GEGENARGUMENTE

Der Karikaturenstreit: Viel Lärm um ein paar Zeichnungen vom Propheten und ein

Kreuzzug für die Meinungsfreiheit

Es gibt eine Riesenaufregung und ein wenig Aufruhr mit einigen Toten in der islamischen Welt – bloß wegen ein paar Karikaturen in einem dänischen Journal? Und umgekehrt: Mit der Lizenz, ein paar Zeichnungen zu drucken, stehen die Grundprinzipien der Aufklärung, der demokratischen Weltordnung und der europäischen Völkersolidarität auf dem Spiel? Das kann ja wohl beides nicht so ganz wahr sein.

Die Lage: Der Krieg gegen den “islamistischen” Terrorismus

Die umstrittenen Karikaturen in der dänischen Zeitung enthalten – wie das bei politischen Karikaturen so üblich ist – eine leicht fassliche politische Botschaft. Die “Süddeutsche Zeitung” referiert sie verbal:

“Die Botschaft war klar: Der islamistische Terror ist nicht die Tat radikaler Abweichler. Die Terror-Ideologie – das ist die Religion selbst. So wird der Religionsstifter Mohammed zum Oberterroristen.” (SZ 11.2.06)

Selbst diese Botschaft, irgendwo in ein Bild gefasst, wäre auch unter Muslimen kaum ein Achselzucken wert, brächte sie nicht in kaum übertriebener Weise den politischen Standpunkt zum Ausdruck, den nicht nur ein paar skandinavische Querköpfe, sondern die weltpolitisch maßgeblichen Nationen im Verhältnis zur arabisch-islamischen Staatenwelt sowie im Umgang mit den aus diesen Ländern zugewanderten Minderheiten einnehmen.

- Was die Region zwischen Marokko und den Philippinen im Allgemeinen, den sog. “nahöstlichen Krisenbogen” im Besonderen und ganz speziell die von den USA dort identifizierten “Schurkenstaaten” Iran und Syrien betrifft sowie erst recht die Palästinenser nach ihrem Missgriff bei ihrer freien Parlamentswahl – so haben die westlichen Verbündeten sich bekanntlich dazu entschlossen, hier und an diesen Nationen eine “neue Weltordnung” durchzusetzen und eine neue strategische Weltlage zu inszenieren. Alles, was man sonst noch mit diesen Ländern anstellt und von ihnen will, wird – abgestuft und differenziert – der erklärten Notwendigkeit untergeordnet, einen Haufen frommer Terroristen “auszuräuchern”; weiters die auf religiöse Autorität gegründete anti-westliche Herrschaft im Iran zu entmachten; die von dort sowie aus Syrien angeblich oder wirklich unterstützten, mit bestem religiösem Gewissen operierenden Desperados und Widerstandsgruppen niederzumachen – und als krönenden Abschluss im Sinne einer konstruktiven präventiven Sicherheitspolitik den dortigen Völkern an Stelle ihres überkommenen Vertrauens in religiöse und religiös legitimierte Autoritäten eine neue politische Kultur, nämlich die westlichen Sitten der modernen kapitalistischen Erwerbsgesellschaft und die Gewohnheiten eines pflegeleichten demokratischen Wählervolks beizubringen. Regierungen und Regierte werden unter einen in Washington definierten, von Europas ehrgeizigen Imperialisten mitformulierten Korrekturbedarf subsumiert, der nicht nur die außenpolitische Ausrichtung, sondern auch die vom Islam inspirierte oder zumindest durch ihn legitimierte innere Verfassung der Nationen betrifft und der erpresserisch, notfalls auch gewaltsam durchgesetzt werden soll. Das, was im Irak der Krieg nicht so recht leistet, sollen zwischen Marokko und Indonesien die verlangten “demokratischen Reformen” erbringen. Die im missionarischen Ethos dieser ausgreifenden Sicherheitspolitik durchaus enthaltene Ächtung einer vom demokratisch-marktwirtschaftlichen Rechts- und Verhaltenskodex abweichenden Sittlichkeit, darin eingeschlossen die Frömmigkeit, die wird durch einige der dänischen Karikaturen illustriert: Und das macht aus den Zeichnungen mehr als einen Scherz über die religiöse Borniertheit, die auch fromme Menschen an Ihresgleichen – vor allem an solchen von der jeweils anderen Konfession – und erst recht bürgerliche Freigeister an den Schafen eines göttlichen Hirten so leicht “entlarven” und so gerne lächerlich machen.

- Der Verdacht auf eine über den Islam vermittelte Sympathie mit “islamistischen” Terroristen trifft auch die Menschen, die aus den Staaten zwischen Maghreb und Südsee in die europäischen Metropolen des Welt-Kapitalismus abgewandert sind und dort als mehr oder weniger ausgegrenzte, noch nicht völlig angepasste Minderheiten ihren Beitrag zur Vielfalt der Lebensstile und zum Bruttosozialprodukt leisten. Von Staats wegen früher zeitweise als Arbeitskräfte ins Land gebeten und immerhin zugelassen, inzwischen längst unerwünscht und mit den Mitteln des Ausländerrechts schikaniert, werden sie seit den Attentaten des “9/11” und der Entdeckung von Helfershelfern im Milieu der islamischen Gemeinde in Europa ziemlich pauschal als Bestandteil des “Sumpfes” des anti-westlichen Terrorismus beargwöhnt. Sie werden überwacht und unter dem Titel “Integration” zu dem schwer möglichen Nachweis verpflichtet, mit Gefühl und Verstand ganz und gar in ihrer neuen Heimat “angekommen” und für deren Welterfolg genauso bedingungslos parteilich zu sein, wie die Staatsgewalt es bei ihren Eingeborenen von Haus aus unterstellt; in Deutschland machen inquisitorische Fragebögen für Einbürgerungswillige die Linie deutlich und führen doch nur zu dem Befund, dass es mit ihrer korrekten Beantwortung nicht getan ist, ein waches Misstrauen gegen die gesamte Bevölkerungsgruppe unabdingbar bleibt, auch wenn man ihnen ein Recht auf Anwesenheit gewährt hat. An einem solchen Misstrauen lässt die Mehrheit der bodenständigen Bevölkerung es ohnehin nicht fehlen. Rechtsradikale Parteien, die die Ausgrenzung und Entfernung aller, die sich durch abweichende religiöse Sitten oder auch nur durch ihre Herkunft verdächtig machen, zur ersten und wichtigsten Staatsaufgabe erklären, die finden Anklang; nicht zuletzt auch in Dänemark, wo ein solcher Verein es zur parlamentarischen Stütze für eine regierende Mehrheitspartei mit einem nicht ganz so einseitigen Programm gebracht hat. Diesen volkstümlichen Ausländerhass mit anti-muslimischem Schwerpunkt hat die dänische Zeitung mit ihrem Karikaturen-Wettbewerb nicht bloß bedient; angeblich hat sie mit einer gezielten Provokation des orientalischen Kirchenvolks dessen Bereitschaft zu moralischer Selbstverleugnung testen und so ihren Beitrag zum “Kulturkampf”  leisten wollen.

Der beleidigte Nationalismus in der islamischen Welt

Für sich genommen sind die Karikaturen nicht mehr als Zeichnungen mit recht beschränkter Botschaft – manche Zeichner haben sogar umgekehrt ihren rechten Auftraggeber aufs Korn genommen und in ihrer Karikatur schlecht aussehen lassen; von sehr begrenzter Reichweite und nie und nimmer der Grund für empörte Reaktionen bis hin zu Mord und Totschlag, Drohungen und Brandstiftungen und wochenlange wütende Demonstrationen in etlichen islamischen Ländern. Sie sind wirklich nicht mehr als ein Anlass. Der Grund des moralischen Aufruhrs liegt im Feindbild vom gottlosen, dekadenten, dabei materiell überlegenen und deswegen so arroganten “Westen”, mit dem nicht wenige fromme Volkserzieher des islamischen Teils der “3. Welt” ihren Schäflein und diese sich dann auch selbst einen großen Teil der schlechten Erfahrungen erklären, die sie unter und mit den desolaten Lebensbedingungen in ihren in die Weltmärkte eingeordneten, und von fremden Interessen dominierten Heimatländern machen. Wie ihnen da mitgespielt wird: wie ihnen der Reichtum der kapitalistisch erfolgreichen Nationen gleichzeitig als Maßstab vor Augen geführt und vorenthalten wird; dass sie mit ihren Interessen an ihrer mehr oder weniger pro-westlichen Herrschaft scheitern oder – nach Aussage von eher anti-westlichen Herrschaften – gemeinsam mit der Obrigkeit an den Machenschaften des imperialistischen Auslands; wie ihnen, insbesondere den Jugendlichen, der Status einer “relativen”, nämlich kapitalistisch nutzlosen Übervölkerung aufgezwungen wird: Das “begreifen” die Betroffenen wie auch ihre weniger betroffenen Meinungsbildner als Verstoß gegen die Ehre, die sie in ihrer Eigenschaft als Angehörige einer großartigen, vom Allerhöchsten als sein Fußvolk auserwählten Gemeinschaft im Leibe haben – so genießen sie wenigstens die trostreiche Einbildung, in einem höheren Sinn die beleidigten Subjekte von Verhältnissen zu sein, in denen sie noch nicht einmal die Rolle nützlicher Objekte der “globalisierten Marktwirtschaft” spielen. Etliche dieser Völker haben nicht bloß eine solche ideelle, geistig-moralische Auseinandersetzung mit dem Imperialismus der großen kapitalistischen Demokratien hinter sich, sondern können auf eine Reihe von nationalen Emanzipationsversuchen zurückblicken, die teils durch Erpressung von außen, teils durch ihre eigenen pro-westlichen Machthaber unterdrückt oder in eine reichlich frustrierende Richtung gelenkt worden sind. Der politische Wille zu weltpolitisch respektabler und auch vom “Westen” als ebenbürtig respektierter arabischer oder sogar gesamt-islamischer Macht ist erfolgreich ins Reich der frommen Einbildung und, soweit noch aktiv, in den terroristischen Untergrund abgedrängt worden. Mittlerweile sind die muslimischen Gemeinwesen Objekte einer von ihnen wirklich nicht bestellten “Befreiung” via “Demokratisierung” durch die Weltmächte der bürgerlichen Freiheit; sie sind Adressaten einer Weltordnungspolitik, die Afghanistan alles andere als befriedet und Pakistan gleich mit in Unruhe versetzt, den Irak ruiniert, Israel in seinem anti-terroristischen Quasi-Krieg gegen die Palästinenser freie Hand lässt, dem iranischen “Gottesstaat” Entmachtung und Systemwechsel ansagt: Da liegen eine Menge Gründe vor für eine Feindschaft, der die zuständigen Regierungen – mit Ausnahme der iranischen und ansatzweise der syrischen – allerdings keinen Raum geben. Dass Leute mit einem empfindlichen Nationalstolz das konfrontative Vorgehen des “Westens”, nicht zuletzt auch gegen ihre fromme Lebens- und Denkungsart, als einen “Kreuzzug” gegen ihr Allerheiligstes auffassen, trifft zwar die Sache nicht so ganz, das unterscheidet diesen Standpunkt aber auch nicht besonders vom Fundamentalismus der imperialistischen Nationen, die ihnen unbedingt ihre terroristischen Neigungen abgewöhnen und sie mit der Freiheit zwangsbeglücken wollen. Was die aufgewühlten Massen von denen gründlicher unterscheidet, ist ihre Machtlosigkeit, die offenbar wird, wenn sie die Beleidigung ihres Propheten in westlichen Gazetten zum Anlass für einen gerechten Gegenschlag nehmen: Ihre Feindschaft toben sie in ohnmächtiger Wut an Sinnbildern des verhassten “Westens” aus. Dessen Mitmacher dagegen können sich, was die notwendige Gewalt zur Förderung der imperialistischen Bedürfnisse ihrer Nationen betrifft, getrost auf die Erpressungsmacht und die Gewaltapparate ihrer Herrschaften verlassen. Und für die nötige moralische Erregung über falsche Regierungen und verkehrt gepolte religiöse Volksmassen sorgen die Profis von der hiesigen sog. “4. Gewalt”.

Fundamentalistisch für die Meinungsfreiheit

Die verstehen ihr Geschäft mindestens so gut wie die militanten Volkserzieher in den islamischen Ländern; und sie versehen es in dem offensiven Geist, den sie im Zeichen der großen demokratischen Reformkampagne des “Westens” für den islamischen “Krisenbogen” und aus Anlass der melodramatischen Proteste in etlichen Städten dieser Region gegen die dänischen Mohammed-Verächter für angezeigt halten. Jeder, von Pressevertretern bis zu den höchsten Staatsspitzen sieht sich herausgefordert, die Meinungs- und Pressefreiheit angegriffen zu sehen, sie zum Höchstwert zu erklären, den es um der Freiheit des aufgeklärten Abendlandes willen gegen einen mordlüsternen orientalischen Mob zu verteidigen gelte, und zum Schulterschluss wider die Feinde der Freiheit aufzurufen. Zeitungen in halb Europa drucken die Karikaturen nach; erklärtermaßen nicht, weil sie deren Botschaft so großartig finden und daher gerne verbreiten, sondern allein zwecks demonstrativer Verteidigung ihres Rechts, frei und ungehindert darüber zu entscheiden, welcher Meinung sie wie viel Platz einräumen; Journale, die das nicht tun, werden verdächtigt und verteidigen sich teilweise vorauseilend gegen den Vorwurf, sie verweigerten aus Furcht die Solidarität mit den dänischen Kollegen, sie hätten die Schere einer anti-antimuslimischen Zensur bereits im Kopf und damit schon Verrat am Grundrecht der Meinungsfreiheit geübt. Die Bekenntnisse, dass “bei uns”, in der abendländischen Werteordnung, die Freiheit der Presse ungefähr auf das Podest gehört, auf dem die islamischen Fanatiker ihren Propheten sehen wollen, die sind gar nicht mehr zu zählen.

Dieser begeisternde Einsatz für “unsere Werte” beschränkt sich keineswegs auf den heimischen Werte-Standort und dessen Würdigung. Mit ihren wütenden Protesten entlarven sich vielmehr die aufgeputschten Völkerschaften der islamischen Welt resp. deren Agitatoren vor den Augen des investigativen abendländischen Journalismus als genau die unverständigen Feinde der Freiheit, als die der zum Demokratie-Export angetretene “Westen” sie schon längst bezichtigt. Diese ganze Kultusgemeinde hat es offensichtlich noch nicht zu dem großen zivilisatorischen Fortschritt gebracht, ohne den heutzutage nirgends mehr Staat gemacht werden darf; sie entlarvt sich als Gegner von Werten, die die freie Welt schon längst für global und allgemein verbindlich erklärt hat; sie widersetzt sich dem freiheitlichen Konsens der modernen Völkerfamilie – und bestätigt damit den Korrekturbedarf, den die USA schon des längeren angemeldet haben und dem sie mit ihrer Demokratisierungs-Initiative kompromisslos und mit Tatkraft nachkommen: Den Jüngern Mohammeds gehört die Meinungsfreiheit beigebracht, und die einzig wahre Trennung von Kirche und Staat vielleicht auch gleich.

Dieser fulminante Einsatz für den Universalismus der abendländischen Werteordnung hat eine lächerliche Seite. An der Freiheit von Chefredakteuren, Karikaturen eines Religionsstifters abzudrucken, soll unser aller Freiheit und Lebenskultur hängen? Die Freiheit, fünf Sekunden lang über den Abgott fremder Gläubiger zu grinsen, das soll der Wert sein, der unsere aufgeklärte Neuzeit vom Mittelalter trennt? Das wäre sie: die Vernunft? Inmitten einer Welt, deren täglicher Gang von privaten Investitionsentscheidungen bestimmt und deren Ordnung durch die strategischen Entscheidungen von Befehlshabern über Atomwaffen definiert wird, soll alles darauf ankommen, dass Pressezeichner ihre Auftragsarbeiten so erledigen können, wie es ihnen in den Sinn kommt und ihr Auftraggeber es haben will?

Auf der anderen Seite liegen die aufgeregten Anwälte der Meinungsfreiheit mit ihrer lächerlichen Prinzipienreiterei allerdings ganz richtig: Die idealisierende Beschwörung eines demokratischen Verfassungsgrundsatzes schärft die Konturen des Feindbilds vom islamisch inspirierten Terrorismus, gegen den der freie “Westen” missionarisch vorgehen muss. Der zurechtkonstruierte Grundsatzstreit um die Meinungsfreiheit spiegelt gerade in seiner Übertriebenheit die grundsätzliche Feindschaft wider, die die verbündeten Weltordnungsmächte den anti-westlichen Widerstandsnestern in der islamischen Weltregion angesagt haben und in die sie die dortige Herrschaftsordnung und die religiöse Verfassung der dortigen Gesellschaften einbeziehen. Zumindest eine Kampagne lang, mindestens so lange wie der politisch-moralische Wutausbruch in der muslimischen Welt andauert, dient der Fetisch der Pressefreiheit als denkbar passendes ideologisches Banner für das “Kreuzzugs”-Ethos der imperialistischen Aufräumaktion, die die USA und deren willige und weniger willige Koalitionäre sich für die Gegend vorgenommen haben.

Imperialismus als “Kampf der Kulturen”

Es ist fast wie in alten antikommunistischen Zeiten: Der “Systemvergleich”, der gar nichts vergleicht, sondern der die schwer idealisierten Verfahrensweisen bürgerlich-demokratischer Herrschaft zur absoluten Norm erhebt, vor der sich die Herrschaftspraxis in einem angefeindeten Staat als Abgrund an Bosheit blamiert – dieser offensiv selbstgerechte Blick auf die Welt bewährt sich mal wieder als Produktivkraft für ein Feindbild, das den Ideologien des Gegners an moralischem Fundamentalismus nicht nachsteht. Er taucht die angesagte Feindschaft in das idealisierende Licht einer Mission gegen die Unfreiheit, so als wäre die Unvereinbarkeit der “Systeme” bzw. nun die der “Kulturen” deren Grund.

Unvereinbar ist da tatsächlich manches. Das bürgerliche Herrschaftsprinzip der abstrakten Freiheit, diejenige der Meinungsäußerung eingeschlossen, ist unverträglich mit einer orientalischen Ordnung, die ihren Mitgliedern kraft religiöser Autorität ihren Platz in einer überkommenen Hierarchie von Befehlsgewalt und Dienst zuweist; und die Bilder, die sich beide Seiten von der Welt und von einander machen, harmonieren schon gleich nicht. Der Grund des aktuellen Konflikts zwischen Europas Demokratien und den islamischen Gemeinwesen, den die dänischen Karikaturen offenbart haben, liegt aber wirklich nicht in divergierenden gesellschaftlichen Sitten und politischen Kulturen: Der liegt in der Feindschaft, die die Mächte mit der selbsterteilten Lizenz zum Weltordnen dem Störpotential angesagt haben, das ihnen im Verlauf ihres jahrzehntelangen oberhoheitlichen und ausbeuterischen Zugriffs auf die Region zwischen Marokko und Indonesien dort erwachsen ist, und in der komplementären Gegnerschaft von dortigen Regierungen, die nach Eigenständigkeit und respektabler Gegenmacht gegen die “westliche” Übermacht streben, bzw. vor allem von Oppositionellen, die aus einer Position der Ohnmacht heraus mit dem Mittel des Terrors für eine solche Gegenmacht kämpfen und damit so viel Resonanz finden, dass die zuständigen Machthaber, selber unzufrieden mit ihrem Stellenwert in der “westlich” dominierten Staatenwelt, vor diesem Aufbegehren Respekt haben müssen. Weil sie andererseits ihre Grenzen kennen und weil auch Europas Staatsmänner mit den Feindschaften, die in ihrem Weltordnungsstandpunkt angelegt sind, berechnend umgehen, folgt der allseitigen Empörung allseits ein mäßigender Rückruf von oben:

- Die Regierenden in der Region, in unterschiedlichem Maß mit dem Korrekturbedarf der imperialistischen Welt-Neuordner konfrontiert, haben in entsprechend unterschiedlichem Maß ein Interesse daran, gegen ihre imperialistische Bevormundung “ein Zeichen zu setzen” und auf Respekt zu pochen sowie das eigene Volk gegen Anfeindungen von außen und für die Religion demonstrieren zu lassen, die ihnen dessen Loyalität sichert. Eine ausufernde Aufregung können sie allerdings auch nicht gebrauchen. Bevor die Empörung ihrer Massen das amtliche Bedürfnis nach nationaler Abgrenzung gegen “den Westen” überschreitet oder womöglich ihre zumeist gar nicht anti-westliche Politik ins Visier nimmt, wird zur Mäßigung aufgerufen und erforderlichenfalls auch so scharf geschossen, so wie die verlogenen Anwälte der Freiheit und Gewaltlosigkeit es lautstark vermissen und von Potentaten einfordern, die doch sonst kein Aufmucken erlauben und Demonstrationen auseinander knüppeln lassen.

- In den europäischen Ländern ermahnen die Verantwortlichen einander zu grenzüberschreitender Solidarität der Demokraten, die vor angezündeten Fahnen und erst recht vor unzulässigen Boykottaufrufen nicht zurückweichen dürfen, und gleichzeitig ihre Öffentlichkeit zu einem verantwortungsvollen Gebrauch des hohen Guts der Meinungs- und Pressefreiheit sowie zur Rücksichtnahme auf religiöse Gefühle. Über nützlichen Irrationalismus wird nicht gelacht; und unter der Bedingung, dass die selbstbewusste Unmündigkeit der Kinder Allahs zu treuer Anerkennung der weltlichen Herrschaft animiert, verdient auch der Islam ein Mindestmaß an Ehrerbietung. Und eine Kontrolle nur, damit er auch wirklich korrekt, als bürgerliche Privatreligion eben, funktioniert: Den Diskussionsbeitrag sind die Regierenden sich schuldig, schon aus Sorge um den inneren Frieden in ihren Ländern, und damit die moralische Empörung ihrer muslimischen Minderheiten nicht in Unberechenbarkeit umschlägt. Den Kollegen in der nah- und mittelöstlichen “Krisenregion” übermitteln sie so das “Signal”, dass Europa das Ziel der Integration ihrer Länder in eine neue, demokratisch optimierte Weltordnung mit Nachdruck weiter verfolgt, dabei aber zu unterscheiden weiß zwischen gemäßigten Regierungen, die demgemäß auf ihre Massen einwirken und sich damit Wohlwollen verdienen, und den Radikalen, gegen die man den Schulterschluss mit Amerika wie in alten Zeiten sucht und übt. In diesem Sinn fordern amtierende Demokraten einen “Dialog der Kulturen” – als würde der nicht gerade geführt; in genau der Sprache, auf die Gewaltmonopolisten und deren Ideologen und Zeichner sich verstehen.