GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Eine notwendige Konsequenz der „Rettung des Finanzsystems“: Die Konkurrenz der Nationen geht in die nächste Runde. Das heißt: Die nächste Krise wird bereits gemacht!

Die unzähligen Milliarden für die „Rettung des Finanzsektors“ haben genügend Banken gerettet, um den Kollaps des Finanzsystems - so scheint es zumindest - zu verhindern. Man kann sich aber an seinen zehn Fingern abzählen, dass die Sache damit nicht ausgestanden ist. Klar, die Politiker wollen nicht mehr „in den Abgrund sehen“, wie es Finanzminister Peer Steinbrück damals ausdrückte; sie wollen es nicht noch mal erleben, dass der gesamte Geldverkehr und damit das kapitalistisch-ökonomische Leben überhaupt zusammenbrechen könnten. Weltweit beraten sie darüber, oder besser: streiten sich, wie die Finanzmarktaufsicht zu verschärfen, die Risikoberechnung zu verfeinern, mehr Kapitalunterlegung zu verlangen sei usw. Wenn es bei all dem darum gehen soll, wie sie sagen, „die Risiken zu mindern“, dann ist aber umgekehrt klar, dass diese Risiken niemals weg sind und - das kann sich jeder an einem Finger abzählen - es eine Sicherheit nicht gibt. Was beim Publikum als Beruhigung ankommen soll, ist in Wirklichkeit die Risikobereitschaft der der fromme Wunsch, die nächste Krise soll nicht so extrem ausfallen. Die Rettungspakete sind also nicht dafür da, den Banken das Spekulieren abzugewöhnen - dann könnte man ja gleich die Börse zumachen -, ganz im Gegenteil sollen ihnen diese Pakete dazu verhelfen, zu ihrer alten Risikobereitschaft zurückzufinden. Was ist mit ‚Risikobereitschaft’ gemeint? Das ist das, was vor der Krise so sehr gelobt wurde: das im Finanzsektor konzentrierte und hochkomplex ausgebildete - sprich: für Außenstehende undurchschaubare - Geschäftsgebaren, mit Kredit auf künftige Erträge zu spekulieren. Der Ertrag steht natürlich nicht fest - sonst wäre es ja keine Spekulation -, er wird aber in der Gegenwart behandelt, als sei er schon eingetreten und als hätte man ihn und damit ein neues Kapital schon in Händen. Das darf natürlich nicht brachliegen, sondern wird sofort zur nächsten Spekulation auf künftige Erträge eingesetzt. Die allseits bestaunte Aufwärtsspirale vor der Finanzkrise hat gezeigt, wie das geht.

In den Rettungspaketen manifestiert sich ein fester staatlicher Wille: Dieses spekulative Geschäft muss unbedingt wieder in Gang gesetzt werden, daran führt kein Weg vorbei. So hat die vormalige ‚Risikobereitschaft’ zwar dafür gesorgt, dass die Politiker „in den Abgrund schauen“ mussten, aber wenn diese ‚Risikobereitschaft’ nicht wieder anspringt, funktioniert der ganze kapitalistische Laden nicht, steht insofern erst recht vor dem Abgrund.

Das an die Banken ausgeschüttete Geld hat freilich einen Pferdefuß: Es soll die Zeitbombe wieder zum Ticken bringen, kann es von sich aus aber gar nicht. Dieses Geld bügelt Verluste aus, erhält den Banken ihren Bestand und ihre Zahlungsfähigkeit, aber es macht sie nicht reicher - darauf kommt es aber im Kapitalismus für die Banken wie für alle Geschäftsleute an. Reicher können sich die Banken nur selber machen, dann nämlich, wenn sie dieses Geld im zuvor beschriebenen Sinne spekulativ einsetzen, also mit dem Kreditieren - insbesondere untereinander - wieder loslegen. Darauf hoffen die Staaten mit ihren Rettungspaketen - und da fällt auf, was für ein abenteuerliches Risiko sie mit ihrem hoffnungsvollen Vorschuss auf sich nehmen. Für das Geld, das sie den Banken zustecken, stehen sie - abgesehen von dem neu gedruckten Geld - mit neuen Schulden ein, die bekanntlich mit einem Zins versehen zurückbezahlt werden müssen. Das verlängert sich beständig dahinein, dass für die Bezahlung wieder neue Schulden aufgelegt werden - die berühmte Schuldenuhr legt einen Zahn zu.

Es können die Staaten mit dem Angebot neuer Schuldpapiere auf den Markt treten, die der Markt für kreditwürdig hält. So sehr viele gibt es davon nicht mehr. Während der letzten Jahrzehnte hat sich der kapitalistische Weltmarkt immer weiter ausgedehnt, immer mehr Staaten haben ihr ökonomisches Heil in ihm gesucht - und immer mehr Staaten, mittlerweile die meisten, haben dabei schwere Einbußen ihrer Kreditwürdigkeit hinnehmen müssen. Sie können entweder überhaupt keine mehr oder nur sehr teure Schulden machen, in ihrem eigenen Geld sowieso, aber auch in fremdem. Und wie man jetzt - Stichwort: Krise der Euro-Länder - sieht: Darin hat sich überhaupt nichts geändert. Denn wenn nun die neuen Schuldpapiere an den Mann, sprich: an die Finanzwelt gebracht werden, dann nimmt die diese Papiere ja nicht aus Dankbarkeit unbesehen an, weil es die doch wegen ihrer und für ihre Rettung gibt. Sie macht vielmehr, was sie immer macht und was man von ihr erwartet: Sie vergleicht die staatlichen Herausgeber dieser Papiere, setzt also die von den Staaten beanspruchte Kreditwürdigkeit einem Test aus. Dieser Test läuft nach dem bekannten Muster ab: Wessen Schulden verknüpft man mit der Erwartung, dass sie den versprochenen Zins, also den künftigen Ertrag, tatsächlich abwerfen, welchem Staat ist somit zuzutrauen, dass er mit den Schulden auf seinem Standort ein Wachstum, den „Weg aus der Krise“, bewerkstelligen kann? Die Euro-Staaten konnten sich bis dahin durchweg darauf verlassen, dass sie über Kreditwürdigkeit verfügen. Der von der Finanzwelt angestellte Vergleich zwischen ihnen verläuft nun auch nicht so, dass einige Papiere einfach verschmäht werden, sondern nach dem in dieser Branche üblichen brutal einfachen Raster: Wo das Risiko höher ist, muss auch die Risikoprämie, d.h. der Zins, höher sein. Dass da mancher Staat kaum oder gar nicht mehr mithalten kann, geht die spekulativen Begutachter nichts an. Wie man dann an Griechenland, Portugal, Irland usw. gesehen hat, werden Staaten Opfer dieses Testes: Es drohen Staatsbankrotte.

Da fragt sich jetzt vielleicht der eine oder andere: Was ist denn in die Staaten gefahren, sich einem solchen Irrsinnsrisiko auszusetzen? Die Antwort darauf lautet: Gehe zurück auf Los. Mit den Rettungspaketen haben die Staaten zu Protokoll gegeben - man kann auch sagen: sie haben das Eingeständnis abgelegt -, dass sie einen unumstößlichen Sachzwang eingerichtet haben und sich ihm auf Gedeih und Verderb unterwerfen: Das gesamte Leben einer Nation hat dem zu dienen und ist davon abhängig, dass sich in ihr das Geld vermehrt. Mit ihren Rettungspaketen haben die Staaten des Weiteren zu Protokoll gegeben, dass die Zentralinstanz dieser Geldvermehrung der Finanzsektor ist: Dessen ganze Tätigkeit besteht darin, aus Geld mehr zu machen, er drückt also das Zwangsprinzip der Geldvermehrung in Reinform aus und er lebt dieses Prinzip der gesamten Wirtschaft vor und herrscht es ihr auf - sie hat seinen Kriterien zu genügen, und gemäß dieser Kriterien teilt die Finanzwelt den Kredit, der für jede kapitalistische Operation unerlässlich ist, zu oder auch nicht. Die Umkehrung davon: Wenn die Geldvermehrungsmaschinerie des Finanzsektors nicht funktioniert, steht das gesamte ökonomische Leben einer Nation auf dem Spiel - deswegen sind die Rettungspakete bzw. die dafür gemachten Schulden unabdingbar.

Jetzt mag sich vielleicht der eine oder andere nicht bloß wundern, sondern auch erschrecken - die Staaten tun das nicht. Für sie ist es ganz selbstverständlich, wie sie mit dieser Lage, mit dem Test auf ihre Kreditwürdigkeit umgehen müssen. Der mit ihnen angestellte Vergleich ist für sie nichts anderes als die Herausforderung, in der Konkurrenz mit anderen Nationen zu bestehen - und für manche ist das geradezu eine Gelegenheit. Die am oberen Ende sehen sich in der Position, in der Hierarchie der Mächte noch ein Stück weiter vorzurücken, wobei es die leichtere Übung ist, die Position derer, die sowieso am unteren Ende stehen, noch weiter zu verschlechtern. Das drückt sich finanzkapitalistisch-sachgemäß so aus, dass Griechenland die hohen Zinsen, Deutschland dafür umso niedrigere bezahlen muss, und im zwischenstaatlichen Verkehr drückt es sich so aus, dass Griechenland sich nun Vorschriften aller Art von Deutschland gefallen lassen muss. Komplizierter geht es zu am oberen Ende der Hierarchie, denn hier geht es um Machtverschiebungen, die mehr oder weniger offen darauf abzielen, wem die Führung in der Nationenkonkurrenz zusteht, in Europa oder gleich in der ganzen Welt. Die Kanzlerin hat gesagt, was sie sich von der Krise erwartet: „Die Nation muss stärker aus der Krise herauskommen, als sie hineingegangen ist.“ Das ist eine Kampfansage, deren Ernsthaftigkeit - um nur ein Beispiel zu nennen - man daran sehen kann, dass man jetzt fast jeden Tag in der Zeitung lesen kann, dass die „Achse Berlin-Paris“ nicht mehr so richtig funktioniert, sich die Streitigkeiten häufen. Töne dieser Art sind mittlerweile in der ganzen Staatenwelt an der Tagesordnung und sogar von einem „Währungskrieg“ ist schon die Rede.

Allen Staaten ist aber, ob sie nun am oberen oder am unteren Ende stehen, ob sie reich oder arm sind, eines gemeinsam: Für die Bewährung in der Konkurrenz mit anderen Nationen, überhaupt und jetzt erst recht, hat das Volk einzustehen - die Staaten übertrumpfen sich darin, wer sein Volk ärmer machen und mehr Leistung aus ihm herauspressen kann. Das zeigt noch mal die Absurdität und Gemeinheit dieser Geldvermehrungswirtschaft: Der gewöhnliche Mensch ist das Verschleißmaterial und er wird dafür hergenommen, dass die Nation dem selbst auferlegten Sachzwang zur Geldvermehrung gerecht wird.