GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Die Aufregung über den Benzinpreis:
Österliche Inszenierung eines politmoralischen Beschwerdetheaters
Noch eine ideologische Bewältigung der Armut

Vor Ostern ist der Ärger mal wieder groß gewesen. Alle Zeitungen schimpfen: „Der Benzinpreis kennt nur eine Richtung: Immer weiter nach oben.“ So die Bild-Zeitung (30.3.), die FAZ spricht von „Benzinwucher“ (31.3.) und die Süddeutsche konstatiert eine Steigerung von „Allzeithoch zu Allzeithoch“. (22.3.) Mit rechten Dingen kann das nicht zugehen, eine korrekte marktwirtschaftliche Preisbildung ist das nicht, sondern „Preisirrsinn“. Das trifft den gewöhnlichen Konsumenten, der sein Auto nun mal für die Fahrt zur Arbeit oder für seine Freizeit braucht und diesen Preisen nicht auskommt. Bei den Großkonsumenten stellt sich die Lage allerdings weniger dramatisch dar. Nach der Warnung – „Der Ölpreis wird zur Gefahr für die Industrie“ (FAZ, 3.4.) – kommt die Entwarnung: Diese Großkonsumenten haben so ihre speziellen Möglichkeiten, mit den Preisen umzugehen. Die Fluggesellschaften haben sich durch Hedging-Kontrakte gegen den Preisanstieg abgesichert und „ein Teil der Sonderlasten wird durch Treibstoffzuschläge auf die Passagiere abgewälzt“. Aufs Abwälzen versteht sich auch die Transportindustrie, die macht das mit „Gleitklauseln“, und die Land- und Ernährungswirtschaft kann vom Staat „eine Rückvergütung von der Hälfte der Mineralölsteuer beantragen.“ Fazit: „Ein hoher Preis ist kein grundsätzliches Problem für die deutsche Industrie“, um den Unternehmerstand müssen wir uns also keine Sorgen machen.

Dafür umso mehr um den „abgezockten“ Konsumenten. Der kann seine Kosten nicht weitergeben und ist dem Treiben der Mineralölkonzerne hilflos ausgeliefert. Doch halt! Angesichts des „Preisirrsinns“ springt ihm ein mächtiger Bündnispartner zur Seite: der Staat. Wirtschaftsminister Rösler empfindet Mitleid: „Die Arbeitnehmer leiden erheblich unter den Mobilitätskosten“. (FAZ, 3.4.) Leidet der Arbeitnehmer tatsächlich unter den „Mobilitätskosten“? Eher leidet er doch darunter, dass er notorisch knapp bei Kasse ist, also unter einem niedrigen, in den letzten Jahren zudem noch sinkenden Lohn. Und wenn er dann gar nicht darum herumkommt, sei es wegen der Arbeit oder wegen der Freizeit, einen beträchtlichen Teil seines schmalen Budgets für Benzin auszugeben, dann haut eine Preiserhöhung natürlich rein. Aber der Grund für den Ärger ist noch allemal sein Geldmangel und nicht der Preis – der macht ihn doch nicht arm. Auf der Autobahn fahren genügend Leute herum, denen eine Benzinpreiserhöhung ziemlich egal ist.

Mit der Verschiebung auf den Preis als dem wahren, dem eigentlichen Ärgernis ist man da, wo die Politik ein offenes Ohr hat und sich gar zu gerne der Nöte der Bürger annimmt. Umweltminister Röttgen teilt mit, wie man den Betroffenen Hilfe zukommen lassen will: „Es ist jetzt die Aufgabe und Pflicht des Staates, dieses Verhalten des Missbrauchs von Marktmacht von einigen Konzernen unter Kontrolle zu bekommen“. (FAZ, 3.4.) Die Mineralölkonzerne sollen sich also eines „Missbrauchs ihrer Marktmacht“ schuldig gemacht haben. Der Minister verspricht, diese Marktmacht „unter Kontrolle zu bekommen“. Er tut so, als würde er diese Marktmacht einfach so vorfinden, als wäre sie irgendwie zustande gekommen. Aber die Konzerne verfügen über diese Macht doch nur, weil die Politik das so will. Diese Konzerne bewirtschaften einen wichtigen Sektor, auf den es dem Staat sehr ankommt und über den er mit Argusaugen wacht. Für ein reibungsloses Funktionieren einer kapitalistischen Marktwirtschaft ist die Bereitstellung einer Ware wie Benzin, der Aufbau von Raffinerien, ein flächendeckendes Tankstellennetz usw. nun mal unbedingt erforderlich, und der Staat lässt das von den 5 großen Konzernen und einem an ihnen dranhängenden Schwarm von Einzelunternehmen besorgen. Die Preise werden von den Konzernen vorgegeben, Preisvorschriften macht ihnen der Staat nicht, vielmehr stellt er ihnen frei, Preise zu verlangen, von denen sie anständig profitieren, eben weil sie in seinen Augen eine wichtige Funktion erfüllen. Und – nicht ganz unerheblich – davon fließt dem Staat auch eine sehr schöne Steuer zu.

Die Politik verspricht also – zum x-ten Mal übrigens –, die Marktmacht zu kontrollieren. Wer sich jetzt Illusionen macht, mit Hilfe dieser Kontrolle solle der Preis gesenkt werden, wird enttäuscht. Es geht ausschließlich darum, ob der Preis korrekt zustande gekommen ist, was hier heißt: ob nicht gesetzeswidrige Absprachen für eine Marktverzerrung gesorgt haben. Das ist das Ritual, das bei jeder Benzinpreiserhöhungsrunde abläuft: Geprüft wird, ob ein Rechtsverstoß vorliegt. Dafür ist der Staat zuständig und dafür hat er sein Bundeskartellamt. Das hält sich ans Wettbewerbsrecht, welches laut Regierungssprecher Seibert, „das geeignete Mittel ist, um möglichem Machtmissbrauch im Mineralölbereich zu begegnen.“ Also eben das Wettbewerbsrecht, mit dem die Benzinpreise immer schon munter gestiegen sind. Das Kartellamt prüft pflichtgemäß, und wie immer kommt heraus: Nix gefunden. So bläst sich die Politik erst als Diener des gewöhnlichen Volkes im Kampf gegen Preissteigerungen auf und lässt gleich darauf die Luft aus sich wieder raus. Es bleibt eine Lehre fürs Volk in Sachen Benzin: Dem Staat, der sich mit grundgutem und hilfsbereitem Willen der Sache annimmt, sind leider schwer die Hände gebunden bei seinen Möglichkeiten, den „unter Mobilitätskosten leidenden Arbeitnehmern“ unter die Arme zu greifen. Er muss sich einfach an die Wettbewerbsregelungen halten, die er sich selbst gegeben hat. Eine Linderung der Rekordpreise für Autofahrer käme nur dann zustande, wenn die Gegenseite sich bei dem Rechtsverstoß der Preisabsprache erwischen lässt oder die freien Tankstellen teurer beliefert hat als ihre eigenen Zapfsäulen. Der Verdacht, dass die Konzerne doch gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen, bleibt bestehen. Aber er ist nur für eines gut: Der Tankstellenkunde darf sich eine schlechte Meinung über die Mineralölkonzerne halten und schimpfen. Das ist besonders befriedigend, wenn ihm eine Kamera vor die Nase gehalten wird. Ansonsten ist die Sache, was den Preis angeht, für den Staat und auch für die Öffentlichkeit gelaufen – erst aufregen, dann abregen.

Aber es gibt noch zwei Spielzeitverlängerungen.

– Erstens eine kurze Debatte, ob nicht die Pendlerpauschale erhöht werden sollte. Für Leute, die zur Arbeit fahren müssen – für bloß so Herumfahren gibt es natürlich nichts –, wäre vielleicht eine Erleichterung drin: Immerhin geht es darum, dass sie ihren Dienst verrichten können. Aber ehe man sich’s versieht, kommt der Einwand: Davon profitieren hauptsächlich die Besserverdienenden. Schon hat sich der Benzinpreis in eine Frage der Steuergerechtigkeit verwandelt, von da wandert er in das immer beliebte „zwischenparteiliche Gezänk“ – und der Tankstellenkunde hat mal wieder Grund, sich über die Politik und ihre „Handlungsunfähigkeit“ aufzuregen. Auch eine Art von Entschädigung.

– Zweitens lässt die Angelegenheit den Wirtschaftsminister Rösler von der FDP nicht ruhen. Er will den Konzernen weiter nachsteigen. Die Öffentlichkeit weiß sofort: Das macht er bloß, um der FDP einen sozialen Anstrich zu verpassen und mehr Anklang bei den Wählern zu finden. Das stimmt sicherlich. Einerseits. Andererseits sollte man aber auch würdigen, dass sich hier ein eingefleischter Marktwirtschaftler treu bleibt. Als solcher überlegt er, wie er für ein besseres Funktionieren des Marktes sorgen kann. Herausgefunden hat er, dass es den Konsumenten an „Informationen“ fehlt. Nicht der Preis ist zu hoch, vielmehr sind ihre Möglichkeiten beschränkt, sich als Marktsubjekte in dem „Preisdurcheinander“ zurechtzufinden und immer rechtzeitig Bescheid zu wissen, welche Tankstelle sie meiden und welche sie anfahren müssen. Darum müssen die Tankstellenbesitzer ihre Preisänderungen sofort melden. Das hilft dem Kunden: „Wichtig sei, dass die Preise in Echtzeit so offengelegt werden, dass beispielsweise ein Navigationsgerät mit Internetverbindung berechnen kann, welche Tankstelle in der Nähe sich gerade lohnt.“ (SZ, 21.4.) Ob sich eine Tankstelle „lohnt“, wenn sie 2 Cent billiger ist, sei dahingestellt. Wer sich veräppelt vorkommt, weil er nun vom Arsch zum informierten Arsch des Ladens befördert wird, täuscht sich. Er muss sich mal klar machen, welche Marktmacht jetzt ihm verschafft wird: „So können Autofahrer besser auf Preis­unterschiede reagieren und Tankstellen haben dann wirkliche Anreize, ihre Konkurrenten zu unterbieten.“ (Ebd.) Ach, darum ist der Benzinpreis immer gestiegen: Es hat an den „Anreizen“ gefehlt. Alles wird gut.


© GegenStandpunkt Verlag 2012