenschein besteht er auf der Vereinbarkeit von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, für deren Herstellung es aber unbedingt ihn braucht. Damit hat er was betont? Damit hat er betont, wie wichtig der ÖGB für die Arbeiter ist.

Wie sieht er nun aus, der Einsatz des ÖGB? Der ÖGB kämpft, sagt Verzetnitsch, für einen gerechten Anteil der Arbeitnehmer am erwirtschafteten Gewinn. Er setzt sich ein für soziale Gerechtigkeit und sozialen Frieden. Was kann man daraus lernen? Woran nimmt der ÖGB, in dem was er erreichen möchte, Maß? Auf jeden Fall nicht an dem was Arbeiter für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien so brauchen. Das geht ja noch nicht einmal in seine Überlegungen ein. Wenn überhaupt dann haben Arbeiter, sagt Verzetnitsch, einen Anspruch auf einen gerechten Teil des erwirtschafteten Gewinns. Man soll sich also nach Verzetnitsch vorstellen, ausgerechnet der Gewinn würde verteilt. Noch jeder Unternehmer, der seinen Gewinn ermittelt, weiß, dass die Löhne wie alle anderen Kosten bei der Gewinnermittlung zu subtrahieren sind. Von wegen also Löhne wären ein Teil des Gewinns. Lässt man das einmal außer acht, sieht man was Verzetnitsch meint. Der Gewinn ist offenbar für den ÖGB nicht etwas wofür die Arbeiter in Dienst genommen werden, sondern umgekehrt etwas, was es im Interesse von beiden – von Unternehmern und Arbeitnehmern - zu erzielen gilt. Jede Forderung die der ÖGB daher erhebt, jede Verbesserung, die er für die Arbeitnehmer erreichen möchte, wird von ihm – jetzt aber eben im Namen der Arbeitnehmer – daraufhin überprüft, ob und wie sie sich auf den Erfolg des gegnerischen Interesses – den Erfolg der nationalen Wirtschaft - auswirkt. Wenn dann wie jetzt die Konjuktur zu wünschen übrig lässt und die Konkurrenz aus den Staaten des ehemals kommunistischen Ostens auf die Gewinne drückt, dann, ja dann leuchtet auch dem ÖGB ein, dass die Arbeiter ihren Gürtel werden enger schnallen müssen.

So sieht er also aus, der vom ÖGB seit seiner Gründung fest eingenommene Standpunkt der Vereinbarkeit von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen. Durch den kleinen Widerspruch, dass die Harmonie, die zwischen den Interessen aller am Wirtschaftsleben Beteiligten bestehen soll, immer erst nocht durch sein Tun herzustellen ist, lässt er sich dabei nicht stören. Darin hat er seine bleibende Geschäftsgrundlage.

Diese Rolle des von allen maßgeblichen Instanzen der Republik anerkannten Vertreters der Vereinbarkeit der Arbeitnehmerinteressen mit den Anforderungen von Staat und Kapital, hätte er am liebsten bis zum St.Nimmerleinstag weiter ausgefüllt. Diese Rolle wird ihm aber nun schon seit einiger Zeit von Regierung und Arbeitgebervertretern zusehends streitig gemacht. Auch an seinem Herzstück, den Kollektivverträgen:

"Es mag schon sein, dass der eine oder andere denkt, Kollektivverträge sollte man doch in Wirklichkeit abschaffen. Viel besser wäre, wenn man das auf der Betriebsebene abhandeln sollte. All jenen ins Stammbuch geschrieben: Schauen wir uns doch Wirtschaftslektüren an. Sie alle sprechen von einschätzbaren Rahmenbedingungen möglichst für wirtschaftliche Bereiche. Und ich will es nicht zur Kenntnis nehmen, dass Finanz- und Rechtsnormen die Basis für das Wirtschaften sind, aber bei den Kollektivverträgen sagt man, möglichst zerklüftet, möglichst zerteilt auf der Betriebsebene. Die Kollektivverträge sind für uns ein unabdingbarer Auftrag für die Zukunft. Das lassen wir uns auch nicht nehmen."(Verzetnitsch, Rede auf dem ÖGB-Bundeskongress am 14.10.2003)

Verzetnitsch bemerkt, dass dem ÖGB seine Kollektivvertragsfähigkeit – das Recht mit den Vertretern der Arbeitgeberseite auszverhandeln, was österreichischen Arbeitnehmern an Arbeitsbedingungen und Löhnen zugemutet werden kann - zunehmend abhanden kommt. Außerdem fallen mit der Schaffung zahlloser neuer Beschäftigungsformen - freie Dienstverträge, geringfügig Beschäftigte, neue Selbstständige usw., vom Gesetzgeber allesamt geschaffen, um jedem konkreten Bedarf des Kapitals die passende Beschäftigungsform seiner Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen – immer mehr ihrer Klassenlage nach natürlich nach wie vor unselbstständig Beschäftigte aus dem Kreis jener Personen heraus, für die der ÖGB das Recht hat, Kollektivverträge auszuverhandeln. Derzeit fallen etwa ein Drittel aller österreichischen Arbeitnehmer unter die Kategorie der atypisch Beschäftigten.

Während die Unternehmerseite mit der Forderung nach Abschaffung der Kollektivverträge kundtut, dass sie es als unvereinbar mit ihrem Interesse erachtet, sich mit dem ÖGB – genauer mit seinen Teilgewerkschaften – über Lohn und Arbeitsbedingungen ins Einvernehmen setzen zu müssen, hält der ÖGB den Nutzen der Kollektivverträge ausgerechnet für die Unternehmer hoch. Die meint er daran erinnern zu müssen, wie sehr sie doch von einschätzbaren Rahmenbedingungen profitieren. Für die Dauer seiner Geltung haben sie jede Freiheit ihre betrieblichen Abläufe so zu modifizieren, dass weniger entlohnte Arbeit immer mehr Ertrag abwirft, also billiger und intensiver gearbeitet wird. Auf Seiten der Arbeitnehmer steht dem die Verpflichtung gegenüber, bis zum nächsten Verhandlungstermin all diese Verschlechterungen der eigenen Lage ohne Gegenwehr über sich ergehen lassen zu müssen, zu dem sie sich dann von ihrem ÖGB zum wiederholten Mal vorrechnen lassen dürfen, warum der Erfolg der heimischen Wirtschaft eine Kompensation ihres mittlerweile eingetretenen Schadens nicht zulässt. Und dort, wo das nicht reicht, wo Einzelunternehmer auf wirtschaftliche Nachteile verweisen, die ihnen aus solchen branchenweise geltenden Kollektivverträgen erwachsen, hat der ÖGB noch immer ein offenes Ohr gehabt und hält mit diesem seinem Verständnis für die Sorgen der Unternehmer nicht hinter dem Berg. Der Widerspruch ausgerechnet mit dem Nutzen seiner Mitwirkung für diejenigen zu argumentieren, die seine Mitwirkung gerade außer Kraft setzen, fällt ihm dabei nicht auf, sosehr ist er von der Bedeutung seines Beitrages zum Gelingen Österreichs überzeugt.

Aber auch auf Seiten der Arbeitnehmer kann Verzetnitsch nur Nutznießer von Kollektivverträgen entdecken. Diesen Nutzen leitet er nicht aus den Vorteilen ab, die Kollektivvertragsgeregelte lukrieren, sondern aus dem Schaden, den es bedeutet, keinen Kollektivvertrag zu haben. Ob die Schädigungen, die er anführt dabei ausgerechnet durch einen Kollektivvertrag aus der Welt geschaffen werden, sei an dieser Stelle dahingestellt. Aber hören wir Verzetnitsch doch selbst zu:

"Ohne Kollektivvertrag – davon bin ich überzeugt und das zeigt auch die Praxis – herrscht im Sozialbereich das Gesetz des Stärkeren. Unklare Arbeitsbedingungen und Lohndumping stünden auf der Tagesordnung. Die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer werden immer mehr als atypisch Beschäftigte oder neue Selbständige tätig. Sie müssen mit dem Arbeitgeber selber über Einkommen, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen verhandeln und sie müssen meist sehr bescheiden sein. ....

Kolleginnen und Kollegen! Heute wird auch bei uns "atypisch" immer mehr zu etwas Normalem. "Atypisch" wird auch bei uns zur typischen Beschäftigungsform. Und unsere Antwort darauf, Kolleginnen und Kollegen, lautet: Wir brauchen keine zwei Klassen von Arbeitskräften, sondern faire Bedingungen für alle abhängig Beschäftigten! Unser Ziel ist es, die soziale Sicherheit der atypisch Beschäftigten zu stärken, die Anreize für Unternehmen, McJobs anzubieten, müssen fallen.

Wir fordern daher eine Modernisierung des ArbeitnehmerInnenbegriffes. Das muss unser Ziel als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sein! Die wirtschaftliche Abhängigkeit, so bin ich überzeugt, soll in Zukunft das ausschlaggebende Merkmal für eine Zurechnung zur Gruppe der ArbeitnehmerInnen sein."(Verzetnitsch, Rede auf dem ÖGB-Bundeskongress am 15.10.2003)

Wie argumentiert er? Erst konstatiert er Hungerlöhne und katastrophale Arbeitsbedingungen der atypisch Beschäftigten. An dem zunehmenden Versuch des Kapitals, Arbeitsverhältnisse durch neue gesetzlich anerkannte Beschäftigungsverhältnisse in Form von freien Dienstverträgen, neuen Selbstständigen usw. aus dem geltenden Arbeitsrecht auszulagern, entdeckt der ÖGB nicht die Unvereinbarkeit der Interessen von Unternehmern und Arbeitnehmern und die Anerkennung dieses Standpunktes durch die politischen Verwalter. Woran leiden diese Arbeitnehmer seiner Meinung nach? Nicht am maßlosen Anspruch des Kapitals, das in ordentlichen Arbeitsbedingungen, Sonderzahlungen, bezahltem Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Abfertigung usw. lauter nicht hinnehmbare Belastungen sieht. Die leiden nach Verzetnitsch nicht an den Arbeitsbedingungen, die das Kapital stiftet, sondern an unklaren Arbeitsbedingungen. Und auch die Löhne sind nicht einfach viel zu gering, um von ihnen ordentlich leben zu können, sondern das Lohndumping wird von ihm zum Problem erklärt.

Aber Verzetnitsch fordert noch nicht einmal ein Ende derartiger prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Dazu bräuchte es gerade keine Modernisierung des Arbeitnehmerbegriffes. Wenn er umgekehrt, eine Modernisierung des Arbeitnehmerbegriffes fordert, ist die Existenz derartiger Beschäftigungsverhältnisse ja gerade unterstellt. Wenn Unternehmer und hinreichend erpressbare Arbeiter sich über solche McJobs handelseinig werden, dann will auch Verzetnitsch gegen diese Form der Tagelöhnerei keinen Einspruch mehr erheben, vorausgesetzt nur, sie ist kollektivvertraglich geregelt. Was würde sich also ändern? Ändern würde sich vor allem eines, diese Beschäftigungsverhältnisse unterlägen wieder der Zuständigkeit des ÖGB.

Diese Zuständigkeit möchte er nicht beschnitten sondern im Gegenteil durch die vom ihm geforderte Modernisierung des Arbeitnehmerbegriffes auf alle wirtschaftlich Abhängigen ausgeweitet sehen. Mit dieser Definition des Arbeitnehmerbegriffes, die alle, vom Arbeiter bis zum Gewerbetreibenden einschließt - selbst Manager sind nicht grundsätzlich ausgeschlossen –, ist das Klassenverhältniss endgültig geleugnet. Und der ÖGB könnte dann endgültig was sein? ....Eine Gewerkschaft für Menschen!

All das erspart ihm zwar die faktische Feindschaft von Staat und Kapital nicht, ist aber konsequent für eine Gewerkschaft, der nichts über den nationalen Konsens geht. Ob ihm das auch Mitglieder bringt, wie er sich das erhofft ist fraglich, aber selbst wenn, auch kein Grund zur Freude.

Der ÖGB – Menschen sind seine Stärke

Der ÖGB ist aber nicht nur Angriffen auf sein Recht ausgesetzt, im Namen der Arbeitnehmer Löhne und Arbeitsbedingungen auszuverhandeln. Seit einigen Jahren, speziell seit der schwarz-blauen Koalition wird ihm auch sein Recht auf Mitsprache in allen wesentlichen Politikbereichen, die Arbeitnehmer berühren, bestritten. Letztes großes Beispiel dafür ist die Pensionsreform des heurigen Frühjahrs. Bei der kam es der Regierung audrücklich darauf an, sie ohne seine Mitwirkung, ja gegen seinen ausdrücklichen Widerstand durchzuziehen. Und zwar nicht weil er nicht jede Menge Kompromissbereitschaft bekundet und sich gegen irgendeine der von der Regierung formulierten und als sachliche Notwendigkeiten behaupteten Eckpunkte gestellt hätte. Dass die Konkurrenzfähigkeit des Kapitalstandortes Österreich und dies staatlichen Haushaltsrechnungen sich mit Pensionen auf dem bisherigem Niveau einfach nicht vertragen, das hat auch ihm eingeleuchtet. Trotzdem hat er eine Demonstration gegen die Pläne der Regierung organisiert und sogar sowas veranstaltet, das an einen Streik erinnern sollte. Warum er das getan hat, dazu Verzetnitsch am Bundeskongress:

"Wir haben mit Streiks und Aktionen Bewusstsein geschaffen, Bewusstsein dafür, worum es vor allem auch in den letzten Monaten bei der Pensionsfrage ging. Mit Zweifel - ich sage das ganz offen, Kollege Tumpel hat das auch direkt vor Ort live miterlebt - und Sorge habe ich wie viele andere auch mit gelitten, als wir am 13.Mai das Unwetter auf uns zukommen sahen....

Ich habe aber dann gesehen, wie viele Menschen sich in Richtung Heldenplatz begeben, dass sie trotz Hagel, trotz Regen, trotz Wind und Sturm bereit waren, am Heldenplatz zu stehen, Kolleginnen und Kollegen, und da ging mir das Herz über. Wer mich kennt, weiß, dass ich mich immer wieder bemühe, meine Emotionen immens einzubremsen. Aber da ist mir das Herz übergegangen, und ich glaube, euch allen. Das war ein großer Erfolg, Kolleginnen und Kollegen."(Verzetnitsch, Rede auf dem ÖGB-Bundeskongress am 15.10.2003)

Deutlicher kann man es kaum noch sagen. Für Verzetnitsch war die Demonstration ein voller Erfolg. Dass auch nur irgendwas von den Plänen der Regierung verhindert worden wäre, kann da der Maßstab dieser Beurteilung von Verzetnitsch unmöglich gewesen sein. Aber das behauptet er eigentlich ja auch selbst nicht. Trotz schlechten Wetters, "trotz Hagel, trotz Regen, trotz Wind und Sturm" so viele Leute, ist das, worauf es ihm einzig ankommt. Dann wird es ihm wohl mit der Demonstration um was anderes gegangen sein, als um die Pensionisten. Am Vorgehen der Regierung hat er nicht so sehr wegen der Verarmung künftiger Pensionisten Anstoß genommen, sondern wegen seiner Missachtung als bislang unstreitig anerkannte und wichtige Kraft, die nach seiner Selbsteinschätzung durch ihr Wirken erst so richtig dafür sorgt, dass auch die Arbeitnehmer in Östereich ihre Heimat haben. So gesehen war die Demonstration für ihn dann ein voller Erfolg. Sie war für ihn ein Beweis dafür, wie sehr es ihm gelingt, die österreichischen Arbeitnehmer hinter sich zu versammeln – unabhängig von erreichten oder auch nur in Aussicht gestellten in Geld zu messenden Ergebnissen. Und das – so die stillschweigende Hoffnung – müsste doch auch die Regierung zu einer neuen Beurteilung seiner Bedeutung veranlassen.

In Letzterem hat er sich getäuscht. Unbeeindruckt von diesen Ereignissen hat die Regierung, ohne ihn am vom Bundespräsidenten einberufenen runden Tisch mehr als nur zu informieren, die Pensionskürzungen im Parlament durchgezogen. Praktisch nötigt sie ihm damit ein weiteres Mal die Frage auf, ob er seine dauernde Entmachtung hinnehmen oder sich dagegen zu Wehr setzen soll. Für den ÖGB keine Frage.

"Wir nehmen als Demokraten den parlamentarischen Beschluss vom 11.Juni dieses Jahres zur Kenntnis, so weit dieser die so genannte Pensionssicherungsreform 2003 betrifft. Wir halten aber auch unsere Kritik an massiven Pensionskürzungen weiterhin aufrecht. Wir setzen uns für bessere Lösungen ein."(Verzetnitsch, Rede auf dem ÖGB-Bundeskongress am 15.10.2003)

Den sozialen Frieden aufzukündigen, das ist das Letzte, was für ihn in Frage kommt. Seit seiner Gründung versteht sich der ÖGB als staatstragende Säule, die ihren Beitrag zum sozialen Frieden in Österreich leistet. Nie hat er sich als bloße Interessenvertretung verstanden und benommen, die Forderungen im Interesse der von ihr Vertretenen erhebt und sich dann mit der Gegenseite anlegt. Und auch jetzt möchte er nichts anderes, als seinen Platz in Gesellschaft und Staat behaupten – des sozialen Friedens wegen! Damit steht er gegen den erklärten Willen der Regierung. Daraus ergibt sich für den ÖGB ein Dilemma. Das, was nötig wäre, um seinen Platz zu behaupten - die Aufkündigung des sozialen Friedens - ist gleichzeitig genau das, was der ÖGB als größtmögliche Gefahr für Österreich ansieht, in deren Abwendung er, anders gesagt, gerade eine seiner nobelsten und wesentlichsten Aufgaben sieht. Nicht mehr verwunderlich daher, wie seine Entscheidung ausgefallen ist. Seine Liebe zu Österreich hat obsiegt. Mit dem Tag der parlamantarischen Beschlussfassung beendet er sämtliche gewerkschaftlichen Aktionen und nimmt sich damit bis auf weiteres selbst aus dem Spiel.

Der ÖGB ist damit am Endpunkt seiner Entwicklung als Staatsgewerkschaft angelangt. Jetzt wo ihm die staatliche Anerkennung versagt bleibt, wirbt er um die Arbeitnehmer, sich ihm – nicht mehr als Arbeitnehmer, sondern - als Menschen als neue Basis seiner Stärke zur Verfügung zu stellen. Damit steht das Verhältnis zwischen dem ÖGB und seinen Mitgliedern endgültig am Kopf. Nicht die Arbeitnehmer haben in ihm das Mittel ihrer Stärke, sondern umgekehrt, sie mögen doch bitte ihn stark machen und ihm damit eine Stimme geben, die von der Regierung einfach nicht überhört werden kann.

Damit er mit dieser Stimme was machen kann? Zuallererst die Regierung darauf hinweisen, dass er es für einen Fehler hält, wenn sie ihn übergeht oder ihn sogar zu einem Hinderniss für den Fortschritt Österreichs erklärt. Kein von der Politik auf die Tagesordnung gesetztes Thema, zu dem er nicht Vorschläge hätte, über die er gerne in Kommissionen mit der Regierung diskutieren würde, wenn sie ihm nur eine Einladung zukommen ließe:

Die Regierung leitet mit einer Aufteilung der Bahn die Privatisierung der Bundesbahnen ein. Der ÖGB sorgt sich im Namen der Arbeitnehmer, die auch mit der Bahn fahren, um die Funktionsfähigkeit der Bahn. Wenn kümmert da schon noch, dass dadurch die nächsten 12.000 Eisenbahner zur Kündigung anstehen.

Die Regierung plant die nächste Pensionskürzung - unter dem bezeichnenden Titel Harmonisierung, weil wahre Harmonie herrscht in ihren Augen eben erst dann, wenn es alle so richtig und gleichmäßig trifft. Und der ÖGB macht was ? Klar, einen Vorschlag zur Harmonisierung, natürlich nicht ohne sich an den Detailvorgaben der Regierung zu orientieren.

Auch zum Dauerbrenner Steuerreform kann er sich einen Vorschlag nicht verkneifen. Die soll was leisten? Wer jetzt noch glaubt, die Arbeitnehmer zu entlasten, ist entweder naiv oder dumm. Er möchte über die über die gestärkte Inlandsnachfrage die Konjunktur ankurbeln.

Das AUA-Management möchte massive Kürzungen der Pilotengehälter. Die Piloten lassen sich das nicht umstandslos gefallen. Erstmals seit langem kommt es zu einem echten Streik, der auch dem Unternehmen wehtut. Und der ÖGB? Verzetitsch drängt darauf, dass er gemeinsam mit seinem Freund Leitl vom Unternehmerverband zum Schlichter zwischen streikenden Piloten und dem AUA-Vorstand berufen wird. DA gibt es einen Streik zur Durchsetzung von Lohninteressen und der ÖGB sieht sich sofort aufgefordert was zu tun? Nicht ihn zu unterstützen, sondern ihn zu schlichten. Wenn das nicht zeigt, wie nötig der ÖGB für den sozialen Frieden im Lande ist!

Und wenn schon die Regierung ihm all das nicht dankt, dann sind wenigstens die Worte des Bundespräsidenten Balsam auf das geschundene Haupt eines richtigen ÖGBlers:

"Ganz im Gegenteil war und ist gerade die überparteiliche Gewerkschaftsbewegung immer ein staatstragendes Element der Zweiten Republik und ein unverzichtbarer Faktor im Zusammenleben der Menschen Österreichs gewesen. Das war so und ich meine: Es ist auch heute so. So ist es auch das gute Recht des ÖGB, gesellschaftspolitische Vorstellungen jener Lebensbereiche zu entwickeln, die erst auf den zweiten Blick mit der Welt der Arbeit zu tun haben."

"Dass der ÖGB in diesem und anderem Zusammenhang als Mahner auftritt, verstehe ich als Sorge um das Land und seine Menschen; und ich habe großen Respekt vor dieser Einstellung. Ich sehe nicht, dass es irgendwo eine "Lust am Verhindern" gibt. Die Gewerkschaftsbewegung ist nicht der Hemmschuh einer modernen Wirtschafts- und Sozialpolitik, sie ist deren Gewissen. Denn weder über die Köpfe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinweg - noch gegen ihren Willen - kann eine nachhaltige Entwicklung zum Wohle unseres Landes stattfinden." (Klestil, Rede auf dem ÖGB-Bundeskongress am 14.10.2003)

....Tosender Applaus aus dem Publikum! Ein Applaus, der mehr sagt als tausend Worte.