GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Die Operation „Gegossenes Blei“ im Gazastreifen

Israels Antwort auf die Gefahr einer Zweistaatenlösung

Ende Dezember gibt Regierungschef Olmert der israelischen Armee den Befehl, die Operation „Gegossenes Blei“ zu starten:
„Die Operation wurde nach der Verletzung der Bedingungen der Waffenpause durch die Hamas und den unaufhörlichen Angriffen durch die Hamas-Behörde auf israelische Zivilisten im Süden des Landes gestartet.“ (Kommuniqué des Sicherheitskabinetts, Haaretz, 27.12.)
Schon aus der für diesen Krieg gewählten Metapher geht hervor, dass er das Schicksal der Hamas ein für allemal besiegeln soll. Doch Israels Politiker, die so ihr Recht auf die „Operation“ aus der Verletzung des Waffenstillstands durch die Hamas ableiten, erklären auch selber in diplomatisch kaum verklausulierter Form, was sie mit diesem Krieg erreichen wollen:
„Das Wichtigste ist, der Hamas einen Schlag zu versetzen. Darüber hinaus müssen wir das Problem des Waffenschmuggels über die ägyptische Grenze in den Griff bekommen ... Dies ist kein Krieg, der mit einem Friedensabkommen beendet werden kann. Die Hamas erkennt Israel nicht an, sie ist nicht zu einem Ende des Terrors und der Gewalt bereit. Unser Krieg gegen die Hamas ist noch lange nicht vorbei, selbst wenn die derzeitige Militäroperation irgendwann zu Ende geht.“ (Außenministerin Livni, Der Spiegel, 3/09) – „Wir führen einen totalen Krieg (all-out war) gegen die Hamas und ihresgleichen … Israel befindet sich in einem Krieg bis zum bitteren Ende.“ (Verteidigungsminister Barak, Haaretz, 29.12.) – „Das Ziel ist, die Gleichung zu verändern, Abschreckung zu schaffen, so dass sie so lange wie möglich mit dem Schießen aufhören.“ (Generalstabschef Herzog, Haaretz, 1.1.)
Mit ihrem Dauerbombardement des Gazastreifens bereitet die israelische Luftwaffe eine 14-tägige Bodenoffensive vor, die sie dann mit ihren Einsätzen weiter begleitet. Alle Waffenstillstands-Appelle der Internationalen Gemeinschaft weist Israel als „unzulässige Einmischung in seine Sicherheitsbelange“ zurück und beschließt nach drei Wochen einseitig die Einstellung der Kampfhandlungen, weil es seine Ziele erreicht habe – nicht ohne sich ausdrücklich vorzubehalten, auf künftige Angriffe der Hamas mit noch größerer Härte zu reagieren.
I. Die Besprechung in der deutschen Presse
Während sich die demokratische Öffentlichkeit in Israel überlegt, ob ‚shock and awe’ richtig angekommen sind, die Abschreckung jetzt vielleicht endlich mal sitzt – und daher vor allem die Frage aufwirft, ob die israelische Armee nicht schon wieder zu früh aufgehört hat, nähern sich deutsche Journalisten dem fernen Krieg mit einer Schilderung des Kriegsablaufs. Die Bilder von der Verwüstung des Gazastreifens, vom Niedermachen der Hamas und ihres Anhangs sollen für sich sprechen – eine Auskunft über den Kriegszweck will man ihnen nicht entnehmen. Die vorgestellte Kriegsbilanz ist eine der Opferzahlen, die Vorführung der „Kollateralschäden“ eines asymmetrischen Kriegs: Während auf palästinensischer Seite 1300 Tote, 5000 Verletzte und 20.000 Obdachlose zu verzeichnen sind, beklagt Israel 10 gefallene Soldaten, 3 tote Zivilisten und eine Reihe verletzter und unter Schock stehender Personen. Die Präsentation der Disproportionalität der eingesetzten Waffen – so erfährt man, dass der Hightech-Armee Israels auf der anderen Seite ein Arsenal von selbst gebastelten bzw. vom Iran durch dunkle Kanäle und ein Tunnelsystem eingeschleusten, relativ wirkungslosen Kurzstrecken-Raketen gegenübersteht – und der daraus resultierenden Leichenzahlen ist bei aller Liebe zum Detail unsachgemäß: eine gekonnte Nicht-Befassung damit, worum es in diesem Krieg geht. Statt sich zu fragen, warum der Staat Israel es für nötig befindet, so viele Opfer zu schaffen, steht für die Beobachter fest, dass es so viele nicht hätten sein müssen. Die Klage über das Leid der Betroffenen ist aber nicht nur eine Abstraktion vom Zweck der israelischen Kriegshandlungen, sondern will auf eine Deutung des Kriegs hinaus. Während sonst das Schicksal der Kriegsopfer Parteilichkeit für deren Sache evozieren soll, sprechen in diesem Fall die 1300 toten Palästinenser nicht gegen den weit überlegenen Gegner, sondern gegen die Hamas, die das eigene Volk in einen „sinnlosen Krieg“ verstrickt und „feige Deckung in Wohngebieten“ sucht. Und sie sprechen für Israel, das sich „in Notwehr“ handelnd „heimtückischer Angriffe auf Zivilisten“ zu erwehren hat und Verletzungen des eigenen Territoriums unterbinden muss, die sich „kein Staat dieser Welt bieten lassen“ kann. Statt einer Beurteilung des Kriegs soll sich das deutsche Publikum gleich die Rechtfertigung zu Gemüte führen, die Israel selbst zu seiner Aktion mitliefert: Es war Notwehr!
Existenzrecht contra Terrorismus
Mit der Bundeskanzlerin sind sich die Journalisten einig, dass Israel das Recht hat, alles zu tun, um seine „Bürger zu schützen“ und sich gegen die „Bedrohung seiner Existenz“, gegen den „Terror der Hamas“ nämlich, zu wehren. Mag das israelische Zerstörungswerk dem Publikum in noch so drastischen Bildern präsentiert werden: wem unsere Sympathie gehört und uneingeschränkte Solidarität gebührt, steht unerschütterlich fest. Aus den Opfern auf Seiten der Palästinenser folgt keine Sympathie für deren „Befreiungskampf“, sondern Abscheu über den Zynismus ihrer Führer, die ihr Volk verheizen und unablässig den Staat Israel provozieren. Suchen hingegen verängstigte jüdische Bürger vor den Einschlägen der Kassam-Raketen Schutz in den Bunkern, dann „muss“ die israelische Regierung „reagieren“ und die „radikalen Palästinenser“ ausschalten. Ganz selbstverständlich übernehmen die hiesigen Medien den Standpunkt des jüdischen Staates und haben dabei keinerlei Befürchtung, damit ihrem Ehrenkodex, der Objektivität der Berichterstattung, zu widersprechen – schließlich haben „wir“ gegenüber Israel eine besondere Verantwortung.
Daher erscheint die Bombardierung des Gazastreifens durch die israelische Luftwaffe als Wahrnehmung der Fürsorgepflicht gegenüber den gefährdeten jüdischen Staatsbürgern, während bei den Gewaltaktionen der Hamas, die die Aufhebung der Blockade und damit das Überleben der Palästinenser erzwingen sollen, ein klarer Fall von Terror vorliegt. Am „Schutz der Bürger“ als Rechtfertigung von Israels Vorgehen besteht auch dann kein Zweifel, wenn in den ersten Kriegstagen wegen des einsetzenden massiven Raketenbeschusses durch die Hamas mehr zivile Opfer auf israelischer Seite anfallen als im ganzen Jahr zuvor; und dass israelische Bürger in Uniform ihr Leben lassen müssen, ist in so einer „Notlage“ überhaupt kein Gegenargument.
Im Übrigen machen die Zeitungsschreiber sich und ihren Adressaten nichts vor und hängen den „Schutz der Bürger“ auch wieder tiefer:
„Was Israel mit seinem Militärschlag im Gazastreifen bezweckt und erreichen möchte, ist keine gewagte Vermutung. Es verspricht sich Sicherheit vor einem eskalierenden Raketenbeschuss und vielleicht noch anderes mehr.“ (Neue Zürcher Zeitung, 10.1.)
Dass für israelische Strategen Sicherheit mehr ist als die Unterbindung des Raketenbeschusses, ist kein Geheimnis. Realistisch denkenden Journalisten ist klar, dass Israel sich eine Militäraktion Marke ‚shock and awe’ schon deswegen schuldig ist, weil eine regionale Supermacht keine feindlichen Drohpotenziale um sich herum dulden kann:
„Abschreckung war auch das Ziel der israelischen Militäraktion im Gazastreifen. Der Raketenbeschuss der Hamas-Kämpfer und anderer Terrorgruppen sollte gestoppt werden; den Palästinensern sollte der Preis, den die Zivilbevölkerung für solche ‚Nadelstiche’ zahlen muss, vor Augen geführt werden. Darüber hinaus zielte die Abschreckung auch auf die Waffenlieferanten und Konflikttreiber in Teheran und Damaskus. Israel, so heißt die Botschaft, ist bereit, alle seine militärischen Fähigkeiten aufzubieten und auch die Missbilligung der weltweiten öffentlichen Meinung in Kauf zu nehmen, um seine Sicherheit, letztlich seine Existenz, zu verteidigen.“ (FAZ, 22.1.)
Ein mutiges Völkchen! Traut sich glatt abzuschrecken! Wenn in der Nachbarschaft kein Gras mehr wächst, Israel alles – bei Strafe eines neuerlichen militärischen Vorgehens – unter Kontrolle hat und damit klarstellt, was für eine Macht diese Nation sich anmaßt und ausübt, dann wird dem Schreiber nicht angst und bange. Schließlich muss „Konflikttreibern“ das Handwerk gelegt werden, die es auf Israels Existenz abgesehen haben. Der FAZ-Kolumnist will „letztlich“ – für die Existenz Israels ist die anspruchsvollste Definition von Sicherheit geboten – den Rechtstitel Israels für alle seine Kriege, „Verteidigung des Existenzrechts des jüdischen Staats“, genauso extensiv verstanden haben wie dessen Politiker: Durch „Nadelstiche“ in Form von ohnmächtigen Gewaltaktionen aus den besetzten Gebieten, mit denen die „militanten Palästinenser“ sich gegen den Terror Israels wehren, sieht sich der jüdische Staat in seiner Existenz bedroht, weil damit immer noch deren Ansprüche auf einen eigenen Staat in den Grenzen von 1967 fortleben; sein Existenzrecht steht auch auf dem Spiel, wenn Syrien als Bedingung für einen Friedensschluss Anspruch auf Rückgabe des Golan erhebt, und vor allem dann, wenn der Iran ihm sein Atommachtmonopol in der Region streitig machen will. Sein Verteidigungsrecht fällt folglich nicht einfach etwas üppiger aus als das seiner Nachbarn, es schließt das der anderen explizit aus. Mit viel Einfühlungsvermögen in Israels spezielles Sicherheitsbedürfnis propagiert die deutsche Öffentlichkeit, dass der Staat der Juden seine Territorial- und Machtansprüche absolut setzen und jedem, der diese bestreitet, eine gewaltsame Lektion erteilen darf.
In Bezug auf den Kriegsgegner, die Hamas, schließen sich die Meinungsbildner der Qualifizierung an, die die politischen Führer in Israel, den USA und der EU festgelegt haben: Hier handelt es sich um eine „terroristische Gruppierung“. Was die Hamas politisch will, ist nicht nur unerheblich, sondern mit Terrorismus treffend charakterisiert: Zerstörung von allem, was „wir“ an Werten schätzen, aus purer Bösartigkeit und islamischem Fanatismus. Das zeigt schon ein Blick in ihre Charta von 1988, in der immer noch das Existenzrecht Israels bestritten wird – ein willkommener Beleg dafür, dass Israel zu Recht die Vernichtung dieser Gruppierung betreibt. Wer anführt, die Hamas habe seit Jahren schon klargestellt, ihre Bereitschaft, sich mit dem Staat Israel zu arrangieren, hänge von Israels Rückzug auf die Grenzen von 1967 ab, verharmlost ihre Gefährlichkeit und outet sich als Sympathisant von Terroristen. Und die Niedertracht dieser Gruppe zeigt sich am schlagendsten darin, dass sie weder offen das Schlachtfeld betritt noch, unterlegen wie sie ist, kapituliert bzw. sich abschießen lässt. Wer jetzt noch einwendet, dass sie wegen ihrer Schwäche den Guerillakampf als einzig mögliche Art der Kriegsführung wählt, verdreht die Tatsachen: Perfide versteckt sie sich in zivilen Einrichtungen, greift aus Flüchtlingslagern die israelische Armee an und nimmt „die eigene Bevölkerung als Geisel“. Sie ist darum schuld an den Opfern des israelischen Bombenhagels:
„Rund 1300 Tote, mehr als 5300 Verletzte – der Blutzoll, den die Palästinenser dafür entrichten mussten, dass die Hamas meinte, Israel provozieren zu können, ist furchtbar hoch ... Der (Bevölkerung des Gazastreifens) muss die Behauptung der Hamas, das Volk habe einen großen Sieg errungen, wie blanker Hohn vorkommen. Tatsächlich hat das palästinensische Volk den überhaupt nicht heroischen Kampf der Hamas mit einem hohen Preis bezahlt.“ (FAZ, 20.1.)
So steht von vornherein fest, welche Seite im Recht ist und welche verlieren soll.
Bedenken hinsichtlich des Kriegs – innerhalb gebotener Grenzen
Von diesem festen Standpunkt aus machen sich unsere Medien Sorgen darum, ob die gute Seite auch alles richtig macht. Dabei scheren sie sich nicht um die Zwecke, die Israel tatsächlich mit seiner „Aktion“ verfolgt. Stattdessen unterwerfen sie die Kriegführung ihrer kritischen Begutachtung, ob Israel damit seinen eigentlichen Zielen dient, die wir besser kennen als es selbst und unter dem Titel ‚dauerhafte Friedenslösung’ zusammenfassen. Nur unter der Bedingung, dass sie da Fortschritte erblicken können, wollen sie dem Gemetzel ihre Billigung erteilen. Gegen erwarteten Einspruch verwahren sie sich vorweg, indem sie ihr über jede Kritik erhabenes Kritikmotiv ins rechte Licht setzen; das entspringt nämlich keineswegs einer „Arroganz“ gegenüber dem jüdischen Staat, sondern „unserer besonderen Verantwortung für Israel“. Und die nehmen wir wahr, wenn wir grundsätzliche Versäumnisse der Regierung  feststellen müssen:
„Das Land ist in den Krieg gezogen, ohne drei grundlegende Fragen positiv beantwortet zu haben. Wer einen Krieg startet, muss zuvor sämtliche Möglichkeiten genutzt haben, ohne Armee-Einsatz sein Ziel zu erreichen. Ein Krieg muss zudem die Proportionen wahren. Und er muss die Chance in sich bergen, das Kriegsziel erreichen zu können. In allen drei Punkten steht Israel schwach da. Israel hat nie mit Hamas versucht zu reden, 820 tote Palästinenser und 13 tote Israelis sprechen für sich, und ein konkretes Kriegsziel hat die Regierung bis heute nicht formuliert.“ (SZ, 12.1.)
Eben noch wurde uns der israelische Standpunkt nahe gelegt, mit Terroristen dürfe nicht verhandelt werden und die einzig adäquate Antwort auf die Hamas sei ihre Entwaffnung und Vernichtung – und jetzt müssen sich Olmert und Livni mangelnde Gesprächsbereitschaft nachsagen lassen! Offensichtlich hat sich der Konfliktberater von der SZ mit seinem Urteil „Dialog versäumt!“ dazu entschlossen, das Umnieten von Terroristen für eine unangemessene Problemlösung halten – der Weg, sie in die Kapitulation reinzuquatschen, erscheint ihm zielführender. Er hätte sich auf jeden Fall vor diesem Krieg ein paar grundlegende Fragen vorgelegt, so dass ein korrektes Vorgehen gar nicht hätte ausbleiben können. Auch „ein Krieg“ „muss“ sich an bestimmte Regeln halten – wo kämen wir schließlich hin, wenn jeder einfach ohne präzise Zielangabe darauf los schießen würde! Darf man den Schreiber fragen, bei wem er sich dieses „Muss“ abgeholt hat? Wer hat diesen Kriegsknigge erfunden? Nationen, die sich zu einem Krieg entschlossen haben, jedenfalls nicht. Mit der Erfindung eines Verhaltenskodexes für anständige Kriege stülpt der gestrenge Kritiker dem Gazakrieg erst eine fallunabhängige Norm über, um ihn anschließend als Verstoß gegen diese Norm Punkt für Punkt zu problematisieren. In dem abzuarbeitenden 3-Kriterien-Katalog ist der Krieg nicht wiederzuerkennen; er firmiert als Mischung aus einer Polizeiaktion, in der dem Delinquenten erst seine Rechte vorgelesen werden müssten, und einer Konfliktlösungsstrategie, in der – wenn man gewisse Vorgaben beachtet – militärische Gewalt als reinigendes Gewitter ihre wohltuende Wirkung entfalten soll. Israel muss sich daher einige absurde Vorwürfe anhören: Wie konnte man dort nur die Geduld verlieren und den gar nicht geknüpften Gesprächsfaden abreißen lassen? Unterstellt, ein Krieg als Strafmaßnahme gegen die Hamas ist nötig, okay; aber dem Feind ein Strafmaß zu verpassen, das alle Proportionen sprengt, welch schlimmer Lapsus! Darf man jemand, der sich an der Bewältigung solch abgehobener und moralisch kniffliger Probleme zu schaffen macht, überhaupt mit der Erinnerung belästigen, dass es sich beim Kriegführen nicht um die Praktizierung einer Gleichgewichtstheorie handelt? Und mit der Frage stören, was denn ein dem Kritiker genehmes Verhältnis der anfallenden israelischen und palästinensischen Leichen wäre? Und wenn sich Israel schließlich auch noch seine Chancen für eine befriedigende Konfliktlösung dadurch zunichte macht, dass es nicht weiß, worauf es mit seinem umfassenden Vernichtungswerk hinaus will, braucht es sich nicht zu wundern, wenn es hinterher keinen Frieden bekommt und schon wieder den nächsten Krieg planen muss. Dass es, wie Außenministerin Livni im Spiegel-Interview (s. o.) sagt, bei der jetzigen „Operation“ gar nicht darum geht, durch Krieg Frieden zu erreichen, lässt ein deutscher Kommentator einfach nicht gelten.
Auch wenn der eben zitierte Schreiber die Disproportionalität der angefallenen Opfer bemängelt, zu einer den Sachverhalt simplifizierenden Verurteilung will er sich nicht hinreißen lassen. Er kennt nämlich die Motive der israelischen Seite, die sich da auf den ersten Blick so „erschreckend“ „gewalttätig“ präsentiert:
„Die Mitleidlosigkeit mit den zivilen Opfern des Krieges ist erschreckend. Sie könnte daher rühren, dass Israel sich allein gelassen fühlt und niemandem traut, nur noch sich selbst. Ein Offizier gab jetzt zu, die Armee sei ‚sehr gewalttätig’ und schrecke vor keinen Mitteln zurück, denn Soldatenleben schützen sei wichtiger als das palästinensischer Bürger. So wird Israels Krieg gegen Hamas auch zu einem Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Unendliches Leid wurde bislang verursacht, unendlicher Hass hervorgerufen. Der Schaden ist unermesslich.“ (ebd.)
Nachsichtig bemüht er den Kritikverbots-Topos, den Israels offizielle Vertreter unter beifälligem Nicken ihrer westlichen Gesprächspartner zu verwenden pflegen: Die Juden sind von je her von der ganzen Welt im Stich gelassen; daher sei ihrem Staat jede mögliche „Überreaktion“ zuzubilligen. Sich in den jüdischen Nationalcharakter einfühlend kann der Autor zwar nachvollziehen, dass Israel den Schutz seiner Soldaten über alles stellt und über Hunderte palästinensischer Leichen geht – allerdings nicht, ohne eine weitere Problematik zu bedenken zu geben: Kann es sich der Judenstaat mit seinem Hang zur ‚Gewalttätigkeit’ wirklich leisten, sich immer unbeliebter zu machen bei seinen Feinden? Kann ihm wirklich gleichgültig sein, welch seelische Verwüstung und welchen Aggressionsstau er mit seinen Bomben bei den Gaza-Insassen anrichtet?
Diese kritischen Töne gehen manchen Meinungsbildnern schon zu weit. Sie nehmen all ihren juristischen Verstand zusammen, um Israel vom Vorwurf des Kriegsverbrechens und des Völkerrechtsbruchs zu entlasten. Kaum werfen sie die Frage auf, ob Israel alle Möglichkeiten zum Schutz der Zivilbevölkerung im Krieg ausgeschöpft hat, weisen sie sie mit einer zweiten rhetorischen Doppelfrage zurück: Lässt sich das Völkerrecht überhaupt anwenden bei dieser Form des asymmetrischen Krieges? Und ist es überhaupt zumutbar, von einer Partei zu verlangen, die Zivilbevölkerung zu schützen, wenn sie aus zivilen Wohngebieten heraus angegriffen wird?
„Was das zwingende Gebot der größtmöglichen Schonung von Zivilisten angeht, sind dabei hohe, aber keine überspannten Anforderungen zu stellen. Ein effektiver Eigenschutz muss immer möglich sein. Ansonsten würde auch das humanitäre Völkerrecht pervertiert. Zivile Ziele dürfen nicht gezielt beschossen werden. Aber was ist, wenn zivil und militärisch verschwimmen?“ (FAZ, 7.1.)
Während dieser Meinungsmacher pragmatisch klarstellt, dass im Falle Israel „überspannte“ humanitäre Anforderungen deplatziert sind und die Messlatte des Kriegsrechts tiefer gehängt werden muss, argumentiert ein anderer streng rechtssystematisch, es könne nicht im Sinne des Kriegsrechts sein – dessen Logik er mit seiner Überlegung ganz gut erwischt -, der überlegenen Partei den Sieg unmöglich zu machen:
„Die Begrenzung des Krieges ist notwendig, schon aus humanitären Gründen und nach dem Kriegsvölkerrecht, doch eine hohe Kunst mit großem Risiko. Bei fanatischen Feinden wie Hizbullah oder Hamas steigt dieses Risiko wegen der andersartigen Rationalität und den absolut gesetzten Zwecken dieser Kriegsparteien. Das gilt besonders, wenn der Gegner jeden dauerhaften Frieden ablehnt und – wie Hamas – das Existenzrecht Israels nicht anerkennt. ‚Verhältnismäßigkeit der Mittel’ bedeutet dann in letzter Konsequenz Verzicht auf Erfolg und Verlust der Fähigkeit zur Abschreckung. Solange seine Truppen in Gaza sind, ist Israel ohnehin verantwortlich für die Ordnung und Versorgung der besetzten Gebietsteile und muss sich dort als fremde Okkupationsmacht mäßigen. Auch dies kompliziert die Operationen und den Erfolg des Feldzuges, von den späteren politischen Folgen ganz abgesehen. Gegen die Macht der Bilder von Tod und Elend kann sich das Militär nur schwer durchsetzen.“ (FAZ, 8.1.)
Israel hat es ohnehin schon schwer bei seinen Kriegen gegen einen Gegner, der kein gesittetes Völkerrechtssubjekt ist, Israels Existenzrecht bestreitet, die feindliche Kriegspartei nicht anerkennt und mit Mitteln jenseits aller staatlichen „Rationalität“ kämpft. Anstatt anklagend den Finger gegen Israel zu erheben, sollte man lieber die kunstvolle, aber äußerst riskante Begrenzung dieses Kriegs würdigen; die Gratwanderung bewundern, die Israel bei seiner „komplizierten Operation“ versucht, als Besatzungsmacht gleichzeitig noch Krieg in einem dicht besiedelten Gebiet zu führen; also in Rechnung stellen, wie sich hier die Pflichten eines Okkupanten mit der Leichtigkeit und der Notwendigkeit des Kriegsführens ins Gehege kommen. Stattdessen präsentieren „die Medien“ mit Vorliebe die dunklen Seiten des Krieges, so dass Israel und sein geplagtes Militär imagemäßig den Kürzeren ziehen. Schön, dass es wenigstens ab und zu noch Journalisten gibt, die Israel und seinen Problemen Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Ein „enttäuschendes Ergebnis“ – der Krieg eine Fehlentscheidung
Wenn die Regierung in Jerusalem sich über Kriegsverlauf und -ergebnis zufrieden äußert: eine „brillante Operation“ (Olmert), und Israels rechtsnationale Opposition allenfalls auszusetzen hat, dass die Vernichtung der Hamas zu früh beendet wurde, dann fangen die Experten hierzulande an zu warnen. Vor Gefahren, die man in Israel nicht fürchtet – weil es den Frieden nur zu seinen Bedingungen haben will. Unsere Kritiker aber ahnen schon bei Beginn des Krieges Schlimmstes und prophezeien Fürchterliches: Der nicht hergestellte Frieden wird sich rächen! Weil sie Israel den Auftrag erteilen, der ‚Frieden schaffen’ heißt, sie seine Kriegsoffensiven an diesem Maßstab beurteilen, sehen sie schwarz und ihren Pessimismus anschließend prompt bestätigt. ‚Die radikalen Palästinenser’ in die Schranken weisen und ‚die gemäßigten’ um Abbas stärken, um eine Zweistaatenlösung zu finden und sich mit dem arabischen Lager auszusöhnen – dafür hätte die Olmert-Regierung Krieg führen dürfen, aber Fehlanzeige! Der Feldzug ist für uns eine einzige Enttäuschung, für den Judenstaat aber eine Katastrophe:
„Obwohl kein Problem gelöst wurde, scheinen einige Resultate des Dreiwochenkrieges schon jetzt gewiss zu sein.“ „Durch den Krieg hat die Hamas einige hundert Mann, aber nicht die Kontrolle über Gaza verloren. Das Gros ihrer Kämpfer und die wichtigsten Führer haben überlebt. Die Vorstellung, sie könnten unter dem Bombenhagel ihre Waffen niederlegen ... war von vornherein unrealistisch ... Abbas ist belastet, weil seine jahrelangen Friedensverhandlungen mit Israel und Amerika selbst für das Westjordanland absolut nichts gebracht haben.“ (SZ, 22.1.)
Das Vernichtungsprogramm gegen die Hamas ist als „unrealistische“ Option auszusortieren, weil es, wie sich zeigt, gar nicht geht – die Führer der Hamas laufen ja immer noch frei herum; und vor allem deshalb, weil man sich in der Redaktion der SZ nicht vorstellen kann, wie das schonend erledigt werden könnte. Der israelische Terrorkrieg hat Formen angenommen, die ein zivilisierter Westeuropäer kaum noch tolerieren mag – weshalb man die Schlächterei daran blamiert, dass sich zu viel vorgenommen wurde. Hätten die israelischen Strategen die Meinung des Experten von der SZ eingeholt, hätten sie die Finger davon gelassen, Terroristen mit Bomben klein kriegen zu wollen. Das Hamas-Problem wäre längst elegant erledigt, hätten Olmert und Livni Abbas in den vorausgegangenen Friedensverhandlungen unterstützt und seine Partei als attraktive Alternative zur Hamas aufgebaut. Stattdessen ist jetzt die Palästinensische Autonomie-Behörde demontiert, die Hamas bleibt im Gazastreifen am Ruder, und der Frieden ist in unerreichbare Ferne gerückt. Wenn schon die Taten der israelischen Regierung so wenig zu den Aufträgen passen, die der SZ-Schreiber sich für sie zu recht gelegt hat, wäre da der Gedanke nicht naheliegend, dass sie andere als die ihr untergejubelten Ziele verfolgt? Solche Gedanken sind ihm aber fremd. Dann wäre es ja aus mit dem Wehklagen über das Scheitern der Versöhnung mit der arabischen Welt, und auf die schöne Pointe, dass Israel der Hauptgeschädigte in diesem Krieg ist, müsste er auch verzichten:
„Mehr denn je ist Israel in der arabisch-islamischen Welt zum Paria geworden, und nie war die Bereitschaft in der Region so gering, den jüdischen Staat auf Dauer als Nachbarn und Partner zu akzeptieren. Dabei hatten Hoffnungen auf einen haltbaren Frieden, Sicherheit und Normalität gerade darauf beruht, Israel werde sich eines Tages als verträgliches Gemeinwesen in ein arabisches Umfeld integrieren lassen. – Diese Utopie liegt nun in den Trümmern von Gaza begraben, für Jahre, wenn nicht für die Frist einer Generation. Bis dahin freilich werden sich die demographischen und politischen Gegebenheiten wandeln – und nicht unbedingt zum Vorteil Israels.“ (ebd.)
Gewisse Gefahren hat der Experte allerdings den Sorgen der israelischen Politiker einfühlsam abgelauscht: Er hat Verständnis für die Nöte eines Staats, der seinen Charakter als Judenstaat bewahren will – und verknüpft sie mit der „Utopie“, ein jüdischer Staat müsste von der arabischen Nachbarschaft endgültig akzeptiert und darüber seinerseits „verträglich“ werden. Warnend unkt er, es könne auf Dauer nicht gut gehen, sich gegen die Umgebung feindselig abzugrenzen und gleichzeitig das jüdische Wesen rein zu halten – und abstrahiert dabei vornehm von der vom „Paria“ Israel (und seinem Paten, den USA) eingesetzten Gewalt, aufgrund derer ihm die scheelen Blicke der Nachbarn nichts anhaben können. Dass Israel dank seiner überlegenen militärischen Macht schon längst nicht nur „politische Gegebenheiten“ umbuchstabiert, sondern auch dem drohenden „demografischen Wandel“ durch präventive Maßnahmen – von der Ausgrenzung der israelischen Araber über den Ausbau der Siedlungen bis hin zum Krieg gegen die ‚militanten Palästinenser’ – begegnet, störte nur die idealen Kreise, innerhalb derer sich der hoffnungsfrohe Vordenker Israels bewegt. Dass Israel auf die Weise Fakten schafft, statt sich von bedrohlichen Realitäten mäßigen zu lassen, hindert den Herren Kassandra von der SZ jedoch nicht, seine Stimme zu erheben, um die Kriegsherren in Tel Aviv vor noch gefährlicheren Folgen ihres Zuschlagens zu warnen:
„Die Sinnlosigkeit des Gaza-Kriegs, der weltweit antisemitische und antiisraelische Strömungen verstärkt, zeigt sich am fortgesetzten Raketenbeschuss Israels durch Hamas-Terroristen. Es ist naiv zu glauben, Israel könne Hamas zerstören. Deren Kämpfer fürchten sich nicht vor Israels Truppen, weil der Tod als Märtyrertum verklärt wird. Hamas braucht Israels Krieg, um zu existieren.“ (SZ, 12.1.)
Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass der Krieg allen weltweit im Umlauf befindlichen Vorurteilen gegen den jüdischen Staat neue Nahrung zuführt – und damit dem deutschen Anti-Antisemitismus das pro-israelische Werben nicht gerade leichter macht, müssen wir der israelischen Führung vor allem zu bedenken geben, dass so ein „sinnloser“ Krieg eigentlich überhaupt nichts erreicht – außer eins: die Falschen, Israels Feinde nämlich, zu stärken. Der Krieg treibt der unterlegenen Mannschaft die Sympathisanten zu, stärkt also die Hamas, weil Israel die Irrationalität seiner Gegner nicht berücksichtigt hat: Denen kommt der Krieg gerade recht, um die Gemeinde ihrer Fans zu erweitern, die sich unbedingt mit ihrem Opfertod ins Paradies katapultieren wollen1, wo die schönen „Huris“, die 72 Jungfrauen, schon auf sie warten. Das Gegenmittel, dass „wir“ gegen diesen Irrsinn anzubieten hätten, wäre eine superraffinierte Lösung und strategische Meisterleistung: Einfach mit ihnen reden, statt ihnen mit Gewalt zu kommen, wie sie es erwarten!
„Die wichtigste Waffe im Kampf gegen Hamas hat Israel bis heute nicht eingesetzt: Worte, Verhandlungen, Diplomatie, Grenzöffnungen. Früher oder später aber wird verhandelt werden müssen. Hoffentlich früher.“ (ebd.)
Wann versucht Israel endlich, der Hamas ihr Lebenselixier Krieg zu entziehen? Es wird dringendst empfohlen, den Forderungen der Hamas entgegenzukommen und sie durch Nicht-Führen des Kriegs zur Vernunft zu bringen!
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So wird das Feindbild von der Hamas bestätigt und zugleich Israels Antiterrorkrieg in Frage gestellt. Das Publikum soll sich fragen, wann sich Israel endlich im eigensten Interesse an den Verhandlungstisch begibt. Ein gut geschulter Leser ergreift nicht einfach Partei für die in Jerusalem beschlossenen kriegerischen Aktionen, sondern beherrscht mit seinen Lehrmeistern die Heuchelei, den unparteiischen Schiedsrichter zu markieren: ‚Wir’ sind gewiss nicht die 5. Kolonne Israels, sondern beweisen mit unseren friedenspolitischen Ordnungsvorschlägen unsere berechtigte, begründete Parteilichkeit.
Unbestellte Ratschläge und Hilfsangebote
Nach dem Krieg warten die deutschen Kommentatoren eilfertig mit konstruktiven Vorschlägen auf, was Israel tun solle, um sich aus der „verfahrenen“ Lage zu befreien: humanitäre Hilfe, Wiederaufbau und Wiederaufnahme des Friedensprozesses lauten die altbekannten Rezepte, nämlich die Forderungen an Israel, die aus deutscher Sicht im Interesse einer stabilen Nahost-Ordnung  erfüllt werden müssen. Dabei fällt man nicht plump mit der Tür ins Haus: Man zeigt Verständnis für die Probleme des jüdischen Staates, die der allein unmöglich bewältigen kann. Weil Israel mit seinen „Schwierigkeiten allein überfordert“ ist, braucht es dringend unseren Rat, wie es aus der „Sackgasse“ herauskommt:
„Die Israelis scheinen sich angesichts der Umstände damit abgefunden zu haben, dass es zurzeit nicht einmal einen ‚kalten Frieden’ geben kann, sondern bestenfalls einen verlängerten Waffenstillstand, der die unmittelbare Bedrohung ihrer Städte vermindert. Sie sollten jetzt nachholen, was sie bisher versäumt oder durch harte Kontrollen verhindert haben: Im Westjordanland, wo die Fatah regiert, müssten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse soweit verbessern, dass die palästinensische Bevölkerung den Vorteil eines friedlichen Arrangements mit Israel erleben kann. Dazu gehört auch eine konsequente Beendigung der israelischen Besiedlung.“ (FAZ, 22.1.)
Zur Ausschaltung der Hamas bedarf Israel der Mitarbeit des schwierigen Partners Ägypten, und für die anstehende Neuordnung in der Region müssen dazu berufenere Mächte antreten, die die Parteien vor Ort „in Verhandlungen zusammenzwingen“ (Joschka Fischer). Damit die sich endlich bewegen, muss ihnen drastisch klar gemacht werden, dass es so nicht weiter gehen kann:
„Im Gazastreifen ist ein Arrangement noch schwerer zu finden. Ein Ende der Blockade würde der Bevölkerung dort helfen, aber auch unweigerlich von der Hamas propagandistisch ausgebeutet werden. Und zweifellos wird, falls das Grenzregime gelockert wird, auch der Waffenimport aus Ägypten wieder zunehmen, gleichzeitig mit einem Zuzug islamistischer Fanatiker nach Ägypten. Die Lage ist verfahren, ohne kurzen Ausweg. Erst wenn alle Seiten dies akzeptieren, gibt es wieder Aussicht auf Fortschritte.“ (ebd.)
In solch vertrackter Lage, die nur durch erfahrene Diplomaten von Weltniveau zu beheben ist, ist es gut, dass ein „ausgewiesener Freund Israels“ mit seinem Rat zur Verfügung steht. Der ehemalige Außenminister Fischer weiß in solch heiklen Fragen Bescheid und findet den richtigen Ton, den Judenstaat zu kritisieren, ohne sich den Verdacht des Antisemitismus einzuhandeln. Ist es doch nur zu Israels Besten, seine Politik zu ändern und „Hilfe von außen“ anzunehmen.
„Israel hat seit seiner Gründung 1948 sieben Kriege gegen seine arabischen und palästinensischen Nachbarn geführt, einschließlich des jetzigen in Gaza ... Was aber hat sich für Israel durch all diese Kriege seit seiner Gründung strategisch verändert? Die Antwort lautet: Nicht allzu viel. Denn strategisch ist die Ausgangslage im Kernkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern in den vergangenen 60 Jahren nahezu unverändert geblieben ... Bis heute bleibt die zentrale Frage für beide Seiten unbeantwortet: Wo beginnt, wo endet Israel, wo Palästina? ... Alle Beteiligten wissen, dass dabei am Ende nur die Grenzen vom Juni 1967 für beide Seiten unter Schmerzen akzeptabel sein werden, unter Einschluss Jerusalems und eines verhandelten, kleineren Gebietsaustauschs. Alles andere bleiben böse Wunschträume, für die weiter Unschuldige ihr Leben werden lassen müssen. Weder wird Israel verschwinden, noch werden die Palästinenser die weiße Fahne hissen und gehen.“ (Gastkommentar, SZ, 27.1.)
Strategisch soll sich dort in den letzten 60 Jahren „nicht allzu viel verändert“ haben?! Ist Fischer etwa entgangen, dass Israel in diesem Zeitraum politische Fakten geschaffen hat, so dass es seinem Traum von einem Groß-Israel beträchtlich näher gekommen und die Schaffung eines palästinensischen Staates immer mehr verunmöglicht worden ist? Hat er vielleicht nicht zur Kenntnis genommen, was es aus der UN-Parole von der fälligen Zweistaatenlösung gemacht hat? Dass es mit dieser Vorgabe der internationalen Gemeinschaft so umgegangen ist, sie als Floskel zu akzeptieren, aber alles zu unterbinden, was zu deren Realisierung beitragen könnte. Dass es den Palästinensern einen eigenständigen Staat buchstäblich verbaut hat – durch die Errichtung eines Zauns weit ins Westjordanland hinein und den Ausbau von Siedlungen mitten im Palästinensergebiet. Und dass ihm zu all dem von seinem Paten Amerika der Segen erteilt wurde. Dass sich der israelische Staat also inzwischen die Position erobert hat, auf Ansprüche der EU überhaupt nicht eingehen zu müssen und es sich zu leisten zu können, auf Appelle aus Amerika nur sehr zögerlich zu reagieren und die Grenzen der Toleranz der großen Schutzmacht auszutesten. Und jetzt, wo die strategische Lage gründlich verändert und die ganze Gegend kaum mehr wiederzuerkennen ist, soll sich nach wie vor die Frage stellen: „Wo beginnt, wo endet Israel, wo Palästina?“ Diese zu Zeiten der israelischen Staatsgründung heikle Frage, als noch um jedes Dorf Krieg geführt und das gewonnene Territorium systematisch arrondiert wurde, hat längst eine ganz andere Bedeutung gewonnen: Heute ist das Offenhalten dieser Frage ein Pfund, mit dem der israelische Imperialismus diplomatisch wuchert, um alle Ansprüche abzuschmettern, die den eigenen entgegenstehen – also darauf zu bestehen, dass eigentlich das ganze Territorium vom Mittelmeer bis zum Jordan „Eretz Israel“ ist.
Dem Kenner der kniffligen Materie ist natürlich gar nichts entgangen, weder die veränderte Lage noch die gewachsenen Ansprüche Israels, wenn er eine „strategische Kernlage“ behauptet, die seit 1948 unverändert auf der Agenda steht. Aber weil er der Auffassung ist, dass nicht Israel, sondern die Weltaufsichtsmächte über Grenzziehung und Staatsgründung zu befinden hätten, beruft er sich auf die Rechtslage nach den UN-Resolutionen und erklärt diese für die immer noch gültige Lage, die den einzig vernünftigen Maßstab für die immer noch ausstehenden Regelung des Konflikts abgeben könne:
„Obwohl dies nach all den Jahrzehnten des Konflikts mehr als klar ist, wurden und werden die Bedingungen für eine Zwei-Staaten-Lösung immer schlechter ...  mit dem Sieg der Hamas über die Fatah und Präsident Abbas sind die Palästinenser zurück auf Los gegangen, in das Jahr 1948. Denn die Hamas lehnt jeden Frieden mit Israel ab und ist maximal zu einem befristeten Waffenstillstand bereit ... Und auf israelischer Seite wiegen 200.000 Siedler in der Westbank und der weitere Ausbau der Siedlungen mehr als alle hehren Worte über zwei Staaten. Zu Recht bestehen angesichts der von Israel geschaffenen Fakten am Boden ernste Zweifel, ob eine Zwei-Staaten-Lösung überhaupt noch durchsetzbar sein wird. Der Krieg in Gaza wird diesen negativen Trend noch massiv verstärken. Denn eines lässt sich jetzt schon mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen: Einen politischen Totalschaden auf palästinensischer Seite haben Präsident Abbas und die Fatah erlitten.“ (ebd.)
Solange keine Zwei-Staaten-Lösung geschaffen ist, soll also die Lage nicht wirklich verändert sein: Die Fortschritte Israels bei seiner Landnahme durch die Siedlungspolitik; die erfolgreiche Diskreditierung der palästinensischen Ansprüche auf einen eigenen Staat als „Terrorismus“ der Hamas bzw. als „Unfähigkeit“ von Abbas, ein friedliches Gemeinwesen zu organisieren; die systematisch betriebene Verschlechterung der Lebensbedingungen der Palästinenser in der Westbank und im Gazastreifen, mit der die Diagnose Israels endgültig unterstrichen wird, dass aus Palästina kein Staat zu machen ist; die damit erfolgte Klarstellung an die Adresse der übrigen Welt, dass sie sich nicht mit einem politischen Status quo in der Region arrangieren kann, den Israel als unhaltbare Bedrohung betrachtet – all das gilt Herrn Fischer nicht als erfolgreiche Durchsetzung der israelischen Staatsgewalt gegen den palästinensischen Willen zu eigener Staatsgründung, sondern als Verfolgung eines „bösen Wunschtraums“, mit dem Israel die einzig haltbare Friedenslösung verhindert: „zwei Staaten Seite an Seite“.
So lässt Fischer die Erfolge Israels einfach nicht gelten und plädiert für ein entschlossenes Einschreiten der Weltordnungsmächte. Als realistischer Diplomat lässt er den USA den Vortritt, allerdings nicht, ohne ihnen die nötige Strategie vor- und eine entscheidende Verpflichtung mitzugeben: die Pflicht zur Geschlossenheit, also zu einer kooperativen Beteiligung der anderen Aufsichtsmächte. Mit dieser unverfänglichen Formel gibt er nebenbei zu verstehen, dass in dem fälligen Friedensdiktat der europäische Rechtsanspruch auf eine nützliche Nahost-Ordnung zum Zuge kommen muss:
„Will man dieses strategische Dilemma, in das sich beide Konfliktparteien hineinmanövriert haben, aufzulösen versuchen, dann wird dies nur von außen gehen: Erstens müssen die USA versuchen, Syrien und Iran in eine regionale Lösung einzubinden, die auch die Bedingungen für beide Konfliktparteien im Nahostkonflikt grundsätzlich verändern würde. Und zweitens müsste den Konfliktparteien die Zwei-Staaten-Lösung von außen aufgezwungen werden. Dabei wird die Entschlossenheit der USA  ebenso wie die Geschlossenheit der wichtigsten internationalen Akteure von entscheidender Bedeutung sein. Scheitert eine solche von außen aufgezwungene Lösung, so wird schon während der ersten Jahre Barack Obamas die gesamte Region in eine gefährliche Konfrontation hineinrutschen, die nicht auf Israel und die Palästinenser beschränkt bleiben wird.“ (ebd.)
Die Hilfestellung, die Fischer dem Staat Israel wie seinem palästinensischen Widerpart anbietet, besteht also darin, dass die USA und Europa beide in eine Friedensordnung hineinzwingen. Schließlich können ‚wir’ es uns doch nicht bieten lassen, dass regionale Konfliktparteien Verhältnisse schaffen, die wir gar nicht bestellt haben! Damit hat unser ehemaliger Außenminister sein Bestes gegeben und alles Wesentliche vermeldet: Der Weltordnungsgeist, der aus Herrn Fischer spricht, darf nicht übergangen werden!
Der Grund der kritischen Parteilichkeit – das deutsch-israelische Verhältnis
Idealismus wie Ignoranz, die die westliche und allen voran die deutsche Öffentlichkeit gegenüber den wirklichen Kriegszielen Israels an den Tag legen, zeugen davon, dass diese durchaus zur Kenntnis genommen werden. Eine explizite Kritik an ihnen verbietet sich zwar im Namen der Parteilichkeit für Israel – Holocaust! In Form eines Wunschzettels, auf dem „Mit-Gestaltung“ beim „Friedensprozess“ und „Neu-Ordnung“ des Nahen Ostens ganz obenan stehen, wird man aber doch anmelden dürfen, dass ‚uns’ das ewige Kriegführen Israels nicht passt. Die pseudo-konstruktive Kritik am Vorgehen der nahöstlichen Vormacht, das ewige Genörgel über die verpassten Möglichkeiten eines Friedensprozesses, speist sich aus einem speziell deutschen und europäischen Leiden: Die Regierungen in Europa verfügen nicht über die Macht, Israel zur Ordnung zu rufen. Eine ungebetene Einmischung bei der Regelung der in der Region anstehenden Gewaltfragen lässt es einfach nicht zu. Die Europäer müssen zur Kenntnis nehmen, dass Jerusalem seit Jahrzehnten mit der Rückendeckung durch die USA Beschlüsse der internationalen Staatengemeinschaft ignoriert und allenfalls Handlangerdienste für seine Sicherheitsinteressen in der Region gestattet. Und mit jeder militärischen Offensive werden europäisch finanzierte Aufbauprojekte bei den Palästinensern dem Erdboden gleich gemacht. Alle Versuche Europas, seine wirtschaftlichen und politischen Interessen in der Region geltend zu machen, ganz zu schweigen von den Anläufen, sich die „Mittelmeeranrainer“ als EU-Hinterhof zuzuordnen und selber zur Vormacht im Broader Middle East zu avancieren, werden durch Israels Auftreten als regionale Supermacht gebremst, wenn nicht völlig vereitelt. Die europäischen Politiker von Weltformat sind laufend damit konfrontiert, dass die Rolle des Platzanweisers längst vergeben ist. Die USA bestehen auf ihrem Aufsichtsmonopol und der Sonderrolle, die sie für ihren special ally vorgesehen haben: Er soll in dieser strategisch bedeutsamen Weltgegend den arabischen und iranischen Nationalismus in die Schranken weisen. Wegen ihrer Unzufriedenheit mit dieser Lage suchen die europäischen Führungsnationen, jede auf ihre Weise, Israels Offensivdrang zu mäßigen, ohne sich dabei offen in Gegensatz zu ihm zu stellen. Deutsche wie überhaupt die europäischen Politiker präsentieren sich daher gerne als Anwalt israelischer Sicherheitsinteressen, auch wenn bzw. gerade weil sie der jüdische Staat ganz anders definiert als seine hilfsbereiten Freunde. Sie berufen sich auf diplomatische Titel, auf die sich Israel in der Vergangenheit verpflichten ließ und die durch die einschlägigen UN-Resolutionen Rechtsverbindlichkeit beanspruchen, wie den „Friedensprozess“, „Land für Frieden“, die „Zwei-Staaten-Lösung“ und die „Versöhnung mit der arabischen Welt“, um sich in Nahost als Ordnungsmacht einzuklinken. Sie wollen Israel bändigen, seine Rolle als regionale Supermacht auf ein handlicheres Format zurecht stutzen Sie wollen sich einfach nicht damit abfinden, dass der jüdische Staat Europa mit ständig neu geschaffenen strategischen Fakten konfrontiert. Jeder Krieg macht den Einfluss, den sich die EU erobert zu haben erhoffte, zunichte, weil er klarstellt, dass sie nichts Entscheidendes gegen Israel aufzubieten hat. Der Gazakrieg ist wieder so ein Fall.
II. Der Gazakrieg
Die Amtszeit Georg W. Bushs war aus Israels Sicht ein „einmaliger Glücksfall“ (Olmert). Unter keinem anderen US-Präsidenten hat Israel so viel politischen Handlungsspielraum gehabt und von keinem soviel Unterstützung erhalten. In seiner Ära hat die Regierung in Jerusalem wichtige Fortschritte in der Auseinandersetzung mit den Palästinensern und im Verhältnis zu den Nachbar-Staaten erzielt. Zufrieden geben will sich Israel mit dem Erreichten allerdings nicht:
Israels Bilanz am Ende der Bush-Ära
Sein Konflikt mit den Palästinensern ist von Amerika zum Bestandteil des Antiterrorkriegs erklärt worden, den die USA mit ihren Verbündeten weltweit führen. Inzwischen wird von allen maßgeblichen Mitgliedern der „internationalen Gemeinschaft“ und selbst von den gemäßigten arabischen Staaten – insbesondere Ägypten und Saudi-Arabien – der gewaltsame Widerstand der palästinensischen Gruppierungen gegen die Besatzungsmacht, ihr bewaffneter Kampf für einen Palästinenserstaat als Terrorismus geächtet. Israel wird zugestanden, dass es „in Sicherheitsfragen keine Kompromisse“ schließt und bei allem, was es als „Bedrohung seiner Existenz“ definiert, nur noch militärische Lösungen sucht. Der „Friedensprozess“ ist damit de facto von der Tagesordnung abgesetzt. Israel weigert sich, mit der Hamas zu verhandeln, weil „Terroristen nur die Sprache der Gewalt verstehen“. Abbas kann nach Olmerts Bekunden nicht als echter „Friedenspartner“ fungieren, weil er die „Infrastruktur des Terrors“ nicht ausmerzt und wegen seiner Schwäche „nicht für die Palästinenser spricht“. Außenministerin Livni lässt sich zwar pflichtgemäß zu den von den USA auf der Konferenz in Annapolis/Maryland verordneten Gesprächen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde herbei, weigert sich aber, wie die Gegenseite berichtet, über die entscheidenden Fragen – Festlegung der Grenzen, Rückkehr der Flüchtlinge und Status von Jerusalem – zu verhandeln. Den in Annapolis vereinbarten Verpflichtungen, Abbau der „illegalen“ Außenposten und Siedlungsstopp, kommt die Regierung nicht nach, im Gegenteil: sie treibt den Ausbau der großen Siedlungsblöcke im Westjordanland stärker voran als je zuvor, behandelt sie als quasi israelisches Staatsgebiet und beruft sich auf ein Schreiben von Bush, in dem er deren Räumung als „unrealistisch“ bezeichnet. Der Ring jüdisch besiedelter Trabantenstädte um Jerusalem steht kurz vor der Vollendung, auf dass die Teilung der „ewigen Hauptstadt“ endgültig unmöglich wird. Durch die Zerstückelung des Westjordanlandes blamiert Israel die politische Linie des „gemäßigten“ Abbas, der seinen Landsleuten predigt, mit Gewaltverzicht könnten die Palästinenser die Unterstützung der USA gewinnen und dadurch erreichen, dass der Judenstaat einen palästinensischen neben sich zulassen müsse. Alle Bitten des PLO-Chefs, Olmert möge wenigstens durch versöhnliche Gesten wie die Freilassung palästinensischer Gefangener oder die Erleichterung der Lebensbedingungen der Bevölkerung im Westjordanland, z. B. durch die Aufhebung der Straßensperren, zeigen, dass er grundsätzlich zu Kompromissen gegenüber gemäßigten Palästinensern bereit ist, bleiben unerfüllt. Trotz der Appelle aus Washington, die Position von Abbas zu stärken, betreibt die israelische Regierung systematisch dessen Demontage: Kalt lächelnd verweigert sie ihm aufgrund von „Sicherheitsbedenken“ sogar die Einfuhr von Ausrüstungsmaterial für seine Polizeikräfte, mit dem er sie besser ausstatten will für den Kampf gegen die militanten Gruppierungen. Die israelische Armee führt ihrerseits regelmäßig Razzien und Massenverhaftungen in den unter palästinensischer Sicherheitskontrolle stehenden Städten des Westjordanlands durch, konterkariert Abbas’ Bemühungen, selber die militanten Kräfte unter Kontrolle zu nehmen, und untergräbt gezielt dessen Autorität. Damit ist für die israelische Regierung zugleich der Beweis erbracht, dass die Fatah-Polizei nicht für Ordnung sorgt, Abbas kein zuverlässiger Partner im Antiterrorkrieg ist, seine Autonomie-Ansprüche vom Standpunkt israelischer Sicherheitsbedürfnisse kontraproduktiv sind.
Seit dem Sieg der Hamas bei den Parlamentswahlen 2006 hat Israel die politische Isolierung der Islamisten-Partei betrieben. Als ihr Regierungschef Hanija im Juni 2007 die Funktionsträger der Fatah im Gazastreifen entmachtet und damit dem von deren Seite geplanten Putsch zuvorkommt2, definiert Israel dies als terroristischen Akt und beschließt die Intensivierung seines Antiterrorkriegs an dieser Front. Dabei nutzt es den strategischen Vorteil, den der von Scharon durchgesetzte Rückzug der Siedler und des Militärs aus dem Gazastreifen erbracht hat. Israel ist offiziell nicht mehr Besatzungsmacht, damit nicht mehr für die Lebensbedingungen der Bevölkerung in Gaza verantwortlich, verfügt aber nach wie vor über die entscheidenden Mittel, von denen die Versorgung der Leute abhängt: Geld, Strom und Wasser. Zudem kontrolliert es alle Grenzen, entscheidet also über die Einfuhr der benötigten Güter, inklusive Treibstoff, Medizin und Lebensmittel. Im September 2007 verhängt die israelische Regierung die bis heute andauernde Blockade und lässt nur noch ein Minimum an Versorgung der Bewohner des Gazastreifens zu3. Ohne großes Risiko für die eigenen Soldaten beschießt es Ziele im Küstenstreifen, aus der Luft bzw. durch die Artillerie im Grenzgebiet, und lässt immer wieder Panzer ein paar Kilometer  tief ins feindliche Territorium vordringen. Der Zweck der andauernden Kriegshandlungen ist nicht nur die Vergeltung von palästinensischen Raketenangriffen, sondern die Zermürbung der Hamas und der von ihr regierten Bevölkerung4. Darüber hinaus stellt die Olmert-Regierung klar, dass es für sie keinen Sinn macht, über eine Friedensregelung mit den Palästinensern zu reden, solange im Gazastreifen Terroristen an der Macht sind, das traditionell als Kernland der Palästinenser betrachtete Territorium also „feindliches Gebiet“ (Olmert) ist.
Die amerikanische Regierung unter Bush hat die Isolierung des von der Hamas regierten Gazastreifens prinzipiell befürwortet, die Ausweitung des Lebensraums für die jüdischen Bürger im Westjordanland geduldet, allenfalls mit matten Protesten begleitet und ausdrücklich dafür Verständnis gezeigt, dass Israel mit der Anwesenheit der Palästinenser in seiner Nachbarschaft ein schier unzumutbares Sicherheitsrisiko trägt. Allerdings hat sie sich nicht dazu herbeigelassen, Israel dabei zu unterstützen, endlich einen Schlussstrich unter die leidige Teilungsfrage aus dem Jahre 1948 ziehen zu können. Ausgerechnet der größte Förderer des jüdischen Staates weckt bei den Arabern mit seiner „Vision eines friedlichen, lebensfähigen und zusammenhängenden Staates der Palästinenser“ „Seite an Seite mit Israel“ Begehrlichkeiten und sucht auf der Annapolis-Konferenz den schon ad acta gelegten Friedensprozess wieder zu beleben. Zwar hat die Bush-Administration in den darauf folgenden Monaten hinlänglich klar gemacht, dass sie von Israel keinen Kurswechsel verlangt, ihre Nahost-Initiative vielmehr eine Geste ist, um die arabischen Verbündeten in die Antiterrorfront gegen Iran und Syrien einzubinden und die übrigen Weltmächte mit „ins Boot zu holen“, aber Israel sieht sich zurückgeworfen, zumal nicht ausgemacht ist, dass die künftige US-Regierung den Kurs der alten beibehält.
Im Verhältnis zu den Nachbarstaaten setzt die Regierung Olmert im Libanonkrieg5 Maßstäbe: Für die „terroristischen Akte“, die vom Territorium des nördlichen Nachbarn aus verübt werden, macht sie die gesamte Nation haftbar. Israels Luftwaffe bombardiert zunächst die Stellungen des Hizbullah, liquidiert eine größtmögliche Zahl seiner Kämpfer und macht ernst mit der Drohung, die „Infrastruktur des Terrors“ zu zerstören. Dazu zählt sie die (potenziellen) Rückzugsräume und Verstecke, Nachschubwege, alle Orte, die sich als Depots und Werkstätten nutzen lassen, Ausbildungseinrichtungen sowie religiöse Versammlungsstätten, letztlich den gesamten Lebensraum der schiitischen Bevölkerung. Mit Cluster-Bomben wird der Süden des Landes so zugepflastert, dass er auf Jahre hinaus für seine Bewohner nur unter Lebensgefahr nutzbar ist. Doch die Angriffe bleiben nicht auf die vom Hizbullah kontrollierte Region beschränkt, im gesamten Land werden Straßen, Brücken und Infrastruktureinrichtungen zerstört. Olmert will der libanesischen Regierung die Lektion erteilen, dass ihr Land, solange sie nicht selber den Hizbullah entwaffnet und politisch entmachtet, nicht zur Ruhe kommen wird. Wenn der Libanon Feinde Israels auf seinem Territorium duldet, macht dessen Luftwaffe 30 Jahre Wiederaufbau in wenigen Tagen zunichte. Eine zweite Lektion an Israels Nachbarn ergeht im April 2008: Israelische Kampfjets bombardieren ein Gebäude in Syrien, bei dem es sich angeblich um einen von Nordkorea gelieferten Nuklearreaktor zur Herstellung von Atombomben gehandelt haben soll, was Damaskus energisch bestreitet. Ziel der Aktion ist es, Israels Entschlossenheit zu demonstrieren, seine gehobenen Sicherheitsansprüche – wenn nötig – mit militärischen Mitteln in der gesamten Region durchzusetzen, ohne Rücksicht auf Grenzen und Hoheitsrechte anderer Staaten. Jerusalem nimmt sich das Recht heraus zu entscheiden, welche Waffen und welche Technik in die Hände seiner Nachbarn geraten dürfen und welche nicht. Es interveniert in Moskau, wenn Russland mit Syrien bzw. dem Iran über die Lieferung moderner russischer Abwehrraketen verhandelt, und fordert die russische Regierung immer wieder auf, die Fertigstellung des Reaktors in Buschehr zu unterlassen. Olmert & Co. verlangen von den UN-Sicherheitsrats-Mitgliedern, endlich zu handeln und die Sanktionen gegen den Iran zu verschärfen. Und weil sie damit rechnen, dass die nicht wunschgemäß aktiv werden, drohen sie mit einem Übergang zu einer militärischen Lösung des Iran-Problems, zu dem man sich in Israel „genötigt“ sehen könnte. Die israelische Luftwaffe statuiert daher an Syrien, Irans Nachbarn und Bündnispartner, das bereits erwähnte Exempel. Demonstrativ eigenmächtig wird die von Israels Geheimdienst aufgespürte atomare Gefahr in Syrien ausgeschaltet. Israel hält sich auch künftig „alle Optionen offen“, sein Atomwaffenmonopol in der Region zu verteidigen.
Mit dieser erfolgreichen Vorführung ihrer Abschreckungsmacht ist die regionale Supermacht aber keineswegs zufrieden. Der Krieg im Libanon wird in der Nation zu einer nationalen Katastrophe, zum „Trauma“ stilisiert6: Weil der Ministerpräsident Unerreichbares – die Befreiung von drei entführten Soldaten – vorgegeben habe und er zudem der israelischen Armee die Bodenoffensive verweigert habe, so dass der Hizbullah zwar geschwächt, aber nicht vernichtet sei und die Schiiten-Partei immer noch eine mit-entscheidende politische Kraft im Libanon bleibe, habe Israel seine Abschreckungsfähigkeit eingebüßt, anstatt sie zu verbessern. Um diese Scharte auszuwetzen, so die einhellige öffentliche Meinung, müsse möglichst bald eine rundum gelungene, an frühere Erfolge anknüpfende Militäroperation her. Das Trauma wächst sich aus, als sich Olmert und Livni auf Drängen der USA mit einem Waffenstillstand einverstanden erklären, über dessen Einhaltung gemäß Resolution 1701 des Weltsicherheitsrats Europäer in Gestalt einer UN-Friedensmission wachen. Aus Israels Sicht wäre zwar nichts daran auszusetzen, dass fremde Mächte den Waffenschmuggel aus Iran und Syrien an den Hizbullah unterbinden; dazu müssten sie jedoch rigoroser gegen die Lieferländer vorgehen, als sie es tun, und deren Grenzen gleich mitüberwachen. Vollends unerträglich aber ist, dass diejenigen, die so schlampig mit Israels Sicherheit umgehen, dessen Luftwaffe verurteilen, wenn die mit ihren Kontrollflügen über dem Libanon europäische Versäumnisse ausbügelt. Unterm Strich erweist sich die UN-Resolution als Fehler, den die Bush-Administration mit zu verantworten hat. Doch nicht nur in diesem Fall versäumen es die USA, sich als Hauptfreund Israels so zu bewähren, wie man es sich wünscht. Die US-Administration untersagt der Olmert-Regierung explizit einen Alleingang in Sachen Iran, weil sie befürchtet, in einen Krieg hineingezogen zu werden, den sie – zumindest zu diesem Zeitpunkt und auf diese Weise – nicht will. Sie verweigert Israel nicht nur dafür benötigte Waffen, sondern droht mit dem Abschuss seiner Kampfbomber, sollten sie auf dem Weg in den Iran in irakischen Luftraum eindringen.
Wenn Olmert und Co aus solchen Enttäuschungen schließen, „bei der Wahrung seiner Sicherheitsinteressen“ sei Israel letztlich doch „auf sich allein gestellt“, dann verdrehen sie nicht nur die Tatsachen, sondern manifestieren auch die Reichweite ihres Machtsanspruchs. Die israelische Regierung weiß nur zu gut, dass die Existenz des jüdischen Staats von Amerikas finanzieller und militärischer Unterstützung abhängt und erst dessen Sicherheitsgarantie und diplomatischer Rückhalt ihr außenpolitische Handlungsfreiheit verschafft. Ihr ist auch klar, dass Israel es vor allem der Politik Bushs zu verdanken hat, wenn es nun als regionale Supermacht dasteht. Aber gerade wegen der gewonnenen Stärke will Jerusalem endlich die nicht nachlassenden Bemühungen fremder Mächte, Einfluss auf die Ordnung in der Region zu nehmen, zum Scheitern verurteilen. Folglich ist die Olmert-Mannschaft entschlossen, bei der Regelung der anstehenden Konflikte selber die Vorgaben zu machen, an denen sich die Staaten der Region, „Möchtegern-Weltordner“7 und selbst die Supermacht abzuarbeiten haben. Gegenüber den USA ist zwar wegen der gegebenen Abhängigkeit Vorsicht geboten. Die geht aber nicht so weit, als Amerikas Befehlsempfänger zu agieren. „Selbstbewusst“ nimmt Israel seine Interessen wahr, testet aus, was die USA zulassen, und vertraut darauf, dass der Hauptfreund „Israel niemals im Stich lässt“ (Bush).8 In Anbetracht des bevorstehenden Wechsels im Weißen Haus hält es Olmerts Regierungsmannschaft für angezeigt, noch mit Hilfe der alten Regierung die Weichen für die Nahost-Politik der künftigen zu stellen.
Bekämpfung des vom Iran gesteuerten Terrorismus statt Zwei-Staaten-Lösung
Anlass für die Operation „Gegossenes Blei“ ist die Wiederaufnahme des Raketenbeschusses durch die militanten Palästinenser im Gazastreifen. Die Hamas erklärt die Verhandlungen über die Verlängerung des im Juni 2008 vereinbarten Waffenstillstands für gescheitert, weil Jerusalem sich weigert, die Blockade des Gazastreifens aufzuheben, und nimmt die Kampfhandlungen wieder auf. Die Olmert-Regierung antwortet mit einer Großoffensive und zieht damit die Konsequenz aus ihrer Unzufriedenheit mit dem bisherigen Erfolg ihrer Kriegsführung. Die Blockade hat ihr Ziel nicht erreicht: Die Hamas denkt nicht an Kapitulation, und die Bevölkerung lässt sich durch den „Gegenterror“ der israelischen Armee nicht dazu bewegen, die Regierung Hanija aus dem Amt zu jagen. Mit einem umfänglichen Schmuggelwesen durch Hunderte von Tunneln an der ägyptischen Grenze und dank finanzkräftiger Unterstützung durch den Iran gelingt es den Islamisten, das Überleben im Gazastreifen halbwegs sicherzustellen und sich für den Kampf gegen israelische Angriffe auszurüsten. Im Bewusstsein ihrer relativen Stärke stellen sie Forderungen bei den Waffenstillstandsverhandlungen und weigern sich, den gefangen gehaltenen israelischen Soldaten Schalit auszuliefern, falls nicht die von ihnen verlangte Gegenleistung, die Freilassung hunderter palästinensischer Gefangener, erfolgt. Sie beharren auf ihrem Widerstandsrecht gegen die Besatzungsmacht und wollen den Kampf gegen Israel erst einstellen, wenn es sich auf die Grenzen von 1967 zurückzieht und einen palästinensischen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt akzeptiert. Als „gewählte Führer des palästinensischen Volkes“, dessen „berechtigte Interessen“ sie vertreten, verlangen sie, mit der israelischen Führung auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln. Darin sieht Olmert eine unerträgliche „Provokation“ durch von allen ehrbaren Staaten geächtete Terroristen, die sich Israel als anständiger Staat – „einzige Demokratie im Nahen Osten“, Hightech-Militär- und Atommacht – nicht bieten lassen darf.
Dieser Krieg soll nicht eine der gewohnten Strafaktionen sein, sondern „die Spielregeln völlig verändern“ (Verteidigungsminister Barak). Der Feind darf nicht mehr in der Lage sein, gewaltsam seine politischen Ansprüche gegen den jüdischen Staat geltend zu machen. Israel will ihn mit maximaler Schädigung daran hindern, dass er jemals wieder eine Basis für effektive Widerstandsaktionen finden und sich die Mittel beschaffen kann, um seine alte Stärke wiederzugewinnen. Der Auftrag an die israelische Armee lautet, sämtliche Regierungs- und Verwaltungsgebäude zu zerstören, so viele Versorgungstunnel nach Ägypten wie möglich zu bombardieren und der Bevölkerung klar zu machen, dass die Duldung der Hamas tödlich sein kann, auf alle Fälle ein normales Leben unter deren Führung auf unabsehbare Zeit nicht stattfinden wird: Wohnviertel werden beschossen, Tausende Wohnungen und Werkstätten zerstört, durch militärische Sperrriegel die Fluchtmöglichkeiten abgeschnitten und Schulen, in denen das UN-Flüchtlingshilfswerk UNWRA Schutz gewährt, unter Beschuss genommen. Olmert und Livni haben „aus ihren Fehlern im Libanonkrieg gelernt“: Der Ministerpräsident redet nicht mehr von Zielen, die „die israelische Armee nicht erreichen kann“, bindet den Kriegserfolg nicht mehr an die Befreiung Schalits, sondern verspricht in aller Bescheidenheit nur noch einen so „schweren Schlag“ gegen die Hamas, dass der sie wirksam abschreckt, Israels Süden mit Raketen zu beschießen. Diesmal weicht er einer Bodenoffensive nicht mehr aus, sondern stimmt sein Volk beizeiten auf die Gefahr erheblicher, „leider nicht zu vermeidender“ Opfer ein. Von vornherein baut seine Regierung Kritik aus Europa und dem arabischen Lager vor, dass die Militär-Operation gegen Kriegs- und Menschenrecht verstoße, weil sie vor allem die Zivilbevölkerung treffe – und geht in die Offensive: Kein Staat habe das Recht, dem jüdischen Staat den Kampf gegen den Terror zu verbieten, und in humanitären Fragen lasse sich Israel keine Versäumnisse nachsagen.9 Israel ist so zivilisiert, den idealen Mix zwischen Töten und humanitärer Versorgung zu finden: Demonstrativ hat Barak vor dem ersten Bombenabwurf noch ein paar LKWs mit Hilfsgütern und Medizin in den Gazastreifen hineingelassen, und an jedem Kriegstag legt die Armee eine zweistündige Feuerpause ein.
Als wichtigste Lehre aus dem „Libanon-Desaster“ beschließt die Regierung in Jerusalem, sich nicht mehr internationalem Druck zu beugen. Sie hat es satt zu kämpfen, um sich am Ende auf einen „Kompromiss“ mit den radikalen Palästinensern einlassen zu müssen. Die UN-Resolution 1860, die eine Waffenruhe fordert, weist sie zurück; als regionale Supermacht lässt sich Israel von anderen Staaten keine Vorschriften machen; der Krieg werde solange dauern, wie Israel ihn für nötig erachtet. Den Sicherheitsratsbeschluss empfindet Israels Führung insgesamt als einen einzigen Affront: Er ignoriert den Unterschied zwischen einem demokratischen Staat als Opfer und einer Organisation von Terroristen als Täter – ein Unterschied, der „niemals übersehen werden“ dürfe – , weil er ohne Nennung eines Subjekts, also von beiden gleichermaßen eine „sofortige, dauerhafte und umfassend eingehaltene Waffenruhe“ verlangt und „jede Gewalt und alle Feindseligkeiten, die sich gegen Zivilpersonen richten, sowie alle terroristischen Handlungen“ verurteilt. Darüber hinaus fordert der Beschluss „internationale Anstrengungen zur Milderung der humanitären und wirtschaftlichen Lage in Gaza“, ermutigt zu „einer innerpalästinensischen Aussöhnung“, fordert „dringende Anstrengungen seitens der Parteien und der internationalen Gemeinschaft zur Herbeiführung eines umfassenden Friedens auf der Grundlage der Vision einer Region, in der zwei demokratische Staaten, Israel und Palästina, Seite an Seite in Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen leben, wie in Resolution 1850 (2008) des Sicherheitsrats vorgesehen, und erinnert außerdem an die Wichtigkeit der Arabischen Friedensinitiative.“
Das höchste UN-Gremium hat also einfach nicht zur Kenntnis genommen, worauf Israel mit seiner Operation „Gegossenes Blei“ hinaus will: In Gaza gibt es keine normalen Lebensbedingungen, sondern wird der Krieg fortgesetzt, weil und solange sich dort die Hamas noch rührt; die Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung ist unzulässig, weil Leute mit terroristischen Staatsgründungszielen und gewaltsamer Vorgehensweise nicht aufgewertet werden dürfen; die „Vision“ von zwei demokratischen Staaten ist nicht mehr aktuell, weshalb die einzige Aufgabe für die internationale Gemeinschaft darin besteht, Israels Antiterrorkrieg zu unterstützen; statt Forderungen für eine Aussöhnung mit Israel zu stellen, sollten sich die arabischen Staaten zusammen mit Israel in die Antiterror-Front gegen den Iran einreihen.
Dass die US-Außenministerin die Resolution 1860 mit den Europäern abgestimmt hat, hält die israelische Regierung für einen Skandal, weil Amerika mit dem Übergehen israelischer Wünsche seinem Hauptverbündeten in den Rücken gefallen sei. Nach einer Intervention Olmerts10 enthalten sich die USA bei der Abstimmung und nehmen der Resolution damit de facto ihre Verbindlichkeit für Israel. Beschwichtigen aber lässt sich Jerusalem erst, als die US-Regierung auf Israels „Anregung“ eingeht, den Gazakrieg als „Chance“ auch für Amerikas Neuordnung des Nahen Osten zu begreifen, also für sein Bemühen, die arabische Welt und die gesamte internationale Gemeinschaft darauf festzulegen, den Terroristen das Handwerk zu legen und ‚die gemäßigten Kräfte’ zu stärken.11 Das Resultat der Überzeugungsarbeit liegt in einem „Memorandum of Understanding“ vor, dem „US-israelischen Abkommen zur Beendigung des Waffenschmuggels nach Gaza“. Hier holt Bush all das nach, was der Sicherheitsrat so sträflich versäumt hat. Nach dem Schema der UN-Resolutionen erinnern sich die USA an ihre Verpflichtung, „Israels Verteidigungs- und Abschreckungs-Fähigkeit“ gegen „jede Bedrohung oder mögliche Kombination von Bedrohungen“ „zu erhalten und zu stärken“; stellen fest, dass „terroristische Handlungen“ nicht zu rechtfertigen sind, „wo, durch wen und aus welchen Gründen auch immer sie verübt werden“; erkennen „die terroristische Bedrohung Israels“ „durch den Waffenschmuggel“ und „die Schaffung einer terroristischen Infrastruktur“ in Gaza an und verstehen, dass Israel „sein jeder Nation zukommendes Selbstverteidigungsrecht“ wahrnimmt und sich „angemessen gegen den Terror verteidigt“. Noch mehr als diese Reinwaschung von jeglichem Verdacht der „Überreaktion“ und des mangelnden Friedenswillens verbucht Israel aber als Erfolg, dass Amerika per Vertrag zusagt, sich bei der internationalen Gemeinschaft für eine verstärkte Bekämpfung des Terrorismus einzusetzen, zu der sie durch einschlägige UN-Resolutionen längst verpflichtet ist. Zusammen mit den Nato-Partnern wollen die USA das „Problem der Waffentransporte an die Hamas ... durchs Mittelmeer, den Golf von Aden, das Rote Meer und Ostafrika angehen“, bestehende Vereinbarungen sollen in dieser Hinsicht verbessert und neue Initiativen ergriffen werden. Erwähnt werden u.a. „die Erweiterung der existierenden internationalen Sanktionen und die Verschärfung der Überwachungsmechanismen gegen die Lieferung von materieller Unterstützung für die Hamas und andere terroristische Organisationen, einschließlich einer internationalen Reaktion auf jene Staaten wie den Iran, die beschlossen haben, Waffen- und Sprengstofflieferant für Gaza zu sein.“
Nach der Unterzeichnung dieses „Agreements“ erklärt Israel einseitig den Waffenstillstand, weil es den „Zweck der Operation erreicht“ habe. Damit ist klargestellt, dass der Zweck des Kriegs nicht nur darin bestand, ein paar hundert Palästinenser zu töten, -zig Schmuggel-Tunnel zu zerstören und die Bevölkerung des Gazastreifens zu terrorisieren, sondern nicht zuletzt darin, von den USA gegen die Einmischungsversuche aller anderen Nationen noch einmal förmlich das Recht bestätigt zu bekommen, die eigenen Machtansprüche gegen die Palästinenser und ihre „Hintermänner“ mit aller Gewalt durchzusetzen. Zugleich sollte Bush seinem Nachfolger die Richtung für eine Nahostpolitik weisen, die Israels Interessen gerecht wird. Und obgleich Israel mit der in letzter Minute geschlossenen Vereinbarung nicht in der Hand hat, dass Obama sich daran hält: die scheidende Olmert-Regierung hat der Staatenwelt eine Vorgabe gemacht, an der sie sich nun abzuarbeiten hat.
PS: Zumindest der israelische Wähler hat die Botschaft des Gazakriegs begriffen und gleich das zionistische Original gewählt; eine deutliche rechte Mehrheit ergibt sich für Netanjahu, der für die „Verbesserung der Ökonomie und der Sicherheit im Westjordanland statt für Gebietsabtretungen und die Lösung des Flüchtlingsproblems“ (Jordan Times, 8.2.) steht, und für Liebermann, der schon seit Jahren für eine „maximale Separierung“ von jüdischer und arabischer Bevölkerung unter Einbeziehung Ägyptens und Jordaniens wirbt. Der Mann, der gute Chancen hat, der nächste Regierungschef  zu werden, sprüht jedenfalls vor Tatendrang:
„Falls ich gewählt werde, wird meine erste Mission sein, die iranischen Terrornester im Randgebiet (on the outskirts) von Ashkelon und Beersheba (gemeint ist der Gazastreifen) zu erledigen und die gesamte internationale Gemeinschaft für diese Mission zu rekrutieren. Der Iran wird sich nicht mit Atomwaffen bewaffnen.“ (Netanjahu, Jerusalem Post, 31.1.)