GEGENSTANDPUNKT GEGENARGUMENTE

Schlecker am Ende: eine lobenswerte Pleite

Seit Anfang Juni steht fest: Die Drogeriemarktkette Anton Schlecker wird ausverkauft und aufgelöst. Die Rettungsversuche waren erfolglos, weil sich keine Investoren fanden, die ausreichend viel Geld angeboten hätten, um die Gläubiger zufriedenzustellen. Natürlich werden jetzt die Tränen der Schlecker-Angestellten gefilmt, denn die stehen wieder einmal für das, was man aus jeder Entlassung lernen soll: Einen Arbeitsplatz zu haben ist ein Glück für jeden, und der Verlust trifft ihn nicht nur materiell als Lohnausfall, sondern viel tiefer und elementarer: Da geht ein Stück Lebenssinn und Heimat verloren. Die Medien nutzen also den Mitleidseffekt, um die übliche marktwirtschaftliche Propaganda vom Arbeitsplatz als Segen und Schicksal loszuwerden.

Eines war im Fall Schlecker aber deutlich anders als sonst: Nach der Anmeldung der Insolvenz trat die übliche Betroffenheit fast in den Hintergrund gegenüber einer auffälligen Genugtuung, z. T. sogar einer hämischen Freude über diese Entwicklung. Die Süddeutsche Zeitung spricht es aus: „Den Richtigen hat es schon erwischt.“

Man wurde daran erinnert, dass Schlecker schon mal einen sogenannten Leiharbeiterskandal provoziert hat. Dabei hat die Firma das damals noch neue Gesetz zur Flexibilisierung der Zeitarbeit so konsequent umgesetzt, dass sie eine Reihe von Beschäftigten aus Festverträgen entließ und sie dann als Zeitarbeiter – mit der entsprechenden Verbilligung – wieder einstellte. Allgemein wurde das als Missbrauch des Gesetzes angesehen und in der Presse der besonderen Profitgier und Rücksichtslosigkeit der Drogeriemarktbesitzer Schlecker zugeschrieben. Die Familie Schlecker musste die Entlassungen zurücknehmen. Aber solchen Vorwürfen entkam sie trotzdem nicht. Zwar verkaufte sie dieselben Produkte wie ihre Konkurrenten, lockte die Kunden genauso wie die anderen Drogeriemärkte mit Sonderangeboten an, bezahlte ihre Mitarbeiter auch nicht schlechter als die anderen. Seinen besonders schlechten Ruf wurde Anton Schlecker aber nicht los. So kommt es, dass nun nach der Pleite alle möglichen Leute den Niedergang schon vorausgeahnt haben wollen und ihn ziemlich gerecht fanden. So mancher rühmte sich sogar, an der Schlecker-Pleite selbst mitgewirkt haben – natürlich nicht in destruktiver, sondern in bester humanitärer Absicht. Herr Buhrow von den „Tagesthemen“ gab dort seine persönliche Einstellung zu Schlecker preis, mit einem gewissen Stolz auf die praktischen Konsequenzen seiner Verachtung:

„Auch ich gehöre zu denen, die um Schlecker schon seit geraumer Zeit einen Bogen machen. Einkaufen in heruntergekommenen Ramschläden und in einem Betrieb, der Mitarbeiter schikaniert, nein danke. Und weil nicht nur ich, sondern viele so dachten, ist Schlecker mit seinem Geschäftsmodell an die Wand gefahren.“ (tt 29.2.12)

Und was spricht jetzt genau gegen das Geschäftsmodell von Schlecker? Dass niedrige Löhne gezahlt wurden, kann es ja wohl nicht sein, dann dürfte der Kritiker nicht mit Überzeugung zu dm, Rossmann und Konsorten laufen, um seine Zahnpasta einzukaufen. Ein anderer Medienfachmann von der SZ klärt uns auf, was bei Schlecker schiefgegangen ist:

„Das Konzept der immer zahlreicheren, aber kleinen und kargen Läden rechnete sich nicht: hohe Kosten, wenig Umsatz, noch weniger Gewinn. Viel lehrreicher aber als die materiellen Ursachen sind die menschlichen Aspekte dieser Firmenpleite. Es hat hier ein tatkräftiges Gründerpaar den Profit absolut und einseitig über die Moral gestellt und partout nicht begriffen, dass das auf Dauer nicht gut gehen kann.“ (21./22.12.11)

Das ist schon eine sehr merkwürdige Theorie darüber, was die Familie Schlecker falsch gemacht hat. Es wird nicht bestritten, dass es gut für den Erfolg einer Firma ist, wenn sie niedrige Löhne und geringe Sozialkosten hat – warum soll es dann falsch gewesen sein, dieses Geschäftsinteresse entschlossen und konsequent zu verfolgen? Zu absolut und einseitig findet das der Beobachter, weil es nicht zu seinem schönen Wunschbild von der Marktwirtschaft passt. Mit solchen Vorwürfen treten die Schlecker-Kritiker an und liegen voll daneben. Ihre Kriterien haben sie nicht der Marktwirtschaft entnommen, sondern ihren idealistischen Vorstellungen von sozialer Harmonie. Mehrmals konnte man da lesen, dass der Käufer nicht einfach nur möglichst billig einkaufen will, nein, er will beim Einkaufen auch ein „gutes Gefühl“ haben. Und das wird gestört, wenn er meint, dass die Verkäuferinnen schikaniert werden. Dann fühlt er sich einfach nicht wohl; als Kunde mit einem sozialen Gewissen kann er so etwas nicht leiden.

Na schön, wenn es diesen kritischen Kunden wirklich so zuwider ist, warum haben sie dann nicht mal einen objektiven Vergleich der verschiedenen Drogeriemarktketten durchgeführt? Welche Löhne zahlen sie, wie lang sind die Arbeitszeiten, wie häufig die Überstunden, wie behandeln sie ihre Beschäftigten? Dann wäre ihm wohl klar geworden, dass hier überall mit niedrigen Tarifen, mit Zeitverträgen, Minijobs, schlecht oder gar nicht bezahlten Überstunden usw. operiert wird; dass den Drogerieverkäufern überall Löhne gezahlt werden, die kaum oder nicht für ein Existenzminimum reichen, schon gar nicht, wenn davon eine Familie leben muss. Das Geschäftsmodell, mit Discountpreisen ordentliche Gewinne zu erzielen, funktioniert nun einmal so.

Ja, es stimmt schon, gewerkschaftliche Vereinbarungen über Tariflöhne hat die Firma Schlecker so lange wie möglich abgewehrt. Aber welche Firma würde eigentlich die Gewerkschaft zum Verhandeln einladen, wenn sie nicht gesetzlich dazu verpflichtet wäre? Und was ist dran an der Behauptung, Schlecker hätte seine Belegschaft unnötig schlecht behandelt? Auch hier wieder die Gegenfrage: Was von den Schlecker-Praktiken war denn nun untypisch für die soziale Marktwirtschaft? Nicht einmal der damals verbotene Umgang mit Beschäftigten, die erst entlassen und dann als Zeitarbeiter wieder eingestellt wurden, ist ungewöhnlich; so mancher Unternehmer hat das geschafft. Auch über die Bauwirtschaft liest man oft genug in den Zeitungen, dass bestimmte Verbote erfolgreich umgangen werden, wenn es dem Gewinn nützt. Also fällt die ganze aufgebauschte angebliche Abweichung der Drogeriemarktkette Schlecker so ziemlich in sich zusammen.

Worüber beschweren sich also die Schlecker-Kritiker von der publizierenden Zunft tatsächlich? Ein positives Betriebsklima möchten sie vorgeführt bekommen, keine abgehetzten und womöglich schlecht gelaunten Mitarbeiter, so dass der Kunde sich beim Einkaufen unwohl fühlt. Eine ziemlich anspruchsvolle Stellung gegenüber den Bediensteten eines Unternehmens, das mit anderen Firmen um den Zuspruch, also um die Kaufkraft von mehrheitlich nicht gerade üppig verdienenden Kunden konkurriert. Wenn es ihnen bei Schlecker nicht gefällt, dann gehen sie zur Konkurrenz, aber nicht deshalb, weil man nun mal irgendwo seine Zahnpasta kaufen muss, sondern sie legen sich das als ihre Leistung zurecht: als gezielten Einkaufsboykott gegen die unbeliebte Firma und als Belohnung für die andere Drogeriefirma, die angeblich rücksichtsvoller mit ihren Mitarbeitern umgeht. Dem Besitzer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, wurde das Kompliment zuteil, dass er seine Leute „schätzt und fördert“ (SZ). Was heißt hier Förderung? Bei Schlecker wäre das Verkaufstraining in der Freizeit Schikane gewesen, bei dm gilt dasselbe als eine gut gemeinte Förderung, für die die Mitarbeiter dankbar sein müssten. Und wenn die Firma dm ihren Vorsprung in dieser weltfremden moralischen Hierarchie ausnutzt und sich bei ihren Kunden mit dem dummen Werbespruch andient: „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein.“, dann wundert sich keiner über diese Stilisierung des Zahnpastakaufs, sondern man fühlt sich glatt bestätigt, dass bei dm kein Unternehmer im üblichen Sinne, sondern ein Philanthrop dahintersteckt. Und zu so einem kann man sein Geld vertrauensvoll hintragen. Der schafft es, seine Belegschaft kostengünstig einzuspannen und jeder Kassiererin ein freundliches Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Für die Kritiker ist also die Schlecker-Pleite fast so etwas wie ein Glücksfall: Sie lässt sich interpretieren als Strafe für ein menschenfeindliches Profitstreben, für ein falsches, weil unzeitgemäßes Geschäftsmodell. Da ist also nicht einer gescheitert in einer Konkurrenz, in der alle dasselbe wollen und dieselben Methoden einsetzen. – Nein, eine höhere Gerechtigkeit hat ihn scheitern lassen. Denn angeblich kommt es in der modernen Geschäftswelt so sehr auf moralische Qualitäten an, dass eine rücksichtslose Durchsetzung und Charakterfehler wie Geiz quasi automatisch bestraft würden. Solche Effekte wollen sich kritische Käufer als Verdienst anrechnen lassen, weil sie angeblich ständig das Wohl der Produktions- und Verkaufsmannschaften im Blick haben. Gegen die miese Bezahlung und die Ausnutzung der Abhängigkeit der Beschäftigten wollen sie allerdings nicht Partei ergreifen. Das ist schon in Ordnung, wenn die Beschäftigten zu billiger und zuverlässiger Arbeit angehalten werden; nur ist es nicht ausreichend: Die sollen dann auch noch freundlich und gut gelaunt sein und am besten einen glücklichen Eindruck machen. Dann fühlen sich die Kunden wohl, die Geschäfte laufen besser, und so kommen dann nachhaltige und gerechte Profite zustande. Und nebenbei wird auch noch der Marktwirtschaft ein gutes Zeugnis ausgestellt: In dieser Ordnung ist angeblich das Wohlbefinden jeder einzelnen Arbeitskraft eine entscheidende Erfolgsbedingung. Lächerlich!

PS. In Österreich und Tschechien geht übrigens das angeblich überholte „Geschäftsmodell“ von Schlecker munter weiter.