GEGENARGUMENTE

Der Vorwurf Neoliberalismus, eine vertrauensselige Kritik an Marktwirtschaft und Staat

Teil I

Protest gegen die herrschende Politik trägt sich heutzutage fast ausnahmslos vor als Vorwurf einer "neoliberalen Politik". Ganz egal, worum es geht, Sozialstaatskürzungen, Bildungspolitik, Privatisierung, Lissabon-Vertrag der EU usw. – die Protest dagegen lautet "neoliberal". "Neoliberal" ist zu einem Schlagwort für Kritik geworden, sehr oft schon mit dem Gestus vorgetragen, nur mit dieser Benamsung wäre eigentlich eh schon alles erklärt und auch klar, was falsch sei. Was von dieser Kritik zu halten ist, das ist das Thema der heutigen und der nächsten Sendungen.

An den Beginn stellen wir die Frage, was denn von den Behauptungen der Vertreter des Neoliberalismus hinsichtlich der Leistungen des Marktes zu halten ist. Die Zurückweisung dieser Vorstellungen beinhaltet auch erste Klarstellungen, was den Zweck der Marktwirtschaft betrifft.

Wie wenig die Protestbewegung der neoliberalen Wirtschaftstheorie entgegenzuhalten hat, bildet den Hauptteil der heutigen und auch noch der folgenden Sendungen. Untersucht werden soll, was von Forderungen wie "Bildung darf keine Ware sein", "Das Finanzkapital soll die Realwirtschaft nicht dominieren, sondern ihr dienen", "Gegen Deregulierung", "Gegen Sozialstaatsabbau" zu halten ist.

1.Marktwirtschaft - neoliberale Ideologie und Wirklichkeit

Der Markt sei allen anderen Organisationsformen des Wirtschaftens überlegen, so lautet das gängige Urteil nicht nur von Vertretern des Neoliberalismus.

"Der Markt fungiert als Koordinationsinstanz und Regelwerk, das die Interaktion der Wirtschaftssubjekte aufeinander abstimmt. Dadurch können sie vorhandene Marktchancen wahrnehmen und die sich bietenden Vorteile aus Tausch und Kooperation realisieren. Indem der Markt die Markt- und Tauschoperationen der Wirtschaftssubjekte koordiniert und dadurch mittelbar auch die vor- und nachgelagerten Produktionsprozesse steuert, funktioniert der Markt so, als ob alle Beteiligten nach einem übergeordneten Plan der arbeitsteilig ineinander greifenden und aufeinander abgestimmten Wertschöpfung und Bedarfsdeckung handeln würden."(Gerhard Wilke, Neoliberalismus, S53)

"Wenn alle Wirtschaftssubjekte in so geregelten Tauschprozessen das anbieten (und damit gekoppelt das produzieren), was den höchsten Nutzen beziehungsweise Gewinn abwirft, dann fördert dies auch das Gesamteinkommen - mithin das "Gemeinwohl."(Gerhard Wilke, Neoliberalismus, S54)

a.

Laut Wilke ist der Markt also so etwas wie eine geniale Erfindung, um Produktion und Bedarf der Menschen aufeinander abzustimmen - sie zu koordinieren -, sodass die Beteiligten wie nach einem Plan funktionieren, aber eben ohne eine solchen Plan.

Tatsächlich ist doch wohl eher so, dass in der Marktwirtschaft jeder was anbietet und die ganze Koordination des Marktes dann darin besteht, dass der Verkäufer Erfolg hat oder eben auch nicht. Was da von Wilke als Koordinationsleistung besprochen wird, hat mit Koordination im Wortsinn nicht das Geringste zu tun. Implizit gesteht Wilke dies ja noch selbst ein, wenn er von einem Funktionieren so wie nach einem Plan, also eben ohne einen solchen spricht.

In Wahrheit produziert in der Marktwirtschaft jeder drauflos und erst nachdem die Produktion abgeschlossen ist und nachdem der ganze für die Produktion der Waren notwendige Aufwand schon getrieben wurde, entscheidet sich, ob die produzierte Ware auf ein Bedürfnis trifft und einen Käufer findet oder nicht.

Aber selbst im Falle sich tatsächlich ein Käufer findet, ist es nicht einfach das Bedürfnis an sich, das zum Zug kommt. Wer verkauft, sucht nicht einfach Nachfrage und ist zufrieden, wenn er jemanden findet, der sein Produkt braucht. Wer verkauft sucht zahlungsfähige Nachfrage. Bedürfnisse, die nicht über ausreichend Geld verfügen, zählen in der Marktwirtschaft noch nicht einmal als anerkannte Bedürfnisse und kommen daher schon von vorneherein nicht in Betracht und zwar völlig gleichgültig gegenüber ihrer Dringlichkeit.

Der Markt koordiniert daher nicht existente Bedürfnisse und Produktion, sondern am Markt erfährt der Verkäufer, welches Bedürfnis er für sich nutzen kann. Letzter und Endzweck jeder Produktion ist in der Marktwirtschaft demgemäß nicht die Versorgung der Menschheit mit nützlichen Gütern aller Art sondern der Gelderlös, der sich mit dem Verkauf von Produkten erzielen lässt. Das vorhandene Bedürfnis kommt dabei – wie erwähnt - in den Berechnungen der Produzenten schon vor, aber nicht als zu etwas bedienendes sondern als der Hebel an dem der Mensch gepackt wird, um ihm das Geld aus der Tasche zu ziehen. Bedürfnisse werden in der Marktwirtschaft nicht bedient, sondern benutzt.

Aber nicht nur für den Produzenten auch für den Konsumenten ist nicht einfach das Bedürfnis an sich der Leitfaden seiner Kaufentscheidungen. Tatsächlich den Ausschlag gibt, welche Ware er sich gemäß seines immer zu kleinen Geldbeutels, über dessen Größe er nicht einfach eigenem Gutdünken entscheiden kann, leisten kann. So mancher Schund in den Einkaufsregalen findet daher Absatz, weil das Geld für das Qualitätsprodukt, das es daneben für die etwas größeren Geldtaschen schon auch noch gibt, nicht reicht.

b.

In der Marktwirtschaft ist eine eigentümliche Form von Arbeitsteilung unterstellt. Jeder produziert für das Bedürfnis der anderen und dabei doch nur für sich selber. Das Bedürfnis der anderen ist vonnöten, es ist aber gar nicht der Zweck der Produktion, sondern die Schwäche, bei der die anderen gepackt werden. Von wegen also, in der Marktwirtschaft fände Kooperation von Individuen, von der alle Parteien der Tauschakte profitieren würden- wie Wilke behauptet. Im Gegenteil. Jeder der verkauft, sucht möglichst viel Geld zu erlösen. Das liegt in der Natur des Verkaufens, nicht in der des Verkäufers. Der Käufer umgekehrt will möglichst wenig bezahlen. Beide, Käufer und Verkäufer, suchen daher immer ihren Vorteil und zwar notwendig auf Kosten des je andern. Jede Schwäche des Gegenübers dient dabei als Hebel für die Durchsetzung des je eigenen Interesses.

Bisher ist festzuhalten: Die Marktwirtschaft ist keine Methode wirtschaftliche Handlungen aufeinander abzustimmen, sondern eine Wirtschaftsweise, in der die Produktion von Gebrauchsgütern bloßes Mittel des Gelderwerbs ist. Eine Wirtschaftsweise in der sich alles um Gelderwerb dreht.

2.Die Antwort der Kritiker

Von all dem wollen die Kritiker des Neoliberalsmus nichts wissen:

"Heute - wie vor vier Jahren - droht der neoliberale Umbau der kapitalistischen Gesellschaften soziale Errungenschaften, Frauenrechte, demokratische Freiheiten, Umweltschutz und kulturelle Werte zu zerstören. Als Teil der neoliberalen Globalisierung, durch die die Bevölkerungen der ganzen Welt dem Diktat transnationaler Konzerne, den internationalen Finanzinstitutionen wie WTO, Weltbank oder IWF, sowie dem blinden Wirken der Finanzmärkte unterworfen ist, werden auch in Österreich Sozialabbau, Zerstörung von Arbeitsplätzen, Prekarisierung, Privatisierung und Verwandlung öffentlicher Dienstleistungen in marktgängige Waren beschleunigt. Die neoliberale Politik lässt die Gräben zwischen reichen und armen Ländern ebenso größer werden wie jene innerhalb der reichen Länder." (Aufruf zum Austrian Social Forum III in GRAZ zwischen 15. Juni und 17. Juni 2006)

Diesem Aufruf ist zu entnehmen, wie wenig die Protestbewegung der neoliberalen Wirtschaftstheorie theoretisch entgegenzuhalten hat. Wenn Neoliberale sagen, Marktwirtschaft sorgt für die Koordination von Produktion und Bedürfnis, was sagen ihre Kritiker, "Achtung! Es gibt Ausnahmen!" – Bildung, Gesundheit, Wasser sollen keine Waren sein.

Am Arbeitsplatz stört nicht, wozu er da ist – das Eigentum des Arbeitgebers zu vermehren, weswegen seine Schaffung immer dann unterbleibt, wenn das nicht rauskommt –, sondern dass er nicht für alle vorhanden ist. Dort, wo der Staat bisher Eigentümer war, soll er auch in Zukunft Eigentümer bleiben anstatt zu privatisieren.

Dass das Leben von Bevölkerungen der ganzen Welt davon abhängt, ob und wie sie sich fürs Kapital rentieren, darin sehen die Kritiker des Neoliberalismus nicht das Kritikable, nur gegen das "blinde Wirken der Finanzmärkte" wollen sie was gesagt haben.

Linke haben früher einmal davon gesprochen, dass die Marktwirtschaft, der Kapitalismus, abgeschafft gehört. "Neoliberalismus" als Kritik besagt das nicht. Die Wirtschaft, wie sie organisiert ist, das kapitalistische Wirtschaftssystem, ist außer Streit gestellt. Marktwirtschaft soll sein! "Gegen Neoliberalismus" ist keine Forderung nach ihrer Abschaffung sondern der Ruf nach einer anderen, einer besseren Lenkung der Wirtschaft.

Worin der Fehler von dieser Sorte Kritik liegt, darum soll es im Folgenden gehen:

2.1.Bildung, Gesundheit, Wasser dürfen keine Ware sein

a.

Wer "Marktversagen in gewissen Versorgungsbereichen" kritisiert, kennt offenbar Bereiche, in denen der Markt seine Versorgungsaufgabe erfüllt und unterschreibt damit die nützliche Funktion, die die liberalen Ökonomen dem Markt zuschreiben. Sie teilen den Grundkonsens der Neoliberalen und der herrschenden VWL, dass der Markt eine vermittelnde Instanz zwischen Produktion und Konsumtion ist. Was die Kritiker vermissen ist die rechte Balance zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor. Es soll heute "zu wenig" Staat und "zu viel" Markt geben. Wenn beide im richtigen Maß präsent wären, zwar so ziemlich alles, aber eben nicht "alles" Ware wäre, hätten sie nichts daran auszusetzen.

Einen Widerspruch enthält diese Betrachtungsweise aber schon. Einerseits ist das Wissen darum, was es für das Bedürfnis bedeutet, wenn ein Produkt als Ware in die Welt kommt, unterstellt. Derjenige, der das Produkt braucht, bekommt es nur, wenn er dem Verkäufer den von ihm verlangten Preis zahlen kann. Wenn man für Bildung, Gesundheit, Wasser zahlen muss, dann, so die in dieser Forderung ausgesprochene Befürchtung, sind all jene, die nicht zahlen können, davon ausgeschlossen. Das ist richtig. Dass Warenproduktion Ausschluss von benötigten Gütern bedeutet, das kann man tagtäglich den diversen in- und ausländischen Armutsberichten entnehmen. Deswegen weil Lebensmittel Waren sind, verhungern weltweit Millionen Menschen und nicht weil es zu wenig Lebensmittel gibt. Weil Medikamente Waren sind, sterben weltweit Menschen an Krankheiten, die medizinisch längst heilbar sind, nur weil ihnen das nötige Kleingeld abgeht. Und weil Wohnungen Geschäftsartikel sind, gibt es beides nebeneinander – leerstehende Wohnungen und Obdachlose usw. Da wäre eigentlich nur ein Schluss fällig, Warenproduktion ist schädlich.

Was sagen die Kritiker des Neoliberalismus? Bildung, Gesundheit und Wasser sollen nicht Waren sein! Warum dann aber ausgerechnet Nahrungsmittel, Kleidung, Wohnung, kurz alles was die Menschen zum Leben brauchen schon, angesichts der offensichtlichen Konsequenzen? Da merkt man, woran sie bei der Festsetzung des richtigen Verhältnis von öffentlichem und privaten Sektor Maß nehmen. Bei der Festsetzung des rechten Maßes lassen sie sich nicht von den Interessen derer leiten, die Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf usw. brauchen. Was an staatlicher Bewirtschaftung notwendig sei, das bemisst sich nicht an den Bedürftigen, sondern an dem, was es an "öffentlichen Dienstleistungen" schon einmal gegeben hat. Nichts Unmögliches soll verlangt werden! - Eine andere Welt ist möglich! – Die andere Welt, die möglich sein soll, ist nichts anderes als die staatliche Bewirtschaftung, die es schon einmal gegeben hat; die soll nicht aufgegeben werden!

b.

Das "öffentliche Bildungswesen" sorgt nach Ansicht seiner Verteidiger dafür, dass niemand von Bildung ausgeschlossen ist. Mit der Forderung "Bildung ist keine Ware" will diese Protestbewegung einem durch Privatisierung des Bildungswesens drohenden Ausschluss von Bildung entgegentreten.

Was sie dabei geflissentlich übersehen ist, dass ein Ausschluss von Bildung nicht erst durch Privatisierung droht. Das öffentliche Schulwesen führte doch schon bisher nicht dazu, dass die Schüler die Schule als umfassend Gebildete verlassen, um mit dem ihnen dort vermittelten Wissen die Welt ihren Bedürfnissen gemäß zu gestalten. Nur ein geringer Teil der hoffnungsvollen Kleinen bekommt mehr als die unterste Ebene des öffentlichen Schulsystems zu sehen. Von einem Universitätsabschluss ganz zu schweigen. In unserer "Wissensgesellschaft" steht einer großen Mehrzahl an mehr oder weniger Ungebildeten ein kleine Schar von Spezialisten gegenüber.

Dass das so ist, ist alles andere als ein Zufall. Schließlich organisiert der Staat nicht einfach einen Unterricht und zwingt die Kinder, den im eigenen Interesse zu absolvieren, sondern das Bildungswesen erfüllt den edlen Zweck der Auslese. Die dem Ausbildungssystem zugewiesene Aufgabe besteht darin, die Heranwachsenden auf die sich ganz anderen Kriterien als dem Wissen verdankende Hierarchie der Berufe zu verteilen. Den Schülern wird eben nicht nur etwas beigebracht und anschließend überprüft, ob sie es verstanden haben. Jede festgestellte Schwäche eines Schülers ist da nicht der Grund, ihm das nicht Verstandene nochmals zu erklären, sondern wird zum Material der genau gegenteiligen Entscheidung gemacht, ihn gleich ganz von der weiteren Wissensvermittlung auszuschließen. Von jedem Jahrgang werden so sukzessive immer mehr Schüler von der höheren Bildung ausgeschlossen, sodass schlussendlich nur noch relativ wenige Schüler eines jeden Jahganges an der Universität landen, es auf der anderen Seite aber nicht wenige Leute gibt, die nach neun Jahren Schullaufbahn nicht einmal ordentlich lesen und schreiben können und sich schwer tun, auch nur einen Erlagschein auszufüllen. Von wegen also, das öffentliche Bildungswesen sei so etwas wie die Verhinderung des Ausschlusses von Bildung.

Die "Versorgung", um die es dem Staat beim Bildungswesen geht, ist gerade nicht die Versorgung aller mit Bildung, wo der Markt dies nicht leistet, sondern die Versorgung des Marktes und keine Alternative dazu. Es geht bei der staatlich orgsanisierten Bildung um den Arbeitsmarkt. Gerade weil es dem Staat um den Erfolg der Marktwirtschaft geht, sorgt er mit seinem staatlichen Bildungswesen für nichts anderes als die Bereitstellung eines für die Unternehmen brauchbaren Arbeitskräftepotentials, und dieses schließt neben einer hinreichenden Zahl "qualifizierter" - sprich auf die Bedürfnisse der Unternehmen hin vereinseitigter - Arbeitskräfte ein Heer "ungelernter" Arbeitskräfte ein. Wenn der Staats bis zum heutigen Tag die Ausbildung in seine Hände nimmt, dann also mit Garantie nicht, um sie den Fängen der Marktwirtschaft zu entreißen. Genau umgekehrt verhält es sich, nur weil es ihm um den Erfolg der Marktwirtschaft geht, wollte er die Bereitsstellung des dafür tauglichen Arbeitskräftepotenzials nicht ausschließlich von der privaten Geschäftskalkulation eines Unternehmens und der Zahlungsfähigkeit der Auszubildenden abhängig machen. Ausbildung die diesem Zweck nicht dient, findet aus genau demselben Grund daher nicht statt.

Teil II wird in Radio FRO am 16.12.2008 um 16:00 und in Radio Orange am 30.12.2008 um 20:30 gesendet.