GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Friedensnobelpreis für Barack Obama

Man lernt nie aus: Heiße Favoriten auf den Friedensnobelpreis sind – so konnte man der Preisträgerliste entnehmen – vorzugsweise Staatenlenker, die einen Krieg, den sie selbst geführt hatten, in ihrer Amtszeit beendet haben. Heuer kommt’s noch besser: Der neue Preisträger legt bei einem Krieg, den er von seinem Vorgänger geerbt hat, noch ein paar Zähne zu und darf den Friedenspreis zeitgleich mit seinem Beschluss entgegennehmen, zusätzliche Truppen zu entsenden, damit er in Afghanistan – ja, was wohl? – noch besser Frieden stiften kann. 

Am 10. Dezember wird dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama der Friedensnobelpreis überreicht. Ausgezeichnet wird damit ein „neuer Hoffnungsträger auf dem internationalen Parkett“. Die Hoffnung, die das Nobelpreiskomitee auf den neuen Mann setzt, ist zugleich – das hat die Öffentlichkeit schnell herausgespürt – eine Kritik an seinem Vorgänger George W. Bush. Der hatte mit seinem rigorosen Kurs den europäischen Politikern ganz schön zugesetzt, weswegen aus dieser Ecke – vor allem aus dem von Bushs Verteidigungsminister Rumsfeld abfällig so genannten „Alten Europa“ und Russland – einhelliger Beifall kommt. Diese Politiker glauben zwar nicht, dass ein amerikanischer Präsident bloß wegen eines Preises aufhört, strikt das amerikanische Interesse zu verfolgen, aber sie sehen sich – zwar nur moralisch, aber immerhin – bestätigt in ihrer kritischen Haltung gegenüber Bush, der seinerzeit ihre Machtambitionen so „unilateral“ abgebügelt hatte.

Nur zur Erinnerung: Bush hatte entschieden, dass spätestens nach dem 11. September 2001 alle irgendwie gearteten antiamerikanischen Umtriebe zu bekämpfen sind. Somit stand nicht weniger als eine neue Art Weltkrieg auf dem Programm. Sein „Global War on Terror“ war getragen von der Überzeugung, dass der Einsatz unbedingt überlegener Kriegsmaschinerie das einzige Erfolg versprechende Mittel darstelle, die Feinde Amerikas zu vernichten und die Gleichschaltung der Staatenwelt zu erzwingen. Die Diplomatie der Bush-Politik, die im Wesentlichen aus Imperativen, Drohungen und demonstrativer Ignoranz bestand, entsprach diesem Programm: Unbotmäßige Regime und störendes nationales Beharren auf eigenen Rechten, statt sie sich zuweisen zu lassen, war definitiv nicht mehr hinzunehmen. Auch und gerade das „Alte Europa“ und Russland haben das zu spüren gekriegt.

Diese anti-terroristische Weltordnungspolitik ist Obama zufolge gescheitert. Amerika ist nicht sicherer geworden; der Terror ist weiter unbesiegt. Auch nach Beendigung des Kalten Krieges sind immer noch russische Atomwaffen auf amerikanische Städte gerichtet; gleichzeitig wächst die Weiterverbreitung von Atomwaffen. Daneben diagnostiziert er, dass während der Bush-Ära alte Bündnispartner der USA auf Distanz gegangen sind und mit Russland und China neue Großmächte erstarken. Eine Bedrohungslage, die den neuen Präsidenten schaudern macht. Dagegen muss was unternommen werden.

Sein erster Entschluss ist, die Kriege in Irak und Afghanistan durch einen anderen Einsatz amerikanischer Machtmittel zu effektivieren: Truppen im Irak werden von dort abgezogen, um im Gegenzug die Front in Afghanistan stärken und auf Pakistan ausweiten zu können. Priorität hat, den Taliban endgültig den Garaus zu machen. Obama setzt alles daran, die laufenden Kriege erfolgreich zu beenden – einen Abzug soll es selbstverständlich erst nach einem Sieg geben. Er gibt also nicht Frieden, sondern will mit viel Einsatz militärischer Gewalt Frieden erzwingen – das heißt: Wenn Amerika die Region verlässt, soll sie so hergerichtet sein, dass dort Vorrang und Durchsetzung amerikanischer Interessen auch ohne ständige kriegerische Absicherung gewährleistet sind.

Präsident Bush wird vorgeworfen, die Diplomatie sträflich vernachlässigt zu haben. Dabei ist sie doch ein wichtiges Instrument, die Ansprüche Amerikas anderen Staaten vor Augen zu führen und deutlich zu machen, dass man gewillt ist, seine Interessen gegen die anderen durchzusetzen, um auf diese Weise Einverständnis und Gefolgschaft zu erzielen. In den Worten der Außenministerin: „Ich freue mich darauf, mit Ihnen allen daran zu arbeiten, die Führungsrolle der Vereinigten Staaten durch Diplomatie zu erneuern, die unsere Sicherheit erhöht, unsere Interessen voranbringt und unsere Werte widerspiegelt“. Hilary Clinton freut sich also darauf, den anderen Staaten mitzuteilen, was die neue amerikanische Strategie beim Weltordnen ist und wie sie dabei vorkommen. Die freundliche Vereinnahmung für „unsere“ Sicherheit, Interessen und Werte versteht jedenfalls keiner der Angesprochenen falsch. Mit „unser“ ist immer Amerika gemeint, das allerdings im Umgang mit seinen Konkurrenten weniger auf Frontbildung und strikte Unterordnung unter amerikanische Direktiven und Interessen setzt, sondern mehr auf die Organisation von Bündnissen, um die „gemeinsamen Aufgaben“ anzugehen.

Auch in diesem harten Kern der politischen Ansagen der Regierung Obamas entdeckt das Osloer Nobelpreiskomitee, getragen von dem Prinzip Hoffnung, lauter gute Absichten und es verklärt dessen Politik zu „außergewöhnlichen Anstrengungen, die internationale Diplomatie und Zusammenarbeit zwischen Völkern zu stärken“. Vor allem hat das Komitee „die spezielle Bedeutung von Obamas Vision einer Welt ohne Kernwaffen und seiner Arbeit dafür bekräftigt“.

Der Vorwurf, dass Obama noch gar keine Zeit gehabt habe, um seine Visionen Wirklichkeit werden zu lassen, wurde schon vorhergesehen – genau das sei es doch, was die Juroren aus Norwegen zu unterstützen gedenken: Obamas gewalttätiges Wirken z. B. in Afghanistan darf nicht den Blick darauf verstellen, dass er „den Menschen Hoffnung auf eine bessere Zukunft“ gibt. Unerschütterlich hält das Nobelpreiskomitee an der Bedeutung von Visionen in der Politik fest, die irgendwie, irgendwann künftig mal realisiert werden könnten. Partei genommen wird für politische Ideale und damit für die Politik, die sich auf sie beruft und so der Botschaft des Nobelpreiskomitees Recht gibt, dass es doch eigentlich die Ideale sind, nach denen sich die Politik zu richten hätte. Das glauben zwar sehr viele Menschen, aber wer kann dafür schon alljährlich mit Pauken und Trompeten und unter heftiger Anteilnahme der Weltöffentlichkeit einen teuren Preis ausloben. Erst das macht doch was her!

Das Nobelpreiskomitee folgt streng der Logik des Vermächtnisses des seligen Alfred Nobel: Seit 1901 – also immerhin zum 90. Mal – verleiht es seinen Preis an Personen oder Organisationen „für Beiträge zur Verbrüderung zwischen den Völkern, die Verminderung oder Abschaffung von stehenden Heeren und Förderung und Abhaltung von Friedenskongressen“. Dass die bald 100 Friedensnobelpreisverleihungen nur beweisen: die Welt ist eine unfriedliche Angelegenheit, beirrt das Nobelpreiskomitee nicht im Geringsten – das ist vielmehr seine bleibende Geschäftsgrundlage. Es geht nicht der Frage nach, was für einen Sprengstoff der politische Verkehr zwischen Staaten beinhaltet, warum ihre Ansprüche aneinander so feindseliger Natur sind, dass sie regelmäßig auch mit Waffengewalt ausgetragen werden, nämlich dann, wenn diplomatische Erpressung nichts mehr fruchtet und der Staat, dem die Ansprüche gelten, nicht klein beigeben will. Das Komitee hält sich stattdessen – im übertragenen Sinne – an den Sprengstoff seines Namensgebers. Der Rüstungsindustrielle Alfred Nobel sagte, er „hasse den Krieg“, und träumte von der Absurdität, „einen Stoff oder eine Maschine schaffen (zu) können von so fürchterlicher, massenhaft verheerender Wirkung, dass dadurch Kriege überhaupt unmöglich würden“. Als ob die Existenz von Gewaltmitteln irgendeinen Staatsmann wegen der unübersehbar grausamen Wirkung von ihrem Einsatz abhalten würde – schließlich sind es doch die staatlichen Machthaber, die solche Waffen in Auftrag geben und mit ihrem Einsatz kalkulieren. Die Illusion von Waffen als Mittel der Kriegsverhinderung ernst genommen, müsste der Friedensnobelpreis alljährlich der Rüstungsindustrie für ihre Verdienste bei der Verfolgung von Alfred Nobels „Traum“ verliehen werden…

Mit dem Preisgeld sollen Menschen guten Willens unterstützt werden: sowohl Politiker, wie auch allerlei Mutter Theresas, die es sich neben dem real existierenden Armuts- und Gewaltgeschehen zur Aufgabe machen, sich für eine bessere Welt einzusetzen. Für die ist das Nobelpreiskomitee da: Die Preisverleiherei ging los mit Henry Dunant, dem Begründer des Internationalen Roten Kreuzes, und in zwei darauf folgenden Weltkriegen war das Friedenskomitee von der aufopfernden Leistung des Roten Kreuzes so angetan, dass der Preis während heftigster Stahlgewitter den Rot-Kreuz-Kriegsopfer-Betreuern zuerkannt wurde. Darauf ist eben Verlass: Neben dem und im Kriegsgeschehen gibt es immer eine gar nicht kleine Zahl praktizierender Humanisten, die sich an den Folgen von Gewalttaten abarbeiten und Verletzte zurechtflicken. Wenn die Soldaten nach erfolgreicher Pflege dann wieder fronttauglich gemacht sind, geht die Gutmenschen dieses Ergebnis nichts weiter an. Der Stoff für weitere gute Taten geht ihnen auf jeden Fall nicht aus.

Das Preiskomitee unterscheidet nach dem Willen seines Stifters nicht weiter zwischen Politikern und anderen von Friedensidealen getriebenen Menschen – als gäbe es keinen Unterschied zwischen einem Obama und einer Rotkreuzschwester. Politiker werden egalisiert zu Menschen, die nichts als Frieden wollen. Dass und warum es notwendigerweise immer wieder zum Krieg kommt – davon will das Nobelpreiskomitee nichts wissen. Es setzt einfach dagegen: Es ist doch besser, wenn Frieden herrscht, keiner kann wollen, dass es Krieg gibt. Gibt es ihn dann doch, ist er irgendwie „ausgebrochen“ bzw. Politiker waren unfähig, ihn zu verhindern. Lässt man die Redeweise vom „Ausbrechen des Krieges“ einmal stehen, so ist doch immerhin festzuhalten, dass nicht Hinz und Kunz Krieg führen, sondern Staaten. Selbst wenn man von den Gründen, warum sie das tun, nichts wissen will, so muss man doch zumindest zur Kenntnis nehmen, dass die handelnden Subjekte noch allemal die verantwortlichen Politiker sind. Die kommen immer wieder mal an den Punkt, wo sie Krieg für unumgänglich halten – und wenn sie beteuern, es gehe ihnen dabei nur um den Frieden, sollte man das ernst nehmen. Frieden ist nämlich der Zustand, in dem die eine Kriegspartei verloren und die andere ihren Willen mit überlegener Gewalt und daher (völker‑)rechtmäßig durchgesetzt hat. Frieden, um es mal zugespitzt zu sagen, ist gar nicht zu haben ohne Krieg. Und er herrscht so lange, wie der unterworfene Staat das Kriegsergebnis nicht revidieren kann oder will. Frieden bezeichnet den Zustand, in dem sich die Gründe für den nächsten Krieg anhäufen – und deswegen hält es jeder Staat für unbedingt erforderlich, eine Armee zu unterhalten und sie aufzurüsten, und Staaten, denen ihre Gewaltmittel aus der Hand geschlagen wurden, unternehmen alles, um sich wieder welche zu beschaffen. Selbstverständlich verstehen sich alle Staaten auf die Rechtfertigung, sie bräuchten die Waffen nur, um sich gegen die Aggression anderer zu schützen – wenn sich aber alle immer nur verteidigen, wie kann es dann jemals zum Krieg kommen?

Es ist also schon ein starkes Stück, wenn das Nobelpreiskomitee – nicht zum ersten Mal – einen aktiven Kriegsherrn ehrt. Andererseits bleibt es damit auch nur dem ideologischen Auftrag treu, den es sich auf die Fahnen geschrieben hat: Gute Menschen befassen sich nicht mit den Gründen, warum Krieg und Frieden mit eherner Regelmäßigkeit einander ablösen, statt dessen verschreiben sie sich ziemlich stur der schönen Illusion, bei konstantem Einsatz aller Friedensfreunde würden die unschönen Seiten dieser Welt irgendwann einmal verschwinden. Krieg ist in dieser Sichtweise schon fast eine Gelegenheit: An ihm kann man doch sehen, wie sehr es „uns allen“ – wozu auch und gerade die Politiker zählen – um den Frieden zu gehen hat. Solange man nicht wissen will, was ‚Frieden‘ wirklich ist, geht das sicherlich noch weitere 100 Mal.

Lesetipp:

Obamas „Change“ in der Weltpolitik

http://www.gegenstandpunkt.com/gs/09/3/gs20093057.html
GegenStandpunkt 3-09

Einleitung: http://www.gegenstandpunkt.com/gs/09/3/gs20093057.html



[1] In insgesamt 19 Jahren wurde „kein würdiger“ Friedensnobelpreisträger gefunden. Insbesondere während der beiden Weltkriege war sich das Nobelpreiskomitee zwangsläufig nicht schlüssig, wer von den Kontrahenten als Friedensstifter, wer als Kriegsverbrecher in die Weltgeschichte eingehen würde und verzichtete, abgesehen von den Preisen für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in den Jahren 1917 und 1944, auf eine Preisverleihung.