GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Die FAZ erklärt: Warum brauchen wir das Geld? (Teil 1)

Ideologien - und was sie uns über die Gesellschaft verraten

Seit der Finanzkrise haben die Profis des Geldes eine schlechte Presse, Spekulantenschelte ist in, jetzt ist noch die ‚Realwirtschaft angesteckt’ – Bloß ist unsere Erfahrung: Kaum macht man den doch eigentlich naheliegenden Übergang: Die ‚Herrschaft des Geldes über die Wirtschaft gilt doch auch für die marktwirtschaftliche ‚Realwirtschaft'und diese Geldwirtschaft ist es, die der Menschheit nicht gut tut’, schon macht der Gesprächspartner große Augen und sagt: ‚Aber Geld braucht’s doch; ohne Geld läuft doch in der Wirtschaft nichts’ und begnügt sich lieber mit dem matten Vergnügen, auf Gier von Ackermann & Co zu schimpfen, als aufs Geld als einer notwendigen und nützlichen Einrichtung was kommen zu lassen. – Aus Anlass dieser Erfahrung haben wir jetzt ein Radio-Projekt fertiggemacht, das sich genau damit befasst: wofür das Geld gut ist; und zwar anhand eines Artikels, der neulich in der FAZ erschienen ist.

In einer Reihe „Erklär' mir die Welt“ macht(e) sich die FAZ die Mühe, neben ihrer alltäglichen Berichterstattung über die neusten Winkelzüge von Politik, Wirtschaft und Finanzmärkte einmal ganz grundsätzlich zu werden und ihre Leser darüber aufzuklären, warum die Welt so ist, wie sie ist – was man gestandenen FAZ-Lesern eigentlich immer schon unterstellen kann. Aber man weiß ja nie – die Redaktion jedenfalls hat die Anstrengung nicht gescheut und mit der Frage aufgewartet:

WARUM BRAUCHEN WIR DAS GELD?

Für den praktischen Verstand, der sich mit den Notwendigkeiten einer fertig eingerichteten Marktwirtschaft herumzuschlagen hat, liegt die Antwort natürlich auf der Hand: ohne Geld können ‚wir’ uns nichts kaufen – und das ist ja insofern blöd, weil jeder Gegenstand der Bedürfnisbefriedigung ausschließlich als verkäufliches Gut das Licht der modernen Welt erblickt und: Ein Händewechsel begehrter Güter ohne die Dazwischenkunft eines Kaufakts mittels Geld findet schlicht nicht statt. Mit dem bloßen Fingerzeig auf den alltäglichen Zwang gibt sich die FAZ bzw. ihr Fachmann für Fragen und Antworten, die die Welt bewegen, allerdings nicht zufrieden. Das bloße Deuten auf die Fakten genügt ihm nicht – er will mehr, es geht ihm um den Nachweis der Notwendigkeit, dass ‚wir‘ das Geld brauchen. „Ohne Moos nichts los!“ – dies nicht nur als individuelles Schicksal sondern als gesellschaftlicher Notstand, sozusagen als GAU des menschlichen Zusammenlebens. Zwecks dieses Nachweises hat der Verfasser besagten Artikels seinen Verstand bemüht und sich einmal vorgestellt, dass es gar kein Geld gäbe – ein gewagtes Gedankenexperiment in einer so seriösen Zeitung wie der FAZ. Aber hören wir den Experten doch selber:
„Stellen wir uns vor, wir wollten auf einem Wochenmarkt Brot kaufen, ohne dass Geld existierte. In diesem Fall müssten wir auf dem Markt selbst Güter verkaufen können, um das Brot zu bezahlen. Nehmen wir an, wir hätten uns auf die Herstellung von Runkelrüben spezialisiert. Nun wäre es aus unserer Sicht natürlich am einfachsten, wir könnten Brot gegen unsere Runkelrüben tauschen. Aber was geschieht, wenn der Brotverkäufer gar keine Runkelrüben mag? Dann kommt das Geschäft nicht zustande, zumindest nicht direkt."

Na ja – die Phantasie unseres FAZ-Redakteurs ist freilich äußerst bescheiden, um nicht zu sagen saubeschränkt, denn so richtig vorstellen, dass Geld nicht existiert, kann er sich – stellvertretend für uns – ja gar nicht: wenn ihn nämlich das Bedürfnis nach einem Brot umtreibt, dann denkt er ganz unweigerlich an kaufen, verkaufen und bezahlen – lauter Tätigkeiten, die es nur dann und deshalb gibt, wenn Geld existiert. Bei aller Phantasie bleibt der Autor also auf dem Boden der „Tatsachen“, die zwischen „unsere“ Bedürfnisse und die Mittel ihrer Befriedigung einen Vorbehalt schiebt, der an die Bedienung fremder Eigentumsansprüche erinnert (Brot wird nur gegen Zahlung herausgerückt!). Soweit, dass Brot und Runkelrüben ihre Esser finden, ohne dass ge- und verkauft und gezahlt wird, reicht die Vorstellungskraft unseres FAZ-Vordenkers jedenfalls nicht. Dabei könnte man sich dies ja mal leicht vorstellen – wenn es schon darum gehen soll, sich mal was vorzustellen.

Wie gesagt: die soziale Fantasie der FAZ-Redaktion ist äußerst beschränkt: ein Markt, der Geldfunktionen nötig hat, ohne Geld: saudummer Zustand. Auf die umgekehrte Richtung seines Gedankenexperiments verfällt der FAZler von Haus aus nicht: Was der Menschheit ohne Geld womöglich alles erspart bliebe – z.B. dass unverkäufliche Autohalden und arme Schlucker, die kein Geld zum Autokauf haben, nicht zueinander finden können.

Unser Autor macht – da ist er dann sehr konsequent – da weiter, wo er mit seiner Tour, die Welt aus dem theoretischen Kopfstand zu betrachten, angelangt ist: er will lauter Tätigkeiten vollziehen, die ohne Geld völlig untubar sind – aber er will ja partout mal das Geld wegdenken. Was macht er also? Er ‚sucht’ – was auch sonst – nach einem Geld-Ersatz. Er ‚sucht’ – anders gesagt – nach einer Sache, die nicht wie Geld aussieht aber genau so funktioniert, nämlich als Tauschmittel. Es mag nun ein wenig befremdlich erscheinen, dass der FAZ-Aufklärer seine Leser zunächst in Gedanken in eine bäuerliche Produktion entführt – zudem auch noch in eine hochspezialisierte, die es (haben wir uns sagen lassen) bloß noch in der Wetterau gibt, und auch da nur noch als Nischenprodukt: „Runkelrüben!“ –, aus der er dann ein ebenso spezialisiertes Tauschmittel gewinnt. Bloß ist damit schon offensichtlich, dass die daraus deduzierte Situation dann so befremdlich erscheint, dass es das blindeste Auge schlagen soll: wer mit Runkelrüben zum Brotkauf antritt, begegnet unserem FAZ-Autor, der Brot verkaufen will, aber keine Runkelrüben mag. So konstruiert sich der Aufklärer der FAZ eine ausweglose Situation, weil auf dem Markt des einfachen Warenaustauschs kein „Geschäft“ zustande kommt und Brot- sowie Runkelrübenverkäufer unverrichteter Dinge abziehen müssen und möglicherweise Kohldampf schieben.

Die FAZ-Gedankenbewegung ist so läppisch wie zielstrebig: Man denkt sich einen real existierenden Gegenstand, den es zu erklären gälte (hier: Geld), einfach mal weg und malt sich aus, wie schwer man sich dann täte, ohne Geld das zu erledigen, wofür es Geld braucht. Der Mann will offenkundig den Gegenstand seiner Verstandesbemühungen, das Geld, für seine Existenz belobigen; deshalb denkt er sich das Geld erst weg, aber das, wofür man es braucht, als noch da. So dass man einen Ersatz braucht, aber eben fürs Geld, der dann natürlich bloß ein schlechter Ersatz sein kann für das, wofür das Geld gut ist – also ist Geld gut!

Wir nehmen zur Kenntnis: Offenbar braucht es solche – vom logischen Standpunkt aus – Taschenspielertricks, wenn man Geld gut finden will. Vielleicht gilt dann ja eher die folgende Gesetzmäßigkeit als die, die unser Autor fürs Geld gefunden haben will: Je dümmer die Wissenschaft vom Geld mit ihren Lobhudeleien, desto ungemütlicher ihr Gegenstand.

So weit alles klar? Wo Runkelrüben nicht als Zahlungsmittel taugen, brauchen „wir“ – na was wohl: Geld! Dann haben wir zwar auch noch kein Brot, aber immerhin was „indirektes“ ...

„Mit einer Ware, die von allen Beteiligten akzeptiert wird, kommen die Geschäfte dagegen ganz leicht zustande. Geld vereinfacht den Tausch von Gütern (und Dienstleistungen) ganz erheblich. Erst Geld lässt einen Markt (und damit auch eine ganze Marktwirtschaft) effizient funktionieren.“

Wie gesagt – und um den ketzerischen Gedanken noch einmal zu wiederholen: am ‚einfachsten’ wäre es natürlich, den Tausch von Gütern mal ganz wegzulassen, wenn es denn schon darum gehen soll, dass die Gegenstände der Bedürfnisbefriedigung (Brot etc.) an diejenigen gelangen, die es gebrauchen können. Aber es ist schon klar, dass es unserem FAZ-Fachmann allein beim Gedanken daran gruseln würde, er würde „haltlose Vereinfachung“ monieren, ließe man – auch wenn’s nur in Gedanken wäre – das Geld einmal ganz weg: wo bliebe da der „Markt“? Ohne „Marktwirtschaft“ geht bei ihm nämlich gar nichts – wie gesehen.

Dazu möchten „wir“ dann aber folgendes zu bedenken geben:

a) Sicherlich ist es nicht zu bestreiten, dass man hier und heute Geld benötigt, will man ein Brot haben. Der gar nicht so kleine Schwindel unseres FAZ-Schreiberlings besteht allerdings darin daraus abzuleiten, dass wir von Glück reden können, dass es Geld auch gibt. Der gute Mann suggeriert ja die gelungene Symbiose von ‚Geschäfte machen’ auf der einen und Bedürfnisbefriedigung auf der anderen – tut also so, als wäre eine gelungene Bedürfnisbefriedigung das Resultat eines Gelingens des Marktgeschehens. Das stimmt allerdings nur in einer, nämlich negativer Hinsicht: Ohne Geschäft schiebt sich nix mit Brot. Und dies lässt sich auch so ausdrücken: „Stellen wir uns vor, wir wollten Brot und haben kein Geld!“ – was weniger eine Fiktion ist, sondern häufig, für viele Leute sogar andauernd vorkommt. Denn das ist schließlich die notwendige Kehrseite der guten Nachricht ‚Mit Geld kann man alles kaufen’ - die schlechte Nachricht dazu heißt, dass man ohne Geld ausgeschlossen bleibt von den Gegenständen des Bedürfnisses, weil man keine Mittel – eben Geld – hat, den Ausschluss zu überwinden. Geld ist auf Seiten des Bedürftigen notwendiges Mittel, weil es auf Seiten des Besitzers der Bedarfsgegenstände der Zweck der Operation ist. Oder noch mal anders ausgedrückt: die Befriedigung von Bedürfnissen und Interessen ist abhängig von, wird unterworfen unter einen Zweck, dem diese Befriedigung gleichgültig ist – sie findet nur unter der Bedingung statt, dass Geld erlöst wird. Von wegen also, die Existenz von Geld wäre die einfachste und vernünftigste Art an benötigte Güter heranzukommen. Geld – bzw. wie viel man davon hat – wird zum absoluten Richter über die Bedürfnisse, also darüber, ob und was man sich leisten kann. Und das sollen „alle Beteiligten akzeptieren“ – einfach so und weil es so einfach ist? Das kann doch nicht die ganze Wahrheit sein, doch dazu später noch mehr ...

b) Doch folgen wir zunächst dem FAZ-Autor, dessen Phantasie den festen Bahnen des Marktes folgt, dem heutzutage jeder unterworfen ist. So ist ihm klar, dass der Käufer zuerst einmal Verkäufer sein oder werden muss, um sein Brot zu bekommen. Und so verschroben sein Beispiel auch erscheinen mag („Runkelrüben“) – auch dieses ergibt einen ganz schönen Fingerzeig auf die Organisation der Produktion gesellschaftlichen Reichtums, wie sie unter den Bedingungen von Markt und Geld Usus ist: Jeder spezialisiert sich – d.h. jeder sucht sich ein Gut aus, von dem er sich verspricht, mit ihm möglichst viel Kaufmittel von anderen zu ergattern. Er tritt allen anderen Marktteilnehmern mit eben der selben Erpressung gegenüber wie die anderen ihm gegenüber: Brot, Runkelrüben oder was auch immer gibt es nur für ein Äquivalent. Was – wenn man mal einen Moment zurücktritt vom Willen zur Schönfärberei – eine reichlich absurde Angelegenheit ist: Jeder produziert für die anderen, für gesellschaftliche Bedürfnisse, aber in einer Weise, dass die anderen von den Mitteln ihrer Bedürfnisse zunächst ausgeschlossen sind, so dass alle reihum auch wiederum genötigt sind, den wechselseitigen Ausschluss – mittels Geld eben – aufzuheben. Darüber gerät unser FAZ-Aufklärer natürlich nicht ins Grübeln: Nach dem Motto ‚Was soll Verwunderliches oder gar Schlimmes am Ausschluss sein, wenn er anschließend wieder aufgehoben wird?‘ feiert er die Dazwischenkunft des Geldes zwischen die Bedürfnisse und ihre Befriedigung als Geniestreich der „Vereinfachung“ und „Effizienz“.
Damit verrät unser FAZ-Aufklärer in seiner Tour auch noch einen gar nicht kleinen Haken dieser Sorte gesellschaftlicher Arbeitsteilung: ob sich nämlich der Aufwand zur Herstellung spezialisierter Güter ‚lohnt’, ist gar nicht ausgemacht – es steht eben gar nicht fest, ob diese Güter bzw. die Masse, die jemand hergestellt hat, überhaupt auf ein Bedürfnis treffen bzw. in dem produzierten Umfang absetzbar = gegen genug Geld verkäuflich sind. Ob man also etwas gesellschaftlich Nützliches produziert, ob sich der Aufwand an Arbeit auch gelohnt hat, stellt sich erst hinterher heraus. In der Marktwirtschaft ist der Markt der Richter über die Produktion. Was unserem FAZ-Theoretiker wahrscheinlich ein dickes ‚Bravo’ entlockt – und an anderer Stelle seiner Zeitung bisweilen ein Lamento, wenn mal wieder unzählige Güter vergammeln, verrosten oder ins Meer gekippt werden. Soviel geht ja aus den abstrusen Theoriekonstruktionen der FAZ allemal hervor: Das allgegenwärtige Produzieren für gesellschaftliche Bedürfnisse ist dem Zweck der privaten Aneignung von Geld unterworfen – und dort, wo bzw. wenn dieser Zweck nicht aufgeht, wird der Reichtum in seiner handgreiflichen Form nützlicher Güter vernichtet und die dafür aufgewendete Arbeit im Nachhinein für überflüssig erklärt.

c) Die klammheimliche, weil nie ausgesprochene, aber ganz offensichtliche Unterstellung für die Argumentation dieses Stückes Weltaufklärung besteht darin, dass es für den Autor des Artikels sich wohl von selbst versteht, jedes Stück Reichtum (in seiner gegenständlichen Form) immer schon Eigentum ist. ‚Was denn sonst und das ist auch gut so!’ mag mancher unserer Zuhörer, der FAZ-Leser sowieso, denken. Bloß wollen wir da mal zu bedenken geben, dass Eigentum nicht auf Bäumen wächst, sondern ein Rechtsverhältnis ist und als solches ein Gewaltverhältnis einschließt: Andere werden prima facie von dessen Gebrauch ausgeschlossen. Was umgekehrt ja jedem auch dann auffällt, solange die nützlichen Gegenstände noch im Warenhaus stehen – oder, um noch einmal der Vorstellungswelt unseres FAZ-Autors gerecht zu werden, Brot und Runkelrüben auf dem Wochenmarkt herumliegen, bis jemand Geld hinlegt. Der Usus, für alles und jedes erst einmal Geld hinzulegen, bevor man es seiner nützlichen Verwendung zuführt, zeugt daher von dem Respekt, der vor dem Eigentum verlangt ist und aufgebracht wird. Und dies sicherlich nicht, weil es in der Natur von Brot, Runkelrüben und sonstigem Zeug liegt, jemandem zu gehören. Dafür – nämlich, dass Eigentum das flächendeckende Prinzip gesellschaftlichen Reichtums ist – dafür sorgt eine komplette Staatsgewalt. Nur dann ist ja auch der Zirkus, den die FAZ ihren Lesern in der kindischsten Form schmackhaft machen will, verständlich: denn nur wenn jedes Stück materieller Reichtum als Stück privaten Eigentums mit der Macht staatlich gesicherten Rechts im Rücken existiert, ist der Tausch eine ‚sinnvolle’ Einrichtung: kein Eigentümer will ja ärmer werden, wenn er sein Brot herausrückt; also will er ein Äquivalent – nein, nicht für sein Brot, sondern für sein Eigentum. Und zwar ein Äquivalent in allgemein gültiger Form, die „von allen Beteiligten akzeptiert wird“. Und auch dafür sorgt die Staatsgewalt: sie dekretiert das Geld als die allgemein gültige Gestalt des Reichtums – als das einzige, weil einzig erlaubte Zugriffsmittel auf den materiellen Reichtum und deshalb auch den von allen zu verfolgenden Zweck, es zu verdienen.