GEGENARGUMENTE

Bilanz und Fortschritte im Kampf der USA gegen "den Terror"

I. 4 Jahre Krieg im Irak: Die Supermacht zieht Bilanz

Die Lage

Vor vier Jahren haben die USA den Irak angegriffen. Mit überlegener Militärgewalt haben sie seine Infrastruktur vernichtet, das Saddam-Regime beseitigt und sich selbst als die Macht etabliert, die ab sofort definiert, wie, von wem und zu welchem Zweck im Irak Staat gemacht wird. Seitdem führen die USA im Irak Krieg. Über diesen Krieg ist dieser Staat inzwischen nach dem Urteil offizieller Beobachter auf das Niveau eines "failed state" hinabgesunken: eines Gemeinwesens, wo nicht einmal die minimalen Elemente von Staatlichkeit mehr aufzufinden sind, geschweige denn, dass er seinen Insassen irgendeine Lebensgrundlage bietet. Die Gewaltorgien, die sich derzeit vor den Augen der Weltöffentlichkeit im Irak unter reger Beteiligung von US-Truppen abspielen, bringen es zur Anschauung: Der Irak geht in der Bestimmung auf, Kriegsschauplatz zu sein.

Das ist zwar nicht das Szenario, das die Supermacht bei ihrem Überfall auf den Irak geplant hatte – es ist aber von vorn bis hinten ihr Werk. Mit dem Feldzug gegen das alte Regime hatten die USA mehr im Programm als bloß einen militärischen Sieg. "Shock and awe", Erschrecken und ehrfürchtige Bewunderung wollten die USA bei Freund und Feind nicht nur ob ihrer Fähigkeit erzeugen, ein feindliches Regime vom Erdboden verschwinden zu lassen; der "asymmetrische" Gewalteinsatz sollte zugleich von der absoluten Unwidersprechlichkeit des Programms überzeugen, das die USA für den Irak vorgesehen hatten. An die Stelle des vernichteten Regimes sollte eine gänzlich von den USA bestimmte neue Ordnung, eine neue Sorte Staatswesen treten; ein Staat, dessen Räson im Dienst an einer amerikanischen Neuordnung der Region aufgeht. Die Staatlichkeit des Irak sollte sich nach dem negativen Prinzip konstituieren, dass von diesem Land keine Gefahr mehr für seine Nachbarschaft ausgehen solle; seine Ölquellen sollte er im Dienste seiner – amerikanischen – Kundschaft verwalten, statt sie als Quelle irakischen Reichtums und irakischer Macht zu missbrauchen. Für das irakische Volk war in dieser herabgestuften und zurechtgestutzten irakischen Ökonomie kein Platz vorgesehen, auf dem es sich hätte nützlich machen können. Dies alles sollte eine genuin irakische Regierung ganz eigenständig und souverän im Auftrag ihres amerikanischen Dienstherren abwickeln. Als Instrumente und willfährige Umsetzungsinstanzen ihres Projekts hatten die USA die diversen ethnischen und religiösen Gruppierungen im Irak vorgesehen. Durch Wahlen ins Recht gesetzt, zur Ausübung eines neuen Gewaltmonopols im obigen Sinne beauftragt, dabei sich wechselseitig bei der Betätigung partikularer Machtgelüste beschränkend – "Demokratie" hieß das dann – sollten diese Vereine gemeinsam das Wunderwerk eines befriedeten, amerikafreundlichen Irak zustande bringen und so ein leuchtendes Beispiel für die Friedensperspektive bieten, die sich Staaten eröffnet, die sich in die amerikanische Weltordnung ein- und ihr unterordnen.

Mit ihrem Programm eines entmachteten, demokratisch organisierten Irak haben die USA selbst die Widersprüche installiert, die im Resultat das gewalttätige Chaos produziert haben, das der Irak inzwischen darstellt. Schon der Auftrag zum Regieren eines auf das Programm purer Dienstbarkeit an amerikanischen Interessen zurechtgestutzten Irak ist für keine irakische Regierung ein Angebot; vor allem aber fehlt es von Anfang an bei den zum vereinten Staatmachen beauftragten Gruppierungen am gemeinsamen Willen zum Aufbau eines solchen neuen Irak. Jede von ihnen sieht mit dem Wegputzen von Saddam ihre Chance für gekommen, sich des Irak zu bemächtigen, mit allen Mitteln, die ihnen für einen solchen Machtkampf zu Gebote stehen. Dieser Machtkampf wird ergänzt und angeheizt durch den gleichzeitig von den USA gnadenlos durchgezogenen Anti-Terrorkrieg, mit dem die US-Truppen jeden niedermachen, der sich ihrem Ordnungsprogramm in den Weg stellt. Darüber werden die letzten Lebensgrundlagen des Landes zerstört; in dem Maße potenzieren sich die Angriffe auf die Besatzungsmacht und ihre Helfershelfer in der Regierung. Am Ende befinden sich die USA nicht mehr nur mit alten Baathisten, sondern so ungefähr mit jeder Fraktion im Krieg. So bekommen die USA die Quittung für das von ihnen angezettelte Demokratisierungsunternehmen – sogar der mittlerweile emeritierte UN-Chef Kofi Annan kann nicht umhin, den Vorwurf zu erheben, dass die Lage im Irak schlimmer als unter Saddam sei und die USA daran mit Schuld tragen. Und die Supermacht befindet es für an der Zeit, aus dieser Lage die unvermeidlichen Konsequenzen zu ziehen.

Der Befund: eine neue Kriegs-erklärung

Um die Jahreswende lässt sich die Bush-Regierung zu einer Art Eingeständnis herbei: Der Irak-Feldzug ist nicht so gelaufen, wie sie ihn geplant hat. In den Worten des Präsidenten:

"Das ist nicht der Kampf, den wir im Irak begonnen haben, aber es ist der Kampf, in dem wir uns jetzt befinden." (Bush – Rede zur Lage der Nation, AD, 23.1.07; daraus auch die folgenden Zitate)

Das ist schon eine interessante Art, amerikanisches Scheitern zu registrieren! Der Präsident gibt überhaupt nichts zu in dem Sinne; schon gar nicht, dass am Irakfeldzug irgendetwas verkehrt gewesen wäre. Sein ganzes Eingeständnis besteht in der Mitteilung, dass das wunderbare Projekt, das die USA mit dem Angriff auf den Irak angezettelt haben, sich unter der Hand in einen ganz anderen Krieg verwandelt hat, der den USA aufgezwungen worden ist; von einem Feind, der aller amerikanischen Überlegenheit zum Trotz mit seinem amerikafeindlichen Werk nicht aufhört:

"In den vergangenen zwei Jahren sind wir im Nahen und Mittleren Osten Zeuge des Wunsches nach Freiheit geworden – und die heftige Reaktion des Feindes hat uns schockiert. Im Jahr 2005 sah die Welt, wie die Bürger des Libanon die Fahnen der Zedernrevolution hissten... Im Jahr 2005 trotzten die Afghanen den Terroristen und wählten ein demokratisches Parlament. Und im Jahr 2005 hielten die Iraker drei nationale Wahlen ab, in denen sie eine Übergangsregierung wählten, die fortschrittlichste demokratische Verfassung in der arabischen Welt ratifizierten und dann gemäß dieser Verfassung eine Regierung wählten. Trotz endloser Drohungen der Mörder in ihrer Mitte gingen nahezu 12 Millionen Iraker in die Wahllokale und stellten damit eine Hoffnung und Solidarität unter Beweis, die wir niemals vergessen sollten.

Ein mitdenkender Feind beobachtete alle diese Szenen, passte seine Taktik an und schlug im Jahr 2006 zurück. Im Libanon wurde Pierre Gemayel ermordet, eine führende Figur der Zedernrevolution. Von Syrien und Iran unterstützte Hisbollah-Terroristen schürten den Konflikt in der Region mit der Absicht, die rechtmäßig gewählte Regierung im Libanon zu schwächen. In Afghanistan versuchten Kämpfer der Taliban und der Al Kaida, wieder an die Macht zu kommen, indem sie sich neu gruppierten und die Streitkräfte Afghanistans und der NATO angriffen. Im Irak verübte die Al Kaida zusammen mit anderen sunnitischen Extremisten ein Bombenattentat auf eine der heiligsten schiitischen Stätten – die Goldene Moschee in Samarra. Diese Gräueltat gegen ein muslimisches Gotteshaus sollte Racheakte der irakischen Schiiten provozieren – und war erfolgreich. Radikale schiitische Elemente, die teilweise von Iran unterstützt werden, bildeten Todesschwadronen. Das Ergebnis war eine tragische Eskalation sektiererischer Gewalt und Vergeltungsschläge, die bis heute andauern."

So also sieht es auf den nahöstlichen Kriegsschauplätzen aus der Warte des Chefs aller Amerikaner aus: Allenthalben sind mit amerikanischer Hilfe die Kräfte des Fortschritts unterwegs und fast am Ziel; das lässt den bösen Feind nicht ruhen und in seinem Zerstörungswerk nur noch bösartiger werden. Dass die USA mit ihrer Israel-, Palästina- und Libanonpolitik, ihrer Besetzung Afghanistans, der Zerstörung und Okkupation des Irak usw. alles andere als lauter amerikafreundliche und -dienliche Interessen freisetzen und Reaktionen ernten, geht ganz aufs Konto böser Kräfte und erlaubt keinerlei Zweifel an Amerikas gewalttätigem Reformprogramm: Das geht nach wie vor voll in Ordnung; speziell das Projekt Irak steht mitsamt seinen menschheitsbeglückenden Absichten noch ebenso strahlend da wie zu Zeiten, als der Oberste Heerführer stolz mit seinen siegreichen Soldaten posierte und das Fernsehen der Welt hauptseitig jubelndes Volk und umgestürzte Saddam-Statuen präsentierte; für sich genommen war das gesamte Unternehmen bereits von schönstem Erfolg gekrönt. Nur der Feind hat die Lektion nicht gelernt, ist nicht zu Kreuze gekrochen, hat nicht klein beigegeben, sondern ist mit verdoppelter Wut an sein terroristisches Werk gegangen und hat den USA einen neuen Krieg aufgezwungen. Dass in diesem Gemetzel im Irak vor allem religiös definierte Bürgerkriegsparteien gegeneinander und um die Macht im amerikanisch befreiten Irak kämpfen, ist dem Präsidenten nicht unbekannt. Doch die Front interessiert ihn nicht weiter – und schon gar nicht, was sein Sieg über Saddam Hussein ursächlich damit zu tun haben könnte. Von den politischen Zwecken der tödlich verfeindeten Rivalen will er nichts wissen – er kennt deren wahren Zweck und eigentliches Ziel:

"Die schiitischen und sunnitischen Extremisten sind unterschiedliche Erscheinungsbilder derselben totalitären Bedrohung. Welche Slogans sie auch im Sprechchor rufen, sie haben dieselben bösen Ziele, wenn sie Unschuldige abschlachten. Sie wollen Amerikaner töten, die Demokratie im Nahen Osten vernichten und über Waffen verfügen, mit denen sie noch schrecklicheren Schaden anrichten können."

Dass diese Terroristen sich wechselseitig mitsamt ihrem jeweiligen Anhang umbringen, ist aus amerikanischer Sicht nicht so gemeint. Eigentlich haben sie es auf das Wahre und Gute abgesehen, für das Amerika und die Amerikaner stehen: eine von Washington etablierte und garantierte Ordnung im nahöstlichen Chaos. Mit dieser Deutung der Kriegslage lässt der oberste Kriegsherr die bisher gültige optimistische Lesart der Dinge, der zu Folge der Irakfeldzug ein Hilfsmittel für das mit Hindernissen und Schwierigkeiten kämpfende, aber doch vorankommende amerikanische ‚nation building’ sei, fallen und präsentiert eine neue: Im Irak ballt sich eine in der Form lange nicht da gewesene "totalitäre Bedrohung" zusammen – das Beiwort "totalitär" entstammt keiner politologischen Analyse, sondern will auf Amerikas "epische" Kriege gegen und schließliche Triumphe über Faschismus und Kommunismus anspielen und eine Kontinuität zu den damaligen Weltkriegs-Szenarios herstellen –, die keineswegs auf Bagdad und Umgebung beschränkt ist und der Weltmacht ein neues, umfassendes offensives Selbstverteidigungsprogramm abverlangt:

"Wenn die amerikanischen Streitkräfte sich zurückziehen, bevor Bagdad gesichert ist, würde die irakische Regierung von allen Seiten von Extremisten überrannt. Wir müssten eine epische Schlacht zwischen von Iran unterstützten schiitischen Extremisten und sunnitischen Extremisten erwarten, die von der Al Kaida und Unterstützern des alten Regimes Hilfe erfahren. Ansteckende Gewalt könnte sich über das Land verbreiten – und im Laufe der Zeit könnte die ganze Region in den Konflikt hineingezogen werden. Für die Vereinigten Staaten ist dies ein Albtraumszenario. Für den Feind ist dies das Ziel. Chaos ist sein mächtigster Verbündeter in diesem Kampf. Aus dem Chaos würde der Irak als gestärkter Feind mit neuen Zufluchtsorten, neuen Rekruten und Ressourcen sowie einer noch größeren Entschlossenheit hervorgehen, den Vereinigten Staaten zu schaden."

Vom innerirakischen Bürgerkrieg spannt der Präsident einen Bogen zu einem Horrorszenario, das schlimmer ist als Saddam Hussein und Bin Laden zusammen: zu der Gefahr, dass der Irak zu einem riesigen Nest von 9/11-Attentätern entarten könnte. In den Kriegsaktionen, die deswegen jetzt anstehen, kann es daher nicht mehr um demokratische Weltverbesserung in einer unfriedlichen Region gehen, um einen positiven Nutzen, den die Völkerschaften vor Ort und die Welt insgesamt von einem mustergültig befriedeten Irak hätten. Für die fällige Eskalation amerikanischer Ordnungsgewalt argumentiert der Präsident mit dem gewaltigen Schaden, den die Sicherheit der Weltmacht erleiden würde, wenn sie an der Stelle nicht dermaßen durchgreift, dass kein feindliches totalitäres Chaos mehr eine Chance hat – wie auch immer das aussehen soll. Die Herausforderung, die er an die Wand malt, ist von ähnlicher Art wie die seinerzeit durch den Angriff aufs WTC und das Pentagon hervorgerufene: Schon damals ist die politische Schadensbilanz über viele Tote und etliche Ruinen weit hinausgegangen. Das höchste aller strategischen Güter der Nation, die Unverwundbarkeit der US-Macht, war tangiert; ein Blitzsieg über die afghanischen Herbergsväter des antiamerikanischen Terrorismus war das Mindeste, um die Welt mit der Lektion zu konfrontieren, dass die Weltmacht ihre Unanfechtbarkeit zu wahren weiß. Und weil aus amerikanischer Sicht der Diktator in Bagdad diese Lehre nicht akzeptieren wollte, mussten die USA auch im Irak die Unwiderstehlichkeit ihrer Waffen und damit die Unwidersprechlichkeit ihrer weltverbessernden Demokratie-Diktate unter Beweis stellen. Dieser Beweis ist jetzt in Gefahr: Behielte in Bagdad der sunnitisch-schiitische Terror das letzte Wort, dann wären damit Amerikas Fähigkeit und Entschlossenheit in Zweifel gezogen, die Staatenwelt zum Sieg über das von Washington definierte terroristische Böse, die große "totalitäre Bedrohung" des 21. Jahrhunderts, zu führen; und damit wäre nichts Geringeres als Amerikas globale Führerschaft in Gefahr, die durch den nachdrücklich ausgerufenen Weltkrieg gegen "den Terror" doch unwiderstehlich etabliert und unwidersprechlich beglaubigt werden sollte. Um diesen politischen Höchstwert gilt es jetzt also mit neuer Entschlossenheit zu kämpfen: Jetzt erst recht ist praktisch klarzustellen, dass die USA Widerstand gegen ihr Programm nicht dulden; dass sie nicht nur wild entschlossen, sondern auch dazu fähig sind, jede Bedrohung niederzukämpfen, die sich ihrem Weltordnungsprogramm in den Weg stellt, und Feindschaft im Keim zu ersticken. Mit seiner neuen Kriegs-Erklärung deklariert der Präsident den Irak-Einsatz zur Bewährungsprobe der amerikanischen Weltmacht; darum geht es dann auch tatsächlich. Ein Sieg muss her, und zwar einer von überwältigender Überzeugungskraft, so etwas wie eine bedingungslose Kapitulation des Feindes, damit die Welt weiß und sich nichts darüber vormacht, dass sie gegen die USA keine Chance hat.

Der Baker-Plan:
Konstruktive Vorschläge zur Bewältigung einer ernsten Problemlage der Nation

Wie ernst die Lage ist, in die die Supermacht sich im Irak hineinmanövriert hat, hat eine von der Regierung eingesetzte Kommission bereits im letzten Herbst ermittelt. Die "Baker-Kommission" hat die Verhältnisse auf dem Kriegsschauplatz untersucht, hat Militärs, Geheimdienstler, Experten und Irakis aller Couleur befragt und ist zu einem einigermaßen vernichtenden Urteil über die Erfolgsaussichten des amerikanischen Projekts gelangt:

Die Kommission diagnostiziert nämlich eine neue amerikanische Problemlage. Der Krieg wird zu einer nicht vorgesehenen Dauerbelastung der Nation: Er verschlingt in unvorhergesehenem und ungeplantem Ausmaß Soldatenleben und Geld; schon das eigentlich untragbar für eine Macht, die es gewohnt ist, sich ihre Ressourcen bequem einzuteilen. Als viel schlimmer aber gelten der Kommission die negativen Wirkungen, die der sich hinziehende Feldzug auf das amerikanische Gesamtprojekt einer Neuordnung der Region und darüber hinaus auf Einfluss, Ansehen und Glaubwürdigkeit hat, die die Supermacht bei Konkurrenten und Feinden genießt. Ihr Befund heißt: Indem die USA sich von "sektiererischen Gewalttätern" in nicht-enden-wollende Kämpfe vor Ort hinein ziehen lassen, laufen sie Gefahr, Schaden zu nehmen an ihrem Status als Supermacht. Ihre Glaubwürdigkeit als übergeordnete Macht leidet; ihre Fähigkeit, dem Rest der Staatenwelt die weltpolitische Agenda vorzubuchstabieren und deren Einordnung in sie zu gewährleisten, wird angegriffen, wenn sich herausstellen sollte, dass die USA mit ihrer ganzen militärischen Überlegenheit einen Haufen dahergelaufener ethnisch-religiöser Gewalttäter nicht klein kriegen; wenn sie es nicht einmal schaffen, eine von ihnen selbst etablierte und alimentierte Regierung dazu zu bringen, die Sorte "nationaler Versöhnung" herbei zu regieren, die das amerikanische Projekt für den Irak vorsieht.

Einen positiven Ertrag des Irakkrieges kann die Kommission von vorn bis hinten nicht entdecken. Dass die USA angesichts des wachsenden Aufwands für diesen endlosen und erfolglosen Krieg das Kämpfen einfach sein lassen und aus dem Irak abziehen könnten, kommt für die Kommission allerdings auch nicht in Frage. Vom übergeordneten Gesichtspunkt der Bewährung der amerikanischen Macht aus betrachtet würde es deren Glaubwürdigkeit nämlich noch viel mehr belasten, wenn die Supermacht den Kriegsschauplatz dem Feind überließe. Um diese Bewährung geht es: Unter dem hohen Maßstab eines Tests auf die grundsätzliche Fähigkeit der USA, die Welt in ihrem Sinne zu richten, muss der Irakfeldzug zum Erfolg geführt werden. Diesen Test nicht zu bestehen, so die Regierungsberater, kann die Supermacht sich nicht leisten, wenn ihre Sonderrolle als herausgehobene, über der sonstigen Staatenkonkurrenz stehende Macht, die Gefolgschaft beanspruchen kann, nicht Schaden nehmen soll. Die Horrorszenarien amerikanischer Verstrickung, die ihr Bericht ausmalt, stehen für die Gefahr, in die sich die USA als Macht begeben, wenn sie im Irak einfach so weiter machen wie bisher. Die ausufernden Belastungen der Nation, die die Kommission beklagt, sollen deren Führung daran erinnern, dass die Opfer an Geld und Soldaten sich für die Nation endlich auszahlen sollten, statt sie zu schwächen.

Im Lichte dieser Zielsetzung unterbreitet die Kommission Vorschläge zu einem "Strategiewechsel". Ihrer mehrheitlichen Auffassung zufolge hat die Bush-Regierung ihre Erpressungsmacht gegenüber den Anrainerstaaten zu wenig genutzt, um diese für einen "stabilen Irak" einzuspannen. Von einer bloßen Truppenaufstockung hält die Kommission nichts; stattdessen schlägt sie eine "massive diplomatische Anstrengung" vor, mit der alle Nachbarländer, auch und gerade die "Schurkenstaaten", in die Herstellung amerikanisch geordneter Verhältnisse in dieser Weltecke "eingebunden" werden sollen. Zu einer solchen Ordnung sollen Anrainer und Konkurrenten ihre je spezifischen Beiträge abliefern und so das Ziel der Befriedung des Irak befördern helfen. Mit dem Argument, dass ihnen an einem Chaos im Irak doch auch nicht gelegen sein könne, sollen sie für die Unterstützung des amerikanischen "nation building" gewonnen werden. Das großzügige Angebot, mit dem die Anrainerstaaten für die amerikanische Neuordnung der Region gewonnen werden sollen, besteht darin, dass die USA sich geneigt zeigen könnten, ihre Feindschaft gegen sie um Gesprächsbereitschaft zu ergänzen. In diesem Sinne rät die Kommission, die Regierung solle alle "Friedensprozesse" wieder in Gang bringen, die im Nahen Osten schon einmal unterwegs waren. Auf der Grundlage kann sich die Kommission eine zeitweilige Vermehrung amerikanischer Truppen dann wieder durchaus vorstellen; kombiniert mit der energischen Aufforderung an die irakische Regierung, sich nun endlich um die dringend angesagte nationale Versöhnung zu kümmern.

Den gut gemeinten Ideen der Kommission hat die Regierung Bush praktisch eine Absage erteilt: Der Militäreinsatz in Irak wird ausgeweitet, der Kurs gegen die "Schurkenstaaten" verschärft. Gegen Diplomatie hat die Bush-Regierung selbstverständlich nichts; wie die amerikanische Außenministerin treffend bemerkt, wissen die Feinde der USA vor Ort aber längst, was sie zu tun haben und was ihnen andernfalls blüht: Sie sollen ihre Feindschaft einstellen oder müssen selbst mit Krieg rechnen. Wozu also Gespräche?

Bush hat sich keine Fehler vorzuwerfen. Und die Nation muss nun erst recht
zusammenstehen. Denn der Krieg muss sein und wird dauern.

Bush hat sich nichts vorzuwerfen. Er hat schon in der Vergangenheit alles getan, damit Terroristen und Feinde der Freiheit keine Chance bekommen. Nun ist die Lage, wie sie ist; der muss sich die Nation jetzt parteiübergreifend als neuer Herausforderung annehmen:

"Der Krieg gegen den Terror, den wir heute bestreiten, ist ein generationenübergreifender Kampf, der noch lange, nachdem Sie und ich unsere Verantwortung an andere übergeben haben, andauern wird. Deshalb ist es wichtig, dass wir zusammenarbeiten, so dass unsere Nation diese großen Anstrengungen vollbringen kann. Beide Parteien und beide Kammern sollten eng zusammenarbeiten. Aus diesem Grund schlage ich vor, einen Sonderbeirat für den Krieg gegen den Terror einzuberufen, der sich aus Kongressabgeordneten aus beiden politischen Parteien zusammensetzt. Wir werden gemeinsam Ideen erörtern, wie wir die Vereinigten Staaten positionieren können, so dass sie für jede sich ihnen stellende Herausforderung gewappnet sind. Wir werden unseren Feinden im Ausland zeigen, dass wir geeint hinter unserem Ziel stehen, den Sieg zu erringen." (Bush, Rede zur neuen Irak-Strategie)

Der Schulterschluss aller politischen Kräfte beweist den Ernst der Lage. Und das Volk ist aufgerufen, sich hinter den nationalen Kriegskurs zu stellen – gerade weil der Krieg so schnell nicht zu gewinnen sein wird:

"Diese neue Strategie wird Selbstmordanschläge, Attentate oder Bombenanschläge nicht sofort beenden. Unsere Feinde im Irak werden alles unternehmen um sicherzustellen, dass unsere Fernsehbildschirme mit Bildern von Tod und Leiden gefüllt sind. Aber mit der Zeit können wir erwarten, dass die irakischen Truppen die Mörder stellen, dass es weniger dreiste Terrorakte gibt, und dass es ein wachsendes Vertrauen und mehr Zusammenarbeit mit den Einwohnern von Bagdad gibt. Wenn dies geschieht, wird sich das alltägliche Leben verbessern, die Iraker werden Vertrauen in ihre Führer gewinnen… Auch wenn unsere neue Strategie genauso funktioniert wie geplant, werden sich tödliche Gewaltakte fortsetzen – und wir müssen mit mehr irakischen und amerikanischen Opfern rechnen. Die Frage ist, ob unsere neue Strategie uns dem Erfolg näher bringen wird. Ich glaube, dass sie dies tun wird… Mitbürger: Das vor uns liegende Jahr wird mehr Geduld, Opfer und Entschlossenheit verlangen. Der Gedanke kann verführerisch sein, dass Amerika die Last der Freiheit ablegen kann. Aber die Zeiten der Prüfung offenbaren den Charakter einer Nation. Und in unserer ganzen Geschichte haben Amerikaner immer den Pessimisten getrotzt und haben in ihrem Glauben an die Freiheit Recht behalten. Nun wird Amerika von einem neuen Kampf in Anspruch genommen, der den Kurs für ein neues Jahrhundert setzen wird. Wir können und wir werden siegen." (ebd.)

Der Präsident macht die Nation damit bekannt, dass schwerere Zeiten auf sie zukommen. Das amerikanische Volk – und die Weltöffentlichkeit gleich mit – werden daran gewöhnt, dass der Krieg im Irak samt seinen Weiterungen Dauerprogramm der Nation ist. Dass mit dem Zusammenbomben feindlicher Regime schon das Wesentliche geleistet wäre, um aus der Welt "a better place" zu machen, muss man nicht mehr glauben; genau deshalb sind die Bomben umso nötiger. Als guter Amerikaner soll man diesen Krieg nicht mehr an dem Maßstab messen, dass der Sieg leicht zu haben sei; man soll ihn vielmehr als schweren Weg und mühsamen Kampf begreifen, den die Nation nun einmal angefangen hat, also auch durchstehen muss. Das ist die neue Tonart der Kriegspropaganda: die USA – eine schwer kämpfende Macht, die Opfer zu bringen hat, sich ihrer Verantwortung für die Freiheit auf dem Globus aber nicht entzieht. So bekennt sich der Präsident zur Wahrheit des amerikanischen Kriegsprogramms: Die Sonderstellung der USA in der Staatenkonkurrenz, ihr Status als Macht, die mit ihrer überlegenen Gewalt den anderen Staatsgewalten Rechte und Pflichten zuweist, ist nur zu haben, wenn die USA immerzu und überall zuschlagen, wo sich Widerstand rührt.

Egal, ob die Nation ihre mehrheitlich schlechte Meinung über den amtierenden Präsidenten wieder aus dem Verkehr zieht; unabhängig davon, welche Mannschaft demnächst die Regierung ausübt: Dieses Kriegsprogramm steht. Mit dem Kriegsverlauf unzufrieden zu sein, ist das Recht jedes guten Amerikaners. Deshalb darf er sich demnächst auch wieder frei entscheiden, welchem Führer er am ehesten den fälligen Sieg zutraut.