GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Konflikt im Südkaukasus

Russland auf dem Weg in die "Selbstisolation"

I. Der 5-Tage-Krieg im Südkaukasus

1. Saakaschwilis Berechnung

Anfang August sieht der georgische Staatschef den Zeitpunkt gekommen, sein Wiedervereinigungsprogramm einen entscheidenden Schritt voran zu bringen und die abtrünnige Republik Südossetien gewaltsam heimzuholen. Dass ihm dabei ein übermächtiger Gegner im Weg steht, er sich mit Russland als Schutzmacht der Osseten anlegen muss, die den größten Teil der Bevölkerung mit russischen Pässen ausgestattet hat und mit einigen Hundert Mann in der gemischten georgisch/ossetisch/russischen Friedenstruppe präsent ist, die das Konfliktfeld seit dem letzten Krieg der beiden Kaukasus-Völker in den 90er Jahren überwacht – das weiß keiner besser als Saakaschwili selbst. Seine Berechnung ist kein Geheimnis: er eröffnet den Krieg im Bewusstsein der Rückendeckung durch die USA und ihren Nato-Anhang, nimmt eine Eskalation der lokalen Auseinandersetzung zu einem Konflikt der Großmächte nicht nur in Kauf, sondern setzt geradezu auf sie. Das russische Kontingent in der Friedenstruppe wird demonstrativ massiv beschossen und dezimiert, die Hauptstadt der Südosseten ebenso demonstrativ in Schutt und Asche gelegt. Für die Rückgewinnung des Kommandos über einen von Tiflis abgefallenen Sprengel führt Saakaschwili seine Nation in einen Großkonflikt: Russland soll mit den USA in Kollision kommen und sich vor die Frage gestellt sehen, ob es klein beigibt und Georgien gewähren lässt, oder ob ihm die Wahrung seiner Interessen im Südkaukasus im Zweifelsfall eine direkte Konfrontation mit der Supermacht wert ist.

2. Die russische Antwort

Russland tritt dem Herausforderer als die militärische Großmacht entgegen, die es ist: Die georgischen Truppen werden binnen kurzem eindrucksvoll zurückgeschlagen, der Kriegsschauplatz sofort auf die zweite Separatistenrepublik Abchasien und das georgische Kernland ausgeweitet, die militärische Infrastruktur und das Waffenarsenal des Nato-Mitglieds in spe großflächig zerstört. Strategisch wichtige Teile Georgiens bleiben bis auf Weiteres besetzt, in dem mit Frankreich ausgehandelten Waffenstillstandsabkommen sichert sich Russland das Recht auf Einrichtung einer Pufferzone im georgischen Kernland rund um Südossetien und Abchasien und eine dauerhafte Präsenz von ein paar Hundert Soldaten in dieser Zone.

Russland beansprucht erkennbar Respekt als Ordnungsmacht in der Region und kopiert für die Untermauerung dieses Anspruchs das Vorgehen der USA auf dem Balkan bis ins Detail (im Vergleich allerdings sozusagen en miniature): von der Demonstration absoluter militärischer Überlegenheit – die USA bombardieren Belgrad, um den Serben das Kosovo abzunehmen, auch Russland steigt mit seiner Luftwaffe in den Krieg ein und bombardiert den Flughafen von Tiflis, um die Georgier mürbe zu machen – bis hin zur Inszenierung des Kriegs als Erfüllung eines höheren menschenrechtlichen Auftrags. Russland erklärt seinem Nachbarn nicht den Krieg, es erfüllt höhere Pflichten. Pflichten zum Schutz seiner Bevölkerung, Pflichten als Garantiemacht für die Einhaltung der Friedensordnung in Südossetien und Abchasien ("Georgien zum Frieden zwingen"), Pflicht zur Erzwingung des Respekts vor den Menschenrechten und zur Vermeidung einer "humanitären Katastrophe", eines "Genozids" und anderer Kriegsverbrechen.

Auf der Grundlage, dass jetzt einmal er Fakten geschaffen hat, die der Westen zur Kenntnis zu nehmen hat, fordert der neue Präsident Respekt vor russischen Interessen und Rechten im Kaukasus, eben den Respekt, auf den die andere Seite ganz automatisch Anspruch erhebt.

Und auch das ist zu registrieren: Russland regelt den Fall demonstrativ aus eigener Machtvollkommenheit; Medwedew verkündet sein ‚mission accomplished’ nicht in und nach Verhandlungen mit der EU, und Außenminister Lawrow besteht darauf, dass Bushs Aufforderung zur Beendigung der Kampfhandlungen nicht die geringste Rolle gespielt habe.

II. Die imperialistische Substanz des Konflikts

1. Die USA bekämpfen russischen Neo-Imperialismus I: der Aggressor Russland hat seine Nachbarn zu respektieren

Es sind die Vereinigten Staaten, die bei der Bewältigung der Krise den Ton vorgeben; und sie steigen auf einer Ebene in die Auseinandersetzung ein, die das Hin und Her um Schuld, Gründe und Rechtfertigungen, den Schacher um Kompromisse usw. usf. entschieden hinter sich lässt:

"(Abchasien und Südossetien) sind Teil Georgiens, und die internationale Gemeinschaft hat wiederholt klargemacht, dass sie das auch bleiben. Georgien ist Mitglied der Vereinten Nationen, und Südossetien und Abchasien liegen innerhalb seiner international anerkannten Grenzen. Die georgischen Grenzen sollten genauso respektiert werden wie die jeder anderen Nation. Darüber gibt es nichts zu diskutieren …

Unglücklicherweise neigte Russland dazu, die Ausdehnung von Freiheit und Demokratie als Bedrohung seiner Interessen zu sehen. Das Gegenteil ist wahr: Freie und aufblühende Gesellschaften an den russischen Grenzen bringen die Interessen Russlands voran, indem sie als Quellen von Stabilität und wirtschaftlichen Möglichkeiten dienen.

Wir hoffen, dass die russischen Führer erkennen, dass eine Zukunft der Kooperation und des Friedens allen Seiten zu Gute kommt. Der Kalte Krieg ist vorbei. Die Tage der Satellitenstaaten und der Einflusszonen liegen hinter uns. Ein Streitverhältnis mit Russland ist nicht im Interesse Amerikas. Und ein Streitverhältnis mit Amerika ist nicht im Interesse Russlands.

Mit seinen Aktionen in den letzten Tagen hat Russland seine Glaubwürdigkeit und seine Beziehungen mit den Nationen der freien Welt beschädigt. Tyrannisieren und Einschüchtern sind unakzeptable Wege für eine Außenpolitik im 21. Jahrhundert. Russland allein kann entscheiden, ob es auf den Pfad der verantwortlichen Nationen zurück kehrt, oder ob es eine Politik fortsetzt, die nur Konfrontation und Isolation verheißt. Um wieder anzufangen, seine Beziehungen mit den Vereinigten Staaten und Europa und anderen Nationen zu reparieren, und zu beginnen, seinen Platz in der Welt wiederherzustellen, muss Russland die Freiheit seiner Nachbarn respektieren." (Bush, 13.8.08)

Die Streitmaterie, der Georgien und Russland ihren Krieg gewidmet haben, mit dem besseren Ende für Russland, erklärt der Chef der Weltmacht autoritativ für entschieden und beendet – im georgischen Sinne. Für ihn liegen die Dinge hier genau umgekehrt wie vor kurzem im Kosovo – wenn er sich überhaupt noch an den Fall erinnert -: Georgien hat das absolute Recht, eine Abspaltung der beiden Provinzen zu verhindern, weil ein Ami-Freund nicht geschwächt werden darf und eine russische Mitsprache in einem Freundland schon gleich nicht zu akzeptieren ist.

Nachdem das geklärt ist, erläutert er der Welt den Kern des Problems aus seiner maßgeblichen Sicht: Was immer auch sonst noch im 5-Tage-Krieg vorgefallen sein mag – Russland hat die Grundregeln für das Zusammenleben der Völker verletzt. Die enthalten nämlich das Recht, bunte Revolutionen in die unmittelbare russische Nachbarschaft zu exportieren, Satellitenstaaten rund um Russland einzurichten und aus der russischen Einflusssphäre eine amerikanische zu machen, aber keinen Freibrief für russische Interessenpolitik. Die wäre ohnehin überflüssig, wenn der Kreml die US-Geschöpfe an seinen Grenzen einmal aus amerikanischer Sicht sehen würde, also als genau das Gegenteil, was sie sind – als Quelle von mehr Stabilität und Wirtschaftswachstum für Russland.

Es klingt wie ein absurder Witz, wenn der Oberkommandeur des weltweiten ‚war on terror’ sich gegen "Einschüchterung" als Mittel der Politik wendet, ist aber bitterernst gemeint: Russland steht dergleichen einfach nicht zu. Es soll sich nicht mit anderen Nationen anlegen, sondern friedlich und kooperativ einfügen in die von den USA kontrollierte Staatenwelt, sonst muss es mit allem rechnen: angekündigt wird die Ausgrenzung aus dem Kreis der "verantwortlichen Nationen" und eine Politik der "Konfrontation und Isolation", von der es nicht weit ist bis zu einer Behandlung als offener Feind.

Um das zu vermeiden, ist auf russischer Seite als Allererstes fällig, den Sieg gegen Georgien zu annullieren, sich wieder zurückzuziehen und die territoriale Integrität ihres Nachbarn anzuerkennen. Russland muss den Revanchismus Saakaschwilis an seiner Südgrenze akzeptieren, den Anspruch auf Schutz seiner Bürger im "Nahen Ausland" vergessen und Abschied nehmen von allen Ambitionen, als Ordnungsmacht in der Region aufzutreten. Kurz und unmissverständlich: "Russland muss die Freiheit seiner Nachbarn respektieren".

Das ist der erste Teil der Antwort aus dem Rose Garden auf die russische Forderung nach Respektierung seiner Interessen im Kaukasus: Russland muss einen antirussischen Staat an seiner Südgrenze hinnehmen. Schließlich hat man Georgien nicht umsonst aus dem Einflussbereich Russlands herausgelöst, die russischen Militärbasen im Land liquidiert und den Kaukasusstaat in einen verlässlichen "Partner" bei der Einkreisung Russlands umgedreht. Mit dem befreiten Georgien verfügen die USA über einen eigenen militärischen Brückenkopf im Kaukasus, brauchbar auch für ein Stück Front in Richtung Iran und Naher Osten; über ein antirussisches Transitland für zentralasiatische Energie sowie eine nationale Hilfstruppe für alle Aufgaben in der Region.

Als Vollzugsbeauftragter für diese Aufgaben ist Saakaschwili per Rosen-Revolution installiert worden. Seit seiner Amtsübernahme wird die Einrichtung eines amerikanischen Militärstützpunkts und strategischen Vasallenstaats in der Form der Hilfe für ein "aufblühendes, demokratisches Georgien" abgewickelt, das nebenbei auch noch als leuchtendes Beispiel für die Vorteile aktiver Westfreundschaft den Nachbarn Armenien und Aserbaidschan helfen soll, auf den richtigen Weg zu finden. Das nächste Ziel ist auch bekannt, weil umstritten: Überführung des US-Postens in EU- und Nato-Zuständigkeit, also definitiv in westlichen Besitz und Zuständigkeit.

Für diesen Dienst an Amerika wird Saakaschwili mit Waffen und einer modernisierten Armee ausgestattet und zu einer Vorreiterrolle in einem Bündnis namens GUAM ermutigt, das die russischen Versuche konterkariert, in der GUS eine irgendwie brauchbare einheitliche Militärstrategie hinzukriegen, vor allem eine einheitliche Überwachung des Luftraums zu organisieren.

Dafür wird Georgien ferner mit sehr viel internationaler Anerkennung bedacht (x Staatsbesuche in Amerika, Bush in Tiflis, Würdigung durch Europa) und mit etlichen Weltbankkrediten versorgt, denn mit Geldverdienen in Georgien ist nicht viel, erst recht nicht, seitdem Russland auf die bekannten georgischen "Nadelstiche" mit ökonomischen Repressalien antwortet.

Und weil es prächtig in diesen amerikanischen Zweck der Einhegung und Schwächung Russlands hineinpasst, unterschreibt Bush seinem Saakaschwili auch den internationalen Rechtstitel auf territoriale Integrität, der den georgischen Revanchismus erst richtig scharf und für Russland unhandhabbar macht.

2. Georgien: Abenteurertum als Staatsräson

Mit Saakaschwili haben die USA den passenden nützlichen Idioten aufs Schild gehoben: Die antirussische Instrumentalisierung Georgiens durch Amerika und der selbstbewusste Fanatismus eines Befreiungskriegers, der die Instrumentalisierung genau andersherum sieht und sein Volk im Bewusstsein der Unterstützung durch die Weltmacht in einen schicksalshaften Kampf mit Russland führt, stehen hier in einer selten geglückten Verbindung. Saakaschwili begreift seinen Staat als Speerspitze der Freiheit an der russischen Südflanke und richtet ihn entsprechend zu:

- Er räumt mit der Opposition auf und verankert die Russenfeindschaft, bzw. den Auftrag zur Heimholung der verlorenen Gebiete, als alles andere dominierenden Zweck in der Nation.

- Er stilisiert seine kleine Nation in einer weltweiten Dauerpropaganda zum Opfer russischer Machtpolitik, dessen gerechter Kampf jede Unterstützung verdient.

- Und er fällt den Russen seit 2003 mit einer Außenpolitik als Agent provocateur auf die Nerven, soweit seine Mittel reichen. Er lässt unter irgendeinem Vorwand die Zufahrtsstraßen in die südossetische Hauptstadt Zchinwali sperren, russische Transporte wegen angeblicher illegaler Waffenlieferungen nach Südossetien beschlagnahmen und russische Offiziere vor den Kameras der Weltöffentlichkeit wegen Spionage oder anderer Vergehen verhaften oder abschieben. Gut bewährt hat sich auch die Technik, unter dem Titel der Rotation bei den gemeinsamen Friedenstruppen georgische Truppen unangekündigt aufmarschieren zu lassen, so dass die russischen Kräfte sich jedes Mal entscheiden dürfen, ob sie es mit einem georgischen Überfall oder einer Wachablösung zu tun haben. Zwischendurch wird dann wieder Empörung geschürt wegen Verletzungen des Luftraums durch Russland, die Einrichtung internationaler Untersuchungskommissionen und Sondersitzungen des UN-Sicherheitsrats zur Verurteilung des russischen Vorgehens gefordert. Um den Durchhaltewillen der Südosseten zu untergraben, ist dem Chef der Georgier kein amerikanisches Geld zu schade; das schenkt er der armen Landbevölkerung schon mal, großzügig wie er ist, damit sie sieht, welch gute Herrschaft und welch glänzende Zukunft ihr im georgischen Wirtschaftsparadies winkt.

Saakaschwili schafft beständig Krisenlagen in der Berechnung, seinem Feind so die Herrschaft über die Lage im südlichen Kaukasus aus der Hand zu nehmen: Die militanten Provokationen und ständigen Herausforderungen an die russischen Friedenstruppen sind darauf angelegt, dass Russland "zurückschießt" und sich entlarvt als eigentlicher Verursacher der Krise und Okkupations- statt Friedensmacht. Damit lägen dann die nötigen "Beweise" für eine internationale Verurteilung des Kreml durch OSZE, UNO etc. vor, Russland wäre in seiner Rolle als Garant des Waffenstillstands, Entsender von Friedenstruppen delegitimiert und müsste durch eine wirklich überparteiliche Friedensmission, gestellt z.B. von ein paar Nato-Staaten und den Fidschi-Inseln, abgelöst werden.

In diesem Sinn ist die Invasion in Südossetien ein Test in zweifacher Hinsicht: Aus der georgischen Perspektive ein Test darauf, ob es gelingt, den ossetischen Separatismus gegen russischen Widerstand zu beenden, die Heimat weiter zu einen und so zugleich den Alteuropäern, die keine Neumitglieder mit ungeklärten Grenzfragen im Bündnis haben wollen, ihren Einwand gegen einen Nato-Beitritt Georgiens zu nehmen. Aus der Sicht der Vereinigten Staaten ein Test, ob Russland die Zersetzung seiner Macht in einer strategisch wichtigen Zone direkt am russischen Kernland inclusive eines Angriffs auf seine Staatsbürger hinnimmt.

Davon, dass Saakaschwili die USA in einen von ihnen womöglich gar nicht gewollten Konflikt hineingezogen oder eine Reaktion erzwungen hätte, kann also deswegen keine Rede sein, weil – um im Bild zu bleiben – die USA von Anfang als entscheidendes Subjekt in der Affäre drin sind. Ob die georgische Armee im amerikanischen Auftrag oder auf eigene Rechnung, mit oder ohne Wissen und/oder Billigung der USA einmarschiert ist, sind Fragen, die zielstrebig vom Kern der Sache wegführen: Georgien ist nichts anderes als der lokale Funktionsträger für das strategische Containment der USA gegen Russland. Dafür und für nichts anderes genießt es weltpolitische Anerkennung, dafür erhält es eine runderneuerte Armee. Dass die dann Russland auch einmal auf die Probe stellt, wird zumindest im Pentagon niemand überraschen und bringt allenfalls die Erfolgsfrage aufs Tapet.

3. Die USA bekämpfen russischen Neo-Imperialismus II: Russland müssen die Quellen seiner Macht entzogen werden

Seit der Befreiung Russlands vom Kommunismus zielt die Politik der USA auf die Eindämmung, Verkleinerung und funktionelle Einordnung des viel zu großen und mächtigen Landes. Erreicht worden ist da einiges: Die Ex-Comecon-Partnerstaaten in Ost- und Südosteuropa haben EU und Nato inzwischen in Besitz genommen; Russlands "Nahes Ausland" ist durch den Export von bunten Revolutionen teils zur Einflusszone der USA geworden (Ukraine, Georgien) teils einfach nur unbrauchbar wie in Kirgisien. Für den Rest der GUS-Welt mit Ausnahme von Weißrussland gilt zumindest soviel, dass von verlässlichen, russenfreundlichen Staaten keine Rede sein kann. Die internationale Militärpräsenz Russlands ist nach der Auflösung der Basen in Kuba und Vietnam beseitigt, die Versuche Russlands, in die "Konfliktregelung" weltweit (Jugoslawien, Irak) einzugreifen, beiseite gewischt.

Und unter dem lebenslustigen ersten russischen Präsidenten standen die Chancen eine Weile nicht schlecht, dass sich sein Land durch die "Integration" in die Konkurrenz mit den arrivierten kapitalistischen Demokratien deindustrialisiert, zumindest in Bezug auf die heute entscheidenden Produktionszweige irrelevant, volksmäßig dezimiert und zum Anhängsel der paar Nationen wird, die wirklich zählen. Auch in Bezug auf den Umgang mit der ihm gewährten politischen Anerkennung hat Jelzin Hoffnungen bei seinen Westfeinden geweckt: Für ganz viel formellen Respekt und Freundschaft für die Großmacht Nr.8 hat Russland die praktische Missachtung seiner Interessen eine Zeit lang hingenommen.

Das alles ist revidiert. Die neue russische Führung macht sich über den Inhalt der ihr angetragenen "Partnerschaft" nichts vor und lässt ihren Gegner das auch wissen: Man brauche keine Partner, die Einkreisungspolitik gegen Russland betreiben. Und auch das war ihr von Anfang an klar: Erfolgreich entgegentreten lässt sich dem feindlichen Programm nur mit einer konsolidierten Staatsmacht und einer funktionstüchtigen kapitalistischen Gesellschaft. Das entsprechende staatsreformerische Programm wurde aufgelegt und einiges, für den Geschmack seiner Gegner viel zu viel, repariert: Russland akkumuliert seit Jahren Petrodollars in einem enormen Ausmaß und macht wichtige Trümmer seiner überkommenen Produktivkräfte wieder flott – mit den verdienten Dollars und Euros und mit Hilfe auswärtiger Geschäftemacher, vor allem aus der EU. Das Land produziert wieder Flieger, Schiffe und AKWs für den eigenen zivilen wie militärischen Bedarf und tut alles, um damit auch auf dem Weltmarkt zu reüssieren. Und nicht nur das: Russische Staatsfonds verfügen über Summen, die in den Zentralen des Weltkapitalismus die Forderung nach einem Einkaufsverbot für Ausländer aufkommen lassen. Dank der neuen Mittel schreitet zu guter Letzt auch der Wiederaufbau der maroden Streitkräfte voran.

Der gestärkte russische Staat besteht auf Anerkennung seiner legitimen Interessen, schmiedet eigene Bündnisse und bietet sich an als potenter Partner für die Schaffung einer neuen "multipolaren Weltordnung". Mit dem Krieg gegen Georgien beendet er schließlich den Test, wie viel er sich von einer US-Kreatur in seinem unmittelbaren Einflussbereich gefallen lassen muss, mit Waffengewalt und setzt der Weltmacht eine Schranke.

Dass Russland zu einer derart "unverhältnismäßigen Anwendung von Gewalt" willens und fähig ist, liefert der US-Regierung den eindeutigen Beweis, dass diese Nation ihre Lektion nicht gelernt, bzw. Amerika viel zu viel zugelassen hat: Selbstkritisch, wenn auch nicht ganz wahrheitsgemäß, reden die USA von der Notwendigkeit eines Kurswechsels, weil man Russlands Aufstieg Vorschub geleistet habe – und kündigen an, ihr Verhältnis zu Russland auf allen Ebenen neu zu bestimmen:

"Verteidigungsminister Gates sagte, die USA wollen ihre strategischen Beziehungen zu Moskau überdenken. Die USA hätten hart daran gearbeitet, Russland in die internationale Gemeinschaft zu bringen. `Wir dachten, sie wären auf dem Weg. Jetzt müssen wir das alles überdenken.΄" (SZ, 18.8.08)

Aus amerikanischer Sicht ist mit der russischen Eigenmächtigkeit offenbar ein Erziehungsprogramm gescheitert: Man hat sich die größte Mühe gegeben, den Feind von gestern zu resozialisieren, ihm seinen Platz anzuweisen in der internationalen Gemeinschaft mit Rechten und Pflichten – und nun das. Russland ist nicht "auf dem Weg". Die Führer der Weltmacht gehen mit der größten Selbstverständlichkeit davon aus, dass das Mitmachen in der "internationalen Gemeinschaft" erstens eine Frage ihrer Erlaubnis ist, deswegen zweitens ganz automatisch die Pflicht enthält, sich als im amerikanischen Sinne funktionaler – höflicher formuliert: "verantwortlicher" – Teil dieser "Gemeinschaft" aufzuführen, so dass drittens die Diagnose feststeht, wenn ein Staat wie Russland den "Pfad der verantwortlichen Nationen verlässt": Er hat die amerikanische Lizenz missbraucht, also verwirkt.

Auf dem Programm steht mit diesem Urteil die noch entschiedenere Fortsetzung der Containment-Politik, gegen die sich Russland in Georgien erstmals militant zur Wehr setzte. Noch bevor die amerikanische Führung ihren Maßnahmenkatalog gegen Russland fertig hat, stellt sich für die 4. Gewalt daher gleich die Frage, ob in dieser "Lage" nicht eine militärische "Antwort" der USA angebracht wäre, was den amerikanischen Verteidigungsminister zu einem sehr doppeldeutigen Dementi veranlasst:

"Es gebe schlicht und einfach `keinerlei Aussicht für den Gebrauch militärischer Gewalt durch die Vereinigten Staaten in dieser Lage΄" (Gates, SZ, 16./17.8.08).

Man hat im Pentagon über Krieg nachgedacht, zieht ihn aber in Abwägung aller Umstände ("keinerlei Aussicht in dieser Lage") (derzeit) nicht in Erwägung.

Worauf die Welt sich im Zuge des neu und verschärft aufgelegten Programms, Russland seine Machtmittel zu entziehen, demnächst alles einstellen muss, beschäftigt die US-Strategen noch. Soviel macht Bushs Ankündigung von "Konfrontation und Isolation" aber deutlich: Russland soll politisch und ökonomisch noch effektiver als bisher ausgegrenzt und militärisch bedroht werden. Amerika visiert ein von allen Nationen getragenes Containment an, das Russland keine andere Wahl lässt als sich zu fügen. Da gibt es viel zu tun. Zunächst für das Roll back auf dem Kriegsschauplatz selbst: Der US-Verteidigungsminister übernimmt das Kommando über die anberaumte humanitäre Mission im Südkaukasus und verlangt Bewegungsfreiheit für seine Truppe – auf den Flugplätzen, auf den Straßen – und auch in den Häfen, über die Russland zum Teil dauerhaft die Kontrolle behalten will. Kriegsschiffe der Nato steuern auf die georgische Küste zu, vor der derzeit noch die russische Schwarzmeerflotte patrouilliert. Kurz: Amerika organisiert eine neue Etappe militärischer Präsenz im Krisengebiet, und jeder der unvermeidbaren Zwischenfälle ist gut für den Ausbau des Feindbilds und noch viel mehr Einsatz westlicher Gewalt. Damit Russland nicht vergisst, mit welchem Gegner es sich anlegt, stattet der Nato-Oberkommandierenden in Europa Saakaschwili einen Kurzbesuch ab. Frau Rice verkündet, Georgien werde wieder aufgerüstet, und seiner Aufnahme in die Nato stehe jetzt wirklich nichts mehr entgegen. Eine frisch gestiftete Nato-Georgien-Kommission sorgt schon mal für eine Aufwertung der Beziehungen. Eine internationale Friedenstruppe soll Russland das in der (immer noch umstrittenen) Waffenstillstandsvereinbarung fixierte Recht auf Truppenpräsenz so schnell wie möglich wieder aus der Hand nehmen und die Krisenzone unter westliche Aufsicht bringen.

Schöne Erfolge beim Containment gegen Russland ergeben sich innerhalb weniger Tage wie von selbst: Der amerikanische Handel mit Polen um die Bedingungen für die Stationierung der Raketenabwehr, die sich bekanntlich nicht gegen Russland richtet, wird zur beidseitigen Zufriedenheit beendet. Die USA erhalten die gewünschte Basis, Polen wird massiv aufgerüstet, unter anderem mit modernen Luftabwehrsystemen. Obendrein bekommt es eine ausdrückliche Beistandsgarantie der USA im Konfliktfall. Das alles will und braucht ein Land, das sich als europäischer Vorzugspartner der USA bei der strategischen Bedrohung Russlands aufbaut.

Die Ukraine eskaliert ihren Streit mit Russland über die Stationierung der Schwarzmeerflotte auf der Krim und dient sich den USA als weiterer Stationierungsort für ihre Raketenabwehr an.

Für den weiteren Umgang mit Russland hat die amerikanische Führung einige Schritte teils bereits beschlossen, teils auf die Tagesordnung gesetzt, die den Schein einer Gemeinsamkeit kündigen und den Gegensatz ungeschminkt auf die Tagesordnung setzen:

- Jede Zusammenarbeit mit Russland im Rahmen der Nato – zumindest auf den höheren Ebenen – wird eingestellt; die Auflösung des Nato-Russland-Rats erwogen;

- Russland soll aus den G8 ausgeschlossen, die Praxis, Russland zum Treffen der G7-Finanzminister einzuladen, beendet werden

- der russische Beitritt zu WTO und OECD soll verhindert werden

- das russisch-amerikanische Abkommen über die Nutzung der Atomkraft wird suspendiert;

- das Feindbild wird rechtzeitig geschärft, das einen Boykott der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi einfach zwingend notwendig macht.

Auf Basis dieser Vorgaben ruft der britische Außenminister dazu auf, eine geschlossene Staatenfront gegen den "Aggressor" zu bilden, um die Feinde an Russlands Grenzen zu stärken, es ökonomisch mit seiner Abhängigkeit von Kapitalimport und Energieexport zu erpressen, d. h. die Quellen seiner Macht anzugreifen; Russland soll durch Isolation ökonomisch und politisch in die Knie gezwungen werden. Wie dies im modernen Staatenverkehr üblich ist, kommt auch diese Erpressung daher als Angebot, das – natürlich – seinen Preis hat: Russland muss sich an unsere Regeln halten, sonst müssen wir es ächten!

"Was den Umgang mit Russland angeht, so bin ich für ein sachliches und nüchternes Vorgehen, das die wirtschaftlichen und politischen Vorzüge des internationalen Systems, die der Kreml braucht, als Hebel nutzt, um Russland zu einem verantwortungsbewussten Verhalten zu bewegen. Wir und Russland haben bedeutende gemeinsame Interessen, sei es in der Energieversorgung oder im Handel oder wenn es darum geht, Iran daran zu hindern, eine Atombombe zu entwickeln. Angesichts seiner sinkenden Bevölkerungszahl und einer Wirtschaftsleistung, die nicht viel größer ist als die Spaniens, braucht Russland positive internationale Partnerschaften. Unsere Antwort sollte sein, Russland in solchen Systemen wie der Welthandelsorganisation willkommen zu heißen – wenn es bereit ist, sich an die Regeln zu halten. In solchen Fragen wie der Energieversorgung müssen wir eine größere europäische Einigkeit herstellen und dann mit Russland ins Gespräch kommen: Wir alle zusammen sind der Energiemarkt Russlands. Und Russland ist zwar ein dominierender Lieferstaat, der mit 27 verschiedenen Ländern Verhandlungen führt, der aber weit weniger stark sein wird, wenn er mit einer abgestimmten europäischen Verhandlungsposition konfrontiert wird.

... Ich bin nicht dafür, Russland aus der G 8 auszuschließen. Das würde Russland nur dazu verleiten, eine Opferrolle zu spielen; es würde den russischen Revanchismus anheizen und es Russland ermöglichen, sich in den Augen derer, die zurzeit außerhalb der G 8 stehen, als "Reformchampion" zu präsentieren. Stattdessen sollten wir die G 8 dazu nutzen, in solchen Fragen aktiv zu werden, bei deren Lösung Russland ein Partner sein kann – sei es bei der Bekämpfung des Klimawandels oder der Stilllegung militärtechnischer Kernanlagen und Kernsprengköpfe. Aber wir sind auch bereit, als G 7 zu handeln, wenn Russland das Völkerrecht auf flagrante Weise verletzt und sich über unsere Wertvorstellungen hinwegsetzt.

Russlands Versuche, über den Atlantik hinweg oder in Europa einen Keil zwischen uns zu treiben, werden scheitern, wenn wir an diesen Grundsätzen festhalten und sie richtig umsetzen." (FAZ, 20.8.08)

4. Kampf zweier Lager in Europa

Das amerikanische Kampfprogramm gegen den russischen "Neo-Imperialismus" unterminiert die Sonderbeziehungen des "Alten Europa" zu seinem großen Nachbarn. Auch wenn die Zeiten einer "strategischen Partnerschaft" und einer gemeinsamen Front gegen den Irak-Krieg der USA vorüber sind: für den Aufstieg ihrer Union zur Weltmacht haben die westeuropäischen Führungsnationen Russland nach wie vor fest eingeplant. Als unerschöpfliches Rohstoffreservoir, als interessante Anlagesphäre und als mächtigen Partner im Ringen mit den USA um die Herrschaft auf dem Globus. Diese nützlichen Beziehungen, die das Alte Europa für sein imperialistisches Projekt will und braucht, stehen auf dem Spiel, wenn die USA die Isolation Russlands auf die Tagesordnung setzen und ihre Verbündeten zur Linientreue drängen. Und nicht nur das: Die amerikanische Forderung nach Gleichschaltung spaltet das europäische Projekt so klar wie nie in zwei Lager mit inkompatiblen strategischen Interessen. Dem berechnenden Umgang der Alteuropäer mit Russland steht der Großteil der osteuropäischen Neumitglieder in der Nato und der EU feindlich gegenüber, die den Schulterschluss mit den Vereinigten Staaten in ihrem Weltordnungs-Dauerkrieg zu ihrer obersten politischen Leitlinie gemacht haben. Zusammen mit den USA und GB bilden sie eine antirussische Koalition der Willigen und verlangen ein noch kriegerischeres Auftreten als ihre Vormacht, nämlich

"eine robuste Antwort auf eine acht Punkte umfassende Bitte um Hilfeleistung, die der georgische Botschafter am Dienstag dem Nato-Rat übergab. Sie wollen, dass die Nato ihre Schnelle Eingreiftruppe NRF nach Georgien schickt, Awacs-Aufklärer sowie eine hohe Delegation ihres Internationalen Stabes." (FAZ, 14.8.08)

Der estnische Präsident wirft – ganz Sprachrohr seines Mentors Bush – einer "sehr pro-russischen, russophilen Koalition in der EU, die gute Geschäftsbeziehungen über europäische Werte wie Menschenrechte, Demokratie usw. stellt" vor, sie habe mit ihrem Veto gegen die Aufnahme Georgiens in die Nato Russland grünes Licht für seinen Einmarsch gegeben, und hält es für "unvermeidbar", dass Frankreich und Deutschland auf seine harte antirussische Linie einschwenken. (RFE/RL, 14.8.08)

Die Politik des anderen Euro-Lagers wird offen bezichtigt – und das sind schon neue Umgangsformen im europäischen Einigungswerk –, für vorteilhafte Geschäfte den Nutzen der Gegenseite in Kauf genommen zu haben, statt ihn zu verhindern, also den ökonomischen Imperialismus Russlands gefördert, dem Kreml Quellen seiner neuen imperialen Macht erschlossen zu haben. Das Alte Europa wird nicht nur von den USA, sondern von Staaten, die es seinem Einflussbereich zuschlagen und unterordnen wollte, aufgefordert, sich am Containment gegen den "Neo-Imperialisten" zu beteiligen – seine Sonderbeziehungen also zu opfern.

Mit diesem Dilemma schlägt sich die "russophile Koalition" in der EU herum: sie sucht nach einer Öffnungsklausel, nach einem Weg, den Ruin der Beziehungen zu Russland zu verhindern, ohne umgekehrt den offenen Gegensatz zu den USA und ihren U-Booten in EU und Nato heraufzubeschwören. Heraus kommt eine Politik, die sich der Intransigenz der USA und ihrer Freunde formell anschließt ("unverhältnismäßiger Gewalteinsatz", "sofortiger Abzug", "Anerkennung von Abchasien und Südossetien absolut inakzeptabel", usw.), sie aber irgendwie noch zu kombinieren sucht mit einer Anerkennung auch der russischen Position, und keine Verurteilung Moskaus ausspricht, der nicht die Versicherung nachfolgt, man sei und bleibe gesprächsbereit, eine Isolation Russlands dürfe nicht stattfinden. Merkel und Sarkozy wollen den neu eröffneten Kalten Krieg sozusagen rückübersetzen in einen Streit um Bedingungen, die Russland erfüllen muss, aber auch erfüllen kann, damit sich die Lage soweit entspannt, dass der europäische Imperialismus mit seinen "Beiträgen zur Stabilisierung der Region" (Steinmeier) überhaupt wieder eine Chance bekommt. Sie verschieben die amerikanische Betonung in der Verurteilung Russlands – weil Russland unverhältnismäßige Gewalt angewendet hat, müssen ihm die Mittel für seine Gewaltpolitik entzogen werden – in ein konditionales Urteil: wenn Russland unverhältnismäßige Gewalt angewendet hat, um so in einen Verhandlungs- und Vermittlungsprozess einsteigen zu können, in dem über die Verhältnismäßigkeit der Gewaltanwendung gestritten, ein Katalog von Bedingungen für die Beilegung des Konflikts fixiert und irgendwann die Rückkehr zur "Normalität" angetreten werden kann.

Angesichts dessen, dass die Bremswirkung dieser Politik auf den amerikanischen Konfrontationskurs bislang ausbleibt und vor allem dem deutschen Kalkül mit Russland unabsehbare Schäden drohen, kommt neben den scharfmacherischen Tönen, die nach Härte und Sanktionen gegen Moskau rufen, immer mehr der ums nationale Wohl besorgte Ruf nach mehr Distanz zur Führungsmacht auf. Deutsche Politiker, Ex-Generäle und führende Wirtschaftsvertreter warnen vor den Wirkungen von zu viel US-Gefolgschaftstreue, raten zur Mäßigung im Umgang mit Russland und fordern ihre Führung auf, den guten Geschäftspartner im Osten – auftragswidrig – "weiterhin in internationale Strukturen einzubinden." Da wird Frau Merkel künftig viel zu tun haben.

5. Und Russland?

Die Kremlführung denkt nicht daran, ihre auf allen Ebenen angegriffenen Interessen zur Disposition zu stellen. Sie registriert die Offensive der USA gegen ihre soeben per Krieg zur Geltung gebrachten Positionen im Kaukasus wie gegen den von ihr beanspruchten Status überhaupt und beantwortet den amerikanischen Belastungstest auf jeder Eskalationsstufe mit einem Gegentest. Der enthält zum einen die klare Botschaft, dass man dagegenhält, zum anderen aber auch die Erkundigung, ob sich auf der erreichten Stufe der Eskalation ein modus vivendi ansteuern lässt, der es gestattet, die russischen Interessen zu wahren – oder ob die erpresserische Auseinandersetzung in die nächste Runde geht. Die wichtigsten Stationen dieses Ringens in den letzten paar Wochen in Kurzform:

- Russland versagt Saakaschwili als Chef eines verbrecherischen Regimes, das sich eines Völkermords schuldig gemacht habe, die weitere Anerkennung als Verhandlungspartner und verdeutlicht so, dass es ein Abrücken des Westens von seiner Intransigenz als Bedingung für politische Gespräche erwartet;

- es denunziert die Parteilichkeit der Nato-Mächte angesichts einer offenkundigen georgischen Aggression und besteht auf einer Abwicklung der Affäre nach der völker- und menschenrechtlichen Geschäftsordnung, also auf Anerkennung seiner Rechtstitel. Es konterkariert mit seinem Veto im Sicherheitsrat den Versuch des an diesem Punkt einigen Westens, ihm Waffenstillstandsbedingungen aufs Auge zu drücken, die es einseitig binden und den unhaltbaren Status quo ante wiederherstellen;

- Russland hält als Garantie seiner Positionen strategisch wichtige Teile in Georgien nach wie vor besetzt und kündigt eine Aufstockung seiner Truppen im Falle einer (von den USA schon fest angekündigten) Wiederaufrüstung Georgiens an;

- es antwortet auf die umfassende Offensive der USA mit gleicher Münze (Einfrieren der Kontakte zur Nato, Absage von Manövern, etc.), teilt ergänzend mit, man habe eine weitere Kooperation eher weniger nötig als die andere Seite und überdies noch einige Erpressungsmittel in petto;

- es zieht den Großteil seiner Truppen zurück, aber ausdrücklich nach Maßgabe seiner Sicherheitsinteressen und gemäß den Regeln, die die Waffenstillstandsvereinbarung nach seiner Lesart vorschreibt – und mit der Klarstellung, Russland werde sein Recht auf "Schutz russischer Bürger" jederzeit wieder militärisch durchsetzen;

-es betont, dass die für den Afghanistan-Krieg wichtigen Überflugrechte der Nato über russisches Territorium erhalten bleiben, Russland auf diesem Schauplatz auf der Seite der Nato steht, ihr nützliche Dienste leisten kann und will, wenn und solange Russland Respekt zuteil wird;

- es versucht wie im Fall Irak, Europa vom aggressiven Kurs der USA abzubringen und das europäische Projekt weiter zu spalten: Alteuropa wird vor die Entscheidung gestellt, ob es die ertragreichen Beziehungen zu Russland opfern will für die Kriegspolitik der Entente aus USA, Großbritannien, Polen und den Balten;

- es baut seine Raketenabwehr auf weißrussischem Territorium aus und nimmt Polen wegen seiner Entscheidung für die Stationierung der amerikanischen Raketenabwehr ausdrücklich als Ziel für einen russischen Militärschlag ins Visier; diverse Vordenker in der Duma fordern die Stationierung russischer Raketen in Kuba und Syrien;

- der vorläufig letzte Akt: Russland schafft mit der gegen das ausdrückliche "Verbot" Bushs vollzogenen Anerkennung Abchasiens und Südossetiens als unabhängige Staaten neue politische Fakten im Kaukasus und fordert den Rest der Welt zur Anerkennung dieser "Lage" auf;

Russland versucht also klar zu machen, wie sein Krieg gemeint war: nicht als Kündigung der Weltordnung, sondern als nachdrückliches Pochen auf einen respektierten Status in ihr; eben deswegen lässt es auch keinen Zweifel daran, dass eine Rückkehr zur Geschäftsordnung um den Preis der Aufgabe der eigenen Positionen nicht in Frage kommt.