GEGENARGUMENTE

Armut in Österreich – kein Skandal, keine Panne sondern notwendiges Resultat einer Wirtschaftsweise namens Kapitalismus

 

Regelmäßig alle zwei Jahre werden Sozialwissenschaftler von der Regierung mit der Aufgabe betraut, die soziale Lage von Herrn und Frau Österreicher zu erheben. So als ob die Existenz von Armut in „einem der wirtschaftlich erfolgreichsten Länder der Welt“ die größte Selbstverständlichkeit wäre, ist ein Teil des zu erstellenden Berichtes, regelmäßig der Armut gewidmet. Sie wird gezählt und klassifiziert, mit der Armut früherer Jahre und der in anderen Staaten verglichen und die Ergebnisse werden in Form übersichtlicher Balkendiagramme dargestellt. Ihren Abschluss findet das Messen der Armut jedes Mal in der öffentlichen Bekanntmachung des Resultates - zum letzten Mal im Februar heurigen Jahres im Rahmen einer Pressekonferenz der zuständigen Sozialministerin Haubner.

 

Wieder einmal hat die Wissenschaft, ohne sich auch nur im Leisesten über dieses scheinbar nicht aus der Welt zu schaffende Phänomen zu wundern, Armut in hohem Ausmaß ans Tageslicht gebracht: „Insgesamt fallen 1.044.000 Personen in Österreich unter die Armutsgefährdungsschwelle von 60 % des Medianeinkommens. Das sind 13,2% der Gesamtbevölkerung“, heißt es im Sozialbericht.

 

Dass es Armut in Österreich - einem der reichsten Länder der Welt - gibt, wird also seitens Politik und demokratischer Öffentlichkeit nicht bestritten. Sehr wohl bestritten wird aber in der öffentlichen Beschäftigung mit ihr, dass sie ein notwendiger Bestandteil kapitalistischen Wirtschaftens ist, der nicht ein Misslingen dieser Wirtschaft ausdrückt, sondern im Gegenteil Ausweis ihres Erfolgs ist.

 

Im ersten Teil unserer heutigen Sendung beschäftigen wir uns mit der öffentlichen und wissenschaftlichen Behandlung des Themas „Armut“. Was Armut ist und warum sie Voraussetzung und Resultat der kapitalistischen Produktionsweise ist, erklären wir im zweiten Teil.

 

Die öffentliche und wissenschaftliche Behandlung des Themas Armut

 

Dass Armut existiert, lässt sich nur schwer leugnen. Von ihrer Existenz gehen auch die Wissenschaftler aus, die dem Auftrag des Sozialministeriums nachkommend die Armut erforschen. Ihr Wissen um die Armut hindert sie aber nicht daran, Armut zu einer Frage der Definition zu erklären und damit ihren objektiven Charakter zu leugnen. Armut ist, lautet ihr Einstieg ins Thema, was die zu ihrer Erfassung Berufenen unter ihr verstehen wollen:

 

In den letzten Jahren wurden auf EU-Ebene methodische Standards für die nationale und EU-Berichterstattung zur Erfassung von Armut etabliert. Armutsgefährdung wird in diesem Sinne relativ zum mittleren Einkommen der Bevölkerung im jeweiligen Mitgliedstaat verstanden – d.h. es wird konzeptuell darauf Rücksicht genommen, dass sich der Wohlstand einer Gesellschaft ändert und Armut die mangelnde Möglichkeit zur Teilhabe am jeweiligen Entwicklungsstand der Gesellschaft bedeutet.“(Sozialbericht 2003, S 212)

 

Armut, erfährt man - und das ist nicht als Kritik gemeint -, ist keine Frage fehlenden Wohlstandes. Die EU-Standards gehen wie selbstverständlich davon aus, dass es Armut gibt und zwar neben existierendem Wohlstand, einem Wohlstand, der aber den Gesellschaftsmitgliedern nicht einfach zur Verfügung steht. Die müssen sich ihre Teilhabe an diesem Reichtum erst noch verdienen, sind also offenbar ganz grundsätzlich von ihm ausgeschlossen. Armut in der Marktwirtschaft ist also nicht zu verwechseln mit einem gesellschaftlichen Mangel, mit einem Mangel an Produktivkräften. Wenn es Armut und Unterversorgung neben vorhandenem Reichtum gibt, dann weil die Versorgung der Gesellschaftsmitglieder gar nicht Zweck dieser Gesellschaft ist.

 

Den Erforschern der Armut ist das gleich. Wieso es eine Gesellschaft zur Verrücktheit bringt, zwar jede Menge Reichtum in die Welt zu setzen, dies aber nicht in der Absicht, die Menschen zu versorgen, ist ihr Thema nicht. Sie wollen Armut nicht erklären, sie wollen sie messen. Dazu definieren sie Armut über das Einkommen. Ob und was man sich davon leisten kann und was man tun muss, um dieses Einkommen zu erzielen, darüber ist mit diesem tollen „Indikator“ überhaupt noch nichts gesagt.

 

Mit ihrer Definition von Armut entlang des Einkommens streichen die Autoren mit einem Schlag alles durch, was es an Unterschieden und Gegensätzen zwischen den verschiedenen Einkommensquellen gibt. Statt Kapitalist und Lohnarbeiter, statt denjenigen, die ihren Zweck durchsetzen und denen, die sich um ihres Auskommens willen nach diesen Vorgaben richten müssen, stehen sich in ihrem Bild nur mehr lauter Einkommensbezieher gegenüber, die mehr oder weniger verdienen. Statt die Armut am vorhandenen gesellschaftlichen Reichtum - an den gigantischen verfügbaren Produktionspotenzen in fast menschenleeren Fabriken - zu messen, legen sie ihrer Definition das zu Grunde, was in dieser Gesellschaft im Durchschnitt und dh. von einem durchschnittlichen Lohnabhängigen verdient wird. Ausgerechnet der Lohn, die Größe, die eines mit Garantie nicht ist, der Zweck kapitalistischen Produzierens, wird damit zum entscheidenden Maßstab von Armut oder Reichtum erklärt.

 

Kaum haben sich die Armutsforscher auf diese Art endgültig von allen ökonomischen Bestimmungen, die den systematischen Ausschluss vom gesellschaftlichen Reichtum erklären könnten, getrennt, geben sie sich begriffsstutzig. Wo ist sie denn, die Armut, ist die Frage, die sie als nächstes stellen:

 

Hierin liegt freilich auch ein methodisches Problem: Ab welchem Einkommen sind diese Teilhabechancen deutlich reduziert, wo ist die Schwelle, ab der jemand als armutsgefährdet gilt, anzusetzen? Für eine EU-weite und vergleichbare Berichterstattung zu Armut und sozialer Ausgrenzung wurden 60 % des Medianeinkommens als kritischer Wert festgelegt. … Das entspricht einem Monatseinkommen von EUR 785.“(Sozialbericht 2003, S 212)

 

Die Lösung ihres selbst geschaffenen Problems: Eine Schwelle zur Armutsgefährdung muss angesetzt werden. Armut ist, was als Armut definiert wird, lautet ihr Bekenntnis zur Willkür im Denken. Zu Hilfe kommt ihnen dabei die EU, die sich darauf festgelegt hat, nur diejenigen zum Kreis der Armutsgefährdeten - der potentiell Armen - zu zählen, die weniger als 60% des Medianeinkommens verdienen.

 

Auf diese Weise findet man zwar mit Garantie nichts mehr Richtiges über Armut heraus, eines leistet eine solche Definition aber schon: Diejenigen, die mehr als das Medianeinkommen verdienen, werden glatt reich gerechnet. Jeder, der mehr als die genannten 785€ im Monat zur Verfügung hat, hat es nunmehr schwarz auf weiß, er ist nicht arm - und das ganz unabhängig davon, was er sich davon tatsächlich leisten kann.

 

Aber auch diejenigen, die unterhalb dieser willkürlich gezogenen Schwelle liegen, wollen die Studienautoren nicht einfach umstandslos als arm gelten lassen. Die sind nicht arm, sie sind armutsgefährdet:

 

Niedriges Einkommen ist ... ein guter Indikator für die finanzielle Situation eines Haushaltes, aber kein hinreichender Indikator für Armut.........Begriffe wie soziale Ausgrenzung oder Deprivation versuchen einem multidimensionalen Armutsphänomen gerecht zu werden.............Eine nicht ausreichende Teilhabe in Lebensbereichen über das Einkommen hinaus wird als Deprivation bezeichnet“(Bericht über die soziale Lage 2003, S 227)

 

Niedriges Einkommen allein, Geldnot, erfährt man, ist noch nicht Armut. Damit aus Armutsgefährdung wirkliche Armut wird, muss zur Geldnot noch was hinzutreten – eine Benachteiligung in einem der von ihnen nicht-monetär genannten Bereiche, eine Unterversorgung an Wohnraum, Heizung, Kleidung, Nahrung, dem durchschnittlichen Maß an Gesundheit - so als ob der Zugang zu all diesen Dingen nicht über Geld definiert, und damit durch das Einkommen begrenzt wäre.

 

Ihrem multidimensionalen Armutsbegriff lässt sich entnehmen, welche Sorge die Damen und Herren Armutsforscher umtreibt - nicht die Armut der Leute macht ihnen Kopfzerbrechen, sondern ob und wie sie mit ihrer Armut klar kommen. Aus der Einkommensarmut wird für sie erst dann wirkliche Armut, wenn Leuten zuviel vom Nötigsten fehlt, um sich fit zu halten für all das, was sich für einen ordentlichen Staatsbürger gehört: arbeiten, wählen und Kinder kriegen. Die nennen sie ausgegrenzt, Fälle von Deprivation.

 

Tatsächlich sind auch diejenigen alles andere als ausgegrenzt. Wären sie es, dann wären sie nicht arm. Nur weil auch für sie das eherne Grundgesetz kapitalistischen Wirtschaftens, dass wer nicht zahlen kann auch nichts zu essen kriegt, gilt, bleiben sie mit ihren Bedürfnissen auf der Strecke - von wegen also ihre Ausgrenzung, ihre Eingrenzung ist es, die ihnen das Leben schwer macht.

 

Bei der Frage wie es denn zu Armutsgefährdung und Armut kommt, steht für die Armutsforscher eines vorab fest: Grund von Armut kann nie und nimmer Lohnarbeit sein. Armutsgefährdung beginnt erst da, wo man ihr nicht mehr nachgehen kann, arbeitslos ist, einen körperliche Behinderung oder Kinderbetreuungspflichten am Arbeiten hindern oder aber, weil man als Pensionist das Arbeitsleben hinter sich hat. Im Armutsbericht kann man dazu lesen:

 

Haushalte mit kleinen Kindern haben ein überdurchschnittliches Armutsrisiko (17%), wobei bis zum 7.Lebensjahr des jüngsten Kindes die Armutsgefährdung konstant hoch bleibt. Erst wenn das jüngste Kind im Haushalt 7 Jahre alt ist, kann ein deutlicher Rückgang des Armutsrisikos verzeichnet werden......Die geringe Einbindung der Mütter mit kleinen Kindern in den Arbeitsmarkt spiegelt sich in der überdurchschnittlichen Armutsgefährdung wider.”(Bericht über die soziale Lage 2003, S 217)

 

Eine ziemlich freche Verdrehung von Ursache und Wirkung! Wer weiß denn nicht, dass Kinder an und für sich keineswegs die Armut ihrer Eltern verursachen? Der Arzt- und Unternehmerhaushalt kann durchaus einen Haufen Kinder vertragen, ohne dass gleich Schmalhans Küchenmeister wird. Aber von Ursachen im eigentlichen Sinn haben sich die Autoren des Armutsberichtes ja schon längst verabschiedet. Der Armutsbericht spricht von einer „Armutsgefährdung“, einem Faktor aus einem vielfältigen Umkreis von Umständen, die erst in ihrem unglückseligen Zusammenwirken aus der Möglichkeit wirkliche „Armut“ machen. Wobei die Verfasser des Armutsberichts von einer nicht ganz unwesentlichen Randbedingung kein weiteres Aufheben machen: Sie unterstellen den normalen Lohn normaler Lohnempfänger und teilen über dieses Einkommen unter der Hand mit, dass man sich von ihm keine Familie leisten kann; bzw. dass gleich ins außergewöhnliche Elend abrutscht, wer dies unvorsichtigerweise doch tut. Ja, wenn die Mutter auch eine Vollerwerbstätigkeit ausüben könnte, wäre die Familie nicht arm; die kann aber wegen der Kinder nicht. Daher der messerscharfe Schluss - Armutsursache Kind! Über den Lohn, den eine Vollzeitarbeitskraft verdient, kommt so viel heraus, dass er für kaum mehr reicht als für den Unterhalt der einen Person, die ihn verdient, weswegen die in den Arbeitsmarkt eingebundene Mutter schon wieder in der Klemme sitzt, wenn sie Alleinerzieherin ist. Genauso soll man das aber nicht sehen. Lohnarbeit ist gilt ihnen nicht als Grund von Armut, sondern als Schutz:

 

Bezahlte Erwerbsarbeit ist demnach ein guter Schutz vor Armutsgefährdung und Armut, .....Bei Erwerbstätigen bleibt die Armutsgefährdung mit 8 % deutlich unter dem Wert für die Gesamtbevölkerung, während nicht im Erwerbsleben stehende Personengruppen allesamt mit überdurchschnittlicher Armutsgefährdung konfrontiert sind.“(Bericht über die soziale Lage 2003, S 216)

 

Jetzt ist es zwar überhaupt nicht schlüssig, wieso aus dem Umstand, dass ein Lohnabhängiger ohne Arbeitsplatz noch beschissener dasteht als einer in Beschäftigung, folgen soll, dass bezahlte Erwerbsarbeit ein guter Schutz vor Armutsgefährdung ist. Wenn man gleich in die Existenznot rutscht, wenn man den Arbeitsplatz verliert, beweist das doch im Gegenteil, dass der Arbeitsplatz schon vorher nichts getaugt haben kann, wenn der Lohn für solche Fälle keine Vorsorge übrig lässt. Er reicht offensichtlich höchstens dafür, dass man am nächsten Tag wieder zur Arbeit antreten kann und noch nicht einmal das ist garantiert. Armutsgefährdete finden die Armutsforscher auch unter den Erwerbstätigen - von 8% wissen sie zu berichten. Wenn der Prozentsatz nicht dafür spricht, dass Erwerbsarbeit vor Armut schützt! Oder?!

 

Zu solchem logischen Unsinn kommen Armutsforscher, bei denen Parteilichkeit ihr Studienprogramm ist. Sie befassen sich laufend mit Konsequenzen der Klassengesellschaft und sehen dabei absichtsvoll davon ab, dass es Konsequenzen der Klassengesellschaft sind. Denn so viel halten die Armutsforscher eisern fest: Normale Lohneinkommen sind das Gegenteil von Armut. Ohne Kinder, mit einem Lebenspartner, der seinen Unterhalt selbst verdient, und sofern keine sonstigen Risiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter zuschlagen, ist der Lohn, den das Kapital bezahlt, eine prima Erwerbsquelle. Sie machen die normalen, ja notwendigen Umstände der Lohnarbeiterexistenz für lauter Sonderformen von Armut verantwortlich, um das Allgemeine ihres Themas zu dementieren – den Klassengegensatz.

 

Armut, was ist das?

 

Der zweite Teil der Sendung dient der Klärung der Frage, was Armut wirklich ist. Dazu die folgenden sieben Thesen.

 

These 1: Armut beginnt nicht erst bei der Existenznot - Armut ist die Grundlage der Existenznot

 

Wenn von Armut die Rede ist, denkt gewöhnlich jeder sofort an Obdachlose, Bettler und all die sonstigen Erscheinungsformen von Armut, die aus dem „modernen Stadtbild“ auch des beginnenden 21.Jhdts. nicht wegzudenken sind.

 

Dabei sind diese Fälle eines gleich die ganze Existenz bedrohenden Geldmangels doch nur Teil eines viel weiter verbreiteten Dauerkampfes um eine Lebensführung mit beschränkter Kaufkraft. Obdachlose im Angesicht leerer Wohnungen, Bettler vor vollen Geschäften sind doch nichts anderes als personifizierte Zeugen eines in kapitalistischen Gesellschaften geltenden Prinzips, des Prinzips nämlich, dass Bedürfnisse, die nicht zahlungsfähig sind, nicht befriedigt werden.

 

Wenn in dieser Gesellschaft ausnahmslos alles, was man zum Leben braucht - von Lebensmitteln, über Wohnraum bis zu den Mitteln des Produzierens - Eigentum ist, man an die Gegenstände des Bedarfs daher nur dann herankommt, wenn man bereit und in der Lage ist, den vom Verkäufer geforderten Preis zu zahlen, dann ist der Schluss fällig, dass es in dieser Gesellschaft nicht darum geht, die Gesellschaftsmitglieder mit dem zu versorgen, was sie brauchen. Dann wird nichts von dem gigantischen Reichtum der zustande kommt, deshalb produziert, um die Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder zu befriedigen, sondern einzig zu dem Zweck, die in der Gesellschaft vorhandene Zahlungsfähigkeit dazu zu benutzen, die hergestellten Waren in Geld zu verwandeln. Für Bedürfnisse, die nicht zahlungsfähig sind, wird aus diesem Grund gleich gar nicht produziert.

 

Das was an den eingerichteten Einkommensquellen zu verdienen ist, steht umgekehrt in keinem wie immer gearteten Verhältnis zum Bedarf desjenigen, der arbeitet. Jedes Kind mehr, jeder Fall von Krankheit, Unfall oder Scheidung führt dann nicht zu einer Anpassung des Einkommens an die neue Situation. Ob und wie viel an einem Arbeitsplatz verdient wird, richtet sich ausschließlich nach der Kosten/Nutzen-Rechnung des Unternehmers, der die Arbeitskraft anstellt.

 

Bedürfnisse werden in dieser Gesellschaft daher nicht bedient sondern benutzt. Die Bedürftigkeit der Individuen ist das Mittel, diejenigen, die nichts weiter ihr Eigentum nennen als ihr Arbeitsvermögen, zum Dienst für fremden Reichtum zu erpressen, einem Reichtum, von dem sie selbst ausgeschlossen sind. Diese normale Armut ist es also, die bereits den Keim der Existenzgefährdung in sich trägt, eine Existenzgefährdung, die am Obdachlosen oder Bettler bloß noch schlagend wird, die man sich dann aber als einem unvorhersehbaren Wechselfall des Lebens geschuldet vorstellen soll.

 

These 2: Armut ist nicht das Resultat falscher Verteilung des Reichtums

 

Die marktwirtschaftliche Armut, der mit dem Eigentum gesetzte Ausschluss vom Reichtum, stellt sich im praktischen Lebensvollzug als ein Verhältnis von erzielbarem Einkommen und zu bezahlenden Preisen dar. Beide - Einkommen und Preise - bestimmen die Unternehmer nach ihrer Kalkulation.

 

Die existente Armut hat also gar nichts mit einer falschen Verteilung zu tun, wie von den Kritikern der Armut gewöhnlich behauptet wird. In einer Marktwirtschaft wird nämlich nicht falsch oder ungerecht verteilt, es wird überhaupt nicht verteilt. An den gegenständlichen Reichtum, an die Gegenstände des Bedarfes kommt man ausschließlich durch Kauf. Und auch das dafür nötige Geld wird nicht verteilt, sondern muss verdient werden. Wie der Einzelne dieses Verdienen anstellt, bleibt ihm im Rahmen der Gesetze von Markt und Staat selbst überlassen.

 

Es gibt nur diesen einen Markt des Einkommen Verdienens und Preise Zahlens, ein anderes Verhältnis zwischen dem produzierten Reichtum und dem Leben der Leute findet nicht statt. Die existente Armut ist daher nicht das Resultat einer falschen Verteilung sondern das ökonomische Ergebnis von Quellen des Einkommens, die mehr Beschränkung als Quelle sind, und Preisen, die den vorhandenen Reichtum für diejenigen, die ihn brauchen, unerschwinglich machen.

 

These 3: Geldmangel ist bei denen, die auf Lohnarbeit angewiesen sind, nicht die Ausnahme sondern die Regel

 

Geldmangel ist der Regelfall und nicht die Ausnahme bei jener großen Masse der Bevölkerung, die auf lohnabhängige Beschäftigung angewiesen ist. Diese Verdienstquelle bewirkt notorischen Geldmangel und zwar nicht erst dann, wenn sie verloren geht.

 

Was als Wohlstand von Lohnarbeiterhaushalten gilt - Auto, Geschirrspüler, Mikrowelle und was sonst noch aufgezählt zu werden pflegt, wenn dieser Wohlstand bebildert werden soll - all das ist kein Ausweis für auch in Arbeitnehmerhaushalte eingezogenen Luxus, es handelt sich dabei in Wahrheit um die unbedingt nötigen Mittel einer sparsamen und zeitknappen Lebensführung als flexibles, jederzeit verfügbares Rädchen kapitalistischen Wirtschaftens.

 

Ein Beleg für den dauernden Geldmangel proletarischer Haushalte ist die weit verbreitete Kunst der sparsamen Haushaltsführung, wenngleich sich gestandene Lohnarbeiter diese lieber als Tugend hoch anrechnen, statt über die permanente Notwendigkeit einer Zusatzanstrengung zur Bewältigung des eigenen Privatlebens nach getaner Arbeit kritisch zu werden. Dieses notorische Preise Vergleichen bis zum Ladenschluss, die ständige Jagd nach Sonderangeboten gelten ihnen nicht als Ausweis ihrer Armut sondern als Gelegenheit, das eigene Geschick, die eigene Cleverness im Umgang mit der Welt zu beweisen. Auch der einschlägige Handel weiß um diese ständige Geldknappheit seiner Kundschaft, wenn er mit geistigen Ergüssen der Preisklasse „Geiz ist geil“ das, was in Lohnarbeiterhaushalten an Zahlungsfähigkeit vorhanden ist, in die je eigenen Taschen zu lenken versucht.

 

Armut und Geldmangel wollen die mit der Organisierung ihres Privatlebens dermaßen rundum beschäftigten Lebenskünstler darin nicht erkennen. Die beginnt für sie erst bei der Arbeitslosigkeit. Dabei beweist gerade diese angebliche Ausnahmeerscheinung, dass schon die Beschäftigung davor nichts taugt, wenn das mit ihr Verdiente nie mehr in den Taschen der Beschäftigten zurücklässt als das, was sie für die Deckung der laufenden Ausgaben benötigen, eine Bildung von Reserven zur Bewältigung solcher mit Sicherheit eintretenden Situationen daher trotz aller Haushaltkünste nie gelingen will.

 

Dieser Geldmangel ist die Konsequenz davon, dass Lohn nicht gezahlt wird, um denen ein Auskommen zu ermöglichen, die von ihm leben müssen, sondern einzig für die mit ihm eingekaufte Leistung, das Unternehmen, das ihn zahlt, reicher zu machen. Weil der Lohn nur für die Leistung bezahlt wird, einen Geldvorschuss zu vermehren, dieser Zweck aber umso besser erfüllt ist, je geringer der gezahlte Lohn als Teil dieses Vorschusses ist, kann er gar nicht niedrig genug sein. Lohn bedeutet für die Lohnarbeiter immer Geldmangel, weil er für die Unternehmen immer eine Kost und als solche zu senken ist. Ein Resultat steht daher schon fest, noch bevor mit dem Arbeiten begonnen wird: Arbeit macht arm! oder: Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher! Was sonst?

 

These 4: Armut ist mehr als ein geringes Einkommen im Verhältnis zu einem höheren - Armut ist ein Produktionsverhältnis

 

Wer für Lohn arbeiten muss, der ist eines mit Sicherheit nicht - Eigentümer des Produktionsprozesses und seines Ertrages. Armut ist daher nicht einfach eine Frage von mehr oder weniger Einkommen. Umgekehrt verhält es sich. Die quantitativen Unterschiede sind die Konsequenz des qualitativen Gegensatzes von Lohnarbeit und Kapital.

 

Grundlage dieses Produktionsverhältnisses ist das vom Staat garantierte Privateigentum. Diejenigen, die nicht mehr ihr Eigen nennen, als ihre Fähigkeit zu arbeiten, werden damit von all den Mitteln getrennt, die sie bräuchten, um auch nur die für ihre eigene Reproduktion nötige Arbeit zu verrichten. Ihnen gegenüber stehen jene, denen im Unterschied zur Armut der faktischen Nichtbesitzer die produktiven Potenzen der Gesellschaft gehören.

 

Mit dem Privateigentum stiftet der Staat daher ein Erpressungsverhältnis eigener Art, ein Erpressungsverhältnis, das die Nichtbesitzer darauf festgelegt, sich nützlich machen zu müssen für ein Eigentum, von dem sie ausgeschlossen sind.

 

Leute, die arbeiten müssen und die arbeiten wollen, können dies nur, wenn ein Unternehmer ihre Arbeit für die Vergrößerung seines Reichtums brauchen kann. In den Worten von Karl Marx: „Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern fürs Kapital. Es genügt daher nicht länger, daß er überhaupt produziert. Er muß Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient.“(KI, S532) Die für sie notwendige Arbeit dürfen Lohnarbeiter nur dann verrichten, wenn sie Mehrwert schaffen. Sie müssen mehr erarbeiten als ihren Lebensunterhalt, ihren Lohn, sie müssen über den Lohn hinaus einen Gewinn erarbeiten. Wenn die Arbeit nicht dafür taugt, dem Unternehmer einen Gewinn zu erwirtschaften, dann findet auch die notwendige Arbeit, die den Lebensunterhalt der Leute erarbeitet, einfach nicht statt.

 

These 5: Armut ist die Voraussetzung, ihre Vergrößerung die Wirkung kapitalistischen Wirtschaftens

 

Die Armut der Eigentumslosen steht am Anfang kapitalistischen Produzierens, ihre Mittellosigkeit ist seine notwendige Voraussetzung. Nur diese Mittellosigkeit lässt sie in der Erpressung, gegen Lohn fremden Reichtum vergrößern zu müssen, das Angebot entdecken, den eigenen Lebensunterhalt verdienen zu dürfen.

 

Kapitalistisches Produzieren beseitigt diese Armut nicht, sondern reproduziert sie auf immer größerer Stufenleiter - ihre Arbeit macht nicht die Arbeiter reicher sondern vergrößert nur das Kapital, von dem sie ausgeschlossen sind und das sie kommandiert.

 

These 6: Armut wird vom Kapital und nicht von einem Mangel an Kapital erzeugt

 

Mit dem Erfolg des Kapitals, mit seiner Größe wächst sein Anspruch auf Gewinn. Beschäftigung und Beschäftigungssicherheit wachsen dabei nicht mit. Eher schon ist das Gegenteil richtig, wächst mit dem Erfolg des Kapitals die Unsicherheit derer, die vom Lohn leben müssen.

 

Die Kapitale wachsen in Konkurrenz zueinander. Sie machen sich also wechselseitig den geschäftlichen Erfolg streitig. Sie senken dazu den Kostpreis der von ihnen hergestellten Waren, unterbieten die Konkurrenz und sorgen so dafür, dass das was an zahlungsfähiger Nachfrage vorhanden ist, den eigenen Gewinn versilbert und nicht den der Konkurrenz.

 

Um diese Senkung der Kostpreise zu erreichen, steigern die Unternehmer fortwährend die Produktivität der Arbeit, die sie einkaufen. Sie organisieren laufend neue Maschinerie, an der produktiver gearbeitet wird, an der also in weniger Zeit dasselbe Produkt, oder in derselben Zeit mehr an Produkt erzeugt wird, als noch zuvor. Sie machen die Arbeit für sich billiger, indem sie durch Steigerung der Produktivität der Arbeit bezahlte Arbeit einsparen.

 

Im Kapitalismus dient die Steigerung der Produktivität also nicht dazu, Arbeit zu ersparen. Diese Steigerung dient vielmehr einzig dazu, den Unternehmern bezahlte Arbeit zu ersparen. Unternehmen investieren, entlassen Leute und die verringerte Anzahl an Leuten stellt genauso viel Produkt her oder mehr als gestern die größere Belegschaft.

 

Die Profitmacherei – und nicht etwa zu wenig davon – ist der Grund der Armut; und das Wachstum von gestern – nicht zu wenig davon – ist Grund der Arbeitslosigkeit von heute. Arbeitslosigkeit ist sozusagen der perverse Lohn, den das System seinen Arbeitskräften für die immerzu steigende Produktivität ihrer Arbeit bezahlt. Die riesige Zahl der überflüssigen Arbeitskräfte, das Maß ihres Elends, ist geradezu ein Ausweis der erreichten Produktivität der Arbeit, der menschlichen Quelle des materiellen Reichtums.

 

These 7: Armut ist keine Unterlassungssünde des Staates

 

Armut gibt es nicht trotz sondern wegen des staatlichen Wirkens. Es ist nämlich erst der Staat, der mit der Garantie des Privateigentums die alles entscheidende Grundlage kapitalistischen Produzierens und damit der Armut - des Ausschlusses vom vorhandenen Reichtum - schafft. Oder, wie es im Buch „Der bürgerliche Staat“, nachzulesen auf der Homepage des Gegenstandpunktverlages www.gegenstandpunkt.com heißt

 

Das Privateigentum, die ausschließende Verfügung über den Reichtum der Gesellschaft, von dem andere in ihrer Existenz abhängig sind, also Gebrauch machen müssen, ist die Grundlage des individuellen Nutzens und damit auch Schadens. Ihm verdankt sich die moderne Form der Armut, die sich selbst als Mittel fremden Eigentums erhalten muß, dessen Wachstum selbstverständlich dem Staat am Herzen liegt.

 

Wenn der Staat auch noch als Sozialstaat tätig wird, dann nicht, um sein eigenes Tun wieder rückgängig zu machen. Er beseitigt nicht Armut, sondern sorgt durch eine Umverteilung unter den Armen dafür, dass Staat und Kapital kein Schaden aus ihr entsteht.