GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Die deutsche ‚Lokführergewerkschaft’ kämpft um mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen, und die ganze Republik fragt sich: Dürfen die das? – Die Deutsche Bahn AG und die anderen Bahngewerkschaften sind sich einig: So nicht!

Was dürfen Gewerkschaften fordern, wie dürfen sie ihre Forderungen vertreten und wie weit mit ihren Streikdrohungen gehen? Wo endet die Erlaubnis zum Arbeitskampf? Wie soll überhaupt eine ordentliche Arbeitervertretung organisiert sein? Sind Einheitsgewerkschaften das Rechte, oder können und sollen konkurrierende Berufsgewerkschaften eine nützliche Rolle spielen? Grundsatzfragen dieses Kalibers bewegen seit dem Sommer die deutsche Öffentlichkeit. Mit Berufung auf höchste Rechtsgüter und gültige Sitten in der deutschen Arbeitswelt verbreiten sich Journalisten, Juristen und Politiker öffentlich darüber, wie eine Interessenvertretung der Lohnabhängigen generell auszusehen hat, die in die wirtschaftliche, soziale, rechtliche und politische Landschaft passt. Die maßgebliche Welt sieht sich aufgerufen, die Maßstäbe zu diskutieren, an denen sich die Anliegen der arbeitenden Menschheit zu orientieren haben, und damit in Erinnerung zu bringen, dass die Vertretung von Arbeiterinteressen grundsätzlich eine Sache der Genehmigung ist, über die vom Standpunkt des großen Ganzen und keinesfalls vom parteilichen Standpunkt der Betroffenen aus entschieden wird.

Was ist geschehen? Eigentlich nichts Besonderes: Eine kleine Gewerkschaft, die ‚Gewerkschaft der Lokführer’ (GDL), die Vertretung des Fahrpersonals bei der Bahn, stellt Forderungen nach mehr Lohn und besseren Arbeitsbedingungen und macht Anstalten, die auch durchzusetzen. Damit ruft sie alle ehrenwerten Instanzen der Nation auf den Plan. Der Lohnkampf der GDL gerät zu einem Lehrstück: über die Anspruchshaltung, mit der dem Ansinnen von Arbeitnehmern, ihre Einkommenslage und die Leistungsanforderungen zu ihren Gunsten zu korrigieren, begegnet wird; über die Mittel, mit denen dies Ansinnen bekämpft wird; also darüber, wie unverträglich diese Anliegen der Beschäftigten mit den nicht nur in Deutschland gültigen Interessen sind.

Ein ganz normaler Lohnkampf – und eine eklatante Ausnahme in Deutschland!

Der Hauptvorstand der GDL zieht Bilanz und beschließt, dass es reicht:

"Das Fahrpersonal hat seinen Beitrag zur Sanierung der Bahn bereits übererfüllt ... Während die DB das Betriebsergebnis seit der Bahnprivatisierung 1994 um 5 Mrd. erhöht hat und die Produktivität des Fahrpersonals um rund 200 % gestiegen ist, hat das Fahrpersonal einen Reallohnverlust von 9,5 % erlitten ... Die Lohnkurve muss stringent nach oben gehen." (der GDL-Vorsitzende Schell, GDL-Infodienst, 23.5.)

Die gewerkschaftliche Vertretung des Fahrpersonals stellt sich auf den Standpunkt, dass nach Jahren von Lohnverzicht und Leistungssteigerungen das Lohninteresse der Beschäftigten wieder zu seinem Recht kommen muss. Die Leute brauchen mehr Geld und weniger Arbeitsbelastung, und die GDL will sich dafür einsetzen, dass sie beides bekommen. Ihr Forderungspaket zielt auf Kompensation der Schäden, die das Bahnunternehmen dem Fahrpersonal im Gefolge der Bahnsanierung aufgehalst hat: Durch eine kräftige Erhöhung der Grundgehälter sollen Reallohnsenkungen rückgängig gemacht werden; die gewachsene Belastung im Schichtdienst soll reduziert werden, die Arbeitszeit insgesamt erträglicher geregelt werden:

Die GDL will "eine Erhöhung der Tabellenentgelte ohne Zulagen um 31%, eine Verringerung der Wochenarbeitszeit um 1 Stunde, maximale Schichtlänge 12 statt 14 Stunden; mehr Ruhezeiträume, Ruhetage sowie freie Wochenenden und eine Verkürzung der ununterbrochenen Fahrzeit auf 4 Stunden von bisher 5; sowie die Festschreibung der ‚vollständigen Schichtsymmetrie’, d.h. Beginn und Ende der Schicht am gleichen Ort." (Junge Welt 6.8.07). Die meisten dieser Forderungen hat die GDL schon früher aufgestellt, bisher aber nicht durchsetzen können.

Ein ganz normaler gewerkschaftlicher Forderungskatalog also. Dafür sind Gewerkschaften schließlich da. Wegen der Freiheit des Unternehmens, mit der Einrichtung der Arbeitsplätze auch die Arbeitsanforderungen zu seinen Gunsten zu gestalten, wegen der alltäglich stattfindenden Erpressung zu mehr Leistung für weniger Lohn müssen Arbeitervertretungen periodisch antreten, um die auf Basis der geltenden Tarifverträge stattfindenden Verschlechterungen für ihre Mitglieder soweit wie möglich wieder rückgängig zu machen. Die ganzen schönen Vertragswerke, die Gewerkschaften mit den Kapitalisten aushandeln, stellen in dieser Hinsicht gar nichts sicher; ohne periodische Kampfansage kommt nicht einmal das Anliegen zur Geltung, sich in Sachen Lebensunterhalt und Arbeitsumständen nicht laufend schlechter zu stellen. Auch was die Argumente angeht, mit denen die GDL ihre Forderungen begründet, folgt sie ganz der gewerkschaftlichen Logik eines den Arbeitenden zustehenden, gerechten Lohns. Sie verweist auf die Betroffenheit ihrer Mitglieder durch die Sanierungskünste der Bahn; auf die besonderen Belastungen, die das Fahrpersonal auszuhalten hat; auf die Verantwortung, die insbesondere die Lokführer tragen; auf die Leistungen, die ihre Mitglieder für den Erfolg der anderen Seite erbracht haben; und darauf, dass nun, da dieser Erfolg sich in Gestalt einer enormer Gewinnsteigerung eingestellt hat, das Unternehmen die Lohnerhöhung problemlos verkraften kann. Sie führt also lauter Rechtfertigungsgründe an, die in der Sache den eigenen Ausgangspunkt, das Interesse, die Geldnot ihrer Mitglieder und die gestiegenen Arbeitsanforderungen abzumildern, relativieren. Denn dieser Bedarf ergibt sich ja daraus, dass sie vom Lohn leben und sich ihre Arbeitskraft und Lebenszeit einteilen müssen; und diese Notwendigkeiten – vom Bedürfnis nach frei zu gestaltender ‚Lebensqualität’ ganz zu schweigen – werden nicht mit einer besseren oder schlechteren Geschäftslage des Bahnunternehmens mehr oder weniger dringlich; und eigentlich, sollte man meinen, müssen sie nicht erst noch durch Hinweis auf die besonderen Dienste, die die Belegschaft ihren Anwendern leistet, als gerechtfertigt nachgewiesen werden. Aber Gewerkschaften, die das Vertragsverhältnis zwischen der Arbeitermannschaft und ihren Anwendern korrigieren, d. h. unter wieder verbesserten Bedingungen erneuern wollen, argumentieren genau so – so nämlich, dass sie selber diese Lebensnotwendigkeiten nur in dem Maße gelten lassen wollen, wie sich die Beschäftigten deren Berücksichtigung durch die Gegenseite nach den Grundsätzen von Leistung und Gegenleistung verdient haben. So auch die GDL.

Nicht zu übersehen ist allerdings, dass diese Gewerkschaft es mit den so begründeten Anrechten der Beschäftigten ernst meint und deren Anerkennung nötigenfalls auch erzwingen will. Damit stellt sie in der deutschen Gewerkschaftslandschaft eine Ausnahme dar. Denn die Arbeitervertretungen in Deutschland pflegen gemeinhin solche öffentlichen Verweise auf die Berechtigung ihrer Forderungen mit einem ‚eigentlich’ zu versehen. Sie verkünden, was ihren Mitgliedern eigentlich zustehen würde, nur um gleichzeitig mehr oder weniger offen zu signalisieren, dass sie selbstverständlich ein Einsehen haben, wenn die Unternehmer diese Forderungen mit Verweis auf ihre Konkurrenzerfordernisse für unerfüllbar erklären und die Sachnotwendigkeiten ihrer Rechnung mit niedrigen Lohnkosten ins Feld führen. Sie richten ihre Forderungen schon im Vorhinein an diesen Einwänden aus und verstehen sie als Verhandlungsmasse, von der sie Abstand zu nehmen gewillt sind. Nicht so die GDL. Die verkündet ernstlich ein Ende der Bescheidenheit der letzten Jahre und lässt auch keine Zweifel daran, dass sie mit Widerstand der Gegenseite rechnet, dem aber nicht nachzugeben bereit ist. Deshalb hat sie schon bei der Planung ihrer Tarifauseinandersetzung einen Streik ins Auge gefasst. Dazu sieht sie sich durch das mangelnde Entgegenkommen der Bahn vollauf berechtigt. Sie sieht die Sache nämlich so, dass nicht sie die Störung des "Arbeitsfriedens" zu verantworten hat; es ist die Bahn, die ihr keine andere Wahl lässt, weil sie den von ihr Vertretenen die ihnen zustehenden Verbesserungen verweigert: "Sollte der Arbeitgeber seine Verweigerungshaltung beibehalten, dann provoziert er weitere Arbeitskämpfe. Für diesen Fall sprachen sich Hauptvorstand und Tarifkommission dafür aus, die Urabstimmung einzuleiten." (GDL-Info-Dienst, 16.7.) Dabei ist sich die GDL der durchschlagenden Wirkung einer Arbeitsverweigerung ihrer Mitglieder bewusst – die Dienste, die ihre Mitglieder der Bahn AG erbringen, sind für den Fahrbetrieb insgesamt entscheidend, vor allem die Lokführer sind schwer ersetzbar, nicht zuletzt dank der kostensenkenden "Ausdünnung" des Personals der Bahn in den letzten Jahren; sie ist sich zudem – nicht minder wichtig – sicher, dass ihre Leute das auch wollen:

"Die Streikbereitschaft ist hoch, die Kollegen haben die Schnauze voll. Und wir können mit ein paar Dutzend Kollegen alle Knotenbahnhöfe wie München oder Frankfurt stilllegen." (GDL-Sprecher Maik Brandenburger, TZ, 30.6.)

Und sie ist bereit, dies im Ernstfall auch zu tun und den Bahnbetrieb nachhaltig zu stören: "Wir würden auch lieber den Bahnchef im schicken Berliner Bahntower bestreiken. Das hätte aber nicht die gewünschte Wirkung." (Schell in der Bildzeitung, 10.7.) Auch damit steht sie im Gegensatz zu der gewohnten Praxis deutscher Gewerkschaften, mit mehr symbolischen, wenig durchschlagenden Streikaktionen ausgerechnet bei der Arbeitsverweigerung die Verantwortung der Gewerkschaft und ihre Rücksichtnahme auf das Betriebswohl zu demonstrieren.

Mit ihrem entschieden gewerkschaftlichen Standpunkt fällt die GDL also gehörig aus dem Rahmen – und bekommt es gleich mit zwei Gegnern zu tun: einerseits mit dem Unternehmen und andererseits mit den konkurrierenden Bahngewerkschaften.

Die Antwort der Bahn AG

Die Bahn AG weist die Forderungen der GDL unmissverständlich zurück. Die verlangte Kompensation kommt nicht in Frage. Mit seinen Rationalisierungsmaßnahmen verfolgt das Unternehmen schließlich den Zweck, den Gewinn durch Senkung der Lohnkosten zu steigern, und das mit der Perspektive, die Bahn AG erfolgreich an die Börse zu bringen. Dabei rechnet der Bahnchef wie alle Kapitalisten mit Tarifrunden nur in einem Sinne: Sie sind im Prinzip lästig, bestenfalls die Gelegenheit, das Ergebnis erfolgreicher Lohnkostensenkungen möglichst weitgehend von den Gewerkschaften unterschreiben und absegnen zu lassen; sonst haben sie ihren Zweck verfehlt. In dieser Hinsicht sind die Arbeitgeber inzwischen mehr als anspruchsvoll, weil gewohnt, dass ihre diesbezüglichen Erwartungen beim gewerkschaftlichen Fordern berücksichtigt und als unverrückbare Vorgaben aller Verhandlungen respektiert werden. Tarifrunden geraten sogar zu Veranstaltungen, bei denen weniger um Gewerkschaftsforderungen nach einer gewissen Kompensation für die laufenden Verschlechterungen der Lohn- und Leistungsgegebenheiten gestritten wird als darum, dass die Unternehmerseite die Arbeitervertretung mit ihrem immer noch viel zu wenig bedienten Anspruch konfrontiert, bisherige Lohn- und Leistungsbedingungen zulasten der Belegschaft zu korrigieren. Insofern stellt das Ansinnen der GDL, für ihre Mitglieder tatsächlich eine Korrektur in die andere Richtung durchzusetzen, für den Bahnchef eine einzige Ungeheuerlichkeit dar: "Irrwitzig" findet er das, rechnet die Forderungen bezüglich Arbeitszeit und Geld als Kosten zusammen, die der Bahn erwachsen würden – und seitdem weiß alle Welt, dass die GDL einen Wahnsinn von mehr als 31 % Lohnerhöhung haben will. Das sieht doch jeder unmittelbar, dass eine solche Forderung völlig aus der Welt ist; dass sie an den "Realitäten" vorbei geht und die guten Sitten verletzt, die in Lohnfragen zu gelten haben. An welchen "Realitäten" Löhne und Arbeitszeiten der Beschäftigten Maß zu nehmen haben, verschweigt der Bahnchef nicht. Mit ihren völlig überzogenen Ansprüchen gefährdet die GDL das zentrale Projekt ihres Arbeitgebers, den anstehenden Börsegang der Bahn. Als Vorwurf an die GDL ist diese Zurückweisung einerseits etwas absurd: Schließlich beruft sich der Bahn-Chef nur auf das erfolgreich in Anschlag gebrachte Interesse der Bahn an gewinnsteigernden Lohnkostensenkungen, gegen das die GDL gerade antritt. So sieht er die Sache aber nicht; vielmehr so, dass jede gewerkschaftliche Lohnforderung maßlos und ungehörig ist, die sich nicht von vornherein am Programm der Gegenseite orientiert, den Lohn als Kost in den Dienst des Kapitalwachstums zu stellen und sich damit für das Bereicherungsinteresse finanzkräftiger Kapitalanleger attraktiv zu machen. Er hält es gar nicht für nötig, das Gewinninteresse der Bahn als Interesse ins Feld zu führen, das mit den gegenläufigen Lebensinteressen der Arbeiter abzugleichen wäre. Für ihn versteht es sich von selbst, dass die Frage, was der Lohn für die Leute, die für ihn arbeiten müssen, zum Leben taugt, bei der Auseinandersetzung darum, was Arbeitern zusteht, einfach nichts verloren hat; dass beim Befinden über dessen Höhe allein die Gesichtspunkte gewinnbringender Anwendung der Arbeitskräfte zählen. Das ist in der Tat der nicht nur in Deutschland gültige Konsens in Lohnfragen.

Gewerkschaftliche Schützenhilfe für die Bahn AG: Der Tarifabschluss der Bahngewerkschaften Transnet/GDBA

Dass die Deutsche Bahn sich auf das Unternehmensinteresse an geschäftsförderlichen Lohnabschlüssen wie ein Gewohnheitsrecht berufen kann, ist nicht zuletzt das Verdienst der Gewerkschaften, die der Bahn-Chef als maßgeblichen Tarifpartner im eigenen Haus hat – der Transnet, in Tarifeinheit verbunden mit der ursprünglichen Vertretung der Bahnbeamten GDBA. Seit dem Beginn der Bahnprivatisierung sehen die ihre gewerkschaftliche Aufgabe darin, den Ausbau der Bahn zu einem weltweiten Logistikkonzern zu unterstützen. Im Oktober vorigen Jahres bietet Transnet der Bundesregierung offiziell an, auch zum geplanten Börsengang das Ihre beitragen zu wollen und "beratend die inhaltliche Ausgestaltung des Privatisierungsgesetzes zu begleiten" (Papier von Transnet/GDBA zur Bahnprivatisierung) – selbstverständlich im Namen der Sicherung von Arbeitsplätzen. Was sie dafür für erforderlich hält, gibt sie in diesem Zusammenhang gleich mit zu Protokoll, nämlich Rücksichtslosigkeit gegen ihre eigenen Tariferrungenschaften von gestern; schließlich ist, so die Gewerkschaft unisono mit der Gegenseite, "die wirtschaftliche Stabilität der DB AG und deren Wettbewerbschancen in Deutschland, Europa und weltweit für die Arbeitsplatzsicherung genau so relevant wie die Sicherung bestehender Tarifverträge." (ebd.)

In diesem Geiste führt die Tarifgemeinschaft Transnet/GDBA auch die diesjährigen Verhandlungen. Die Bahnprivatisierung will sie nicht durch unmäßige Lohnforderungen gefährden; zugleich verlangt das gewerkschaftliche Selbstverständnis nach einem Abschluss, der sich vor der "Basis" vertreten lässt. Beide Anliegen lassen sich leicht unter einen Hut bringen – zumal der Bahn-Vorstand mit- und die Basis brav ihre Rolle spielt: Transnet meldet eine Lohnforderung von 7 % an; der Bahn-Vorstand weist das als völlig untragbar zurück und legt ein Gegenangebot von 2 % vor. Transnet inszeniert ein paar Warnstreiks – die Basis will schließlich auch bedient sein. Gewerkschafter haben kein Problem, mit ihrem durchaus zynischen Verhältnis zu den Mitgliedern auch noch zu werben: "Die Warnstreiks haben ein Ventil geöffnet, die Mitarbeiter können endlich ablassen. Das war dringend nötig." (Ein Funktionär der Gewerkschaft Transnet, zit. nach Welt-online, 3.7.) Die Bahn AG ist schwer beeindruckt und legt ein neues Angebot vor. Die Warnstreiks werden abgebrochen. Am Ende einigt man sich irgendwo in der Mitte. Die Kapitalseite tut der Gewerkschaft den Gefallen und betont, wie schwer sie die 4,5 % angekommen seien: "Mehdorn sprach von einem Abschluss, der wehtue. Es handle sich um einen ‚der höchsten Abschlüsse, die in Deutschland in diesem Jahr gemacht worden sind ...’ Die Bahn habe dem Tarifkompromiss ‚mit großen Bedenken zugestimmt`" (FTD.de) Das beweist nicht nur schlagend, dass 4,5 % ab dem 1.1.08 plus 600 Euro Einmalzahlung ein prima Ergebnis sind; es belegt auch, wie wichtig die Gewerkschaft ist, wenn es darum geht, die Interessen des Bahnpersonals mit denen ihres Arbeitgebers zu versöhnen:

"Hansen (der Transnet-Chef) sprach von einem Ergebnis, das sich auch vergleichen lässt mit dem hervorragenden Ergebnis der Deutschen Bahn AG im vergangenen Wirtschaftsjahr … Das Ergebnis werde dazu beitragen, das Vertrauen der Belegschaft in die Unternehmensführung und ihre Strategie zu stärken." (FDT.de)

Deutlicher kann man es eigentlich nicht sagen. Die Gewerkschaft verpflichtet die von ihr Vertretenen darauf, dass sie mit dem Erfolg des Unternehmens in der Konkurrenz am besten bedient sind, dass sich also die Massenentlassungen, Lohnsenkungen und neuen Arbeitsbelastungen, die die Bahnbeschäftigten im Zuge der Privatisierung haben über sich ergehen lassen, für sie schon deswegen lohnen, weil sie sich für das Unternehmen lohnen. Und sie misst den Erfolg ihrer Tarifpolitik daran, dass sie ihrer Klientel beides glaubwürdig beibringt: Dass an den Härten, die die Bahn AG ihnen im Zuge ihrer Privatisierung zumutet, kein Weg vorbeiführt; und dass sie im Rahmen der großen Herausforderungen, die auf die Bahn im Zuge des Börsengangs zukommen, alles ihr Mögliche getan hat, um auch für die Belegschaft etwas herauszuholen. So werden sich Bahn und Transnet handelseinig. Die Bahn zahlt ein paar Prozente; die Gewerkschaft garantiert ihr preisgünstig den Tariffrieden, den sie benötigt, um ihr kapitalistisches Erfolgswerk ungestört fortzusetzen – und die freie Presse bestätigt die Lüge, wie ausnehmend gut die Arbeiterschaft diesmal bedient worden sei, würdigt zugleich durchaus ehrlich den Abschluss als gelungenen Beitrag der Tarifpartner zum Fortgang des Bahngeschäfts, und benennt den gemeinsamen Störenfried, gegen den das Tarifergebnis diesmal gerichtet ist – die GDL:

"Bahnchef Mehdorn hat einen machtpolitischen Erfolg errungen. Mit einem Lohnzuschlag von 4,5 % ist er den Bahngewerkschaften Transnet und GDBA zwar weit entgegengekommen – es ist der höchste Tarifabschluss in der jüngeren Geschichte der Bahn. Zugleich bremst der Abschluss die Lokführergewerkschaft GDL aus … Mehdorn zahlt viel, aber er kauft sich dafür wahrscheinlich sozialen Frieden beim größten deutschen Unternehmen ... Der Abschluss liegt insgesamt deutlich näher an den Vorstellungen der Gewerkschaft als am Einstiegsangebot der Bahn. Ein bisschen politische Berechnung dürfte in diesem Ergebnis auch stecken. Die Gewerkschaft Transnet hat Konzernchef Mehdorn schließlich gegen viele Widerstände darin unterstützt, die Bahn inklusive des Schienennetzes an die Börse zu bringen." (FDT, 10.7.)

Und für diese sozialfriedliche Kooperation zwischen ‚Kapital und Arbeit’ stellt die GDL eine ernstzunehmende Bedrohung dar, nicht nur, was die Bahn AG, sondern auch, was die Transnet/GDBA angeht.

Die GDL – ein einziger Angriff auf die Vertretungshoheit der Transnet

Die GDL macht keinen Hehl daraus, dass sie von der tarifpolitischen Linie der Transnet nichts hält; insbesondere nicht von der Art und Weise, wie sich Transnet der Bahn AG als unterstützende Kraft bei deren Börsengang andient. Die Lohnforderungen der Transnet für diese Tarifrunde hält sie für lachhaft und skandalös; für ihre Klientel ist das auf alle Fälle zu wenig; also beschließt sie, eigene Forderungen aufzustellen und aus eigener Kraft durchzusetzen. Nach wachsenden Unstimmigkeiten tritt die GDL im Mai 2006 aus der Tarifgemeinschaft mit der Transnet aus, führt nun ihre Auseinandersetzung um Lohn und Arbeitsbedingungen mit dem Kapital selbstständig und stellt dann auch "klar, dass die GDL den zwischen dem DB-Vorstand und den beiden anderen Bahngewerkschaften erzielten Tarifabschluss auf keinen Fall unterzeichnen wird." (GDL-Info-Dienst, 16.7.)

Damit geht sie nicht bloß auf Distanz zur Transnet; mit ihrem gewerkschaftlichen Standpunkt, ihren Forderungen und der Art ihres Auftretens stellt sie sich polemisch zu der ganzen Linie, die die anderen Bahngewerkschaften vertreten; damit aber auch automatisch in Gegensatz zu den deutschen Gewerkschaften insgesamt. Sie stellt deren Gewerkschaftspolitik und Rolle bei der Regelung der nationalen Lohnverhältnisse doppelt in Frage. Erstens untergräbt sie die Glaubwürdigkeit der gängigen gewerkschaftlichen Lebenslüge, die Arbeiterschaft würde mit der einvernehmlichen Regelung ihrer Lohnansprüche im Lichte einer gesunden und arbeitsplatzförderlichen Geschäftspolitik am besten fahren und mehr, als was die Unternehmerschaft und die für alle deren Konkurrenzansprüche empfänglichen Gewerkschaften jeweils für verträglich halten, sei eben beim besten Willen nicht ‚drin’ gewesen. Allein schon damit, dass sie mehr fordert und sich bereit zeigt, für ihre Forderungen ernstlich zu kämpfen, sprengt sie das bei den DGB-Gewerkschaften bewährte Konzept einer für beide Seiten verträglichen Lohnfindungspolitik. Ein Verein wie die GDL droht nicht nur den konkurrierenden Gewerkschaften die Mitglieder abspenstig zu machen; er provoziert mit seinem Beispiel unweigerlich auch Kritik in deren eigenen Reihen und gefährdet dadurch deren gewohnte Art gewerkschaftlicher Vertretung: das Kommando einer Gewerkschaftsführung, die ihrer folgsamen ‚Basis’ sagt, was für sie zu holen ist und wann sie sich auf- und wann wieder abregen lassen soll.

Zweitens gefährdet die GDL damit den anerkannten Alleinvertretungsanspruch der deutschen Einheitsgewerkschaften, und damit die Rolle, die sie in der Republik einnehmen und unbedingt einnehmen wollen. Im Programm vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Kapital fungieren die Mitglieder als Beleg für das Recht der Gewerkschaft auf Mitsprache; als Allein-Vertreter der Beschäftigten, also in deren Namen reklamieren die Gewerkschaftsoberen Teilhabe an allen Entscheidungen des Kapitals, die Wohl und Wehe der Belegschaft betreffen; sie stehen ihrerseits dafür ein, die Beschäftigten auf alles festzulegen, was sie als Vertreter der Arbeitermannschaft mit den Herren der Produktion aushandeln. Die Machtposition der DGB-Gewerkschaften, ihre Beteiligung an der Regelung der Arbeitswelt beruht deshalb ganz und gar darauf, dass das Kapital und die hohe Politik ihre unternehmens- und staatsdienliche Leistung anerkennen, die von ihr Vertretenen verlässlich einzubinden und unterzuordnen unter die Ansprüche, die der Standort Deutschland ihnen abverlangt. Das muss die "Basis" dann aber auch mit sich machen lassen; denn die Gewerkschaft braucht ihre Mitglieder als Beleg für ihre Fähigkeit, den "sozialen Frieden" zu stiften und zu halten. Die sollen ihrer Gewerkschaftsführung daher auch und gerade dann die Treue halten, wenn sie im Namen von Beschäftigungssicherung oder gleich unverhohlen um der Konkurrenzfähigkeit der Firma im globalen Kampf um Märkte willen eine Lohnsenkung und Leistungssteigerung nach der anderen unterschreibt.

Nichts Geringeres als das Gesamtkunstwerk moderner gewerkschaftlicher Interessenvertretung steht also auf dem Spiel, wenn sich eine gewerkschaftlich organisierte Mannschaft aufmandelt und gegen den Willen der national etablierten Arbeitervertretung auszutesten droht, wie weit ihre Erpressungsmacht gegenüber dem Kapital reicht.