GEGENARGUMENTE

Kommt der Aufschwung oder kommt er nicht? Ein paar Anregungen dazu, sich nicht diese, sondern ganz andere Fragen zu stellen.

Ende September 2009 vermeldet die Tageszeitung "Die Presse" in einem Artikel mit dem Titel "Der Aufschwung wird zäh", dass die Talfahrt der heimischen Wirtschaft gestoppt sei. Die Wirtschaft schrumpfe nicht weiter, für 2010 wird von den beiden Wirtschaftsforschungsinstituten WIFO und IHS sogar wieder ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1% prognostiziert. Erste Silberstreifen am Horizont der hiesigen Marktwirtschaft sind also nach Ansicht der beiden Wirtschaftsforschungsinstitute erkennbar. Ein erstes Aufatmen ist angesagt, der Aufschwung ist in Sicht. Im gleichen Atemzug wird folgende Klarstellung mitgeliefert: Die arbeitende Normalbevölkerung solle sich nur ja keine Illusionen machen, sondern sich auf schlechtere Zeiten einstellen. Denn, so - wieder die Wirtschaftsforschungsinstitute - "Um die Arbeitslosenzahl deutlich zu senken, müsste das Wirtschaftswachstum auf mehr als 2.5 Prozent klettern."

Das ist für die versammelte Öffentlichkeit Anlass dafür, sich ein noch kräftigeres Wirtschaftswachstum, eines das eben mehr als 2.5% beträgt, herbeizuwünschen. Denn dass wir alle, egal ob Unternehmer, unselbstständig Beschäftigte, Beamte, Pensionisten usw. vor allem eines brauchen - Wirtschaftswachstum –, ohne Wirtschaftswachstum unser aller Wohlstand gefährdet sei, das gilt als Selbstverständlichkeit. Obwohl die Bürger den Politikern ja sonst angeblich nicht allzu viel glauben, das glauben sie, dass es sehr schlimm ist, wenn die Wirtschaft nicht wächst.

Wir empfehlen unseren Hörern in der kommenden halben Stunde, die Sache einmal ein wenig anders zu betrachten, und statt sich an der Debatte zu beteiligen, ob der Aufschwung nun nachhaltig genug ist oder nicht, sich zu fragen: Was ist denn das für ein Wachstum, das wir alle brauchen und wie kommen die abhängig Beschäftigten dabei vor?

1. Die Wirtschaft schrumpft, was ist das Problem? - oder - Was fehlt, wenn das Wachstum fehlt?

a.

Zum Ist-Zustand der Wirtschaft werden die Aussagen Wirtschaftsforscher seitens der Presse mit folgenden Worten zusammengefasst: "Konkret gehen die beiden Häuser von einem Schrumpfen der Wirtschaft um real 3,4 (WIFO) bis 3,8 Prozent (IHS) aus."

Ginge es beim Wirtschaften bloß um die Bereitstellung von ausreichend vielen nützlichen Gütern, stellte sich sofort die Frage: Wo ist das Problem? Vielleicht wurde einfach weniger gebraucht. Außerdem, eine Schrumpfung der Wirtschaft von noch nicht einmal 4%, das ergibt in etwa die Wirtschaftsleistung des Jahres 2007 – und das galt seinerzeit als gutes Jahr. Keine Rede damals von einem Mangel an Computern, Autos, Mehl oder was auch immer. Es wäre wohl nicht zu leugnen, dass dann mit derselben Produktenmenge wie 2007 auch im Jahr 2009 ganz gut über die Runden zu kommen wäre. Wenn es denn um die Versorgung mit Gütern ginge!

Aber das ist natürlich eine müßige Überlegung. Das Wachstum wird nämlich nicht in der Zunahme nützlicher Güter gemessen, sondern, wie jeder weiß, in der Zunahme des BIP, des Bruttoinlandsproduktes. In dem werden nicht Stücke, Kilos oder Kalorien addiert, sondern Preise, die Geldsummen, die die Verkäufe der für die Endverbraucher produzierten Güter einbringen. Diese Geldsumme ist es, die von Jahr zu Jahr mehr werden soll, wenn von Wachstum die Rede ist. In unserer Wirtschaft geht es, das lässt sich dem entnehmen, nicht um Güter, mit denen die Menschheit versorgt werden soll, es geht um Waren. Vor jeder Bedürfnisbefriedigung steht daher der Zwang, die benötigten Waren bezahlen zu müssen; das Wirtschaften dreht sich daher gar nicht um die Bedürfnisse, sondern ums Geld. Dieses will der kapitalistische Produzent sehen, bevor er seine Ware herausrückt, und selbstverständlich muss der Verkauf ihm einen Gewinn einspielen. Ein Gut, das nicht zu Geld gemacht werden kann, ist nach dieser die Marktwirtschaft kennzeichnenden Rechnungsweise nichts wert, gleichgültig dagegen, ob es nicht doch jemand gut gebrauchen könnte. Ob Güter produziert werden und welche, hängt daher in der Marktwirtschaft gänzlich davon ab, ob sie als Waren auf dem Markt gewinnbringend verkauft werden können. Was Unternehmer produzieren lassen, lassen sie mit anderen Worten ausschließlich deshalb produzieren, weil sie sich damit einen Zuwachs ihres in Geld gemessenen Reichtums versprechen.

Nur weil es gar nicht darum geht, Güter für die Bedürfnisbefriedigung herzustellen – da wäre die Arbeit erledigt, wenn die gewünschte Menge produziert wäre, gleichgültig ob das einmal mehr einmal weniger ist - sondern um die Vermehrung von Geldreichtum, ist der Umstand, dass heuer bloß genau soviel oder gar weniger produziert und verkauft werden konnte wie im Jahr zuvor, gleichbedeutend damit, dass die Wirtschaft nicht bloß weniger produziert sondern ihren Zweck gleich völlig verfehlt hat. Dies bedeutet nämlich, den im vorigen Jahr verdienten Geldreichtum eingesetzt, dh. investiert, produziert und verkauft zu haben, um - gemessen in Geld - am Ende gleich reich zu sein wie zuvor. Ein zwar nicht vom Standpunkt der Bedürfnisbefriedigung - immerhin wurden Güter produziert und konsumiert - wohl aber aus der Sicht des Geldreichtums sinnloses und daher gleich schädliches Unterfangen. Eine Marktwirtschaft, die nicht wächst, hat ihren einzigen Zweck, für den produziert wird, verfehlt. Geldreichtum, der sich nicht vermehrt, entwertet sich.

Weil sich in der Marktwirtschaft alles ums Geld dreht, gibt es in ihr das absurde wirtschaftliche Problem, immer wieder neue Produkte schaffen zu müssen, die zahlungsfähige Nachfrage auf sich ziehen. Die Endlichkeit der Bedürfnisse, deren Begrenztheit, ist vom Standpunkt des Verkaufen Könnens aus betrachtet ein Ärgernis. Neue Varianten von Verkäuflichem müssen gefunden werden, damit wieder verkauft und verdient werden kann. Für das zahlungsfähige Bedürfnis kann es gar nicht genug Güter geben. Ständig braucht es neue Produkte, ständig sind die Investoren auf der Suche nach "Wachstumsindustrien". Daneben gibt es jede Menge Bedürfnisse, die nicht befriedigt werden, denn wenn es ums Verkaufen geht, zählt das Bedürfnis nur wenn es zahlungsfähig ist. Bedürfnisse, die nicht zahlungsfähig sind, existieren in der Marktwirtschaft noch nicht einmal als zu berücksichtigende und zwar gleichgültig gegen ihre objektive Dringlichkeit.

Dass Gebrauchswerte Waren sind, ist in der Rechnung – das Bruttoinlandsprodukt muss wachsen - als Selbstverständlichkeit unterstellt. Das Bedürfnis nach Geld ist das ultimative Bedürfnis dieser Gesellschaft, weil es das Zugriffsmittel auf jedes Mittel der Bedürfnisbefriedigung ist. Und Geld kennt tatsächlich kein Maß mehr. In unserer Gesellschaft ist die Produktion Mittel der Geldvermehrung und nicht – wie es die Volkswirtschaftslehre behauptet - das Geld ein trickreiches Hilfsmittel der Bedürfnisbefriedigung. Gelderträge sollen und müssen ständig wachsende Gelderträge bringen.

b.

Das Bruttoinlandsprodukt misst den Geldreichtum der Gesellschaft. Wachsen die Einkommen, wenn das Bruttoinlandsprodukt wächst? Steigen alle Einkommen, wenn die Wirtschaft wächst und wächst die Wirtschaft, wenn die Einkommen steigen? Bedeutet umgekehrt ein Schrumpfen des BIP’s ein Sinken der Einkommen und ist es das, was stört?

Wäre dem so, dann wäre die Antwort auf die geäußerten Wachstumssorgen einfach. Dann könnte man sagen, rauf mit den Löhnen und Gehältern und schon wäre das Wachstum größer. Das Problem zu geringen oder fehlenden Wachstums wäre gelöst, bevor es entstünde. Dass Wachstum so nicht gemeint ist, weiß jeder.

Zwar gibt es die Klage, dass Löhne doch Kaufkraft bedeuten würden, dass von höheren Löhnen letztendlich doch auch die Wirtschaft profitieren würde. Auch Unternehmer können der Vorstellung von mehr Geld in den Taschen der Arbeitnehmer einiges abgewinnen als Möglichkeit, es ihnen aus der Tasche zu ziehen - deswegen leuchtet es ihnen aber auch nur solange ein, als nicht sie es sind, die diese Taschen füllen sollen. Da wissen sie dann sehr genau, dass der höhere Lohn ihrer Arbeitnehmer ihnen nicht nützt, ihrem Gewinn-Interesse vielmehr schadet.

Gewerkschaften wurde in der Vergangenheit von Seiten der Verantwortlichen immer wieder zu Gute gehalten, sie hätten durch ihre Lohnzurückhaltung einen Wachstumsbeitrag geleistet. Aktuell werden sie gerade mit dem Hinweis auf das schwache Pflänzlein Aufschwung zu einem solchen Beitrag aufgefordert. Diesen Aufschwung dürfe man jetzt durch überzogene Lohnforderungen auf keinen Fall gefährden, sondern müsse ihn umgekehrt mit längeren Arbeitszeiten, längeren Durchrechnungszeiträumen, flexibleren Arbeitszeiten und dergleichen mehr, kurz mit Lohneinbußen, fördern. Man sieht, damit die Wirtschaft wächst, müssen die Löhne schrumpfen.

Es sollen also gar nicht alle Einkommen wachsen. Damit das "große Ganze" wachsen kann, müssen manche Einkommen - die Löhne - schrumpfen. Wirklich wachsen müssen die Einkommen der Unternehmen. Nur die stellen Einkommen dar, die selbst wieder Quelle neuer Einkommen sind. Alle anderen Einkommen sind nur konsumptiv! Das Allgemeinwohl, das sind in unserer Gesellschaft die Gewinne der Unternehmen. Alles Wachsen hängt am Wachstum der Gewinne. Dieser Zweck der Unternehmen, ihr Kapital zu verwerten, ist der bestimmende Zweck, dem alle anderen Interessen untergeordnet sind.

c.

Seitens Politik und Wirtschaft ist immer wieder die Klage zu hören, dass wegen der Krise Arbeitsplätze in Gefahr seien, ja dass zusehends Arbeitsplätze verloren gingen und daher fehlen würden. Richtig ist, noch mehr Lohnabhängige als sonst, finden derzeit keinen Arbeitsplatz. Dass - wie behauptet - Arbeitsplätze fehlten, ist deswegen aber noch lange nicht wahr - jedenfalls nicht nach den hier und heute geltenden Maßstäben des Wirtschaftens. Dann würden sie nämlich geschaffen. Geschaffen werden von den Unternehmern aber nur Arbeitsplätze, die sich lohnen - lohnen für sie, nicht für die Arbeitnehmer. Arbeitsplätze gibt es nur, wenn sie für den Zweck, die Unternehmer reicher zu machen, taugen.

2. Was sich die Arbeiter davon versprechen dürfen, wenn die Wirtschaft vielleicht doch wieder einmal wächst

a.

Arbeitnehmer brauchen einen Arbeitsplatz. Das gilt als Binsenweisheit. Arbeitsplätze schaffen kann aber nur die Wirtschaft. Damit sie das aber kann, muss sie wachsen. Nur wenn die Wirtschaft wächst, heißt es, kann sie Arbeitsplätze schaffen. Wirtschaftswachstum, das ist es, worauf es ankommen soll. Wirtschaftswachstum muss wollen, wer für Arbeitsplätze ist. Kriegen sie daher jetzt einen, wo doch die Wirtschaft wieder wächst? Dazu die offiziellen berufenen Wirtschaftsexperten von WIFO und IHS:

"Die zahlreichen Arbeitslosen im Lande werden vom Aufschwung vorerst aber nichts spüren: Die Arbeitslosigkeit wird im kommenden Jahr auf rund sechs Prozent nach EU-Definition und auf 8,5 Prozent nach österreichischer Berechnung weiter steigen."

Hätte das Wachstum sein Maß in den geschaffenen Arbeitsplätzen gäbe es kein Nebeneinander von steigenden Arbeitslosenzahlen und Wirtschaftswachstum. Wachsen soll in Wahrheit was anderes als die Zahl der Arbeitsplätze, wachsen soll das BIP.

So soll man das aber nicht sehen. Stattdessen soll man das Wachstum als Voraussetzung dafür nehmen, dass Arbeitsplätze geschaffen werden können. Nur wenn es ein Wachstum gibt - so das Argument -, könne die Wirtschaft Arbeitsplätze schaffen. Allein schon an der Geschichte der letzten Jahrzehnte könnte auffallen, was von diesem Voraussetzungscharakter zu halten ist. Am Wirtschaftswachstum hat es nicht gefehlt. Dass deswegen auch mehr Arbeitsplätze geschaffen worden wären, ist nicht wahr. Im Gegenteil, dieses Wirtschaftswachstum war begleitet, von kontinuierlich steigenden Arbeitslosenzahlen. Experten des Wirtschaftens ficht derlei freilich nicht an.

"Um die Arbeitslosenzahl deutlich zu senken, müsste das Wirtschaftswachstum auf mehr als 2,5 Prozent klettern. Das ist auf absehbare Zeit nicht wahrscheinlich, weil die Konjunkturerholung nur sehr langsam voranschreiten wird."

Daran, sich das Wachstum als Voraussetzung zurechtzulegen, soll man also schon festhalten. Deswegen auf der Identität von Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätzen herumzureiten, kommt nicht in Frage. Wenn nämlich trotz Wirtschaftswachstums nichts aus den ersehnten Arbeitsplätzen wird, dann - so der messerscharfe Schluss - war wohl das Wachstum nicht groß genug. Mehr von dem, was in der Vergangenheit nicht Arbeitsplätze sondern Arbeitslosigkeit gebracht hat, dann gäbe es wirklich mehr Arbeitsplätze. Mindestens 2.5% Wachstum müssten es schon sein! Falsch wäre an dieser Stelle die Frage, warum gerade 2.5%! Auf die genaue Zahl kommt es nämlich nicht an! Darüber lässt sich trefflich streiten. Entscheidend ist was anderes. Alle Hoffnung hat sich auf das Wirtschaftswachstum zu richten. Dafür hat jeder an seiner Stelle das zu tun, was ansteht. Auch und gerade dann, wenn von einem derartigen Wachstum weit und breit nichts zu sehen ist. Die einen müssen auf ihr Wachstum schauen und die anderen dürfen sich diesem Wachstum durch überzogene Forderungen keinesfalls in den Weg stellen.

b.

Diejenigen, die’s betrifft, sollten diese Aussage ernst nehmen und sich die Frage vorlegen, wieso es denn eigentlich unbedingt ein Wachstum braucht und dann noch dazu ein hinreichend großes, damit auch sie zu dem für sie Notwendigen kommen. Was soll daran einleuchtend sein, dass die Zahl der Arbeitslosen ansteigen muss, wenn das Wachstum zu gering ausfällt? Wachstum bedeutet doch in jedem Fall, egal wie groß oder klein es immer sein mag, dass Jahr für Jahr mehr an Reichtum zustande kommt. Jahr für Jahr bringen immer weniger Menschen immer größere Mengen an Reichtum hervor. Das Gesamtkollektiv der unmittelbaren Produzenten dieses beständig vermehrten Reichtums wird dabei aber gar nicht reicher sondern - gemessen an diesem Reichtum - immer ärmer. Der ganz normale Gang der Wirtschaft geht Hand in Hand mit einer dauernden Verschärfung der Trennung der arbeitenden Bevölkerung vom Reichtum, den sie produziert. Wachstum und Wohlstand der abhängig Beschäftigten schließen sich in der Marktwirtschaft offenbar ganz grundsätzlich aus.

c.

Wenn eine laufend verkleinerte Arbeitermannschaft immer mehr an Reichtum hervorbringt, dann zeigt das, dass die Unternehmer laufend die Produktivität der unter ihrem Kommando stattfindenden Arbeit erhöhen. Sie senken laufend den auf das einzelne Stück entfallenden Arbeitsaufwand. Aber offenbar nicht, um den Arbeitern die Arbeit zu erleichtern. Aber auch nicht, um mehr zu produzieren und so einen größeren Teil der Menschheit mit immer mehr und immer besseren Gebrauchsgütern zu versorgen. Dann wäre eine derartige Produktivitätssteigerung nämlich nicht von einer Zunahme der Arbeitslosigkeit und einem wachsenden Ausschluss weiter Teile der Bevölkerung vom produzierten Reichtum begleitet, sondern ganz im Gegenteil, von einer Zunahme von Freizeit und einer Verbesserung der Versorgung.

Eine diesem Zweck dienende Produktivitätssteigerung macht in der Marktwirtschaft tatsächlich keinen Sinn. Um so etwas Einfaches wie Güterversorgung und Freizeit geht es in ihr nämlich wirklich nicht. Produktivität buchstabiert sich in ihr völlig anders. Produktiv ist im Kapitalismus nur die Arbeit, die die Unternehmen reicher macht. Steigerung der Produktivität bedeutet dann, dass die Arbeit als Quelle der Bereicherung der Unternehmen ergiebiger gemacht wird. Weil es darum geht, setzen Unternehmen die bei ihnen anfallenden Lohnkosten einem Dauervergleich aus. Sie vergleichen das, was sich durch den Einsatz neuer Maschinerie und die Einführung neuer Organisationsformen des Arbeitens an Lohnkosten einsparen lässt, mit den Kosten für die Einführung der neuen Produktionsmethoden. Geht dieser Vergleich positiv aus wird investiert.

Jeder einzelne Arbeiter stellt dann in derselben Zeit mehr an Reichtum her. Dieselbe Produktenmenge benötigt umgekehrt die Arbeit von immer weniger Menschen. Die dem Kapitalismus eigene Rechnungsweise verkehrt diesen an sich erfreulichen Umstand in sein schieres Gegenteil. Statt der Erleichterung der Arbeit, dient die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit der Ersparung von Lohn. Statt die Arbeiter reicher zu machen, drückt sich ihr Lohn deshalb in einem immer kleineren Anteil des gesellschaftlichen Produkts aus. Statt die Arbeiter reicher zu machen, macht der Produktivitätsfortschritt sie ärmer. Statt ihre Arbeit zu erleichtern, wird diese Arbeit im Zuge der Einführung neuer Produktionstechniken immer monotoner. Und selbst die Gelegenheit, die Arbeit im Zuge der Neustrukturierung des Produktionsprozesses intensiver zu gestalten, lassen sich die Unternehmen nicht entgehen und steigern so schon wieder den Nutzeffekt der Arbeit, auf den es einzig ankommt. Statt Freizeit verschaffen sie den einen Überarbeit, um die neue Investition möglichst rasch zu rechtfertigen, und vergrößern sie auf der anderen Seite das Heer der Arbeitslosen.

Kein Wunder daher, dass die Arbeitslosigkeit trotz, besser wegen des anhaltenden Kampfes gegen sie immer größer wird. Und wenn die Experten auch sonst nichts wissen, das wissen eben selbst sie! Nur, ein Einwand gegen diese Produktionsweise ist das für sie nicht!

3. Warum die Opfer des Wachstums für Wachstum sind

Die Wirtschaft befindet sich in einem Aufschwung, die Arbeitslosen werden mehr. Die Lage der Arbeitnehmer wird zunehmend prekär. Besteht darin die Krise? Offenbar nicht. Zwar ist es den Herrschenden nicht recht, wenn Leute, die sich eigentlich nützlich machen könnten und sollten, sich nicht nützlich machen können. Eine Krise der österreichischen Wirtschaft ist so was aber noch lange nicht, das gilt der Politik allerhöchstens als Wirkung der Krise. Ob Aufschwung ist oder nicht, das entnehmen die "Experten" nicht den Arbeitslosenzahlen, sondern dem Ausbleiben des Wirtschaftswachstums. Krise ist, wenn das Gewinne machen nicht mehr klappt.

Dann werden Existenzen massenhaft geopfert, weil sie im marktwirtschaftlichen System ohnehin keine andere ökonomische Existenzberechtigung haben als durch den Nutzen, den ein Unternehmen aus dem Gebrauch ihrer Arbeit herausholt. In der Krise wird das noch nicht einmal beschönigt. Aber einfach so gelten lassen will die Klarstellung auch niemand.

Auch die Arbeitnehmer kommen - zumindest derzeit - nicht auf die Idee, zu sagen, pfeif aufs Wachstum, auf den Aufschwung, wenn es gar nicht unser Lohn ist, der da wachsen soll. Die Aussage über das Verhältnis von erwartetem Wirtschaftswachstum und Arbeitslosenrate nimmt kein abhängig Beschäftigter als Auskunft über die laufende Trennung des produzierten Reichtums von dem, was er an Lohn verdienen kann. Weil sie als Beschäftigte und erst recht als Arbeitslose die abhängigen Variablen der Kalkulationen derer sind, denen die Arbeitsplätze wirklich gehören, aus dem ihnen aufgemachten negativen Abhängigkeitsverhältnis des Inhalts: ohne Wachstum keine Arbeit und ohne Arbeit kein Lohn, ziehen sie den Schluss, Parteigänger eines "Wachstums" zu sein, das sie laufend vom Reichtum trennt. Aus der Tatsache, dass ihnen hier und heute tatsächlich keine andere Chance eröffnet ist, ihr Leben zu gestalten, als eben die, sich durch den Dienst für dieses Wachstum einen Lohn zu verdienen, wollen sie keinesfalls einen Schluss auf die Tauglichkeit dieser Chance ziehen, sondern halten stattdessen eisern daran fest, dass dies doch ihre einzige Chance sei ist.

Den Widerspruch dieser Position bekommen sie praktisch zu spüren. Zugunsten des Wachstums haben sie nämlich die eigenen Wünsche und Bedürfnisse hintan zu stellen. Dass sie für das Wachstum sind, dürfen sie in Wachstumszeiten und erst recht in Krisenzeiten durch niedrige Lohnabschlüsse, flexiblere Arbeitszeiten und was es sonst so an kapitalistischen Zumutungen gibt, unter Beweis stellen. Bescheidenheit wird eingefordert, damit die Wirtschaft vorankommt. Für alle Phasen des Wachstums gilt daher die Maxime: "Lohnzurückhaltung!". Wachstum und Wohlstand der abhängig Beschäftigten schließen sich aus. Damit es mit der Vorbedingung ihres Wohlergehens bergauf geht, müssen sie aufs Wohlergehen verzichten. Wenn für sie nichts rauskommt, dann war nämlich wieder einmal das Wachstum einfach nicht groß genug.

Solche logischen Absurditäten und praktischen Härten handelt man sich ein, wenn man sich als Lohnabhängiger auf den bezahlten Arbeitsdienst am fremden Eigentum als seine Lebensperspektive festnageln hat lassen und aus seiner trostlosen Situation als abhängige Variable kapitalistischer Profitrechnungen keinen anderen Schluss mehr ziehen will als den, dass ausgerechnet diese Wirtschaft wachsen muss.