GEGENARGUMENTE

Der Vorwurf Neoliberalismus, eine vertrauensselige Kritik an Marktwirtschaft und Staat

Teil II

Heute bringen wird den zweiten Teil unserer dreiteiligen Sendereihe mit dem Titel "Der Neoliberalismusvorwurf - eine vertrauensselige Kritik an Marktwirtschaft und Staat".

Im ersten Teil ging es um das Dogma der Apologeten der Marktwirtschaft, der Markt würde Bedürfnisse und Produktion koordinieren, und darum, wie die Neoliberalismuskritiker dieser Behauptung begegnen.

Wir haben zu zeigen versucht, dass bei aller kritischen Attitüde die Neoliberalismuskritiker die Vertreter des Neoliberalismus nicht kritisieren können oder wollen. Wenn die Verfechter des Neoliberalismus behaupten, der Markt wäre eine gelungene Methode Bedürfnisse und Produktion zu koordinieren, dann erwidern ihre Kritiker nicht, wie es geboten wäre, dass bei einer Produktion für den Markt alles nur produziert wird, um verkauft zu werden, Zweck des Produzierens daher nicht die Befriedigung von Bedürfnissen ist, sondern der Gelderwerb. Auch sie halten - gegen den bloßen Augenschein - daran fest, dass der Markt der Versorgung mit Gütern diene und wollen von einem Versagen des Marktes lediglich in Teilbereichen wissen. Obwohl ihnen etwa am Bereich der Bildung, der Gesundheit usw. aufgefallen ist, was es bedeutet, wenn ein Gut zur Ware wird - nicht wenige können sich dieses Gut dann nicht mehr oder nur mit Mühe leisten - halten auch sie - wie die Verfechter des Neoliberalismus - daran fest, dass es am Markt letztlich doch um Versorgung gehe. Nur die für die Allgemeinheit wichtigen Bereiche wie Bildung und Gesundheit sähen sie gerne ausgenommen.

Gute und schlechte Seiten kennen die Neoliberalismuskritiker aber nicht nur im Bereich des Marktes. An allen Bereichen des Wirtschaftens gute und schlechte Seiten zu entdecken, haben sie zu einer regelrechten Methode fortentwickelt, die es ihnen gestattet, bei allem was ihnen nicht gefällt, trotzdem Anhänger der existenten Wirtschaftsform bleiben zu können. Alles negative lasten sie damit nicht der Wirtschaft und ihren Zwecken an, sondern einer Übertreibung - nicht der Kapitalismus sei der Grund sondern seine neoliberale Ausformung, der Turbo-Kapitalismus.

Diesem Interesse geschuldet ist auch ihre Unterscheidung der Wirtschaft in die gute weil Real-Wirtschaft und das nicht grundsätzlich in Frage gestellte aber doch mit einem Vorbehalt belegte Finanzkapital. Was von dieser Unterscheidung im einzelnen zu halten ist, darum soll es in der heutigen Sendung gehen.

2.2.Die Realwirtschaft - saunützlich nur leider unter der Knute des Finanzkapitals

"Tatsächlich unterstützen Finanzmärkte die Wirtschaft oft nicht mehr, sondern dominieren sie. Sowohl Unternehmen als auch Staaten stehen zunehmend unter ihrem Druck. Vieles scheint verkehrt. Dabei erfüllen Finanzmärkte grundsätzlich eine wesentliche Funktion. Sie finanzieren die Erzeugung und den Konsum von Waren und Dienstleistungen in der so genannten Realwirtschaft. Wer Geld gespart hat, kann es auf den Finanzmärkten anlegen. Dann kann dieses Geld Unternehmen, Regierungen und Privatpersonen zur Verfügung gestellt werden, die es für Investitionen oder Konsum brauchen."(http://www.attac.at/finanzmaerkte.html, Oktober 2008)

a.

Die "Realwirtschaft" - die Herstellung von Waren, die Bereitstellung von Dienstleistungen und der Handel - wird von den Kritikern des Neoliberalismus umstandslos begrüßt. Auch der Gewinn geht grundsätzlich in Ordnung. Vorbehalte meldet ATTAC einzig dem Finanzkapital gegenüber an. Aber auch dieses darf ruhig seinen Reibach machen, solange mit seinen Krediten Investitionen in "die Erzeugung und den Konsum von Waren und Dienstleistungen in der Realwirtschaft" finanziert werden. Nur in der geht es nach ATTAC nämlich um den Reichtum auf den es wirklich ankommt, um - "realen" - wirklichen Reichtum. Nur wirkliche Produktion kann in den Augen von ATTAC die Gesellschaft reicher machen.

Damit täuscht sich ATTAC. Wahr ist, materielle Bedürfnisse befriedigen kann man nur mit dem, was tatsächlich produziert wurde. Darum geht es aber gar nicht, wenn für den Markt produziert wird. Dann ist die hergestellte Ware und ihre nützliche Seite gar nicht der Zweck sondern nur das Mittel des Gelderwerbs. Dann geht es in Wahrheit um den Gelderwerb. Und wenn es um den Gelderwerb geht, dann geht es notwendig um die Vermehrung des Geldreichtums. Wenn aber das der herrschende ökonomische Zweck ist, dann wird und dann soll Geld immer genau dorthin fließen, wo sich dieser Zweck am besten erreichen lässt. Der konstruierte Gegensatz von soliden Investitionen in die Realwirtschaft und einem auf den Abweg der bloßen Spekulation gelockten Geldkapital existiert daher überhaupt nicht.

b.

Wer über Geld in hinreichender Menge verfügt, gibt es nicht einfach aus, sondern er setzt es so ein, dass es mehr wird. Ein Weg, aber eben nur einer unter all den anderen, ist es, in die Realwirtschaft - in die Produktion von Waren - zu investieren. Schon im Ausgangspunkt ist klar, dass das nur einer Minderheit gelingen kann. Denen nämlich, die schon zu Beginn über hinreichend großen Reichtum verfügen. Nur wer über Geld in ausreichender Größenordnung verfügt, ist in der Lage, Geld in Produktionsmittel und Lohn für Arbeitskräfte vorzuschießen, um es schließlich durch den Verkauf der unter seinem Kommando erzeugten Produkte vermehrt zurückzuerhalten. Den Großteil der Menschheit kann man in dieser Hinsicht vergessen. Wer zu diesem Teil gehört, dessen Sache ist die Geldvermehrung nicht – aus einem schlichten Grund: Er hat keines und das was er hat, reicht gerade einmal dazu, das tägliche Leben zu bestreiten.

Die zu dieser Gruppe gehörigen "sozial Schwachen" sind notwendig die Angeschmierten. Sie müssen, wollen sie an Geld herankommen, ihre Arbeitskraft feilbieten und heißen deshalb auch "Arbeitssuchende". Von Erfolg ist ihre Suche dann gekrönt, wenn sie das Interesse der Minderheit der Unternehmer, die auch "Arbeitgeber" heißen, wecken. Damit ein solcher "Arbeitgeber" ihr "Angebot" annimmt, muss sich aber der Einsatz ihrer Arbeitskraft für ihn lohnen und das tut er dann, wenn der Einsatz ihrer Arbeitskraft seinen Reichtum vergrößert.

Nicht wenige Arbeitssuchende finden genau aus diesem Grund keine Arbeit und sind arbeitslos. Die würden ihren Lebensunterhalt jederzeit erarbeiten wollen, aber vor die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt erarbeiten zu dürfen, ist die Schranke des Gewinns gesetzt. Wenn die Arbeit nicht dafür taugt, einem Unternehmer einen Gewinn zu erwirtschaften, dann findet auch diejenige Arbeit, die den Lebensunterhalt der Leute erarbeiten würde, einfach nicht statt.

Was gesellschaftlich notwendige Arbeit ist und was nicht, entscheidet sich in dieser Gesellschaft einzig daran, ob sie mit Gewinn abzuwickeln ist oder nicht. Sie ist definiert einzig von den Bedürfnissen derjenigen, die die Wirtschaft heißen. Oder, in den Worten von Marx: "Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern fürs Kapital. Es genügt daher nicht länger, daß er überhaupt produziert. Er muß Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient."(KI, S532)

Der Markterfolg auf den es den Unternehmern einzig und allein ankommt, fällt umso größer aus, je größer der Geldrückfluss aus dem Verkauf der produzierten Waren im Verhältnis zum erforderliche Vorschuss - insbesondere zur zahlenden Lohnsumme - ausfällt. Der Unternehmerzweck wird daher umso besser erreicht, je weniger die Lohnarbeiter von ihrer Arbeit haben.

Deren Lohn ist in dieser Produktionsweise die negative Größe - er muss gezahlt werden, weil anders die Arbeitnehmer ihren Dienst nicht antreten. Weil er aber für den Zweck, auf den es ankommt, aus Geld mehr Geld zu machen - nur Abzug darstellt, kann der Lohn andererseits aber gar nicht nieder genug sein. Marx hat dieses Produktionsverhältnis daher auch Ausbeutung genannt.

Damit ist klar, die von ATTAC vorgenommene Unterscheidung - in die gute, weil reale Wirtschaft und in die nur unter Vorbehalt zu begrüßenden Finanzmärkte - taugt nichts. Schon gar nicht gibt der Umstand, dass die einen ihr Geschäft mit dem Verleih von Geld, die anderen aber durch Ausbeutung machen, einen Grund dafür ab, ausgerechnet das Realkapital vor dem Finanzkapital schützen zu sollen. Beiden geht es im Kern um dasselbe - die Vergrößerung ihres in Geld gemessenen Reichtums. Diese Identität im Zweck ist die Grundlage ihrer wechselseitigen Benutzung.

c.

Worin besteht denn nun die von ATTAC angemahnte Nützlichkeit des Finanzkapitals? Nützlich wären die Finanzmärkte insoweit, als sie den Unternehmen Geld für Investitionen zur Verfügung stellten, behauptet ATTAC. Wohl nicht ganz zufällig, lässt ATTAC dabei eine Kleinigkeit unerwähnt: Die Banken stellen den Unternehmen nicht einfach Geld zur Verfügung, sie verleihen es gegen Zins. Der Unternehmen muss nach einer vereinbarten Zeit nicht nur die Hauptsumme selbst zurückerstatten, sondern darüber hinaus dem Bankkapital für seinen Dienst auch noch einen Zins zahlen.

Das Geschäft der Banken besteht darin, aus Geld mehr Geld zu machen - und zwar ohne jeden Umweg über Produktion und Verkauf von Gütern. Zur Schaffung von materiellem Reichtum tragen sie nichts bei. Sie vermehren es durch eine Vereinbarung mit dem Kreditnehmer, der das geliehene Geld zum Fälligkeitsdatum um einen Zins vermehrt zurückzahlen muss. Dabei ist es den Banken gleichgültig, was der Kunde mit dem geliehenen Geld macht: ob ihr Kunde das geliehene Geld als Kapital investiert und dadurch Überschüsse erwirtschaftet oder ob er damit ein Verlustgeschäft macht. Die vertragliche Rückzahlungspflicht gilt in jedem Fall und unbedingt.

Die tatsächliche Fähigkeit des Kreditnehmers den Kredit zu bedienen, hängt davon ab, ob er sich die erforderliche Geldmenge bis zur Fälligkeit beschaffen kann. Dieser Umstand ist dem Kreditverhältnis gleichgültig. Es tut so - und wenn es klappt, ist es ja für die Bank auch so - als ob sich das Geld im Maße der verstrichenen Zeit automatisch vermehrt. In der Hand der Bank ist Geld unmittelbar Kapital - sich selbst verwertender Wert - aber eben nur dadurch, dass sie auf eine Geldvermehrung spekuliert, die andere treiben. Ausnahmslos jeder Kredit ist daher seiner Natur nach Spekulation - gegeben in Erwartung auf einen Erfolg, dessen Eintreten keine ausgemachte Sache ist.

Das Geschäft der Banken mit dem Kredit beruht darauf, dass er in den Dienst der kapitalistischen Reichtumsproduktion gestellt wird. Im Zins eignen sich die Banken einen Teil des Gewinns an, der in Produktion und Handel erwirtschaftet wird. Die Unternehmen in Industrie und Handel umgekehrt greifen das Angebot des Bankkapitals auf, weil und insofern der Kredit ihnen nutzt, insofern er also sie in die Lage versetzt, Profit mit Kapital zu machen, das ihnen nicht gehört.

Kredit eröffnet den Unternehmen die Möglichkeit, den Teil ihres Kapitals, der in Gestalt noch nicht verkaufter Waren festliegt, frühzeitig erneut zu investieren, was eine Erhöhung ihres Kapitalumschlags und damit ihres Profits bedeutet. Mit Kredit können die Betriebe darüber hinaus, in Erwartung größeren Absatzes, ihre Produktion ausweiten und ihre Arbeitermannschaft vergrößern, auf dass diese mehr an verkaufbarem Produkt und damit mehr an Gewinn produziert. Vor allem aber befreit der Kredit die Unternehmen von der Schranke, die sie in der Größe ihres in der Vergangenheit akkumulierten Kapitals haben. In ihm haben sie das Mittel die gewaltigen Investitionen zu tätigen, die notwendig sind, ihren Betrieb zum Konkurrenzmittel gegen ihresgleichen herzurichten. Sie erhöhen ihre Produktivität, senken ihre Stückkosten, lassen dazu eine verhältnismäßig immer geringere Anzahl an Arbeitern eine immer größere Menge an Produkt herstellen, sparen also nicht Arbeit - im Gegenteil, deren Intensität wird dabei in aller Regel erhöht - wohl aber Arbeitskosten. Der Kredit versetzt sie insgesamt also dazu in die Lage, die im Betrieb dann noch vorhandene Arbeitermannschaft rentabler zu nutzen. In allen Fällen gehen die Unternehmen von der Erwartung aus, dass der derart gesteigerte Gewinn, mehr als nur die zusätzlichen Kosten durch den Kredit hereinspielt.

Indem das Bankkapital dem Handel und der Industrie Kredit für ihre Geschäfte zur Verfügung stellt, treibt es zugleich den für alle Kapitale gültigen Erfolgsmaßstab nach oben und trägt damit dazu bei, dass sich der angestrebte Erfolg mit Garantie nicht für alle konkurrierenden Kapitale einstellen wird. Immer größeren und in immer kürzerer Zeit produzierten Mengen an Produkt, die verkauft werden müssen, steht eine durch die Kapitale selbst immerzu beschränkte Zahlungsfähigkeit gegenüber. Soweit die Unternehmen Verkäufer sind, behandeln sie den Markt als unerschöpfliche Geldquelle und versuchen möglichst viel vom Geld der Gesellschaft auf sich zu ziehen. Anders wenn sie als Käufer auftreten. Da heißt es die Kosten möglichst niedrig zu halten, sparen wo immer es dem angestrebten Erfolg nützt, in jedem Fall daher an den Arbeitskräften und deren Lohn. Niederlagen in der Konkurrenz können daher gar nicht ausbleiben. Erfolg der einen und Niederlage und Konkurs der anderen gehören untrennbar zusammen.

Diese notwendig eintretenden Niederlagen sind der praktische Beweis, dass das Geschäft der Banken ebenso wie das der "Realwirtschaft" immer auf Spekulation - auf der Vorwegnahme eines Erfolgs, dessen Eintreten keine ausgemachte Sache ist, im Gegenteil - beruht. Die von ATTAC vorgenommene Unterscheidung an den Finanzmärkten in eine seriöse Seite, von der alle - von der Realwirtschaft bis zum kleinen Sparer - profitieren würden, und eine schädliche Spekulation taugt daher schon von daher nichts.

d.

Was die Behauptung von ATTAC betrifft, Finanzmärkte würden grundsätzlich eine wesentliche, eine positive Funktion erfüllen, von der alle, Sparer und Unternehmen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber profitieren, so erweist sich diese Behauptung, jedenfalls was die Arbeitnehmer betrifft, als blanker Zynismus.

In der Hand der Kapitalisten, die sie beschäftigen, ist der Kredit das wuchtige Mittel, die Arbeitskraft dieser Arbeitnehmer möglichst optimal in den Dienst des Konkurrenzerfolgs der Unternehmen zu stellen. Den Arbeitskräften selbst bekommt das nicht gut. Intensivierung der Arbeit, Rationalisierung der Arbeitsprozesse samt Entlassungen und dergleichen mehr, daraus besteht die zum Einsatz kommende Handlungspalette, eingesetzt um einen möglichst großen Überschuss über den gezahlten Lohn zu erwirtschaften. Kurz in den Händen der Unternehmen ist der Kredit Mittel, die Ausbeutung voranzubringen.

Freilich, auch Arbeitnehmer kriegen einen Kredit. Weil sie aber gerade nicht zu der Sorte Mensch gehören, die ihren Reichtum arbeiten lassen, sondern selbst antreten müssen, ist dieser Kredit, der deshalb auch Konsumentenkredit heißt, bloß Mittel vorgezogenen Konsums. Die Rückzahlung samt Zins muss aus ihrem künftigen Lohn und damit durch vermehrten Verzicht in der Zukunft bezahlt werden.

Die Arbeitnehmer dürfen ihr Geld auch zur Bank tragen, soweit ihnen von ihrem Lohn am Monatsende tatsächlich was übrig bleibt. Weil bei ihnen aber ausgemacht ist, dass sie dieses - wie es deshalb auch heißt - zur Seite gelegte Geld irgendwann wieder brauchen werden, heißt dieser Vorgang bei ihnen nicht investieren oder spekulieren, sondern sparen. Sie stellen damit ihr Geld dem Bankgewerbe für seine Spekulation zur Verfügung, und werden dafür mit einem Zins belohnt, der in aller Regel aber gerade einmal die Inflation des Angesparten Geldwertes abfedert. Wie die jetzige Finanzkrise zeigt, ist noch nicht einmal das wirklich sicher.

So sehen die mit dem Finanzmarkt zusammen hängenden Chancen der "kleinen Leute" im Kapitalismus aus. Bis auf ihren Spargroschen - ihren Versuchen, sich gegen die der Marktwirtschaft inhärenten Unvorhersehbarkeiten abzusichern - sind sie die abhängige Größe dieser Wirtschaft. Und da entdeckt ATTAC dann auch noch eine grundsätzlich nützliche Funktion der Finanzmärkte auch für sie!

e.

Die nützliche Funktion der Finanzmärkte für die Realwirtschaft sieht ATTAC heute zusehends gefährdet:

"Diese Funktionen haben aber in den letzten Jahrzehnten relativ an Bedeutung verloren. Statt die Realwirtschaft zu unterstützen, bestimmen die Finanzmärkte immer stärker unternehmerische und wirtschaftspolitische Entscheidungen."( http://www.attac.at/finanzmaerkte.html, Oktober 2008)

Finanzkapitale und Banken betreiben ihr Geschäft nicht, um der Realwirtschaft einen Dienst zu erweisen. Ihre Absicht ist genau umgekehrt, die ökonomischen Aktivitäten aller anderen in den Dienst ihres eigenen Gewinninteresses zu stellen. Gleich jedem anderen Kapital dient das Finanzkapital nicht, sondern nutzt den Bedarf anderer - auch aber nicht nur den der "Realwirtschaft" - aus, um selbst ein Plus zu machen.

Das Finanzkapital vergleicht die unterschiedlichen Anlagemöglichkeiten, die es in der Gesellschaft vorfindet, danach, welche ihrem Zweck, den eigenen Kredit in lohnende Geschäfte zu verwandeln, am besten genügt. Es entscheidet darüber, welche Firma Kredit erhält und damit über die nötigen Waffen der Konkurrenz verfügt, und es entscheidet, welche keinen Kredit bekommt, wessen Schulden prolongiert werden und wessen Kredit fällig gestellt wird. Damit letztlich auch darüber, wer Konkurs anmelden muss und wer reüssiert.

Für ihre Entscheidung, wer Kredit verdient und wer nicht, haben die Banken dabei kein anderes Kriterium zur Hand als die von ihr kreditierte Geschäftswelt selbst - den in Aussicht stehende Erfolg beim Geschäftemachen. Als Kristallisationspunkte alles anlagewilligen Geldes ebenso wie aller Nachfrage nach Kredit vergleichen sie die verschiedenen sich ihnen bietenden Anlagemöglichkeiten wegen deren Wirkung auf den Kredit, den sie selbst genießen und der die ganze Grundlage ihrer eigenen Geschäftstätigkeit ist, unter den Kriterien von Sicherheit und Zins. In Gestalt des Bankkapitals tritt der Realwirtschaft ihr eigener Anspruch auf Gewinn als äußerer Zwang gegenüber.

So sind Banken tatsächlich die wirtschaftlichen Machtzentren, die den Gang des Kapitalismus bestimmen. Wer auch sonst, in einer Ökonomie, in der sich alles Treiben darum dreht, aus vorhandenem und sogar noch aus bloß vorgestelltem Geld - Geld, das erst noch verdient werden muss - mehr Geld zu machen. Sie sind die Inkarnation des ökonomischen Zwecks der kapitalistischen Gesellschaft.

Mit Dominanz der Realwirtschaft durch das Finanzkapital hat all das nichts zu tun, tut dieser von ATTAC geäußerte Verdacht doch so, als ob der Realwirtschaft etwas aufgezwungen würde, was ihr selbst eigentlich wesensfremd wäre. Statt Güter zu produzieren und Arbeitsplätze hervorzubringen, würden sie unter dem Druck des Shareholdervalues nur an den schnellen Gewinn denken.

Tatsächlich ist es doch wohl eher so. Wenn Banken die Unternehmen packen, dann nur an deren ureigenstem Interesse. Weder müssen Unternehmen gezwungen werden, einen Kredit zu nehmen - das tun sie schon von sich aus, weil sie sich davon ihre Durchsetzung gegen ihre Konkurrenz erhoffen -, noch begeben sie Aktien, um Banken ein schnelles Geschäft zu ermöglichen sondern auch wieder nur dazu, die Kapitalgröße zu erreichen, die für ihre Durchsetzung in der Konkurrenz nötig ist. Und schon gar nicht müssen sie dazu genötigt werden, das Geld, das ihnen ihre gewöhnliche Geschäftstätigkeit laufend einspielt, in Aktien oder Wertpapieren, in Immobilienfonds oder Hedgefonds zu veranlagen, wenn sich entweder gerade keine Anlage im eigenen Betrieb findet oder die Anlage in Wertpapiere bessere Renditen versprechen, als der Einsatz im eigenen Betrieb. Unternehmer - real oder nicht - sind keine Fanatiker ihrer angestammten Geschäftssphäre sondern Fanatiker des Gewinns ihres Kapitals.

Nicht nur bei der Realwirtschaft auch beim Staat kann von einer Unterjochung durch die Finanzmärkte keine Rede sein. Wer, wenn nicht der Staat, garantiert denn überhaupt erst das Geschäftsmittel der Wirtschaft, das Geld? Wer verleiht den Banken erst das unbedingte Recht, auf Rückzahlung zu bestehen? Und wer exekutiert dieses Recht im Zweifelsfall? Wer hat denn dem Kapitalmarkt die Lizenz zu den Geschäften mit Derivaten aller Art erteilt und tut dies übrigens nach wie vor? Doch wohl derselbe Staat, den man sich nach ATTAC als Getriebenen und Opfer gieriger Finanzhaie vorstellen soll.

Er erbringt diesen Dienst, weil es auch ihm um den abstrakten - den in Geld gemessenen - Reichtum geht. Nur dieser abstrakte Reichtum ist wirklicher - realer - Reichtum, auf den es im Kapitalismus einzig ankommt. Sosehr, dass ihm wirklicher Reichtum in Gestalt ganzer Fabriken geopfert wird, nicht weil es niemand mehr gäbe, der noch zu versorgen wäre, sondern einzig deshalb, weil er für den Geldreichtum und seine Vermehrung nicht mehr taugt. Statt diesen Wahnsinn anzugreifen, macht ATTAC Vorschläge für die Rettung des Finanzsystems.