GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Drei Wirtschaftskommentare zum hohen Ölpreis
Imperialismus als Verbraucherschutz – Verbraucherschelte wg. Ökokatastrophe – Sorgen um "unsere" Industrie

Am 19. Juni kommentiert die SZ-Wirtschaftsredaktion die Entwicklung auf dem Ölmarkt als ruinösen Anschlag auf den Verbraucher. Die "rasant steigenden Preise für Treibstoffe und sinkende Einkommen" bringen "Bürger in existenzielle Nöte". Bei "Spediteuren, Fischern und Bauern aus ganz Europa" verhagelt der Ölpreis die Geschäftskalkulationen, denn "das schwarze Gold sichert ihre tägliche Existenz, und wenn der Preis dafür die Einkünfte übersteigt, die sie mit ihrer Arbeit erzielen können, dann reicht es einfach nicht mehr zum Leben".

"Auf Seiten der Verbrauchers" (So der Kommentartitel) steht fest die Europäische Union, die sich für ihn ins Zeug legt: Die "EU will gegen hohe Ölpreise vorgehen". Bedauerlich ist freilich, dass es mit diesem europäischen Unterstützungsverein nicht weit her ist, denn "die Europäische Union hat kaum Mittel und noch weniger Macht, um Preise zu senken, die an internationalen Märkten gebildet werden. Sie kann ihren Bürgern, wenn sie ganz ehrlich bleibt, kein Ende der Preissteigerungen versprechen.". Blöd für die "kleinen Leute"! Zuerst sind sie existenziell am Arsch und dann entpuppt sich die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt auch noch als impotenter Hochstapler beim Verbraucherschutz! So bläst die SZ die Erwartungen auf ein "Ende der Preissteigerungen", die sie eben noch forsch geweckt hatte, gleich wieder ab. Doch den Gedanken – die EU steht auf Seiten der Bürger und Verbraucher – will die SZ festhalten und gibt eine Runde Trost aus: Wenn bei der EU in Brüssel "über Maßnahmen gegen steigende Preise beraten" wird, dann ist das "keine politische Mogelpackung", sondern "sie sagt den Bürgern: Wir kennen eure Sorgen. Wir kümmern uns darum.". So viel Mitgefühl der politisch Verantwortlichen für die "kleinen Leute" kommt bei letzteren sicher gut an, wenn es schon mit billigerem Heizöl und Sprit für sie nicht klappt.

Wichtiger aber ist, dass die EU zwar im Moment für die Durchsetzung des Interesses des Verbrauchers machtlos ist, aber doch eigentlich über genügend Macht verfügt, um im Namen des Verbrauchers im weltweiten Ölgeschäft bestimmend mitzumischen. Wenn die EU ihre Macht doch nur endlich einsetzen wollte, dann wäre sie gar nicht mehr machtlos! Und diese Macht soll die Europäische Union auf Antrag der SZ nach allen Seiten in Anschlag bringen. Da kommen in Frage:

Doch man kann die gleiche Sache – ständig steigende Energiepreise – auch genau umgekehrt sehen, wie die SZ tags darauf am 20. Juni belegt. Jetzt ist plötzlich nicht mehr eine Politik gegen den hohen Ölpreis gefragt, sondern es erscheint eher vernünftig, dass der Ölpreis möglichst hoch ist. Wichtig ist nämlich der Kampf "Gegen die Vollgas-Mentalität". Zwar steigt der Ölpreis garantiert nicht deswegen, aber man kann sich ja einfach mal diesen Blickwinkel zulegen und schon hat das teure Öl seine guten Seiten. Der Globus und damit unser aller "Zukunft [muss] vor den üblen Folgen einer mobilsüchtigen Gegenwart" geschützt werden. Der sachverständige Blick nimmt jetzt den Verbraucher als Verursacher allen Übels ins Visier: Die eben noch als Opfer der Preissteigerungen gehandelten Verbraucher huldigen jetzt mit ihren Autos wahlweise dem Verbrechen der "individuellen Fortbewegung" oder fahren einem Wahn hinterher, dem "letzten kaufbaren Mythos auf dieser Welt, der die Träume von Freiheit, Aufbruch und Flucht in sich vereint". So oder so sind die Leute viel zu uneinsichtig, "nicht bereit, weniger Auto zu fahren" und meinen "immer noch, ein Recht auf billigen Kraftstoff zu haben". Gegen diesen verstockten Materialismus auf Rädern kommt den Volkserziehern bei der SZ die Entwicklung an der Tankstelle gerade recht. "Ein hoher Benzinpreis ist gut – nur so denken die Verbraucher um". Für die gute Sache der "Natur und der künftigen Generationen" ist die denkanregende Holzhammerwirkung teurer Preise beim geschröpften Verbraucher eine feine Sache. Nur so nämlich – so die landläufige Meinung, die die SZ hier abruft und bestätigt – "denken die Verbraucher um": Indem es ihnen "ans Portemonnaie geht", sie also fürs Heizen und Autofahren immer mehr Geld hinlegen müssen, werden sie zu ihrem eigenen Glück gezwungen.

Am 24.6. ist "der Verbraucher" als Berufungsinstanz dann endgültig abgemeldet. In der Wirtschaftsredaktion erinnert man sich daran, wer die tatsächlichen Subjekte der kapitalistischen Gesellschaft und damit die wahren Opfer des Ölpreises sind. Die "Unternehmer leiden unter den Kosten, und alle sind betroffen". So werden die Prioritäten zurechtgerückt: Wenn Unternehmer "alle" vom Wohl und Wehe ihrer Kostenkalkulationen betroffen machen, dann soll man bei der Bedeutsamkeit der Nöte der "kleinen Leute" nicht so dick auftragen. Zweitens sieht sich die SZ aber auch zur Überprüfung aufgefordert, ob "unsere" Unternehmer, wenn schon "der steigende Ölpreis die Konjunktur bremst und für verstärkte Arbeitslosigkeit sorgt" denn auch alles Notwendige in Sachen Öl unternehmen, so wie man es sich in München vorstellt. Und da schaut es leider nicht gut aus: Da gibt es die "Autoindustrie, die erst jetzt richtig beginnt, über die Zeit nach dem Öl nachzudenken. Bislang war die Entwicklung halbherzig". Hätten sie doch statt auf den kurzfristigen Profit zu schauen, lieber mal in Zeiten des billigen Öls ein Auto für die Zeit nach dem Öl entwickelt! Für so viel ökonomische Unvernunft gibt es von der SZ bestenfalls die Note "mäßig". Anders bei der Chemieindustrie: "Für die chemische Industrie gibt es überhaupt kein Entrinnen. Sie ist komplett auf das Öl angewiesen und kann in Zukunft bestenfalls verstärkt Kohle einsetzen." Denen kann man also keinen Vorwurf machen, auch die SZ Redaktion weiß leider keinen Ausweg. Insgesamt keine rosige Perspektiven: "Die Industrie wird wie verrückt an neuen Technologien arbeiten. Aber dem steigenden Ölpreis zu entkommen, wird noch sehr lange nicht möglich sein."

Was der Zeitungsleser aus solchen Wirtschaftskommentaren lernen soll und was er daraus lernen könnte, sind zwei Paar Schuhe:

  1. Der einzige Schutz für ihn soll im machtvollen Einsatz seiner Staatsgewalt gegen andere Staaten und ausländische Konzerne bestehen.
    Dass er für diesen vermeintlichen "Schutz" seine Interessen bei seiner Obrigkeit abgeben und für die Durchsetzung dieser dann staatlichen Interessen mit Arbeit, Steuern, Abgaben und am Ende mit seiner Haut gerade stehen muss, ist keiner Erwähnung wert. Das aber ist der harte Kern des Satzes "Deutsche Interessen werden am Hindukusch verteidigt."
  2. Es soll Wichtigeres geben als den besorgten Blick ins eigene Portemonnaie, wenn der Bürger sich endlich einmal klar macht, dass er selbst der Hauptschuldige an so etwas wie der Klimakatastrophe ist. Und ist er nicht willig, so muss er zu dieser Einsicht gezwungen werden. So verarmt der Verbraucher nicht nur zu Recht, sondern auch noch zu seinem und unser aller Besten!
    Auch eine hübsche moralische Verdrehung von Ursache und Wirkung und eine zynische Begründung, warum das Schröpfen von Leuten in Ordnung geht.
  3. Die Sorgen der "kleinen Leute" sollen sich erst recht klein ausnehmen, wenn man den Blick auf die wahren Opfer steigender Energiepreise richtet. Deren Sorgen soll man sich machen, weil "wir alle" doch von deren Gewinn und Wachstum abhängig sind. Wenn sie dann die Beeinträchtigung ihres Gewinns durch den steigenden Ölpreis auf die immer gleich Art und Weise in Angriff nehmen, nämlich indem sie auf die Einkommen ihrer "abhängig Beschäftigten" losgehen, dann muss man das verstehen und sich auf keinen Fall dagegen wehren. So nach dem Motto: "Man soll die Kuh nicht schlachten, die man melken will!" – was aber, wenn diese "Kühe" gar nicht zum Melken da sind?