GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Zur Herbstkampagne des Deutschen Gewerkschaftsbundes:
Nicht „Deutschland ist in Schieflage“, sondern eine Interessenvertretung der Arbeitnehmer, die mit Politik und Kapital kollaboriert und dann um „soziale Gerechtigkeit“ jammert!

Der DGB hat mit Kundgebungen und Demonstrationen seine Herbst-Kampagne gegen die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung eröffnet. An der wird sich zwar angesichts der tagtäglich in den Betrieben unter Mitbestimmung der deutschen Gewerkschaft praktizierten absolut störungsfreien und flexiblen Kollaboration der Belegschaften nichts ändern. Die Arbeiter-Agentur des Standorts Deutschland will halt wieder einmal auf sich aufmerksam machen. Und zwar auf die ihr eigene erbärmliche Art und Weise eines Jammerns um „mehr soziale Gerechtigkeit“.

Vor einem Jahr wurde gegen die Krisenpolitik unter anderem mit der kecken Parole protestiert: „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ Die Demonstrationen und Kundgebungen des DGB am 13. November gingen dagegen davon aus, dass das Gegenteil der Fall ist, „wir“ also voll für „eure“ Krise löhnen:

„Die Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise werden auf den Schultern der kleinen Leute abgeladen. Restriktive Sparprogramme, Kürzungen der Sozialleistungen, Einschnitte in öffentliche Daseinsvorsorge und das Bildungssystem verschlechtern die Lebens- und Arbeitsbedingungen.“ (DGB-Demo-Aufruf)

Die Gewerkschaften mit all ihrer Organisationsmacht haben das nicht verhindert. Denn sie haben es nicht verhindern wollen. DGB-Chef Sommer findet es absolut in Ordnung, dass seine Leute für die Krise zahlen, die sie nicht verursacht haben. Er ist richtig stolz auf die Opfer, die sie für die Rettung der Banken, des deutschen Kapitalismus und für den Aufschwung der Gewinne bringen.

„Nachdem die Finanzhaie und Wirtschaftsspekulanten die Welt an den Rand des ökonomischen Abgrunds geführt haben, da waren wir, da waren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut genug, den ganzen Laden zu retten. Was wäre denn gewesen ohne unseren Lohnverzicht bei Kurzarbeit, ohne Milliardenschwere Bankenrettungspakete, für die letztlich alle Steuerzahler geradestehen müssen. Es ist unstreitig, dass ein Wirtschaftseinbruch von fünf Prozent dieses Land in eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe gestürzt hätte, wären wir nicht gewesen. Ohne die Opfer der Arbeitnehmerschaft hätten wir heute keinen Aufschwung.“

Solchen Mist erzählte der DGB-Chef vor Demonstranten am 6.11. in Hannover. Für ihn ist es nur logisch, dass die Arbeitnehmer in der Krise den Kapitalismus retten, in dem sie die elende Rolle des „Kostenfaktors Arbeit“ spielen. Sauer ist Kollege Sommer allerdings, wenn der Dank des Vaterlands ausbleibt, den er dafür erwartet hat. Er ist allen Ernstes darüber beleidigt, dass Regierung und Kapital die Lohnopfer der Arbeitnehmer gerne einkassieren und zum Dank noch mehr davon verlangen. Was hat er denn erwartet? Hat er noch nie etwas vom Interessengegensatz von Arbeit und Kapital gehört? Sind Gewerkschaften nicht einmal gegründet worden, damit die Arbeiter in diesem Interessengegensatz nicht beständig unter die Räder kommen?

Heute haben die Arbeiter eine Gewerkschaft, die erstens die Opfer organisiert und verantwortet, die das Kapital für seinen Aufschwung braucht, die zweitens das Jammern über den Undank der Bosse und der Regierenden übernimmt und die drittens auch dabei noch einen sehr höflichen und patriotischen Ton anschlägt.

„Deutschland“ soll sich laut DGB-Hauptparole „in Schieflage“ befinden – und „Gerechtigkeit“ sei „etwas anderes“ als die von der Regierungspolitik real durchgesetzte.

Die deutsche Gewerkschaft verzichtet schon lange darauf, einfach materielle Vorteile für ihre Leute zu fordern und Forderungen mit der Drohung zu unterlegen, was sie alles lahmlegen und kaputt machen könnte, wenn sie nicht erfüllt werden. Die Kampforganisation der Arbeiterklasse, die anders könnte, appelliert als ohnmächtiger Bittsteller an die Obrigkeit, sie möge Gerechtigkeit walten lassen und auf die arbeitenden Menschen die Rücksicht üben, die dann noch möglich ist, wenn für die Bankenrettung, den Euro und den Aufschwung vorrangig alles Nötige getan ist. An die materiellen Interessen der eigenen Mannschaft erinnert der DGB nur sehr zurückhaltend, eingewickelt nämlich in die Sorge um die Gleichgewichtslage des deutschen Staatsschiffs, um den inneren Zusammenhalt dieser Ausbeutungsgesellschaft und den Erhalt ihrer sozialen Ordnung. Über eine Demonstration, die sich dermaßen bescheiden und patriotisch präsentiert, können Merkel, Westerwelle und die Kapitalfunktionäre nur lachen: Es ist die Botschaft, dass sie nichts zu fürchten haben, wenn sie gerade so weitermachen wie bisher.

Auf seinen Kundgebungen wartet der DGB mit großen Phrasen auf, die da tönen:

„Wir brauchen einen Kurswechsel“ – „Gute Arbeit“, „gutes Auskommen im Alter“ –
„Ein gutes Gesundheitssystem für alle!“

Das müsste doch für einen lesenden Arbeiter endlich einmal die Frage aufwerfen, warum derart selbstverständliche Ansprüche ans Leben in diesem reichen Land immerzu gefordert und doch nicht verwirklicht werden? Warum ist eine Arbeit, die einen nicht gleich auffrisst und deren Entgelt ein schönes Leben samt Wohlstand im Alter ermöglicht, für Arbeitnehmer nicht oder nur in Ausnahmefällen zu haben? Würden sich Gewerkschafter dieser Frage ehrlich stellen, müssten sie einräumen, dass sogar diese bescheidenen Ansprüche unverträglich sind mit dem kapitalistischen System.

Was soll „gute Arbeit“ auch heißen in einer Wirtschaft, in der die Nicht-Besitzenden davon leben müssen, dass sie Dienste für die Vergrößerung fremder Vermögen leisten? Nur wenn und nur so lange, also auch nur damit Kapitaleigner einen Gewinn aus ihnen herauswirtschaften, gibt es für die Lohnabhängigen Gelegenheiten zum Geldverdienen. Der Lohn muss knapp sein, damit er sich rentiert; Leistungsdruck und Arbeitshetze sind ebenso systembedingt wie die bleibende Existenzunsicherheit. Und im Alter stellt sich heraus, dass – egal ob die Rente privat, betrieblich oder über Sozialkassen organisiert ist – die meisten Arbeitnehmer im Leben nicht genug verdienen können, um als Rentner „ein gutes Auskommen“ zu haben.

Der DGB aber denkt nicht daran, seine humanen Phrasen ernst zu nehmen:

·            Der DGB fordert „gute Arbeit für alle“ und meint einen Mindestlohn von 7,50 Euro. Ist das gutes Geld für gute Arbeit, wenn ein Vollzeit-Arbeiter von ca. 1200 Euro brutto im Monat sein Leben bestreiten muss? Die Forderung hat gute Aussichten: Die schwarz-gelbe Regierung verordnet selbst in vielen Branchen Mindestlöhne, die Opposition will sie in allen.

·            Der DGB sagt: „Leiharbeit ist moderner Sklavenhandel“ und will dann gar nicht die Leiharbeit, sondern nur ihren Missbrauch verboten bekommen: Ihr korrekter Gebrauch liegt vor, wenn Leiharbeiter nach Basis­tarifen der Firmen entlohnt werden, in denen sie arbeiten. Das soll es sein? Ist die Welt voll guter Arbeit, wenn Leute, die täglich gefeuert werden können, für die Tage/Wochen/Monate, die sie in einer Firma sind, equal pay erhalten? Auch in dieser Sache steht der DGB nicht allein: Arbeitsministerin von der Leyen bastelt selbst an einem Gesetz gegen den „Missbrauch der Leiharbeit“.

·            Der DGB fordert: „Altersarmut darf keine Perspektive für Millionen sein“ und wendet sich so gegen die Rente mit 67. Es stimmt schon, dass die Verschiebung des gesetzlichen Rentenbeginns um 2 Jahre die Altersarmut verschlimmern wird; es stimmt aber nicht, dass die immer wieder abgesenkte Rentenformel gutes Auskommen im Alter sichern würde, wenn nur die allerletzte Verschlechterung unterbliebe. Hierzu versprechen SPD, Grüne und Linke lauwarme Unterstützung.

·            Die Arbeitnehmer haben sich in Krise und Aufschwung viel wegnehmen lassen und sind ärmer als zuvor. Jetzt fordert der DGB für sie einen „fairen Anteil“ an dem Aufschwung, der auf ihre Kosten geht. Das ist die aussichtsreichste seiner Forderungen, denn Wirtschaftsminister Brüderle von der FDP empfiehlt selbst schon um circa 3 % höhere Löhne.

So geht vernünftige und realistische Gewerkschaftspolitik: Jeder Verschlechterung der Lebenslage der Lohn­abhängigen läuft man mit dem Antrag hinterher, dass es doch bitte so schlecht bleiben sollte, wie es gestern war. Und stets tritt man dabei für staatliche Regelungen ein, die man vor ein paar Jahren als nicht hinnehmbare Angriffe auf den Sozialstaat beklagt hatte. Forderungen stellt man so, dass sie ein bisschen über das hinausgehen, was die Regierung sowieso plant. So hat auch ein Gewerkschaftsbund, der gar nichts mehr stören will, gute Chancen, wenigstens teilweise Gehör zu finden. Es fragt sich nur, ob Arbeiter und Angestellte dafür eine Gewerkschaft brauchen.