GEGENARGUMENTE

Die Einigung im Lehrerstreit - Die österreichische Gewerkschaft stellt klar: Lohnkürzungen ja, aber nur sozialpartnerschaflich ausverhandelt!

Die Ansage der Unterrichtsministerin: Lehrer, antreten zur "Solidarität"!

Unterrichtsministerin Schmied fordert einen Lohnverzicht der Lehrerschaft durch unbezahlte Mehrarbeit. Ohne diesen "Solidarbeitrag" sei angesichts der Krise die Reform des österreichischen Schulwesens nicht zu machen. Der Beitrag sei nicht nur "unabdingbar" – mithin nicht verhandelbar – er sei auch "zumutbar", lässt sie die Öffentlichkeit wissen. Der Staat in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber will die Arbeitsbedingungen der bei ihm Beschäftigten per Gesetz verändern, indem er mehr Arbeit für den gleichen Lohn erzwingt. Demonstrativ unterbleibt zunächst jeder Schein von Verhandlung, zum Nachgeben ist keine Alternative vorgesehen. So ist die pure Machtprobe auf dem Tisch: Die Frage ist, ob sich die Lehrer das gefallen lassen.

Lehrer sollen solidarisch sein. Mit wem eigentlich? Daran, dass die von Schmied zitierten "Opfer der Wirtschaftskrise" – die von den Unternehmen arbeits- und einkommenslos Gemachten und die Kurzarbeiter –, die Nutznießer der von den Lehrern verlangten "Solidarität" sein sollen, ist jedenfalls nicht gedacht. Kein Arbeitsloser bekommt durch den Verzicht der Lehrer irgendetwas, weder einen Job, noch einen Cent mehr. Wie auch: Ihr Einkommen wird von den Unternehmen als eine nicht mehr lohnende Kost befunden. Wenn schon, dann steigt durch die ursprünglich anvisierte Mehrarbeit der Lehrer die Arbeitslosigkeit; wenn Lehrer länger unterrichten, werden weniger Lehrer gebraucht, befristete Verträge werden nicht verlängert, Neulinge erst gar nicht genommen.

Die vom Staat verordnete "Solidarität" der Lehrer und der öffentlich Bediensteten generell hat dem zu gelten, der ihnen die Suppe einbrockt. Damit dessen "Budget nicht aus dem Ruder läuft", sollen sie zurückstecken. Schließlich gibt es Wichtigeres als das Auskommen der Lehrer: Die Rettung des Kreditsystems, zu dessen Nutznießern alle, die jetzt in die Pflicht genommen werden, schon in "normalen" Zeiten nicht gehören. Ausgaben für die Schule sind demgegenüber nachrangig. Außerdem wird man von den Lehrern doch noch verlangen dürfen, dass sie sich ihren Arbeitsplatz wenigstens ein Stück weit selber finanzieren. Immerhin haben sie einen! So gut "wie denen" geht es längst nicht mehr allen, betonen Regierung und Öffentlichkeit unisono! Ein plakativer Hinweis auf die um sich greifende Verarmung, der aber nicht als Kritik an der herrschenden Marktwirtschaft gemeint ist, die den Lebensunterhalt der Bürger an die Erfolge der Kapitalisten - Industrielle, Händler oder Banker - kettet.

Merke: Das Finanzwesen verspekuliert sich und setzt Hunderte Milliarden in den Sand; als Folge bricht die "Realwirtschaft" ein und setzt Tausende auf die Straße; die österreichische "Erfolgsstory" bei der Kreditbewirtschaftung des Ostens ist zu Ende und bedroht das hiesige Bankensystem gleich noch einmal. Die Staaten bestehen darauf, dass diese prekäre Macht des Finanzkapitals das Lebensmittel der Nationen ist und wieder in die Gänge kommen muss. Im Rahmen der "Solidarität" mit den Banken gibt es Staatskredit in ungeahntem Ausmaß – und deswegen geht der haushälterische Standpunkt des Staats umso rücksichtsloser gegen die von ihm abhängigen Einkommensteile der Bürger vor: Damit der österreichische Staat "unsere Banken" – in der Krise ist zumindest propagandistisch das Gemeineigentum ausgebrochen! – aus ihren Miesen herauskaufen kann, dürfen die Lehrer als Vorreiter für den gesamten öffentlichen Dienst herhalten.

So geht gelebte "Solidarität": Damit der Staat der Rettung des Finanzkapitals frönen und den mit deren Kredit wirtschaftenden Kapitalisten helfen kann, besichtigt er seinen Laden kleinlich danach, was er anderswo "sparen" kann. In der Krise triumphiert eine elende Gleichmacherei beim Erzwingen von Opfern, da ist es ein Gebot der Stunde, dass Pleiten und Verluste zwangskollektiviert werden, damit das private Gewinnemachen, für das und "wir alle" leben, weitergehen kann!

Die Gewerkschaft: Protestiert, weil sie nicht kuscheln durfte

Die Gewerkschaft Öffentlich Bediensteter (GÖD) wird von der apodiktischen Ankündigung der Ministerin kalt erwischt. Immer war sie gesprächsbereit, keiner "Reform" hat sie sich verweigert: Gehaltsabschlüsse, die den Namen nicht verdienen, Pensionsreformen im Plural, Umwandlung der Klassenvorstandstätigkeit und Kustodiate in ein schlechter bezahltes Zulagenwesen, Nichtbezahlung der ersten und weniger für weitere Supplierstunden, Reduktion des Wertes der Mehrdienstleistung, die Jahresdurchrechnung in den Abschlussklassen usw. usf. Kurz, die GÖD hat nie "nein" gesagt – und jetzt das! Statt der sozialpartnerschaftlichen Kuschelpraxis des Verhandelns über und des gemeinsamen Durchsetzens von Verschlechterungen, erfährt die GÖD aus den Medien, was die Ministerin beschlossen hat. Sie wird richtiggehend vorgeführt und muss zu ihrem eigenen Leidwesen widerborstig sein, um überhaupt als Verhandlungspartner ernst genommen zu werden.

Ihr Einstieg besteht zunächst einmal in einer Neudefinition der Lage gemäß ihren Bedürfnissen. Den Mitgliedern gehe es nach Auskunft der Gewerkschaft weniger um Lohn und Arbeitszeit, sondern mehr um die Ehre – und hätte die Ministerin sie nicht grundlos beleidigt, würden sie sich gar vieles gefallen lassen:

"Ja, unsere Leute draußen sind streikbereit, weil sie zutiefst empört sind, dass hier eine Maßnahme, eine Finanzmaßnahme der Frau Ministerin damit eingeleitet wird, dass man die eigene Kollegenschaft besudelt. Wir haben uns erwartet, dass die Ministerin als unser oberster Dienstherr vor uns steht und unsere Arbeit lobt. Sie hat uns in der Öffentlichkeit durch den Kakao gezogen und lächerlich gemacht. Und insofern(!) sind unsere Leute draußen streikbereit, aber ich habe dieses Wort "Streik" sicher noch nicht in den Mund genommen." (Gewerkschafter Riegler, ZIB2, 3.3.2009)

Um ihr Recht, als Verhandler von der Ministerin ernst genommen zu werden, zu unterstreichen, beruft die GÖD bundesweite Dienststellenversammlungen aller Lehrer ein, in denen sie sich von den Bediensteten ein- oder mehrtägige Warnstreiks "vorschlagen"(!) lässt, Dienstellenversammlungen also, nicht um einen Streik zu organisieren, sondern um ihre Bedeutung zu demonstrieren. Die Lehrer, empört über den verlangten Lohnverzicht, tun der Gewerkschaft den Gefallen, übererfüllen aber ungeplanterweise den gewerkschaftlichen Auftrag an sie, indem sie die Gelegenheit ergreifen und mit großer Mehrheit für einen - von Seiten der Gewerkschaft gar nicht als Alternative vorgesehenen - unbefristeten Streik stimmen.

In der Sache hält die GÖD eisern an der Lebenslüge gewerkschaftlicher Betätigung fest: Dass der Gegensatz, den die Ministerin aufmacht, doch nicht sein müsste, dass die unvereinbaren Standpunkte doch vereinbar wären, wenn man sie nur fragen und beiziehen würde! - und fordert - um dies zu unterstreichen - vom ersten Tag an nicht einfach die Rücknahme der Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung, nein sie fordert "detaillierte Zahlen"! Eine Absage an die Indienstnahme der Lehrer und ihres Lohns für die Finanzierung der geplanten Reformen sieht anders aus. Denn die dafür relevanten Zahlen liegen ohnehin glasklar und unmissverständlich vor: Mehr Arbeit der Lehrer ohne Gegenleistung. Die GÖD hingegen will nachrechnen, um die verlangten Einsparungen auf Kosten der Lehrer besser hinzukriegen als die Ministerin! Solange die Unterrichtsministerin ihr die geforderten Budgetzahlen vorenthält, verweigert sie Alternativvorschläge, hält der Ministerin sogar entgegen, dass die Mittelaufbringung für die von ihr geplante Bildungsreform nicht Aufgabe der Gewerkschaft sei.

Die Gewerkschaft: Drängt sich auf Kosten ihrer Mitglieder als Partner auf

Seit die GÖD die Zahlen kennt, geht auch sie stillschweigend vom ministeriellen "Einsparbedarf" von 525 Mill. Euro aus und ist in Konkurrenz mit der Ministerin auf der Suche nach "vernünftigeren", "sozialverträglicheren" Arten, an den "Personalkosten" – also an den Einkommen der Lehrer – zu sparen. Diese "verträgliche", die gewerkschaftliche Handschrift hervorhebende Alternative besteht dem Inhalte nach in nichts anderem als einer Umverteilung des Schadens innerhalb der Lehrerschaft. An den Plänen der Ministerin hat ihr nämlich von Anfang an vor allem eines missfallen, dass die von Schmied geforderte Erhöhung Lehrverpflichtung um zunächst zwei und dann immer noch eine Stunde Lehrerarbeitsplätze vernichtet würde:

"Das wäre ein Eingriff ins Arbeitsrecht, würde Tausende Arbeitslose produzieren und die Anstellung von Junglehrern verhindern. Für das kann sich eine Gewerkschaft nicht hergeben. Die Bundesregierung nimmt viel Geld in die Hand, um Beschäftigung zu sichern – und die Ministerin macht einen Vorschlag, der Beschäftigung vernichtet. Das verstehe, wer wolle."(Neugebauer in DiePresse, 16.4.2009)

Das wollte die GÖD nicht zulassen! Zumindest solange sich andere Wege finden lassen, die Kosten des Lehrkörpers zu vermindern! Bei der Suche nach einer Lösung dieses ihres(!) Problems, die beiden(!) von ihr anvisierten Ziele - Verbilligung des Lehrkörpers und Verhinderung arbeitsloser Lehrer - unter einen Hut zu kriegen ist sie fündig geworden.

Man bräuchte doch bloß den länger dienenden und damit teureren Lehrern das Angebot machen, mit Abschlägen frühzeitig in Pension zu gehen, und dafür neue und entsprechend billigere "Junglehrer" benutzen; dann müsste sich bei einigem Geschick bezüglich der Höhe der Pensionsabschläge die von der Ministerin geforderte Verbilligung des Lehrkörpers hinkriegen lassen. An botmäßigen älteren Lehrern sollte es nach Meinung der GÖD angesichts der ihr bekannten und von ihr abgesegneten Arbeitsbedingungen nicht fehlen: "Burn-out!" Sie leistet sich den von einer verhetzten Öffentlichkeit gar nicht gewürdigten Zynismus, die berufsbedingte Zermürbung der Lehrer und das Gehaltsgefälle zwischen jüngeren und älteren Lehrern zum Hebel der Verbilligung des Lehrkörpers insgesamt zu machen.

Keinesfalls will die GÖD den Verdacht auf sich sitzen lassen, durch Verweigerung von Mehrarbeit die Bildungsreform blockieren. Um zu unterstreichen, dass sie sich keineswegs der von der Ministerin und den Elternvereinen wiederholt erhobenen Forderung, die Lehrer müsstenmehr Zeit bei den Schülern verbringen, verschließe bietet sie der Ministerin als besonderes Zuckerl von sich aus die Abschaffung der schulautonomen Tage an und ergänzt so ihre Vorschläge, die das geforderte finanzielle Volumen bringen um das Angebot einer Mehrarbeit der Lehrer:

"Die Lehrer haben in der Verhandlungsrunde am Montag vorgeschlagen, auf die schulautonomen Tage zu verzichten. Diese vier bzw. fünf schulfreien Tage sollen gegen die geplante Erhöhung der Lehrverpflichtung eingetauscht werden. … ‘Wir legen 500 Mio. Euro bar auf den Tisch des Hauses, Schmied und die Regierung würden sich schwertun, dem nicht zuzustimmen.’" (Gewerkschafter Riegler, www.orf.at, 20.4.09)

Statt einer Stunde unbezahlte Mehrarbeit pro Woche – der letzte "Kompromiss" der Ministerin – eine Woche unbezahlte Mehrarbeit pro Jahr! Wie großzügig da ein Gewerkschafter mit dem Geld anderer Leute hantiert: "Sie wollen 500 Mio. geschenkt, in kleinen Scheinen? Niemals! Wir bestehen, darauf, dass sie die 500 Mio. in großen Scheinen nehmen, aber nur nach beinharten Verhandlungen."

Der endgültige Durchbruch gelingt ihr schließlich, als sie darüberhinaus auch noch Prüfungstaxen, die Abgeltung der Vorbereitung der Schüler auf die Reifeprüfung, Überstunden- und Abendschulzuschläge und sonstige Zulagen zur Disposition stellt und außerdem auch noch einer Verdopplung der unbezahlten Einzelsupplierungen zustimmt.

Dieser massive und zukunftsweisende Eingriff in das Zulagenwesen ist der Regierungsspitze sogar die Stundung eines Teils der für die Nutzung der Schulgebäude durch das Unterrichtsministerium fälligen Mietzahlungen an die bundeseigene Immobiliengesellschaft BIG wert - Stundung wohlgemerkt und nicht Erlass! So Pröll in der Tageszeitung Die Presse:

"Erstmals wurde es geschafft, für bestehende dienstrechtliche Vereinbarungen solche Einschnitte zu verhandeln. Aus meiner Sicht beispielgebend auch für die Diskussion in vielen anderen Bereichen."(Pröll in der Tageszeitung Die Presse, 23.4.2009)

Für ihre Anerkennung als gestalterisch tätiger "Partner" opfert die Gewerkschaft wieder mal die Interessen ihrer Mitglieder.

Eine Zeitung, die auf das renitente Getöse der GÖD reingefallen ist, kommt da nicht ganz mit: "Kurios ist, dass die Gewerkschaft höhere Lehrpflicht bei gleichem Lohn bekämpft, Gehaltseinbußen aber akzeptiert." (Kurier 22.4.09)

Außerdem beginnen die Verhandlungen über ein neues Dienstrecht für Lehrer, in dem die ursprünglichen zwei Stunden Mehrarbeit natürlich enthalten sein werden:

"Keine höhere Lehrpflicht. … Für Pädagogen, die bereits länger unterrichten, wird es auch künftig eine solche nicht geben. Für jene, die ab 2010 in den Beruf einsteigen, schon. … das ist Teil des neuen Dienstrechts, über das SPÖ-Bildungsministerin Claudia Schmied und die Gewerkschaft demnächst zu reden beginnen."(ebd.)

Verhandlungen? Mit der GÖD? – Das Fest für Schmied geht weiter! Die Gewerkschaft bedankt sich einstweilen bei ihren Mitgliedern:

"Wie Sie den Medien sicher entnommen haben, hat es in der Nacht eine Einigung zwischen der ARGE Lehrer und BM Schmied gegeben. Dieses Ergebnis durch die Gewerkschaft ist nur mit Ihrer Unterstützung an den Dienststellen möglich gewesen. Dafür ein herzliches Dankeschön an Sie und Ihre KollegInnen, die mit uns solidarisch waren."