GEGENSTANDPUNKT 2 - 2005 GEGENARGUMENTE

I.Noch ein Skandal: Feinstaub schadet der Gesundheit – von Bund, Ländern und Gemeinden, Industrie, Handel und Konjunktur

 

Nach den Osterfeiertagen geht es mal nicht um Schadstoffe in Nahrungsmitteln, Wäldern oder Flüssen dran. Auch Nickel, Blei, Schwefeldioxid und -monoxid, Ozon und Radioaktivität in der Luft sorgen nicht für Aufregung. Denn jetzt ist "Feinstaub-Alarm". Die Organe der demokratischen Meinungsbildung erschrecken blitzartig über die "unsichtbare Gefahr" "mikroskopisch kleiner Killer-Partikel", die aus Dieselruß, Baustaub, Reifenabrieb und Abgasen von Industrie und Heizungen bestehen und die so klein sind, dass sie in Nase und Mund nicht hängen bleiben, sondern ungehindert in Atemwege und Blut gelangen. Selbstverständlich ist die Gefährlichkeit des feinen Staubs seit Jahren denen bekannt, die es wissen wollten – aber nun wird ein öffentlicher Skandal daraus: Am 1. Januar 2005 ist nämlich eine vor Jahren beschlossene, ziemlich vertrickste EU-Richtlinie in Kraft getreten, nach der ein Grenzwert von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft an nicht mehr als 35 Tagen im Jahr überschritten werden darf. Nach gerade 79 Tagen des Jahres 2005 meldet München als erste Stadt in Deutschland die Überschreitung seines Kontingents an schmutziger Luft. Die Überschreitung des gesetzlichen Grenzwerts macht aus der langjährigen Belastung der Bevölkerung eine ungesetzliche und daher empörende Schädigung, aus der ungesunden Normalität einen "Feinstaubskandal". Wo das Recht das Maß der Gesundheitsverträglichkeit setzt und die Empörung sich am Erlaubten orientiert, gehen die Stäube unterhalb der erlaubten Konzentration selbstverständlich schon mal gleich in Ordnung. Dabei ist, was der neue

 

Feinstaub-Grenzwert

 

erlaubt, nicht von Pappe. Er soll – nach Auskunft der zuständigen Experten – ein "Kompromiss aus medizinisch Sinnvollem und technisch Machbarem" sein. (Spiegel online, 31.3.) Ein Kompromiss liegt in der Tat vor; die beiden Seiten, zwischen denen der behördliche Grenzwert vermittelt, sind jedoch ein wenig anders beschaffen: Weder steht auf der einen Seite das medizinisch Gute, Wahre und Schöne, noch stehen auf der anderen die harten Gesetze von Natur und Technologie, die nicht alles Wünschbare zulassen.

 

Wenn Politiker vom "medizinisch Sinnvollen" reden, meinen sie nicht das gesundheitlich, sondern das volksgesundheitlich Sinnvolle: Die Fachleute der EU geben ja selbst bekannt, welche Organe wie durch die kleinen Partikel geschädigt werden: Sie dringen ein in Lungenbläschen, Bronchien und Blut, verändern den Zellstoffwechsel (Folgen: Entzündungen, Wucherungen, Krebs) und vermindern die Fließqualität des Bluts (Folge: Herz-Kreislauferkrankungen). Eine Vermeidung der so genannten "anthropogenen Freisetzung" der ohnehin vorhandenen Feinstäube, das "medizinisch Sinnvolle", steht aber gar nicht auf dem Programm, wenn ein Grenzwert festgelegt wird. Die Frage heißt vielmehr: Wie viel von dem Schadstoff soll freigesetzt, also auch erlaubt werden können, ohne dass zu viele Bürger davon krank werden und sterben. Epidemiologische Untersuchungen der EU errechnen, wie auch immer, "allein für Deutschland jährlich 65.000 Tote" und kommen zu dem Schluss, dass da doch eine unvertretbar hohe Anzahl von Volksgenossen die übliche Dosis nicht aushält.

 

Das "technisch Machbare" seinerseits hat vor allem mit den Kosten für die erforderliche Technik zu tun; was da "möglich" ist, entscheidet sich an Rentabilitätskriterien. Für marktwirtschaftlich rechnende Unternehmer sind Emissionsbeschränkungen allemal von Übel, weil sie die rentabelste, nämlich billigste Lösung – ab in die Luft mit den Produktionsrückständen – verbieten. Zwischen den gegensätzlichen Notwendigkeiten der Volksgesundheit und der Volkswirtschaft hat die EU ihre Abwägung getroffen und sich dabei einerseits an dem Grenzwert orientiert, den die Wächter der Weltgesundheit, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO, festgesetzt haben: 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Da die EU aber einen Kapitalstandort betreut, der demnächst der "wettbewerbsfähigste der Welt" sein soll, haben die Kommissare entschieden, dass die EU-Bürger auch im Aushalten von Schmutz wettbewerbsfähig sein müssen. Wo die WHO der Weltbevölkerung besagte Dosis an 14 Tagen im Jahr zumutet, sattelt die Kommission noch 21 drauf: macht also für EU-Bürger 35 Tage

Nach der öffentlich gemachten Überschreitung debattiert die Nation über

 

Mögliche Maßnahmen zur Einhaltung des Grenzwerts

 

Dabei rückt sie die Gefahren, die von dem feinen Staub ausgehen, gründlich zurecht. Was, so die heiße Frage, lässt sich zur Eindämmung der schädlichen Partikel überhaupt unternehmen, ohne an anderer Stelle viel schlimmeren Schaden anzurichten?

 

·        Nichts tun lässt sich gegen den Staub, den die Industrie produziert. Der macht zwar immerhin 40 0er Gesamtbelastung aus, aber hier ist "weitgehend alles ausgereizt"– will sagen: bessere Luftfilter wären deutlich teurer als die vorhandenen. Die sind der Industrie nicht zuzumuten. Stäube dieser Herkunft können wir also schon mal vergessen.

·        Der Verursacher Straßenverkehr hat zwar nur 25% auf dem Kerbholz, hier lässt sich aber schon eher etwas machen. Fahrverbote und City-Maut allerdings nicht. Sie schaden dem Umsatz des Einzelhandels, weil sie das Einkaufen mit dem Auto erschweren. Für die Industrie kommen solche Maßnahmen schon gleich nicht in Frage, weil sie "in manchen Betrieben die Produktion zum Erliegen" brächten. Derart dramatische Konsequenzen malen Unternehmer an die Wand, die sich um ihre Transportkosten und Lieferzeiten für Vor- und Endprodukte kümmern und sich sicher sind, dass ihnen Übertreibungen à la "Produktionszusammenbruch" nicht krumm genommen werden; schließlich hängen von ihrem Privatinteresse alle anderen ab.

·        Auch Sonntagsfahrverbote werden gleich ausgeschlossen sind. Sonntagsfahrten dienen zwar mehrheitlich nur dem Privatvergnügen. Weil aber auch Vergnügen Geldausgeben ist und "Konsumzurückhaltung" ein Vergehen am zarten Pflänzchen ‚Aufschwung‘ wäre, ist auch diese Maßnahme "kontraproduktiv".

·        Rußpartikelfilter dagegen sind machbar, zumal solche, die nicht in Lkws eingebaut werden und dem Transportgewerbe höhere Kosten aufbürden würden: Filter für Diesel-Pkws sind die Lösung – auch wenn Pkws nur einen kleinen Teil jener 25 0er Feinstaubbelastung verursachen, die dem Verkehr insgesamt zugeschrieben werden. Natürlich darf man auch da die Autoindustrie zu nichts zwingen. Man muss sehen, wie sich Rückhaltetechniken mit ihrem Geschäft verknüpfen und zum Konkurrenzargument beim Autoverkauf machen lassen: In dieser Hinsicht hat die deutsche Autoindustrie, der man nun anklagend das Vorbild der französischen Konkurrenten vorhält, keineswegs "geschlafen". Während jenseits des Rheins schon länger Rußfilter für ein "Öko-Image" sorgen und den Verkauf französischer Diesel-Modelle ankurbeln sollen, verfolgten deutsche Autobauer eine andere Strategie. Sie setzten auf PS-schonende, nur beim Ruß nicht ganz so effiziente Verfahren zur Minderung der Schadstoffemissionen ohne Filter und verließen sich auf eine Kundschaft, die heiße Öfen höher schätzt als ein paar vermiedene Milligramm Ruß. Jetzt verlangt die Gesetzeslage doch nach Filtern – und die deutsche Autoindustrie nach Subventionen, damit der geforderte Einbau ein Geschäft wird und ihre Modelle nicht etwa unschön verteuert und deren Absatz bremst. Leider hat die klamme Kasse des Bundes für die gute Sache kein Geld übrig. Er verweist auf die Zuständigkeit der Länder für die Kfz-Steuer. Auch die wissen aber eine bessere Verwendung für ihre Haushaltsmittel und können sich nur "aufkommensneutrale Subventionen" vorstellen.

 

So und nur so ist die Einhaltung der Feinstaub-Richtlinie dann vielleicht doch machbar: Die Besitzer von alten Diesel-Pkws, die keinen Filter haben, bekommen – strafweise für ihre gesundheitsschädlichen Stinker – eine höhere Kfz-Steuer aufgebrummt, mit deren Aufkommen sie die Steuernachlässe finanzieren, die andere zur Nachrüstung oder zum Kauf rußarmer Diesel anreizen sollen. So ist der Umweltschutz möglich, dessen Kosten allen volkswirtschaftlich wichtigen Subjekten nicht zumutbar sind.

 

Mit Auskünften über systemnotwendige Rücksichtslosigkeiten lassen es Politik und Medien freilich nicht gut sein. Sie fordern die eingestaubten Bürger auf, ihre Sorgen zu vergessen und sich gefälligst den viel wichtigeren Sorgen der Staubproduzenten und Standortverwalter zuzuwenden: Was soll aus der Konjunktur und dem "nächsten Autofrühling" werden, "auf den wir seit Jahren warten" (ein Automobilprofessor namens Dudenhöffer), wenn wegen der Feinstaubdebatte der Kauf von 30.000 Dieselfahrzeugen aufgeschoben wird? Wer denkt an die Kommunen? "Die deutschen Städte tun sich schwer mit der neuen Verordnung." (Spiegel online, 31.3.) Was sonst nicht gerade üblich ist – Mitleid mit Subjekten, die Gesetze erst verletzen und dann in Frage stellen –, ist in diesem Fall angesagt: Die armen Kommunen stecken in einer "Feinstaubfalle", weil sie von "Feinstaub-Freischärlern" verklagt werden, deren "Werkzeug die EU-Richtlinie" ist. Die wahren Opfer der "Feinstaubkrise" sind Bund, Länder, Gemeinden und die (Auto-)Wirtschaft. Deren Wohlbefinden steckt ohnehin in einer Krise, und jetzt macht ihnen die EU das Leben mit ihrem neuen Grenzwert noch extra schwer.

 

Das ist also der eigentliche Skandal: Wirtschaftsminister Clement: Andauernde "Feinstaubdebatten" "vergiften das Konsumklima", "gefährden Arbeitsplätze", sind also einfach "neben der Kappe". Der Doktor Eisenbart aus dem Wirtschaftsministerium sagt den Bürgern mal wieder, dass sie am meisten sich selbst schaden, wenn sie sich Sorgen um ihre Gesundheit machen. Und weil diese Sorgen Jobs gefährden, sind sie auch medizinisch ganz unangebracht:

"Je mehr in der Debatte Staub in jeder Größenordnung aufgewirbelt wurde, umso verwirrter wurden die Bundesbürger und horchten in sich hinein: der lästige Husten des Nachwuchses, dieses Ziehen in den eigenen Bronchien ..." (Der Spiegel, 14/05)

 

Das verweichlichte Volk, ein Haufen von eingebildet Kranken, leidet an "Feinstaubhysterie" – sonst nichts! Man kann wieder aufatmen!

 

II.Ein neues Gesetz für den lauteren Wettbewerb: Aufatmen für Schwule, Rollstullfahrer, Neger, Muselmanen und alle anderen “Schwachen” – ab sofort ist Diskriminieren gesetzlich verboten!

 

Auch wenn die Menschen im Standort unter ihr nichts zu lachen haben: ihr typisch rotgrün-humanistisches Ethos hat die deutsche Regierung jedenfalls nicht verloren. Nach den vielen Gesetzen, mit denen sie ihren Bürgern das Leben schwer macht, geht sie in sich, überlegt, wie sie auch mal was Gutes, am besten was Soziales, tun könnte, und es fällt ihr was ein: Ein kleines Gesetz eigens für die Erniedrigten und Beleidigten im Land, das ihre Diskriminierung verhindern und “zum Schutz der Schwächeren bestimmte Standards und damit der Vertragsfreiheit gewisse Grenzen setzen” (http://www.gruene-fraktion.de) soll – das wär´s. Ein feiner Zug des Gesetzgebers, ohne Zweifel, wenngleich sich die Frage schon stellt, ob sich da nicht ausgerechnet der dickste Bock zum Gärtner am zarten Pflänzchen der Mitmenschlichkeit bestellt. Immerhin fällt das Diskriminieren, gegen das die rotgrünen Humanisten aus purer Sympathie mit den “Schwachen” per Gesetz vorgehen wollen, ja nicht vom Himmel: Das kommt zuallererst über den Staat in die Welt, den sie verwalten.

 

Vom Recht des Staates, das die Unterschiede seiner Bürger schafft

 

Von der Scheidung zwischen Aus- und Inländern mit jeweils speziellen Rechten angefangen über Schüler, Studenten, Lehrer und andere öffentliche Dienstleister auf der einen, Azubis und Meister, Arbeiter, Arbeitslose und sonstige Eigentümer auf der anderen Seite bis hinunter zum Rentner mit seinen Ansprüchen und zum Kranken, dem der Amtsarzt in Prozenten den Status des Behinderten attestiert: Jede Menge Unterschiede zwischen seinen Bürgern schreibt der Staat mit der Macht seines Gesetzes fest und lässt ihnen daher überhaupt erst die Besonderheit zukommen, die ihren “gesellschaftlichen Status” im Allgemeinen und den eines “Schwächeren” im Besonderen ausmacht. Sich dann, wenn er mit seinen Diskriminierungen fertig ist, auf die Gleichen in seiner Gesellschaft mit dem gleichen Gesetz, auf die anderen mit einem anderen zu beziehen: Das ist die schöne bürgerliche Welt der “Gleichbehandlung”, zu der er sich, sie ist je sein Werk, selbstverständlich nur beglückwünschen kann – “die Gleichheit vor dem Gesetz und der Schutz aller Menschen vor Diskriminierung ist ein Menschenrecht, das in Deutschland insbesondere in Artikel 3 des GG festgeschrieben ist. Im Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zum Staat binden die verfassungsrechtlichen Gleichheitssätze bereits alle Bereiche staatlichen Handelns” (http://www.spdfraktion.de/rs) und mit der es dann erst so richtig schön weitergeht beim Produzieren der gesellschaftlichen Unterschiede, die zum Markenzeichen der freiheitlichen Ordnung zählen. Das Recht, mit seinen Mitteln und Fähigkeiten Geld zu verdienen, hat ja nun wirklich jeder, im Prinzip auch eine behinderte Lesbe aus Senegal, auch wenn der Staat bis gestern noch der Meinung war, dass Behinderte in den Rollstuhl, Neger nach Afrika und lesbische Umtriebe behindert gehören. Dass die eine Sorte seiner Bürger beim Gelderwerb notorisch reicher wird, die andere immer ärmer, ist zwar ein ziemlich heftiger gesellschaftlicher Unterschied, aber keinesfalls auf „Diskriminierung“ zurückzuführen: Auch vor dem Recht auf Eigentum, das die einen haben, die anderen mit ihrer Arbeitskraft vermehren dürfen, sind alle Bürger gleich. Und auch wenn ansehnliche Teile der großen Mehrheit, die mit ihren Diensten eine kleine unternehmerische Minderheit reich machen darf, selbst dazu keine Chancen mehr haben: Der Gleichheitsgrundsatz, dass Geld zum Lebensunterhalt für die, die es bezahlen und sich im Gegenzug die Früchte der Arbeit anderer aneignen, allemal Kosten sind, gilt auch für sie. Niemand diskriminiert sie, sie werden nur der Investition in einen Lohn, von dem sie leben könnten, für nicht lohnend befunden, und schon haben sie nichts mehr zum Leben. Insofern ist für den Staat die kapitalistische Klassengesellschaft, soweit er für sie zuständig ist, ein einziges verwirklichtes Menschenrecht auf „Gleichbehandlung“. Die Sorte politisch-rechtlicher und polit-ökonomischer Diskriminierung, an der ihm gelegen ist und die er schafft, ist für ihn einfach keine. Ein mit „Diskriminierung“ dann auch gleich moralisch geächteter Sittenverstoß liegt für ihn ausschließlich dort vor, wo nicht er mit seinem Recht Unterscheidungen trifft und Machtpositionen zuteilt, sondern wo seine Bürger in ihrem Verkehr untereinander ihre Machtpositionen missbrauchen, und weil eine EU-Richtlinie ihn darauf stößt, meldet er eigenen Handlungsbedarf an: „Die EU-Richtlinien ….zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zu Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen verpflichten dazu, diesen Schutz im Bereich Beschäftigung und Beruf hinsichtlich der Merkmale Rasse, ethnischer Herkunft, Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität und Geschlecht auch einfachgesetzlich insbesondere für das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten umzusetzen.

Wie immer, wenn der Staat per Gesetz etwas verbieten will, erteilt er zunächst einmal darüber Auskunft, was in der Gesellschaft unter seiner hoheitlichen Rechtsaufsicht die Regel ist, in diesem Fall also über die feinen

 

Sitten einer kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft

 

Es ist offenbar so, dass die wunderbare „Gleichheit vor dem Recht“ die Menschen nicht nur in Klassen auseinander sortiert, sodass Wenige darüber entscheiden, wer von den vielen Anderen überhaupt die Gelegenheit bekommen soll, sich seinen Lebensunterhalt per „Beschäftigung“ zu verdienen und zu welchen Bedingungen. Auch über den „Zugang“ zu allen möglichen anderen Lebensnotwendigkeiten wird offensichtlich exklusiv von einer Abteilung der Gesellschaft verfügt, welche die „Freiheit“ hat, der anderen „Verträge“ anzubieten oder auch nicht: Über den „Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen“(ebd.), verfügt die in Händen der Vermögenden konzentrierte Privatmacht des Eigentums gemäß eigenem Interesse und Ermessen ebenso wie über die Chancen des Restes, sich einen bezahlbaren „Wohnraum“ zu ergattern. Der Gesetzgeber, der sich für „Gleichbehandlung“ stark macht, geht jedenfalls mit allergrößter Selbstverständlichkeit davon aus, dass es sich bei den freien und gleichen Rechtspersonen, die sich im El Dorado der Vertragsfreiheit um ihr eigenes Fortkommen kümmern, um ziemlich unterschiedlich bemittelte Charaktere handelt. Dass daher alles, was sich der großen Mehrheit seiner Bürger an Lebenschancen eröffnet, ihnen nur im Gegenzug für den Dienst gewährt wird, mit dem sie sich als Arbeiter, Mieter und Konsumenten für die vermögende Minderheit als brauchbar erweisen. Und schon gleich macht der Staat sich nichts darüber vor, welche Kriterien bei der Ermittlung dieser Brauchbarkeit in seiner egalitären Zivilgesellschaft regelmäßig in Anschlag gebracht werden. Wo ihnen für das sakrosankte Recht zur Mehrung ihres Eigentums die Dienste einer ganzen Gesellschaft zur Verfügung stehen, haben Kapitalisten, Grundbesitzer und sonstige Geschäftsleute zusammen mit der Macht ihres Geldes auch alle Freiheiten der Entscheidung, wem überhaupt sie die große Gunst erweisen, sich für sie nützlich machen zu dürfen, und wem nicht. Also haben sie auch alle Freiheiten, nach ihrem Gutdünken die Unterscheidungen zu treffen, die in ihrem Interesse liegen: „Rasse“, „ethnische Herkunft“, „Religion“, „Behinderung“, „Alter“, „sexuelle Identität und Geschlecht“ sind für sie „Merkmale“, an denen entlang sie die Tauglichkeit des menschlichen Materials für alles ermitteln, wofür sie es in Anspruch nehmen wollen. Allein damit befasst, die Brauchbarkeit einer Person für ihr geschäftliches Anliegen in Augenschein zu nehmen, machen sie sich an natürlichen Merkmalen von Menschen genauso wie an anerzogenen oder sonst wie erworbenen sittlichen Gewohnheiten und anderen Defekten ans Überprüfen und Ausmustern. Vorurteilsfrei nehmen sie den ganzen Menschen unter dem Gesichtspunkt der nützlichen Verwertbarkeit in Augenschein, besinnen sich dann auf die unabweisbaren Vorurteile, die ihnen auf Grund des eigenen Sittengesetzes oder auch nur in Form von Idiosynkrasien geläufig sind, zu denen sich bei ihnen „Erfahrungen“ - es müssen gar nicht die eigenen sein - verdichten, und befinden in dem einen Fall den Neger für die Wohnung, in dem anderen die Frau für den Arbeitsplatz, den Behinderten fürs Restaurant oder den Schwulen für irgendetwas überhaupt nicht oder allenfalls bedingt und unter gewissen Auflagen für tragbar. Manchmal springen sie aber auch über ihren Schatten, haben gar nichts gegen Frauen und tüchtige Studenten aus Ghana, die für wenig Geld viel arbeiten, oder lassen auf einen Schlag ganz viele Knoblauchfresser mit Betteppichen in ihr knappes Wohneigentum einziehn, sogar mit Mietvertrag. Das alles und einiges mehr an Willkür und Gemeinheit gehört zu den selbstverständlichen und jedermann geläufigen Usancen der Klassengesellschaft und wäre es nicht so, könnte die rotgrüne Regierung ja nicht einmal die Spitze von dem Eisberg benennen, die sie immerhin „abstellen“ möchte: „Bislang zahlen Frauen vielfach höhere Tarife z.B. bei privaten Kranken- und Lebensversicherungen. Homosexuellen werden Lebensversicherungsverträge pauschal verweigert. Ausländisch aussehenden jungen Männern wird oft der Zugang zur Disco verwehrt. Behinderte Menschen werden nicht in ein Ferienhotel aufgenommen, weil man unterstellt, sie würden Gäste stören. Das wollen wir abstellen. Besonders gravierend sind Benachteiligungen im Arbeitsleben, bei der Einstellung, beim beruflichen Aufstieg, bei den Arbeitsbedingungen, bei der Entlohnung.“(http://www.grüne-fraktion.de) Und weil diese Schönheiten in den zwischenmenschlichen Geld- und Herrschaftsbeziehungen zum kapitalistischen Erwerbssinn und den Freiheiten, die der sich beim Abschluss seiner vielfältigen Verträge herausnimmt, notwendig dazugehören, hat es mit dem „Abstellen“ dieser „Benachteiligungen“ von Rechts wegen auch seine besondere Bewandtnis. Die „gewissen Grenzen der Vertragsfreiheit“, die der Gesetzgeber ziehen möchte, künden ja schon davon, dass er die Privatmacht des Geldes in der Freiheit ihrer Vertragsgestaltung keinesfalls ernsthaft anzutasten gedenkt. Er nimmt ja auch nur an einigen Niederträchtigkeiten seiner Bürger, zu denen es die Geldgeier im Umgang mit ihrem Publikum bringen, Anstoß. Die definiert er als Auswüchse der ansonsten selbstverständlich überhaupt nicht zu beanstandenden Prinzipien des kapitalistischen Erwerbssinns und die Grenze, wo beim Sortieren der Menschen nach Brauchbarkeitskriterien das Erlaubte aufhören und das Verbotene anfangen soll, entnimmt er seinem Recht: Der Staat als Vorbild in Sachen Nicht-Diskriminierung und Gleichbehandlung aller macht die Sorte Respekt, die er Farbigen, Frauen, Behinderten und, inzwischen sogar abweichenden „sexuellen Identitäten“ zollt, auch für den Umgang der Privaten untereinander verbindlich. Alles was die Rechtspersonen in ihrer Freiheit gegeneinander stipulieren, geht auch für den Staat in Ordnung - wenn und solange sie sich dabei nur nicht in der Würde aneinander vergreifen, die für ihn ihr alleroberstes rechtliches Schutzgut ist. Also gibt es ein Gesetz, welches sicherstellt, dass beim Ausschluss von Schwarzen, Muslimen, Behinderten, Alten, Schwulen und Frauen von der einen oder anderen Vertragsbeziehung das Menschenrecht auf Nicht-Diskriminierung nicht angetastet wird: Ab sofort ist es verboten, den Ausmusterungsbescheid in Sachen wirtschaftlicher Brauchbarkeit damit zu begründen, der Vertragspartner wäre schwarz, schwul, behindert oder weiblich. Andernfalls liegt „Diskriminierung“ vor, die Betroffenen dürfen sich vor Gericht beschweren und ihre Gegner müssen darlegen, dass ihre Selektionskriterien „durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt“ sind und die Selektion „zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“ (http://www.spdfraktion.de/rs) war. Geboten umgekehrt ist die grandiose Heuchelei, die der Staat für einen respektvollen Umgang seiner Bürger bei der Austragung ihrer Gegensätze verbindlich macht: Der - sogar gerichtsverwertbar! - überzeugend inszenierte Schein aus einwandfrei sachlichen und überhaupt nicht persönlichen Gründen für mangelnd geschäftstauglich befunden zu werden, garantiert nur deswegen an einem Arbeitsplatz für weniger Lohn oder gar nicht antreten zu dürfen: Das ist der große Fortschritt bei der „Gleichbehandlung“, den die rotgrüne Regierung ihren minderbemittelten Bürgern spendiert. Und selbst noch diese lächerlich matte Eingriff in die bewährten Bräuche des kapitalistischen Musterungsverfahrens ist für viele

 

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