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„Kony 2012“ – ein Kindermärchen: Wie „das Böse“ es fertigbringt, den Imperialismus gut dastehen zu lassen.

Kürzlich sorgte ein Film, den man im Internet u. a. über Facebook und Youtube anschauen kann, für Furore. „Kony 2012“ – so sein Titel – gelang es innerhalb weniger Tage von mehreren Millionen interessierten „Viewern“ angeklickt zu werden. Der Film stammt von „Invisible Children“ (Unsichtbare Kinder), einer Non-Profit-Organisation aus den USA, die mit dem Film über sich und ihre Kampagne mit dem Ziel informiert, dem kriegerischen Treiben des ugandischen Milizen- und Sektenführers Joseph Kony ein Ende zu machen. In der Öffentlichkeit herrscht weitverbreitetes Erstaunen darüber, dass ein politisches Thema solche Aufmerksamkeit im Internet erregt – vor allem unter den jüngeren Usern. Der Krieg, über den berichtet wird, findet in Afrika statt. Der Film führt uns Bilder aus dem Norden Ugandas vor: Kinder, die nachts aus ihren Dörfern in die Städte fliehen, weil sie sich vor nächtlichen Angriffen von Joseph Kony und seiner „Lord’s Resistance Army“ fürchten; dort schlafen sie zu Hunderten auf engstem Raum und kehren jeden Morgen in ihre Dörfer zurück. Man erfährt, dass Kony und seine Armee seit gut 26 Jahren recht häufig Dörfer überfallen und die dort lebenden Kinder zwangsrekrutieren – die Mädchen als Sexsklaven und die Jungen als Soldaten. Man sieht die verstümmelten Gesichter von Dorfbewohnern und lernt, dass die entführten Kinder dazu gezwungen werden, ihre eigenen Eltern umzubringen. Die Frage, wie die Verhältnisse beschaffen sind, die einen Kony dazu animieren und es ihm ermöglichen, so zu werden, wie er ist – diese Frage kommt den Filmemachern nicht in den Sinn. Was ist los in diesen Ländern, wenn sich solche Figuren dort herumtreiben, warum gehören Barbareien dieser Art dort zum Alltag? – damit möchten die Macher von „Kony 2012“ ihr Publikum nicht behelligen, obwohl ihnen schon bekannt sein dürfte, dass Kony kein so einzigartiger Fall ist und dass solche Kleinarmeen in ganz Zentralafrika und nicht nur dort unterwegs sind, in aller Regel auch mit Kindersoldaten. Den Filmemachern kommt es auf etwas anderes an: Sie betrachten alles von der ahnungslosen Perspektive eines kleinen Kindes aus, das über die dortigen Verhältnisse nicht mehr zu wissen braucht als: Kony ist das Böse. Die Umstände umrahmen dann bloß die scheußliche Figur, die daraus hervorgeht und sich darin herumtreibt. Zugegeben – grauenhaft ist er allemal, der Kony. Aber es ist schon seltsam: Mitten in einer Welt, die von Staatsgewalten zugepflastert ist, die mit ihren stehenden Heeren und ihren zerstörerischen Waffen Kriege führen, soll gerade die Sorte Gewalt, die von einem Schurken im afrikanischen Busch ausgeht, der untrügliche Beweis des Bösen sein. Aber das bloße Vorführen der Opfer – und seien die Bilder noch so furchterregend und grausam – kann doch keinen guten Beweis hergeben dafür, dass die Taten des Joseph Kony so besonders verabscheuungswürdig sind, wie einem der Film nahelegen will. Man täte sich nämlich schwer, die zerstörten Dörfer und deren tote bzw. verstümmelte Insassen von den Kollateralschäden eines amerikanischen Drohnenangriffs zu unterscheiden, von denen eines Bombardements à la „Shock and Awe“ (das Bushs Air Force 2003 in Bagdag angerichtet hat) ganz zu schweigen. Nicht, dass sich die Filmemacher an den Opfern solcher Gewalteinsätze, wie sie aktuell im Irak und Afghanistan zu besichtigen sind, nicht stören würden – aber in diesen Fällen sprechen die Opfer offensichtlich nicht für die Bösartigkeit des Täters. Die Filmemacher erläutern, was ihrer Meinung nach den entscheidenden Unterschied macht: Zum einen„die besondere Perversität seiner Verbrechen“, insbesondere aber: „Als ob Konys Verbrechen nicht schlimm genug wären, kämpft er für keine politische Sache, sondern nur für den eigenen Machterhalt. Er wird von niemandem unterstützt.“ Das ist ja interessant: Weil Kony nicht für eine allgemein anerkannte – vielleicht noch mit einem UNO-Mandat versehene – Sache kämpft, sondern nur für den eigenen Machterhalt, soll er so besonders verabscheuungswürdig sein. Dieser afrikanische Milizenführer wird zum Mörder erklärt, ein Urteil, das man sich beim Anblick „unserer“ Soldaten nie auszusprechen trauen würde. „Soldaten sind Mörder!“ ist hierzulande eine unzulässige Beleidigung eines ehrenwerten Berufsstandes. Unsere volljährigen und ordentlich gemusterten Soldaten der deutschen Bundeswehr werden schließlich von unserem Verteidigungsminister mit ihren hochmodernen Waffen parlamentarisch bestätigt in den Krieg geschickt. Und zwar im Dienste eines Zwecks, bei dem es wirklich nicht darum geht, bloß den MachterGegenStandpunkt Analyse im Radio vom 25. Juni 2012 1 von 2 halt eines Befehlshabers zu sichern, der von Dorfüberfällen lebt. Wenn die Bundeswehr ihre „Aufträge“ in Afghanistan und sonst wo „erledigt“, dann geht es um die Schaffung und Aufrechterhaltung einer kompletten politischen Ordnung. Da wird „die Freiheit“ verteidigt – wenn es sein muss bis zum Hindukusch. Und das ehrt dann deren bewaffnete Beschützer als Helden und selbstverständlich brauchen sie für ihren Auftrag die modernsten und durchschlagskräftigsten Waffen. Im Verhältnis zur kriegerischen und polizeilichen Gewalt, die nötig ist, solche Verhältnisse daheim und auswärts zu einer fest etablierten und anerkannten Weltordnung zu machen, ist Kony nur ein sehr kleines Licht. Aber seinen Opfern gehen der gute Sinn und die hohen Werte ab, in die sich die imperialistischen Gewaltaktionen einkleiden, und darum sind seine Opfer ein einziges Zeugnis von der Abartigkeit seiner Gewalt. Damit steht für „Invisible Children“ fest, wer der gute Widerpart zum bösen Kony ist: Es ist die ordentliche Gewalt, die zur Beseitigung des Bösen beauftragt werden muss. Weshalb sich „Invisible Children“ zielsicher an die US-Regierung wendet. Und in einer Hinsicht ist man hier an der richtigen Adresse. Es gibt schließlich nichts auf der Welt, was die USA nicht angehen würde. Sie sind zuständig für alle Gewaltaffären der Welt. Es ist ja ihre Weltordnung, in der Kony und seine Mannen sich herumtreiben – was sich auch an der üblichen Bezeichnung dieser Länder ablesen lässt: Das sind Schuldenstaaten. Es sind die Verlierer einer Weltmarktkonkurrenz, in der sie bzw. ihre Rohstoffe von den Gewinnern dieser Konkurrenz ausgiebig benutzt werden. Die Gewinnerstaaten haben sehr früh dem Umstand Rechnung getragen, dass die Beteiligung an der Konkurrenz auf dem Weltmarkt viele der beteiligten Staaten ruiniert – von ihren Insassen ganz zu schweigen, die sowieso nichts zu bestellen haben. Diese Länder hat man erst mal in großem Stil mit Kredit versorgt. Und weil auch mit dem kein nennenswertes Geschäft in Gang kam, wurde mit periodischen Umschuldungen und dem einen oder anderen Schuldenerlass jahrelang für eine mehr schlecht als recht funktionierende Staatlichkeit gesorgt. Dadurch wurden diese Länder zwar weiterhin ruiniert; ihre weitere Benutzung durch die maßgeblichen Akteure des kapitalistischen Weltmarkts wurde allerdings auf diese Weise sichergestellt. Nachdem Afrika als Rohstofflieferant fertig erschlossen worden war und zudem die sowjetische Systemalternative abgedankt hat, hat das Interesse an den Kosten einer funktionierenden Staatlichkeit in Afrika schließlich immer mehr abgenommen – den Zugriff auf die begehrten einheimischen Ressourcen kann man auch anders organisieren. Nämlich so, dass sich in dieser Verwüstungsspur der Weltmarktkonkurrenz schon seit Jahrzehnten unterhalb der offiziellen staatlichen Ebene eine wachsende Anzahl lokaler Gewalthaber einnistet. Nicht selten haben diese ihren Ausgangspunkt in der Verteidigung einer verfolgten Ethnie – so wie im Fall Kony, dessen Armee ursprünglich als Schutzmacht eines Stammes im Norden Ugandas und im Süden Sudans lokale Anerkennung genossen hatte. Vor allem in Afrika konkurrieren solche Verbände über die Grenzen hinweg um die unmittelbare Kontrolle über vom Ausland begehrte, weil dort als Geschäftsmittel benutzte Rohstoffe; sie überfallen die entsprechenden Gebiete und die darin liegenden Dörfer mit aller Entschlossenheit und Brutalität und reißen die Herrschaft über die dort lagernden Bodenschätze an sich. Von Regierungen in der näheren Nachbarschaft werden sie mit modernen Waffen ausgestattet – die aus den Waffenschmieden der zivilisierten Welt stammen. Hat man bei solchen Auseinandersetzungen Erfolg, steigt man gegebenenfalls zu einer international anerkannten Regierung auf und kann mit offiziellen Gewaltmitteln den Kampf um die Verwaltung interessanter Rohstoffe fortsetzen. So ungefähr geht die Erfolgsstory von Yoweri Museveni, dem jetzigen Präsidenten Ugandas, dem Hauptfeind Konys, der jetzt enger Bündnispartner der USA in Ostafrika ist. In seinem Kampf um die Macht in Uganda vor mehr als 25 Jahren ist er angeblich als Erster im modernen Afrika auf die Idee gekommen, Kindersoldaten in den Dienst zu nehmen; und vor 15 Jahren im sogenannten „afrikanischen Weltkrieg“ hat er in der Konkurrenz um ostkongolesische Bodenschätze einiges an Erfolg zustande gebracht, unter Vernichtung von Land und Leuten im großen Stil. Weniger erfolgreiche Warlords halten sich mit dem lebenden und toten Ertrag aus Überfällen auf Dörfer einigermaßen schadlos. So mag diese letzte Variante kriegerischer Gewalt – von der Kony ein vielleicht besonders furchterregendes Exemplar darstellt – eine Abweichung von der erfolgreichen Ordnungsgewalt des Westens sein, aber so gehört sie allemal dazu. GegenStandpunkt Analyse im Radio vom 25. Juni 2012 2 von 2