GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

„Bedingungsloses Grundeinkommen“ – Kapitalismus mit menschlichem Antlitz?

Als Reaktion auf Arbeitslosigkeit und Lohnsenkungen ist in letzter Zeit die Idee populär geworden, der Staat solle jedem Bürger eine finanzielle Grundsicherung, also ein monatliches Einkommen garantieren. In linken Kreisen, unter anerkannten Ökonomen und Soziologen bis hinauf zum Bundespräsidenten hat diese Idee inzwischen Karriere gemacht. „Bedingungslos“ soll das Einkommen sein, es soll also wirklich jeder Bürger erhalten – unabhängig davon, über wie viel Einkommen bzw. Vermögen er verfügt. Diese Forderung erscheint mitten in der deutschen Hartz-IV-Gesellschaft auf den ersten Blick als unvorstellbare soziale Tat: Leute sollen Geld bekommen, ohne dafür arbeiten zu müssen, und das auch noch ohne Bedürftigkeitsprüfung. Statt sich über eine solche Forderung zu wundern, könnte man ihr aber auch eine radikale Auskunft entnehmen: Da gibt es Leute, die bemerken, dass die herrschende Wirtschaftsordnung trotz ihres unübersehbaren Reichtums die Existenz einer in die Millionen gehenden Zahl von Gesellschaftsmitglieder nicht sichert. Daraus ziehen sie aber nicht den Schluss, dass diese Wirtschaftsordnung dann durch eine zu ersetzen sei, die genau das garantiert, was die gegenwärtige nicht tut: den Lebensunterhalt aller auf dem Niveau, das dem Stand der Produktivkräfte gerecht wird. Vielmehr halten sie an der existierenden Produktionsweise fest, in der es Leute mit und ohne Vermögen gibt und in welcher der Lebensunterhalt Letzterer davon abhängt, dass sie von den Eigentümern nur dann ein Arbeitsentgelt bekommen, wenn ihre Arbeit zur Vermehrung des Privateigentums taugt. Weil aber die Arbeit einer wachsenden Zahl von Leuten nicht nachgefragt wird, so dass sie auch kein Einkommen haben, sollen sie mit Hilfe eines staatlich finanzierten Grundeinkommens über Wasser gehalten werden. So sei trotz des Fortbestehens von Arbeitslosigkeit das Überleben aller, auch der (Dauer‑)Arbeitslosen gewährleistet – meinen jedenfalls dessen Befürworter – und stellen damit klar, dass sie an diesem Wirtschaftssystem selbst unbeirrt festhalten wollen, in dem der Lebensunterhalt Vermögensloser grundsätzlich davon abhängt, dass sie eine Arbeit verrichten, die den Reichtum der Vermögenden vermehrt.

„Genug für alle!“ versichert Attac und wirbt mit seiner gleichnamigen Kampagne gleich für den Realismus der Forderung nach einem Grundeinkommen. Die fortschreitende Produktivität der Wirtschaft mache auf der einen Seite immer mehr Leute arbeitslos, schaffe aber auf der anderen auch einen Überfluss an Gütern, mit denen diese Gesellschaft – und nicht nur die – locker versorgt werden könnte, wenn man diesen Überfluss nur richtig verteilen würde. Ein netter Gedanke, könnte man meinen, würden die Befürworter des Grundeinkommens nicht zugleich an dem Grundsatz festhalten, dass es bei der Produktion auf Rentabilität ankommt. Dass nämlich kapitalistische Unternehmen nur dann produzieren lassen und die dafür notwendige Arbeitszeit bezahlen, wenn sie sich einen Überschuss über die zur Produktion aufgewendeten Kosten versprechen, das halten die kritischen Geister von Attac für eine „Realität“, an der man „nun einmal nicht vorbeikommt“. Rationalisierungen, die Kapitalisten vornehmen, um sich durch Einsparung von bezahlter Arbeit in der Konkurrenz durchzusetzen, halten sie einerseits für „vernünftig“, weil reichtumssteigernd, wäre da nicht andererseits die üble Folge, dass die darüber Entlassenen erwerbs‑ und damit mittellos werden. Also müsste doch bloß der Staat dafür sorgen, dass keiner mehr mittellos ist, dann könnte doch die Wirtschaft prächtig so weitermachen wie bisher.

Diese Idee hat auch Befürworter aus der Wirtschaft, wie den Gründer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner:

Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen von der Arbeit zu befreien. Und das ist uns in den letzten 50 Jahren ja auch grandios gelungen.“ (Stuttgarter Zeitung, 02.07.2005)

Wenn er betont, dass die Wirtschaft nicht für die Schaffung von Arbeitsplätzen zuständig sei, dann plaudert er einerseits eine Selbstverständlichkeit der Marktwirtschaft aus: Unternehmer sind für Profit zuständig und dafür ist die bezahlte Arbeit ein Mittel. Nur dann, wenn sie lohnend eingesetzt werden kann, wird Arbeit gezahlt und sonst eben nicht. Andererseits wendet er sich damit aber auch gegen die zentrale Ideologie von der „Verantwortung der Wirtschaft für Arbeitsplätze“. Stellt sich nämlich heraus, dass relevante Teile der arbeitsfähigen Bevölkerung dauerhaft nicht mehr als Lohnarbeiter gebraucht werden, dann soll man die Wirtschaft auch nicht mehr mit dieser Forderung behelligen. Elegant passt er gleich im Fortgang die Ideologie an diese neuen Gegebenheiten an: Er behauptet einfach als Aufgabe der Wirtschaft, was die sowieso die ganze Zeit macht, nämlich in immer neuen Rationalisierungswellen lebendige Arbeit überflüssig zu machen, und belegt das mit dem positiv besetzten Be­griff „Befreiung von Arbeit“. Das ist zwar genauso wenig wahr wie die alte Ideologie, ermöglicht ihm aber, aus einem vermeintlichen Versagen der Wirtschaft einen grandiosen Erfolg zu verfertigen. Um diesen Erfolg würdigen zu können, muss man nur seinen harten Inhalt vergessen: „Grandios gelungen“ ist der Wirtschaft „in den letzten 50 Jahren“ die Verbilligung der bezahlten Arbeit durch die Entlassung der Leute, die wegen der Erhöhung der Produktivität für den Profit nicht mehr benötigt werden, und damit die Streichung ihres Einkommens. Genau so werden die feinen Gebrauchsgüter immer massenhafter und immer billiger hergestellt – und die, die sie produzieren, immer ärmer, weil sie „von Arbeit befreit“ wurden, wie Götz Werner dies umzudeuten beliebt. Die in Arbeit verbliebenen Leute unterliegen derweil derselben Kalkulation: Aus jeder bezahlten Arbeitsstunde holt ihr Arbeitgeber durch Einsatz produktiverer Maschinen mehr Produkt aus ihnen heraus, durch Intensivierung wird die Arbeit immer mehr verdichtet und durch Verlängerung der Arbeitszeit das für die Kapitalseite so lohnende Verhältnis ausgedehnt. Hier schiebt sich nichts mit „Befreiung“ von Arbeit, obwohl doch die nützlichen Güter so flugs hergestellt werden können: Weil diese Güter ausschließlich für den Gewinn hergestellt werden, der mit ihnen erzielt werden soll, kommt im Kapitalismus aus einer Produktivitätssteigerung niemals heraus, dass die notwendige Arbeit für alle kürzer und leichter wird und das Leben angenehmer. Wenn es in der Ökonomie wirklich auf die Versorgung der Menschen mit nützlichen Gütern und möglichst bequeme Arbeits- und Lebensbedingungen ankäme, dann wäre der Kapitalismus die dümmste Tour, dies zu verwirklichen.

Doch das sehen die Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens ganz anders:

Jetzt kommen wir zur zweiten Aufgabe: Die Wirtschaft muss die Güter nicht nur produzieren. Sie muss die Menschen auch mit ausreichend Geld ausstatten, um zu konsumieren.“ (Götz Werner, ebda.)

Na klar, das macht Sinn: Erst eine Güterproduktion einrichten, die auf Gewinnerzielung in Geldform ausgerichtet ist, also auf möglichst niedrige Kosten spechtet – vor allem niedrige Lohnkosten! –; darüber lauter Arme mit und ohne Arbeitsplatz erzeugen, denen das Geld zum Leben fehlt; und anschließend soll dieselbe Wirtschaft „die Menschen auch mit ausreichend Geld ausstatten, um zu konsumieren“ – die gleichen Menschen, die sie zuvor von „Arbeit befreit“, also von ihrem Einkommens­erwerb getrennt hat, weil sich ihre Bezahlung für die Rentabilität der Produktion nicht lohnt.

Wirtschaftswissenschaftler wie Thomas Straubhaar vom Hamburgischen Weltwirtschafts-Institut – ebenfalls ein Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens – kommen da schnörkelloser zum Punkt:

Die Lohnnebenkosten sind das dominante Problem des Arbeitsmarktes. Das will ich aufbrechen. […] Der Lohn wird befreit vom sozialpolitischen Ballast […]. Die soziale Sicherung wird davon abgekoppelt. Das ist das Grundeinkommen.“ (Stuttgarter Zeitung, 15.11.2005)

Er will gar nicht erst den Eindruck erwecken, mit dem Grundeinkommen würde eine grandiose soziale Tat für Mittellose ins Werk gesetzt. In seinen Augen ist „die Wirtschaft“ das Not leidende Subjekt, weil der Staat mit den Zwangsbeiträgen zu seinen Sozialversicherungskassen die Lohnkosten in steigendem Umfang belastet. Deshalb ist auch der Staat dafür zuständig, mit der Einführung eines Grundeinkommens und der gleichzeitigen Streichung sämtlicher bisheriger Sozialausgaben, die mittels „Zuschlägen“ zum Nettolohn („Lohnnebenkosten“) finanziert werden, dafür Sorge zu tragen, dass „die Wirtschaft“ nur noch die Zeit bezahlt, in der sie die Arbeitskräfte für ihren Profit braucht, nicht jedoch – per Sozialabgaben – auch noch die Zeiten, in denen sie diese vorübergehend (wegen Krankheit) oder überhaupt nicht mehr (Entlassung, Alter) brauchen kann. Weil der Staat aber notorisch unter leeren Kassen leidet – wie man als durch und durch realistischer Wissenschaftler gar nicht eigens zu betonen braucht –, ergibt sich mit diesem Kriterium zusammengenommen ganz selbstverständlich die Höhe dieses Grundeinkommens:

Derzeit liegt das gesetzlich festgelegte Existenzminimum bei 7.664 Euro im Jahr. Das wäre die Ober­grenze. […] Im Gegenzug werden alle anderen Sozialleistungen wegfallen, einschließlich der Rente und des Arbeitslosengeldes. […] Von diesem Geld in Deutschland zu leben, ist wirklich kein Zuckerschlecken.“ (Straubhaar, ebda.)

„Kein Zuckerschlecken“ verharmlost den Zustand ja geradezu, der ein profitverträgliches Grundeinkommen für die davon Abhängigen bedeuten würde. Es soll ausdrücklich „nicht reichen, um den Lebensstandard der Durchschnittsbevölkerung zu finanzieren, sondern soll ausschließlich die Existenz sichern.“ Mitten in einer Gesellschaft, „die nie gekannten Überfluss produziert“ (Götz Werner), würden die Menschen, die, weil sie keinen Arbeitsplatz finden, nur vom Grundeinkommen leben müssen, auf ein Lebensniveau knapp oberhalb des nackten Überlebens festgelegt – und das wird auch noch als großartiges Angebot präsentiert: „Wir wollen ja nicht in den Dschungel zurück, wo es nur ums nackte Überleben geht.“ Danke, Herr Prof. Straubhaar!

Den Grund für diese „Großzügigkeit“ plaudert der gelehrte Mann auch noch aus: „Natürlich wirkt es immer leistungshemmend, wenn wir garantieren, dass niemand verhungert.“ Aber allzu viel mehr darf man im Kapitalismus eben nicht garantieren, will man den Zwang zu einer Leistung erhalten, die sich für diejenigen, die sie erbringen, nicht lohnt. Nur mit dem ständig drohenden Verlust des „Lebensstandards der Durchschnittsbevölkerung“ lassen sie sich zuverlässig zu ständig steigenden Leistungen erpressen, mit denen sie das Eigentum ihrer „Arbeitgeber“ vermehren, von dem sie genau dadurch dauerhaft ausgeschlossen bleiben. Kein Wunder, dass Ökonomen wie Straubhaar das „gesetzliche Existenzminimum“ in einer Größenordnung festgelegt sehen wollen, die diese Leistungsbereitschaft, auf die es im Kapitalismus ankommt, nicht „hemmt“: eben in der Höhe „eines absoluten Existenzminimums.“ Nur ein „Grundeinkommen“ oder „Existenzgeld“, das bestenfalls die nackte physische Existenz sichert, garantiert den Erfolg der Erpressung zum Dienst an fremdem Eigentum. Das Grundeinkommen muss so gering sein, dass es jedem damit „Beschenkten“ ziemlich unausweichlich nahe legt, sich nach einer Lohnarbeit umzutun, wenn er anständig leben können will. Dabei war doch der Ausgangspunkt aller Überlegungen über das Grundeinkommen die Tatsache, dass es wegen des „grandiosen“ Erfolgs Götz Werners und seiner Kollegen von „der Wirtschaft“, die Menschen von immer mehr Arbeit befreit zu haben, gar nicht genug Arbeitsplätze für alle gibt, die zur Sicherung ihres Lebensstandards einen brauchen!

 

Entlassungen bei Continental, Werksschließung bei AEG: Das Kapital macht Profit und entlässt seine Belegschaften – was soll sich da widersprechen?!

Das ist jetzt schon zur Routine geworden: Unternehmer beklagen sich über einen "Kostendruck", den sie nicht länger aushalten können – damit meinen sie weniger die Preise ihrer Vorlieferanten oder den Ölpreis, eher schon die Steuern oder die Lohnnebenkosten, die im "internationalen Vergleich" angeblich immer viel zu hoch sind. Letztlich läuft alles immer auf eine einzige Auskunft hinaus: Die Leute, die sie in ihren Fabriken und Büros gegen Lohn für sich arbeiten lassen, sind ihnen einfach zu teuer. Wegen dieses "Kostenblocks" fahren deutsche Unternehmer, die unbedingt im internationalen "Wettbewerb" bestehen wollen, angeblich weniger Reibach ein als ihre Konkurrenz. Und die Leute, die von ihnen noch mit einem Arbeitsplatz beglückt werden, müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie es sind, die den Fortbestand des Unternehmens bzw. ihre Beschäftigung gefährden – wenn sie "zu teuer" sind. Was ein verantwortungsbewusster und vorausschauender Unternehmer ist, der kann eine zu "teure Belegschaft" nicht tatenlos an seinem ihm im internationalen Vergleich zustehenden Profit schmarotzen lassen: Durch die Globalisierung per "Sachzwang" gezwungen, macht er eher schweren Herzens ein Werk zu, als dass er sich von dessen Belegschaft weiter um den für das Gesamtunternehmen lebenswichtigen Profit bringen lässt, den ihm zu hohe Lohnkosten rauben. Als erfahrener Kapitalist schaut sich der deutsche Unternehmer in der Welt um und findet nicht selten in der näheren oder ferneren Umgebung genug Leute, die dringend um Beschäftigung nachsuchen, dafür zu einem niedrigeren Lohn arbeiten und so für einen im internationalen Vergleich überdurchschnittlichen Profit geradestehen wollen. Deshalb sieht sich ein erfolgsorientiertes Unternehmen immer häufiger – "leider" – gezwungen, seine Produktion ins Ausland zu verlagern. Die Verhältnisse in Deutschland mit Arbeitsgesetzen, die immer noch nicht ausreichend im Interesse des Kapitals novelliert sind, und mit Gewerkschaften, die immer noch nicht unverzüglich unterschreiben, was ihnen die Unternehmensleitungen vorlegen, lassen ihm keinen anderen Ausweg.

Das ist doch einmal ein Unvereinbarkeitsbeschlusses, der an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt: Der Profit des Kapitals ist unvereinbar mit dem Lebensunterhalt seiner vom Lohn abhängigen Mitarbeiter; oder andersherum: der Lebensunterhalt der arbeitenden Klasse schädigt die Rentabilität des Unternehmens! Entgegen der Ideologie von der Sozialen Marktwirtschaft, der zufolge das Privatinteresse der Eigentümer an den Produktionsmitteln bedient werden muss, damit für die Arbeitskräfte, die sich dafür krumm legen, was zum Leben herausspringt, geht es im richtigen Leben härter zu: Wenn es sich nicht rentiert, wird der Lebensunterhalt der Belegschaft eines Werks mit ihm zusammen stillgelegt! Mit Betriebsrat und Gewerkschaft wird bestenfalls noch ein bisschen darüber verhandelt, ob die Folgen dieses Unvereinbarkeitsbeschlusses für das betroffene menschliche Abfallprodukt noch etwas abgemildert werden könnten.

Konfrontiert mit der Drohung eines totalen Wegfalls ihres Lohns und damit ihres Lebensunterhalts machen die Beschäftigten ein zweifelhaftes Angebot: Das Unternehmen hat ihren Lohn als "zu teuer" beurteilt, und die so um den Wert ihrer Arbeitskraft Gebrachten bieten ihren Lohn und ihre Arbeitskraft als Verhandlungsmasse an – unter Vermittlung ihrer Gewerkschaft. Aber gerade dann, wenn das Kapital auf sie keinen Wert mehr legt, ist das ein Pfund, mit dem sich kaum noch wuchern lässt. Doch dann ist die große Stunde der Gewerkschaft gekommen, die vieles dafür bzw. nichts dagegen getan hat, dass es mit dem Verhältnis von Lohn und Leistung im Unternehmen überhaupt so weit gekommen ist. Die Gewerkschaft schafft es in dieser Situation glatt, eine Verhandlungsmasse zu erfinden und in konstruktive Vorschläge umzusetzen, wo der Sache nach für die Belegschaft schon alles verloren ist, wenn sie mit der Verweigerung ihrer Arbeitskraft ausgerechnet erst dann droht, wenn das Unternehmen sie nicht mehr anwenden will! Unverdrossen bietet dagegen die Gewerkschaft Lohnsenkungen und unbezahlte Arbeitszeitverlängerung an. Damit akzeptiert sie sehr grundsätzlich, dass ihre Leute und deren Lebensunterhalt vom Kapital als Belastung für das Unternehmen kalkuliert werden. Sie bietet an, dass sich aus ihrer Klientel noch mehr herausholen ließe und stellt damit der Betriebsleitung eine Lizenz zur verschärften Ausbeutung aus. Und da sie das unternehmerische Interesse als das vorherrschende anerkennt, von dem sich die Belegschaft erpressen lassen muss, enthält diese Lizenz auch kein Maß, wann diese Ausbeutung mal zu weit geht. Fortschreitende Verarmung der Beschäftigten wird als ökonomischer Sachzwang akzeptiert. Mit dieser trostlosen Perspektive wähnt die Gewerkschaft, sich eine Verhandlungsposition "erkämpft" zu haben, und mit der bietet sie jetzt den Unternehmern ein Tauschgeschäft an: Weil die Arbeitnehmerseite auf die vom Kapital an die Wand gemalte Notlage des Unternehmens angesichts der globalisierten Konkurrenz mit bis über alle "Schmerzgrenzen" hinausgehender Nachgiebigkeit eingegangen ist, sollte das Unternehmen dafür eine "Beschäftigungsgarantie" versprechen. Damit steht auf jeden Fall vor allen Verhandlungen schon mal fest, dass die Gewerkschaft – wie immer schon! – die "Notwenigkeit" kostengünstiger Arbeitsplätze akzeptiert hat, und das Unternehmen wie gewohnt damit kalkulieren kann.

Wie es damit kalkuliert, liegt ganz in seiner Freiheit. Solange aufgrund der Vorleistungen der Belegschaft schöne Profite zustande kommen, kann es sogar zu einer streng terminierten "Beschäftigungsgarantie" kommen. Continental hat z. B. inzwischen exemplarisch für die Unternehmerkollegen klargestellt, wie das zu verstehen ist. Dort war ausgemacht worden, dass "die Kollegen auf eine Lohnerhöhung verzichten und sogar zweieinhalb Stunden pro Woche länger unbezahlt arbeiten". Vorstandsvorsitzender Wennemer hatte freilich auch in der "Süddeutschen Zeitung" vom 23.12. dazu gesagt, dass das kein Versprechen auf Seiten des Unternehmens nach sich zieht: "Es gibt eine Chance auf Arbeitsplätze, wenn wir länger arbeiten, aber es gibt keine Garantie." Ein halbes Jahr später nun hat Continental diese "Beschäftigungsgarantie" schlicht und einfach aufgekündigt – trocken stellt dieser Wennemer nebenbei fest: "Es wird in keiner unserer Vereinbarungen so etwas wie eine Arbeitsplatzgarantie festgeschrieben." Continental behauptet erst gar nicht, es befinde sich immer noch in einer Notlage, im Gegenteil: Es wird mit "satten Gewinnen, fast 15 Prozent" geprotzt und wie zum Hohn mit den Ausbeutungsresultaten der Beschäftigten des zu schließenden "Betriebes in Stöcken, der profitabel arbeitet: rund 40 Millionen Euro Gewinn".

Continental hat also die ihm durch Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung eingeräumte Freiheit der Kalkulation weidlich ausgenutzt. Das reicht aber nicht – nicht, weil in Stöcken keine Gewinne gemacht werden, sondern weil anderswo noch mehr Gewinne zu machen sind. Aus den Gewinnen, die in Zeiten der "Beschäftigungsgarantie" erwirtschaftet wurden, lassen sich durch ihre Investition z. B. in Polen höhere Gewinne erzielen als durch ihre Reinvestition in Stöcken, und obendrein kann Conti mit ihnen auch noch die mit Betriebsrat und Gewerkschaft ausgehandelten Sozialpläne finanzieren. In diesem Fall ist es einfach profitabler, eine Belegschaft in Deutschland zu entsorgen und stattdessen ein neues Werk woanders aufzumachen. In anderen Fällen mag das Resultat einer Erpressung mit der Verlagerung – Lohnverzicht für den "Arbeitsplatzerhalt" – zu neuen Kalkulationsgrundlagen führen, so dass die Herren der Ausbeutung sich dazu entscheiden, ihre alte Belegschaft weiterzubeschäftigen. Für Manager am Standort Deutschland sind das zwei gleichwertige Varianten des freien Umgangs mit dem "Kostenblock", der bilanztechnisch als "die Belegschaft" geführt wird.

Was fällt der Gewerkschaft dazu ein? – Das seien "abgedroschene und durchsichtige Manöver". An beidem ist was dran, aber das bringt eine deutsche Gewerkschaft nie und nimmer zu der praktischen Konsequenz, solche "Manöver" einmal kämpferisch und entschieden zu durchkreuzen. Stattdessen will man auf einmal wieder die "Fratze des Kapitalismus" gesichtet haben. Dabei handelt es sich um die stinknormale Alltagsvisage des Kapitalismus. Und jetzt kommt es bei AEG tatsächlich noch zu einem "Arbeitskampf", der aber ausdrücklich kein Klassenkampf gegen das Kapital sein will. Elektrolux sollen vielmehr "Grenzen aufgezeigt" und noch ein paar Euro abgerungen werden für den absehbaren Abgang der meisten AEGler ins Hartz-IV-Elend. Will die Gewerkschaft wenigstens jetzt einen Kampf organisieren, der für ihre Mitglieder möglichst viel "Polster" herausholen soll, für Leute nämlich, die demnächst von AEG/Elektrolux in die "strukturelle" Arbeitslosigkeit in und um Nürnberg herum entlassen werden? – Leider nein. Ausgerechnet jetzt, wo Elektrolux erklärt, es brauche für seine Profite die Nürnberger Arbeiter nicht mehr, lässt die Gewerkschaft die Arbeit niederlegen – denn "alles" lässt eine deutsche Belegschaft nicht mit sich machen – als ob das, was sie bisher mit sich hat machen lassen, nicht genug gewesen wäre!