GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Sind die Manager-Bezüge zu hoch? Der Anteil der Funktionäre des Kapitals an der Ausbeutung und der immer zu hohe Preis der Arbeitskraft: Warum wer was und wie viel in der schönen Marktwirtschaft kriegt

Kanzlerin Merkel höchstpersönlich liest auf der Arbeitgebertagung der versammelten Wirtschaftsprominenz die Leviten. Sie führt die öffentliche Debatte fort, nach der die Manager angeblich zu hohe Bezüge erhalten, und besonders anstößig sollen die Abfindungen für entlassene Manager sein. Die Kanzlerin mahnt zur Zurückhaltung, weist den unvermeidlichen Vorwurf der "Neiddebatte" zurück und behauptet sogar, das ganze Gemeinwesen könnte deswegen in Unordnung geraten.

Eine prima Gelegenheit, eine höchst interessante Frage zu wälzen, nämlich ob einer zu Recht verdient, was er verdient. Klar, dass Manager einen Haufen verdienen, aber haben es diese Herren nicht entschieden zu weit getrieben? So fragen kann man nur, wenn man einerseits vom großen Unterschied zwischen dem "kleinen Gehaltsempfänger" und dem "Topmanager" weiß, andererseits aber zwischen den beiden eine Gemeinsamkeit ausfindig gemacht hat, die einen Vergleich ermöglicht: Die Gemeinsamkeit soll darin bestehen, dass beide – zwar unterschiedlich, aber dennoch – bezahlt werden, und zwar für ihre Leistung für das Unternehmen, in dem sie beschäftigt sind. Und die, die diese Frage wälzen, meinen, die Bezahlung müsste ein gerechtes Äquivalent für die erbrachte Leistung sein – was doch bei den Managern manchmal einigermaßen zweifelhaft sei; in vornehmer Kommentatoren-Ausdrucksweise: "Wo hört in der globalen Wirtschaftswelt eine leistungsgerechte Bezahlung auf, wo fängt die Selbstbedienung an?" Reingefallen, kann man da nur sagen – denn an dem wirklichen Verhältnis von Lohn und Leistung zielt man mit dieser Fragestellung voll vorbei. Weder gibt es einen Zusammenhang von Lohn und Leistung, noch lassen sich Manager und Arbeiter darüber vergleichen, dass beide bezahlt werden. Die Vorstellung einer leistungsgerechten Entlohnung ist absurd.

Der Arbeiter bekommt Lohn dafür, dass er dem Unternehmer seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Das, Ergebnis seiner Arbeit gehört dann dem Arbeitgeber. Eingestellt wird nur unter der Bedingung, dass sich seine Arbeit für das Unternehmen rentiert, d. h.: Er schafft dem Unternehmen mehr verkäuflichen Warenwert, als er als Lohn nach Hause trägt. Den Gegenwert seines Lohnes erarbeitet der Arbeiter mithin in nur einem Teil seiner Arbeitszeit, den Rest des Tages arbeitet er für das Unternehmen – umsonst. Das ist der grundlegende Gegensatz zwischen Arbeiter und Kapitalist. Denn der Unternehmer will den unbezahlten Teil des Arbeitstages ständig auf Kosten der bezahlten Arbeitszeit erhöhen, mit der Konsequenz, dass er damit den Teil des Arbeitstages, in dem der Arbeiter den Gegenwert für seinen Lebensunterhalt erarbeitet, verringert. Wie groß der eine und der andere Teil seines Arbeitstages ausfällt, ist Ergebnis des Kampfes der beiden Parteien, die unvereinbare Interessen vertreten. Lohnarbeiter können die Höhe ihrer Einkünfte nicht durch ihre Leistung erhöhen, sondern allenfalls durch den Druck, den sie mit der Drohung der Arbeitsverweigerung auf die Unternehmerkalkulation ausüben können. Wenn die deutschen Gewerkschaften heutzutage meinen, diesen Gegensatz mit "Sozialpartnerschaft" beseitigt zu haben, dann ist das eben eine Unwahrheit und ändert am grundlegenden Verhältnis rein gar nichts. Nichts von alledem hat etwas mit Gerechtigkeit oder einer Bemessung des Entgelts an der erbrachten Leistung zu tun. Die Leistung, für die der Arbeiter bezahlt wird, besteht notwendigerweise darin, dass er eine unbezahlte Leistung abliefert. Denn das ist die Bedingung seiner Beschäftigung.

Die Vergütung von Managern folgt ganz anderen Prinzipien: Sie erfüllen im Auftrag und zum Nutzen der Kapitaleigner die Funktion des Kapitalisten. Ihre Arbeit besteht darin, Entscheidungen zu fällen über die Arbeit, die andere zu machen haben, sie zu kontrollieren und aus ihnen die Leistung herauszuholen, die die Eigentümer reich macht. Manager tragen tatsächlich eine "schwere Verantwortung", nämlich die, die Aneignung der unbezahlten Arbeit zu organisieren, die die Belegschaft abzuliefern hat. An dem Profit, den sie den Eigentümern hereinholen, werden sie nicht schlecht beteiligt. Dafür brauchen sie nicht zu kämpfen, denn die Eigentümer wissen schon, was sie an ihnen haben. Die Beteiligung am Firmenerfolg muss sich dabei noch nicht einmal am vergangenen, schon erzielten Erfolg orientieren; sie kann ebenso gut am zukünftigen Erfolg Maß nehmen, den die Firma unter der Ägide des betreffenden Betriebsführers anstrebt. Ein Konzern, der sich einen sündhaft teuren Sanierer leistet oder einen weltweit ausgewiesenen Spitzenmann ins Haus holt, zeigt, wo er sich in der Konkurrenz sieht und demonstriert seine Finanzkraft. Die Bezüge der Spitzenleute repräsentieren Größe und Erfolgsanspruch einer Kapitalgesellschaft – und sind dadurch selbst noch Mittel ihrer Konkurrenz um Kredit und Anleger. Entsprechend ist das Selbstbewusstsein des Managers beschaffen: Er versteht sich als Feldherr der Produktionsschlacht und des Kampfes um den Markt, schreibt die Erfolge, die "sein" Unternehmen erzielt, sich und seiner herausragenden Persönlichkeit zu; denn – wie es der Chef der Deutschen Bank Ackermann ausdrückt – schließlich sei er es, der "die Werte schafft". Dieses Selbstbewusstsein hat insofern seine Richtigkeit, als der Manager eben damit in seinem Beruf aufgeht: Nur so kann er die für solche Typen typische Rücksichtslosigkeit und Arroganz an den Tag legen, die es braucht, um aus schlaffem Untergebenenmaterial eine schlagkräftige Markteroberungstruppe zu schmieden.

In der jetzigen Debatte um die Höhe ihrer Bezüge wird die Tätigkeit der Manager, die darin besteht, die Anhäufung von möglichst viel unbezahlter Arbeit zu organisieren, keineswegs kritisiert. Es gibt bloß eine Nörgelei, die sich an der Höhe ihrer Gehälter festmacht, und die Regierungschefin macht sich sogar zur Wortführerin dieses Unbehagens. Sie hat mitgekriegt, dass es im Volk ein Rumoren gibt, was ihr allein schon deswegen nicht passt, weil damit die politische Konkurrenz – die SPD und insbesondere die Linkspartei – Punkte macht.

Der Unmut rührt daher, dass einerseits der Reichtum im Land wächst und allenthalben von ‚Aufschwung‘ die Rede ist, der aber – so die Unzufriedenheit – "unten nicht angekommen ist", sondern im Gegenteil – so die erstaunliche Beobachtung – "die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher" macht. Was denn sonst im Kapitalismus, wenn er blüht und gedeiht?! Merkel meint, diese Unzufriedenheit bekämpfen zu müssen. Ein erster Schritt ist selbstverständlich nicht die Anpassung der Armutslöhne und der Hartz-IV-Bezüge nach oben, in Richtung Managerlöhne, sondern – die Einführung eines Mindestlohnes. Nach 200 Jahren Kapitalismus hat man sich darauf geeinigt, dass einer, der voll arbeitet, auch davon leben können soll – von gut leben ist freilich nicht die Rede. Was stört, ist, dass der Billiglohn vom Staat bezuschusst werden muss. Von der Kapitalistenklasse und ihren Sprachrohren wird das – wen wundert’s? – weiterhin erbittert bekämpft, womit sie freilich den Befürwortern des Mindestlohns in die Hände arbeiten: So können sie den so genannten unteren Schichten zurufen: Seht ihr, wir haben ein Stück Gerechtigkeit für euch erkämpft! Im zweiten Schritt wendet sich die Kanzlerin an die Unternehmer und Manager und ruft ihnen ein "So nicht!" zu. Was machen die ihrer Meinung nach falsch? Auf dem CDU-Parteitag sagt sie:

"Liebe Freunde! Eine Politik der Mitte sagt zu allen Mitgliedern der Gesellschaft: ‚Denkt immer an die Anderen! Vergesst nicht, dass wir alle aufeinander angewiesen sind!‘ Erfolgreiche Unternehmen gibt es nur an erfolgreichen Standorten, und erfolgreiche Unternehmen gibt es nur, wenn es gerecht und verantwortungsbewusst zugeht… Soziale Marktwirtschaft ist immer auch eine Wirtschaft und eine Gesellschaft, in der die Menschen zusammengehören. Wenn das nicht mehr funktioniert, fliegt uns der ganze Laden auseinander, um das einmal ganz einfach zu sagen." (3.12.)

Verlangt die Kanzlerin nun von den Managern, so "an die anderen zu denken", dass sie die Löhne erhöhen? Garantiert nicht. Will sie ihnen vielleicht irgendetwas verbieten, womöglich ihre Gehälter beschneiden? Ein bisschen wird so getan, wenn von Parlamentariern Arbeitsgruppen gebildet werden, die über "Obergrenzen" für Managergehälter "nachdenken". Gleichzeitig ist aber klar: Das ist ein unzulässiger Eingriff in die unternehmerische Freiheit und rechtlich nicht möglich. Die Kanzlerin mit ihrem Aufruf wie auch die parlamentarischen Arbeitsgruppen machen also nur eins: Gegen die Realität der Managertätigkeit, die in nichts anderem als der Durchsetzung des Unternehmensinteresses gegen das Arbeiterinteresse besteht, wird die platte Ideologie eines Miteinander gesetzt: Eigentlich sind alle an einem Gemeinschaftswerk beteiligt. Da ist es dann blöd, wenn die Manager in ihrem Auftreten und in den Bezügen, die sie sich selbst genehmigen, heraushängen lassen, dass dem nicht so ist, wenn sie geradezu demonstrativ auf den Unterschied zwischen sich und ihren Untergebenen deuten. Dagegen nimmt sich der Aufruf der Kanzlerin aus wie ein strenger Rüffel, und manche verwechseln das sogar mit einer Kritik. Dabei sollen die Herren und Damen Manager mit ihrem Auftreten bloß darauf achten, dass der schöne Schein des Gemeinschaftswerks nicht unnötige Kratzer abkriegt. Etwas mehr Anstand und demonstrierte Bescheidenheit ist bei der Bereicherung angesagt, weil man sonst dem Gerechtigkeitssinn des Volks ein bisschen zu viel zumutet. Umgekehrt haben die Manager, wenn sie denn ein wenig einsichtig sind und Besserung geloben, einen Beitrag zu dieser moralischen Aufgabe geleistet und eben so diesen Gerechtigkeitssinn auch wieder befriedigt. Wie wichtig das ist, macht Merkel mit ihrem Bild von dem "auseinander fliegenden Laden" deutlich. Sachlich ist das natürlich Quatsch, von empörten Massen vor der Bild-Zeitung oder dem Bundeskanzleramt ist weit und breit nichts zu sehen, aber mit der Dramatisierung belegt die Kanzlerin, wie ernst sie die Unzufriedenheit nimmt – und der Witz ist: Damit ist die auch schon voll bedient. Sogar die oberste Führerin der Nation hat diesen Wirtschaftsführern jetzt mal gesagt, dass auch sie sich anständig benehmen müssen.

Und dann der krönende Abschluss dieser Schelte:

"Was ich überhaupt nicht verstehe: Warum wird mit Geld überschüttet, wer auf ganzer Linie versagt hat. Liebe Aufsichtsräte, glauben Sie, Ihre Mitarbeiter lesen keine Zeitung? Glauben Sie, Ihre Mitarbeiter beherrschen nicht die Grundrechenarten? Wenn ich das Versagen von Spitzenkräften mit Fantasieabfindungen vergoldet sehe, dann sage ich: Das untergräbt das Vertrauen in das soziale Gleichgewicht unseres Landes." (Ebd.)

Wirklich skandalös sind nur die Manager, die nicht erfolgreich beim Management der Ausbeutung waren, also ihre Untergebenen nicht so gezwiebelt haben, dass viel rentable Leistung aus ihnen herausgeholt wurde. Wenn die deswegen entlassen werden, sollen sie nicht auch noch zu viel Geld dafür kriegen. Merkel bezieht sich mit voller Absicht darauf, dass die Unzufriedenheit über die Managergehälter hauptsächlich daher rührt, und gibt dem Recht. Aber merken die Unzufriedenen eigentlich, dass die Kanzlerin damit den Beruf des Managers – die Ausbeutung auf Kosten der Beschäftigten zu organisieren – voll aus der Schusslinie genommen und ihm eine perfekte Ehrenrettung verpasst hat? An einem in diesem Sinne erfolgreichen Manager gibt es dann nämlich überhaupt nichts mehr zu kritisieren: Er verdient, was er verdient; denn die erfolgreiche Mehrung des Shareholder-Value ist ein einziger Beitrag zum "sozialen Gleichgewicht unseres Landes". – Wer da noch kleinlich nachrechnet, offenbart nur – niedrigen Sozialneid!