GEGENARGUMENTE

Die Arbeitnehmer tragen die Kosten der Krise, wer sonst! Ein Transferkonto soll dabei für Gerechtigkeit sorgen.

Mitte Oktober vergangenen Jahres propagierte Finanzminister Josef Pröll in seiner Grundsatzrede "Projekt Österreich" die Einführung eines Transferkontos als eine von mehreren Maßnahmen, welche dazu dienen sollen, die "Herausforderungen, die vor uns liegen", zu bewältigen.

"'Projekt Österreich' bedeutet, es ist etwas auf dem Weg, es gibt ein Ziel und es gibt noch viel Arbeit", betont Finanzminister Josef Pröll am Anfang seiner Rede. Er skizziert die finanzielle Ausganglage vor der Österreich steht und betont: "Die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind gewaltig: Neue Technologien, die demografische Entwicklung, die immer stärkere internationale Vernetzung und Abhängigkeit sowie der Klimawandel gehören bewältigt. Jetzt sind auch noch die Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise dazugekommen. Wie wir mit dieser schwierigen Situation umgehen, liegt aber ausschließlich an uns. Wir können sie verdrängen und den Kopf in den Sand stecken. Oder aber: Erkennen und handeln. Österreich ist ein starkes und selbstbewusstes Land. Ich will, dass wir Österreich voranbringen." (http://www.oevp.at/index.aspx?pageid=43294, 30.1.2010)

Dem kann man als erste Auskunft entnehmen für wie unumstößlich notwendig Pröll das von ihm im Weiteren Skizzierte hält – es gibt ein offenbar gar nicht weiter hinterfragbares, feststehendes Ziel, auf das hin er Österreich zwar schon längst orientiert weiß, das zu erreichen aber noch viel "Arbeit" kosten werde - Österreichs Position in der internationalen Staatenkonkurrenz zu sichern und weiter zu stärken. Dieses Projekt sieht er in einer "schwierigen Situation". Die "Herausforderungen", mit deren Zustandekommen Politiker nie etwas zu tun haben wollen, deren Bewältigung sie umgekehrt als Aufgabe, die sie zu lösen hätten, uminterpretieren, sind um eine Facette reicher geworden. Zur "immer stärkeren internationale Vernetzung", dem "Klimawandel", der "demografischen Entwicklung" sind jetzt "auch noch die Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise" dazugekommen.

So wie mittlerweile die "demographische Entwicklung" als ein unwidersprechlich natürlicher Grund für wachsende Armut von Jung und Alt fest im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert ist, wird diese Öffentlichkeit nun darauf eingestimmt, dass mit dem nächsten Budget aus einem gleichermaßen unwidersprechlichen Grund – den "Folgen der Finanzkrise" – ein Gürtel enger schnallen angesagt ist.

Dass damit nicht die prekäre Lage der Lohnabhängigen gemeint ist, versteht sich von selbst, auch wenn von denen in der Krise deutlich mehr als sonst die Erfahrung machen dürfen, welch unsichere Sache ein Lebensunterhalt ist, der auf Arbeit gegen Entgelt beruht. Das ist schon in den "guten" Zeiten kein Honiglecken – Geld gibt es nur, wenn es sich für den Arbeitgeber lohnt. Erst recht gilt dies aber jetzt. Krise ist, wenn das Geldvermehren in den Händen der dazu berufenen Agenten des Finanzgewerbes und mit ihm die Kreditwürdigkeit des Staates selbst in Gefahr gerät.

Sorgeobjekt ist demgemäß der Einbruch des Geschäfts heimischer Unternehmen und das im Zuge der Krisenbekämpfung durch Pakete zur Konjunkturbelebung und Finanzmarktstabilisierung gestiegene Defizit im Staatshaushalt. Dass die Wirtschaft wieder zum Wachsen gebracht und der steigende Schuldenberg nun wieder abgebaut werden muss, ist für Pröll – und die demokratische Öffentlichkeit ist sich mit ihm in dieser Frage ausnahmslos einig – genauso selbstverständlich und unumstößlich notwendig, wie es einige Monate davor noch fraglos nötig war, Schulden aufzutürmen, um die Banken zu retten. Anders als beispielsweise im Falle der Finanzierung von Pensionen – hat sich hier die Frage nach der Finanzierbarkeit nie gestellt. Hier ging und geht es nämlich nicht "bloß" um das Leben der Pensionisten sondern um die Kreditwürdigkeit des Staates selbst. Hier war kurzzeitig sogar das Allerheiligste der kapitalistischen Nationen selbst in Gefahr – das Geld.

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Der Verlauf der Krise offenbart tatsächlich, dass die ganze Gesellschaft hierzulande wie weltweit, davon abhängt, ob und wie die Geldvermehrung auf dem Finanzmarkt klappt. Lohnende Geschäfte, Exporterfolge usw. gibt es nur, solange Banker und Finanzagenten dies als Basis ihrer eigenen Geldvermehrungsmaschinerie benutzen können. Die Arbeitnehmer bekommen dies durch die Befreiungsschläge der Realwirtschaft in Form von rapide steigender Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Gehaltskürzungen zu spüren. Gerade den jetzigen unternehmerischen Versuchen, der Krise Herr zu werden, ließe sich leicht entnehmen, dass es mit der Identität der Nutzen von Unternehmern und Arbeitnehmern nicht weit her ist. Wenn das Gewinne machen nicht mehr klappt, werden Existenzen massenhaft geopfert, weil sie im marktwirtschaftlichen System ohnehin keine andere ökonomische Existenzberechtigung haben als im Nutzen, den ein Unternehmer aus dem Gebrauch ihrer Arbeit zieht. In der Krise wird das noch nicht einmal beschönigt; aber einfach so gelten lassen will die Klarstellung auch niemand. Auch nicht die Arbeitnehmer! Statt als Opfer des herrschenden ökonomischen Zwecks – der Geldvermehrung –, sehen sie sich als Opfer deren Nichtgelingens und verfolgen mit Bangen, ob es der Politik gelingt, das gewöhnliche marktwirtschaftliche Geschäftsleben wieder voll in Gang zu bringen.

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Dieser Krise Herr zu werden und die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, das Vertrauen in das österreichische Finanzkapital zu erhalten bzw. wiederherzustellen, dafür hat der österreichische Staat seine Kreditwürdigkeit strapaziert und ein Ausmaß der Staatsverschuldung in Kauf genommen, dass bis vor kurzem als noch absolut unvorstellbar galt. Dass dieses Auseinanderklaffen von Staatseinnahmen und Staatsausgaben nun wieder rückgängig gemacht werden muss, wir alle – auch diejenigen, die gar nicht zu den Nutznießern der Branche gehören, die um jeden Preis gerettet werden musste – dazu einen Beitrag leisten müssen, stellt ÖVP-Generalsekretär Kaltenegger in einem Interview mit der Presse eine Woche nach Prölls Rede klar:

"Da wir aber bald einen ziemlichen Schuldenberg abbauen müssen, ist zu überlegen, wem wir welche Last aufbürden und wen wir entlasten müssen."

Dass Lasten aufgebürdet werden müssen, das steht für Kaltenegger fest. Wer dabei welchen Teil der Last zu tragen hat, das will erst entschieden sein. Welche Kriterien dabei zur Anwendung kommen, lässt sich den Ausführungen von Vizekanzler und Finanzminister Pröll entnehmen:

"Wer jetzt über Steuererhöhungen oder neue Steuern redet, der hilft der Wirtschaft nicht auf die Sprünge, der stellt ihr ein Bein", wendet sich Pröll strikt gegen neue Steuern. Hier geht es auch um Leistungsgerechtigkeit und der Solidarität mit den arbeitenden Menschen. Denn die Steuerzahler sind die tragende Säule in unserer Gesellschaft, wodurch die vielen staatlichen Leistungen erst ermöglicht werden. "Deshalb schlage ich die Einführung eines allgemeinen Transferkontos vor. Ein Konto, auf dem alle staatlichen Beihilfen pro Haushalt zusammengeführt und dargestellt werden. Ein Konto, das mehr Transparenz bringt, mehr Gerechtigkeit und vor allem mehr Leistungsbewusstsein." Es braucht zudem ein Steuerrecht, das für jeden verständlich, plausibel und anwendbar ist. Ein Steuerrecht, das den sozialen Notwendigkeiten Rechnung trägt und die Leistungsträger entlastet." (ebenda)

Damit war es schon im Oktober vorigen Jahres erstmals auf dem Tisch, neue Steuern kommen und alte, schon bestehende werden erhöht. Eine öffentliche Debatte darüber hat sich Pröll mit dem Hinweis auf deren(!) Schädlichkeit für die Wirtschaft verbeten.

Eines verrät die Aussage Prölls. Bei den Steuern – der ersten und zentralen Finanzquelle des Staates – handelt es sich um keinen Tausch, der Staat verdient sich das Geld nicht. Steuern werden eingezogen. Irgendeine Gegenleistung ist damit nicht versprochen. Die Aussage verrät aber auch, dass sich die Politik der Widersprüchlichkeit dieser Finanzquelle bewusst ist. Mit dem Steuereinzug beschränkt der Staat nämlich zugleich auch die ökonomischen Mittel, die er im Interesse künftiger Steuereinnahmen vermehrt sehen will. Was er heute kassiert, droht die Steuerbasis von Morgen zu vermindern. Sosehr Steuern daher einerseits sein müssen, wo blieben sonst die mit ihnen finanzierten Dienste: die Rechtsordnung und ihre gewaltsame Durchsetzung mittels Justiz und Polizei, die dem privaten Eigentum doch überhaupt erst die Macht über alles Produzieren von Reichtum erteilt; die staatliche Garantie und Förderung des Kapitalwachstums usw. usf. – sosehr müssen sie andererseits aber unter allen Umständen wirtschaftsverträglich sein. Entsprechend differenziert fällt der staatliche Zugriff aus.

Bei denjenigen, die Geld nicht einfach ausgeben, sondern es investieren - sprich es so ausgeben, dass es um einen Profit vermehrt zu ihnen zurückkehrt -, kann er nicht vorsichtig genug sein – allein schon die Debatte über neue Steuern soll ja laut Pröll der Wirtschaft irreversiblen Schaden zufügen, geschweige denn erst das tatsächliche Einkassieren von Steuern.

Bei den anderen, den unselbstständig Beschäftigten, sind die diesbezüglichen Bedenken bei weitem nichts so ausgeprägt. Sie geben ihr Geld ja bloß aus, keine Spur von Geldvermehrung in ihrer Hand. Ihnen wird die Steuer daher ohne Wenn und Aber direkt an der Quelle abgezogen. Dafür dürfen sie sich jetzt aber der Huldigung Prölls, "tragende Säule" der Gesellschaft zu sein, sicher sein. Mehr noch! Dieser Leistung wegen und aus "Solidarität mit den arbeitenden Menschen" findet es Pröll nur gerecht, bei seiner Suche nach Finanzmitteln zur Reduktion der Staatsverschuldung nicht als erstes die Steuerzahler ins Visier zu nehmen.

Das würde nämlich ausgerechnet die Leistung bestrafen, auf die es ihm ankommt. Ein Gebot der Leistungsgerechtigkeit – so Pröll - sei es daher, zuvor die staatlichen Transferleistungen einer Überprüfung auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu unterziehen, ob derer man noch bis vor gar nicht langer Zeit die jetzige und vor allem so manche vergangene Regierungen hat loben dürfen. Kinderbetreuungsgeld, dreizehnte Familienbeihilfe und was sonst noch an Familienförderung beschlossen worden war, um Herrn und Frau Österreicher Geburt und Aufzucht künftiger Staatsbürger schmackhaft zu machen, stehen jetzt unter dem Verdacht, der "Leistungsbereitschaft" abträglich zu sein.

Nicht dass die so geehrten Leistungsträger um Steuererhöhungen herum kämen. Aber jetzt können sie sich den staatlichen Beschluss, die Staatsverschuldung zurückzuführen und sie zur Kasse zu bitten, als Schritt in Richtung hin zu mehr "Leistungsgerechtigkeit" zurechtlegen. Entscheidende Vorarbeit für die praktische Umsetzung dieser Pläne hat dabei ein VP-nahes steirisches Forschungsinstitut mit seiner Entdeckung einer "Gerechtigkeitslücke" geleistet. Deren Beseitigung verspricht Pröll entschieden anzugehen.

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Worin besteht nun die von Pröll entdeckte Gerechtigkeitslücke? Auf der Homepage der ÖVP kann man dazu folgendes nachlesen:

"Transferleistungen wie Wohnbeihilfe, Familienbeihilfe, Heizkostenzuschuss, Pendlerbeihilfe, Kinderzuschuss, etc. machen einen steigenden Teil der Staatsausgaben aus. Da nicht nur der Bund, sondern auch Länder und Gemeinden verschiedene und unterschiedlich hohe soziale Zuschüsse und Beihilfen gewähren, ist das System mittlerweile sehr undurchsichtig und komplex. Einen Gesamtüberblick, wer welche Leistungen erhält, gibt es nicht. Fakt ist, dass 2,7 Mio. steuerpflichtige Personen keine Lohn- und Einkommenssteuer zahlen. Sie sind jedoch Empfänger vielfältiger sozialer Transferleistungen." (http://www.oevp.at/Common/Downloads/Transferkonto_OEVP_2.pdf, 30.1.2010)

Dieser Aussage ist unschwer zu entnehmen, wie es um die Löhne und Gehälter der unselbstständig Beschäftigten und die Pensionen steht. Immerhin 2.7 Mio. Lohn- bzw. Gehaltsempfänger und Pensionisten haben nach Abzug der Sozialversicherungsabgaben ein Jahreseinkommen von nicht einmal 11.000 Euro zur Verfügung und zahlen daher keine Lohn- bzw. Einkommenssteuer.

So - als Anregung, einmal über die Löhne nachzudenken, die von der österreichischen Wirtschaft gezahlt werden -, ist diese Aussage natürlich nicht gemeint. Dabei ist es alles andere als ein Zufall, wenn ein nicht gerade kleiner Teil der Arbeitnehmer selbst nach staatlicher Einschätzung so wenig verdient, dass der Staat darauf verzichtet, bei diesen Personen Steuern einzuheben. Diese Niedrigkeit der Löhne hat ihren Grund in dem, wofür Arbeitnehmer den Lohn kriegen – nicht um davon gut leben zu können. Lohn -– der Geldbetrag, von dem die Lohnempfänger ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen – ist gar nicht der Zweck der Ökonomie. Geld für Arbeit gibt es nämlich nur, wenn ein Arbeitgeber diese Ausgabe für lohnend erachtet. Für sich, nicht für die Arbeitnehmer! Dass es daher bei den Löhnen – anders als bei den Managerbezügen – immer nur eine Debatte um Mindestlöhne gibt, ist daher kein Wunder.

Dort wo die Niedrigkeit der Löhne noch nicht einmal den Erhalt der Arbeitskraft hergibt – sich die Kosten fürs Wohnen oder Heizen nicht bestreiten lassen - von den darüber hinaus gehenden Diensten, die der Staat von seinen Bürgern auch noch erwartet, schließlich sollen sie nicht nur arbeiten und Steuern zahlen, sondern auch noch anständige Staatsbürger sein, die die Gesetze achten, Kinder in die Welt setzen und erziehen -, sieht er sich genötigt, diese Löhne durch Zuerkennung von Wohnbeihilfe, Heizkostenzuschuss, Familienbeihilfe, Kinderzuschuss usw. auf das seiner Einschätzung nach unerlässlich nötige Minimum anzuheben. In den Genuss derartiger staatlicher Geldleistungen kommen auch diejenigen, über deren Arbeitskraft die Wirtschaft endgültig das Urteil gefällt hat, nicht gebraucht zu werden. Die noch vom letzten seiner Bürger erwarteten und für ein funktionierendes kapitalistisches Gemeinwesen unerlässlich nötigen Dienste haben genauso ihren Preis, wie die dazugehörige moralische Gesinnung.

Davon, dass Beihilfen gewährt werden, weil andernfalls der Staat die Dienste, die er von seinen Bürgern erwartet, gefährdet sind, ist nicht mehr die Rede, wenn diese Beihilfen als Transferleistungen gekennzeichnet werden. Mit dieser Kennzeichnung wird vielmehr so getan, als ob die einen – diejenigen, von denen der Staat Lohn- und Einkommenssteuern eintreibt – für die anderen – die "Empfänger" dieser Transferleistungen, aufzukommen hätten. Dass dem nicht so ist, ließe sich nicht nur an den Titeln bemerken, unter denen diese Beihilfen gewährt werden. Die benennen schließlich, welcher Dienst mit der jeweiligen Transferleistung intendiert ist. Das wäre auch daran zu erkennen, dass noch nie versprochen wurde - schon gleich nicht in der gegenwärtigen Debatte ums Transferkonto -, dass weniger an Steuern zu "zahlen" wäre, wenn der Staat bei den Transfers "sparte".

Mit dieser bisherigen Praxis diverser Beihilfen ist Pröll und mit ihm die ÖVP nun unzufrieden.

Die Bezeichnung "Transferleistung" stand zwar schon bisher dafür, dass da jemand eine Geldleistung erhält, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Nur galt bislang genau dieser Umstand als Ausweis der durch den Sozialstaat hergestellten sozialen Gerechtigkeit. Gerade in dem, was bislang als soziale Gerechtigkeit gilt – der Staat greift denen, die unverschuldet zu wenig verdienen unter die Arme –, entdeckt sie nun eine einzige Quellen neuer Ungerechtigkeit:

"Sie" – gemeint sind diejenigen, die keine Lohn- und Einkommenssteuer zahlen –"sind jedoch Empfänger vielfältiger sozialer Transferleistungen. Hingegen müssen Personen, die eine gewisse Einkommensgrenze überschreiten, gleichzeitig mit einer steigenden Steuerlast und wegfallenden Transferleistungen kämpfen. Wie eine Studie zeigt, verfügen Familien mit arbeitenden Eltern oftmals über ein niedrigeres Familieneinkommen als Familien ohne Erwerbstätigkeit, die aber zahlreiche Beihilfen in Anspruch nehmen. Es geht um Leistungsbereitschaft genauso, wie um Solidarität mit den Schwachen. Beides ist nicht von einander zu trennen." (ebenda)

Denken soll man, welch ein Skandal! Da gibt es Familien, deren beide Elternteile einer ordentlichen Beschäftigung nachgehen, Lohn- bzw. Einkommenssteuer zahlen, die aber am Ende trotzdem nicht mehr an Einkommen zur Verfügung haben, als andere, die – sei es wegen zu geringen Einkommens, sei es weil sie gleich überhaupt nicht arbeiten - weder Lohn- noch Einkommenssteuer zahlen, dafür aber Transferleistungen in Anspruch nehmen oder vielleicht sogar gleich ganz von der Sozialhilfe leben. Da werden die Fleißigen bestraft und die Faulen belohnt, worunter die Leistungsbereitschaft der Österreicher und in weiterer Folge der Staat selbst leidet.

Ein einigermaßen verdrehtes und zugleich zynisches Bild der ökonomischen und politischen Wirklichkeit, das man sich machen soll. Nicht wenige Bürger – so der geäußerte Generalverdacht – ließen es nämlich an der gerade jetzt so nötigen Leistungsbereitschaft fehlen. Wenn die Unternehmen für einen nicht gerade geringen Teil der Arbeitnehmer keinerlei Verwendung haben, dann soll man das nicht der Marktwirtschaft und der ihr eigenen Rechnungsweise sondern den von ihr Ausgemusterten als deren ganz persönlichen Mangel zur Last legen. So als ob es im Belieben der Arbeitnehmer stünde, mal mehr, mal weniger zu arbeiten oder es nach Lust und Laune auch mal ganz bleiben zu lassen. Dass derlei Gedanken bei den Arbeitnehmern in Wahrheit nicht recht aufkommen mögen – auch wenn sie sicher keinen Einwand dagegen hätten, es einmal ruhiger angehen zu lassen -, dafür sorgen zum einen die von der Wirtschaft gezahlten Löhne, mit denen man nur über die Runden kommt, wenn man tagtäglich antritt. Arbeitspausen kennt die Marktwirtschaft nur in Gestalt von Arbeitslosigkeit und die können sich die von ihr Betroffenen am allerwenigsten leisten. Dafür sorgen schon die Niedrigkeit des Arbeitslosengeldes und die den Arbeitslosen abverlangten Beweise ihrer Arbeitswilligkeit. All dies hindert Pröll freilich nicht daran, zu unterstellen, dass die Arbeitnehmer es in der Hand hätten, mehr zu leisten, so sie nur ernsthaft wollten.

Die ÖVP belässt es aber nicht bei einer bloßen Beschuldigung. Sie kann den Menschen andererseits nämlich ihr Verhalten gar nicht verdenken. Schließlich lohne sich ihre Leistung für sie selbst gar nicht. Als Kritik an den von der Wirtschaft gezahlten niedrigen Löhnen ist diese Aussage freilich nicht gemeint. Löhne festzusetzen ist deren Sache, schließlich weiß nur sie, was sich für sie lohnt; auch wenn sie genau mit diesem Standpunkt für die am unteren Ende unweit des Sozialhilfesatzes orientierte Eintönigkeit der Lohnskala sorgt. Schuld daran trage der Staat selbst, so der genau gegenteilige Schluss der ÖVP. Wenn Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich kaum mehr verdienen als Sozialhilfeempfänger an Beihilfe kriegen, dann sind nicht die Löhne zu nieder, sondern dann sind die Sozialleistungen zu hoch. Dann ist mit den Sozialleistungen was nicht in Ordnung. Dann bietet dieses soziale Netz den Arbeitnehmern in Gestalt von Sozialhilfe und allerlei anderen Beihilfen für bislang vom Staat als besonders berücksichtigenswert anerkannte Lebenslagen eine Alternative dazu, jeder Erpressung seitens der Arbeitgeber nachgeben zu müssen. Kein Wunder daher, dass die ausgemusterten Arbeitnehmer angesichts dieses eklatanten Fehlens von "Leistungsanreizen" die von ihnen zu erwartende Leistungsbereitschaft schuldig bleiben. Dann müssen diese Beihilfen im Namen der "Leistungsbereitschaft" der Bürger gekürzt werden. Ob die dermaßen unter die Fittiche genommene Leistungsbereitschaft sich überhaupt betätigen kann, steht auf einem anderen Blatt. Einen Nutznießer gibt es unabhängig davon aber auf jeden Fall - den Staat, der sich Sozialkosten spart.

Als Nutznießer fühlen dürfen sich freilich auch die "Fleißigen". Nicht weil sich am Lohn für ihre Leistung künftig was ändern wird. Die Förderung ihrer Leistungsbereitschaft soll ja gar nicht ihnen, sondern dem Staat und seinem Haushalt zu gute kommen. Eine Erlassung der Steuerpflicht bzw. eine Erhöhung eines Steuerfreibetrages steht aus eben diesem Grund nicht zur Debatte. Bedient werden die als "fleißig" Titulierten nur in einem, in ihrem Sozialneid! Dass ihr immer schon vorhandener Verdacht, für ihre miese Lage wären andere verantwortlich, die das Sozialsystem ausnutzten und es sich auf ihre Kosten gemütlich machten, mehr als nur begründet ist, dafür haben sie nun die offizielle Bestätigung seitens der ÖVP, die mit ihrer Initiative für die nötige Transparenz gesorgt hat. Schließlich:

"Fehlende Transparenz ist der Nährboden für jede Neiddebatte. Deshalb wollen wir Klarheit schaffen mit einem Konto, das staatliche Beihilfen pro Haushalt zusammenführt und darstellt. Ein Konto, das mehr Transparenz und mehr Gerechtigkeit bringt und Doppelgleisigkeiten beseitigt."

Darüber hinaus können sie sich aber auch noch in der Gewissheit wiegen, dass sich die Politik ihrer Probleme annimmt. Auch wenn sich an ihrer materiellen Lebenssituation nichts ändert, eines wissen sie jetzt nämlich, die anderen, diejenigen, die es an Leistungsbereitschaft fehlen lassen, werden künftig noch schlechter dastehen, als sie selbst. Zumindest solange sie nicht selbst zu den Ausgemusterten gehören. Wenn das nicht beruhigt!

Galt es bislang als Ausfluss sozialer Gerechtigkeit, dass jenen, denen das "Schicksal" übel mitgespielt hat, geholfen werden muss, kriegt Gerechtigkeit - soweit es nach der ÖVP geht - nun einen neuen Inhalt. Gerecht ist nur, was der Leistungsbereitschaft dient, unabhängig davon, ob es für die überhaupt Gelegenheit gibt, sich zu betätigen.

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Die Antwort des Koalitionspartners der ÖVP ließ nicht lange auf sich warten und bewies einmal mehr, die SPÖ steht der ÖVP in Sachen Zynismus in nichts nach! Auf die Frage der Tageszeitung "Die Presse" nach den Einwänden der SPÖ gegen das von Pröll ins Spiel gebrachte Transferkonto, antwortet ihr Klubobmann mit den folgenden Worten:

"Weil wir hinter der Pröll-Initiative vermuten, dass er unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung Sozialkürzungen vornehmen will. … Es träfe Arme und die Mittelschicht. Das sind nicht wenige. Das sind Menschen, die unter schwierigen Bedingungen leben bis hin zur Mittelschicht, die unter den Auswirkungen der Wirtschaftskrise leidet. Stattdessen sollten wir endlich über die mehr als 60 Milliarden Euro Stiftungsvermögen reden oder die Spekulanten, die munter weitermachen. Das blendet Pröll komplett aus. Es geht ihm nicht wirklich um Verteilungsgerechtigkeit. Er nimmt sich nur einen Teil heraus." (Die Presse vom 20.10.2009)

Einschnitte bei den Transfers? Aber immer! Dass alles auf den Tisch muss, wenn es darum geht, die Staatskasse wieder in Ordnung zu bringen, auch die Transfers – auch wenn deren Empfänger ganz sicher nicht zu den Nutznießern der Ökonomie gehören, die gerettet werden musste, sondern eher zu den von ihm erinnerten "Armen" oder der bedauerten "Mittelschicht", die schon jetzt "unter den Auswirkungen der Wirtschaftskrise" leidet, – ist auch für Cap keine Frage. Dass die Sanierung des Staatshaushaltes keinesfalls vor den kleinlichen Notwendigkeiten deren privater Budgets halt machen kann, dass auch die Transferleistungen da nicht tabu sind, alles selbstverständlich. Nur auf einem muss er bestehen und zwar in aller Radikalität, wirtschaftlich notwendig sein müssen die Opfer schon. Für Opfer, die nicht notwendig sind, ist die SPÖ nicht zu haben.

Von vornherein irgendjemand von notwendigen Opfern für die Sanierung des Staatshaushalts auszunehmen, das widerspricht der sozialen Gerechtigkeit a la SPÖ. Gerade weil die SPÖ von der Notwendigkeit der Opfer überzeugt ist, weil auch sie überzeugt ist, dass die Anspannung aller Kräfte ein Gebot der Stunde ist, muss sie aber darauf bestehen, dass mehr als nur die von der ÖVP ins Auge gefassten Transfers für die Sanierung des Staatshaushaltes herangezogen werden.

"Da gehörten Bauern und Unternehmer genauso dazu wie das Stiftungsrecht und die Verteilungswirkung des ganzen Steuersystems. Und man müsste die realen Transferleistungen des Staates einbeziehen, vom Gratiskindergarten bis zum subventionierten Opernbesuch, von der Pendlerpauschale bis zur Familienbeihilfe oder der Wohnbauförderung. … die vielen Subventionen im Bildungsbereich" (Die Presse vom 20.10.2009)

Das erspart zwar den "Armen" und den Mitgliedern der "Mittelschicht" kein einziges Opfer. Bestens bedient fühlen können sie sich dann aber trotzdem. Leisten doch dann wirklich alle – vom Nutznießer eines Gratiskindergartens bis zum hinterletzten Opernbesucher – ihren Beitrag zur Überwindung "unserer" Wirtschaftskrise und beweisen damit praktisch, dass "wir" – Nutznießer der herrschenden Verhältnisse ebenso wie ihre Opfer - in diesen "schweren Zeiten" alle wie ein Mann zusammenstehen.

Der Produktivkraft dieser Argumente für die anstehenden Budgetkonsolidierungsmaßnahmen wollte oder konnte sich schließlich auch Pröll nicht entziehen. Anfang März einigten sich die Regierungsparteien auf eine "Transparenzdatenbank", die alle "Leistungen ohne unmittelbare Gegenleistungen" auflisten soll.

"Statt sich nur auf die Sozialtransfers zu konzentrieren, geht es jetzt "um die Transparentmachung von überhaupt allem", wie Sozialminister Rudolf Hundstorfer erklärte. Das gesamte Förderwesen soll erfasst werden." (Wiener Zeitung vom 4.3.2010)

Na dann kann es ja los gehen!