GEGENARGUMENTE

These 1: Armut ist nicht Knappheit an Geld – Armut gibt es, weil sich alles ums Geld dreht

Armut ist Ausschluss vom Reichtum und nicht Mangel an Zutrittsmittel zum Reichtum, an Geld. Das Zutrittsmittel Geld braucht man überhaupt nur, weil man vom Reichtum ausgeschlossen ist.

Wenn von Armut die Rede ist, denkt gewöhnlich jeder an Obdachlose, Bettler, Augustinverkäufer, an Menschen ohne oder mit einem so geringen Einkommen, dass sie damit nicht auskommen. All das sind natürlich Erscheinungsformen von Armut, die aus dem „modernen Stadtbild“ des beginnenden 21.Jhdts. immer weniger wegzudenken sind. Armut mit diesen Erscheinungsformen zu identifizieren, geht aber daran vorbei, was sie wirklich ist.

In Wahrheit sind alle diese aufgezählten Fälle eines gleich die ganze Existenz bedrohenden Geldmangels nämlich nur Teil eines viel weiter verbreiteten Dauerkampfes um eine Lebensführung mit immer beschränkter Kaufkraft. Die vorgeführten Menschen – Obdachlose im Angesicht leerer Wohnungen, Delogierungen in Spanien bei gleichzeitigem Überfluss an Wohnraum , keine medizinische Behandlung in Griechenland, nicht weil Medikamente oder Ärzte fehlen, Bettler vor vollen Geschäften – sind doch nichts anderes als handgreifliche Personifizierungen eines in kapitalistischen Gesellschaften herrschenden Prinzips, des Prinzips nämlich, dass alles was man konsumieren möchte bzw. muss, als Ware zur Welt kommt. Alles was produziert wird, wird ausschließlich dafür produziert, verkauft zu werden.

Ausnahmslos alles, was Menschen zum Leben brauchen – von Lebensmitteln, über Wohnraum, Luxusgüter bis hin zu den Mitteln des Produzierens – ist in unserer Gesellschaft Eigentum. Alles gehört jemandem, alle anderen sind qua Eigentum ausgeschlossen, gleichgültig dagegen, wie sehr sie darauf angewiesen sind. Man kommt an die Gegenstände des Bedarfs nur, wenn man bereit und in der Lage ist, den vom Verkäufer geforderten Preis zu zahlen.

Daraus ist ein Schluss zu ziehen. In unserer Gesellschaft geht es nicht darum, die Gesellschaftsmitglieder mit dem zu versorgen, was sie brauchen. Nichts von dem, was an gigantischem Reichtum zustande kommt, wird deshalb produziert, um die Bedürfnisse auch nur eines Gesellschaftsmitgliedes zu befriedigen, sondern einzig zu dem Zweck, die in der Gesellschaft vorhandene Zahlungsfähigkeit dazu zu benutzen, die hergestellten Waren in Geld zu verwandeln. Für Bedürfnisse, die nicht zahlungsfähig sind, wird aus diesem Grund gleich gar nicht produziert.

Ob überhaupt und wenn ja an wie viel Geld ein jeder kommt, hängt von den Mitteln ab, über die er verfügt.

Weil die große Mehrheit der Bevölkerung qua Eigentum nicht nur von den notwendigen Lebens- und Genussmitteln, sondern und vor allem von den Produktionsmitteln – von allen Mitteln das eigene Leben zu reproduzieren – ausgeschlossen ist, ist deren einzige Einkommensquelle der Verkauf ihres eigenen Arbeitsvermögens. Was es dabei für sie an den von anderen eingerichteten und ihnen einzig offenstehenden Einkommensquellen zu verdienen gibt, steht in keinem wie auch immer gearteten Verhältnis zu ihrem Bedarf. Jedes Kind mehr, jeder Fall von Krankheit, Unfall oder Scheidung führt daher nicht zu einer Anpassung des Einkommens an die neue Lebenssituation, sondern muss privat bewältigt werden. Jeder solche Wechselfall des Lebens birgt daher die Gefahr des Abrutschens ins absolute Elend in sich. Ob und wie viel an einem Arbeitsplatz verdient wird, richtet sich nicht nach dem Bedarf der Arbeitnehmer, sondern ausschließlich nach der Kosten-Nutzen-Rechnung des Unternehmens, das sie einstellt.

Zusammenfassend: Bedürfnisse werden in dieser Gesellschaft nicht bedient sondern benutzt. Die Bedürftigkeit der Individuen ist das Mittel, diejenigen, die nichts weiter ihr Eigentum nennen als ihr Arbeitsvermögen, zum Dienst für fremden Reichtum zu erpressen, einem Reichtum, von dem sie selbst ausgeschlossen sind und trotz aller Anstrengung bleiben. Diese normale Armut ist es, die den Keim der Existenzgefährdung in sich trägt, eine Existenzgefährdung, die am Obdachlosen oder Bettler bloß noch schlagend wird, die man sich dann aber als einem unvorhersehbaren Wechselfall des Lebens geschuldet vorstellen soll.

Arme, Bettler, Obdachlose usw. sind nicht arm, weil es ihnen an Geld fehlt, sondern Bettler, Obdachlose, Arme gibt es, weil die ganze Reichtumsproduktion ihr Maß im Geld hat. Weil sich die ganze Wirtschaft ums Geld dreht.

These 2: Armut ist nicht das Resultat falscher Verteilung des Reichtums

Die marktwirtschaftliche Armut, der mit dem Eigentum gesetzte Ausschluss vom Reichtum, stellt sich im praktischen Lebensvollzug der Menschen als ein Verhältnis von erzielbarem Einkommen und zu bezahlenden Preisen dar. An den gegenständlichen Reichtum, an die Gegenstände des Bedarfes kommt man ausschließlich durch Kauf. Und auch das dafür nötige Geld wird nicht verteilt, sondern muss verdient werden. Wie der Einzelne dieses Verdienen anstellt, bleibt ihm im Rahmen der Gesetze von Markt und Staat selbst überlassen.  Es gibt nur diesen einen Markt des Einkommen Verdienens und Preise Zahlens, ein anderes Verhältnis zwischen dem produzierten Reichtum und dem Leben der Leute findet nicht statt. Die existente Armut hat schon von daher nichts mit einer falschen Verteilung zu tun, wie von den Kritikern der Armut behauptet wird.

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In einer Marktwirtschaft wird nicht falsch oder ungerecht verteilt, es wird überhaupt nicht verteilt. Ungleich verteilt kann nur sein, was überhaupt verteilt wird. Davon ist aber beim besten Willen nichts zu sehen. Weder kommt der jährlich produzierte Reichtum als ein großes Gemeinschaftswerk zustande – was ja eine notwendige Voraussetzung jeder Verteilung wäre –, und schon gar nicht gelangt anschließend irgendwo irgendwas zur Verteilung.

Wenn man aber schon dem Glauben anhängt, Einkommen würden irgendwie verteilt, wäre doch zu erklären, wieso es denn dann immer dieselben sind – die Lohnabhängigen nämlich –, die bei dieser Verteilung zu kurz kommen. Dafür muss es doch einen systematischen Grund geben.

Es dürfte dies dann wohl doch eher etwas mit ihrer besonderen Stellung im Produktionsprozess – mit ihrer besonderen Einkommensquelle – zu tun haben, als mit einer angeblich ungerechten Einkommensverteilung. Die müsste man sich dann aber ansehen.

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Wer von einer ungerechten Einkommensverteilung spricht, unterscheidet die in der Gesellschaft vorfindlichen Einkommensarten – Löhne/Gehälter und Gewinne – nur ihrer Höhe nach. Die Besonderheit der jeweiligen Einkommensquellen wird dabei völlig außer Acht gelassen.

Dass sich auf Seiten derer, die vom Lohn leben müssen, Reichtum nicht einstellt, ist daher alles andere als Zufall, sondern ist Folge dieser speziellen und ihnen einzig offen stehenden Einkommensquelle! Wer wie viel verdient hat daher mit einer Verteilung der Einkommen nichts zu tun.

Armut ist notwendige Voraussetzung und Resultat kapitalistischen Produzierens. Notwendige Voraussetzung deshalb, weil einzig die mit dem Ausschluss vom Reichtum gesetzte Alternativlosigkeit einen Arbeitsplatz wie ein Angebot aussehen lässt. Resultat weil das Gesetz der Lohnzahlung dafür sorgt, dass die Arbeiter ihre Abhängigkeit nie los werden.

These 3: Arm sind die Menschen nicht „trotz Arbeit“, sondern wegen des Zwecks, für den gearbeitet wird

In den Broschüren von Kritikern zum Thema Armut findet man die Aussage, die Menschen seien „arm trotz Arbeit“. Diese Beschwerde – „Arm trotz Arbeit“ – ist realistisch und idealistisch zugleich. Realistisch, weil sie mit größter Selbstverständlichkeit von der Abhängigkeit der Arbeitnehmer von einem Arbeitsplatz ausgeht. Darin irrt diese Kritik auch nicht. Nur wer einen Arbeitsplatz hat, hat ein Einkommen und das braucht man, weil man ansonsten von allem was man zum Leben braucht und will ausgeschlossen ist. Dafür sorgt das Eigentum. Mit dieser Beschwerde wird im Grunde eingestanden, dass die Arbeitnehmer unter den herrschenden Verhältnissen ihr Leben nicht selber im Griff haben, es nicht selber im Griff haben, mit ihrer Arbeit für erträgliche Lebensumstände zu sorgen. Kritisiert oder wenigstens hinterfragt wird diese Abhängigkeit der Menschen nicht. Das ist die Seite des Realismus.

Idealistisch ist diese Beschwerde insofern sie gegen den eigenen Merker daran festhält, dass der Arbeitsplatz doch zumindest leisten müsste, dass die Menschen von ihm leben können, statt zur Kenntnis zu nehmen, dass der Lohn offenbar für was anderes gezahlt wird als dafür, dass der Lohnempfänger vom Lohn leben kann.

Tatsächlich brauchen die Menschen im Kapitalismus jemanden, der sie beschäftigt und der sie für ihren Dienst entlohnt. Die Umkehrung, die Leute würden einen Lohn kriegen, damit sie davon leben können, ist deswegen noch lange nicht richtig. Nur wer das aber glaubt, hält es für einen Verstoß an angeblichen Prinzipien des Wirtschaftens, dass dieser Lohn in vielen Fällen tatsächlich nicht zum Leben reicht. Der Fehler, den so jemand macht, besteht darin, das praktische Urteil der Menschen – sie gehen einer Lohnarbeit tatsächlich einzig deshalb nach, weil sie auf den damit verdienten Lohn angewiesen sind – mit der Erklärung der Sache gleichzusetzen. So als ob gearbeitet würde, damit die Menschen ein Einkommen haben.

Unsere Gegenbehauptung gegen die Losung „Arm trotz Arbeit“ lautet daher, arm sind die Menschen wegen des Zwecks, für den gearbeitet wird. Was ist damit gemeint?

Der Lohn ist die negative Größe der Wirtschaft.

Den Lohn zu erwirtschaften, ist nicht Zweck der Unternehmen. Der Lohn ist Kost. Der Kostenfaktor Arbeit verringert in dem Maß, wie er kostet, den Betriebserfolg. Der Standpunkt des Betriebserfolges verlangt daher heute wie zu Zeiten des Manchesterkapitalismus, die Leute, die die Arbeit machen, möglichst gering zu entlohnen und dabei möglichst ergiebig und lang auszunutzen. Wie richtig das ist, sieht man gerade aktuell an der geplanten Änderung des Arbeitszeitgesetzes in Richtung 12 Stunden Tag!

Der Lohn wird nicht dafür gezahlt, um denen ein Auskommen zu ermöglichen, die von ihm leben müssen. Der Lohnarbeiter braucht den Lohn, um davon leben zu können. Aber bezahlt wird der Lohn bzw. Gehalt nach einem völlig anderen Kriterium als danach, ob der Mensch davon leben kann. Letzteres geht den Unternehmer nichts an.

Bezahlt wird der Lohn danach, ob und wie viel Arbeit ein Unternehmer gerade brauchen kann und zu welchem möglichst niedrigen Preis er die Arbeit kriegen kann.

Nimmt das Bedürfnis des Unternehmens nach Arbeit ab, entfällt der Lebensunterhalt der Lohnabhängigen. Nimmt es zu entfällt deren Freizeit. Dann wird 40 und mehr Stunden gearbeitet. Im anderen Fall findet Kurzarbeit statt oder die Leute verdienen gar nichts mehr – Arbeitslosigkeit!

Das Bedürfnis der Unternehmen ihre Arbeitskräfte passend zur Auftragslage möglichst flexibel und kostengünstig einsetzen zu können, keinen Lohn-Euro zu zahlen, der sich nicht unmittelbar in einem zusätzlichen Gewinnanteil niederschlägt, findet seinen Ausdruck in der Zunahme von Leih- und Teilzeitarbeit. 1.2 Millionen Menschen gehen in Österreich derzeit einer solchen – wie es heißt – „atypischen“ Beschäftigung nach. Die Zahl derer, die vom Lohn bzw. Gehalt nicht mehr leben können, steigt entsprechend an. Deren Armut erklärt sich freilich nicht aus dem Fehlen „typischer“ Beschäftigung, sondern daraus, dass das Kriterium, dem die Lohnzahlung unterliegt – egal ob typisch oder „atypisch“ beschäftigt –, rücksichtslos ist gegen den Zweck Lebensunterhalt desjenigen, der die Arbeit macht, weil er den Lohn braucht.

Geldmangel ist daher der Regelfall und nicht die Ausnahme bei jener großen Masse der Bevölkerung, die auf lohnabhängige Beschäftigung angewiesen ist. Diese Verdienstquelle bewirkt notorischen Geldmangel und zwar nicht erst dann, wenn sie verloren geht.

Sie sind nicht „arm trotz Arbeit“, sondern „wegen des Zwecks, für den gearbeitet wird“: Gewinn bzw. Profit.

These 4: Grund der Armut ist der Profit und nicht die Profitgier

Es ist immer dasselbe. Unternehmer rationalisieren, Leute fliegen raus, Löhne werden gesenkt, die Umsätze und die Gewinnmargen steigen, der Aktienkurs des Unternehmens verzeichnet neue Höchststände. Unternehmer schließen ein Werk und verlagern es in eine Weltgegend, in der die Löhne wesentlich niedriger sind. Das Geschäftemachen kommt im Zuge einer Finanzkrise ins Stocken und wieder werden Löhne gesenkt und wieder gehen Arbeitsplätze verloren, hier und weltweit. Der Schaden der Arbeitnehmer ist in allen Fällen eine ausgemachte Sache.

Immer wenn ein solches Ereignis eintritt, melden sich Kritiker mit dem Vorwurf zu Wort, dies alles wäre der Profitgier der Unternehmer geschuldet. Nicht selten ergänzt um den Zusatz, der Mensch müsse wieder in den Mittelpunkt des Wirtschaftens gestellt werden.

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Wer diesen Vorwurf der Profitgier erhebt, macht eines nicht, er formuliert keinen Einwand gegen den Profit selbst. Kritikabel wird der Profit in seinen Augen ja erst durch seine Übertreibung. Nicht im Profit sondern in der Gier nach ihm, in der amoralischen und unanständigen Übertreibung des Strebens nach Profit sieht er den Grund für die beklagten Umstände. Umgekehrt darf es schon um den Profit gehen, wenn nur höhere Werte – der „Mensch“, die „Natur“, der „gesellschaftliche Zusammenhalt“ – nicht aus dem Auge verloren werden. So jemand möchte die Welt des Profits um Anstandsregeln guten und verantwortungsvollen Unternehmertums ergänzt wissen. Wer also Profitgier beklagt, hält an der prinzipiellen Vereinbarkeit von Profit und Wohl der Arbeitnehmer fest.

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Wer so denkt, handelt sich freilich einen unauflöslichen Widerspruch ein. Entweder ist der Profit und das Profitmachen nämlich eine respektable Sache, gegen die sich nichts sagen lässt. Dann kann er aber doch gar nicht hoch genug sein und die Herrschaften, die sich um ihn kümmern, liegen genau richtig, wenn sie sich an nichts anderem als an ihrem Profit orientieren. Mehr Profit wäre dann ja mehr von den guten Wirkungen, die ihm nachgesagt werden.

Ist das Streben nach hohem Profit aber schädlich für die Arbeitnehmer, dann kann es unmöglich wahr sein, dass Profit und Nutzen der Arbeitnehmer miteinander verträglich sind. Dann ist die kapitalistische Geschäftemacherei ganz grundsätzlich nicht dafür vorgesehen, Lebensmittel der Menschheit zu sein. Dann schließen die Prinzipien der Marktwirtschaft von vornherein all die unangenehmen Folgen notwendig mit ein, die aufgezählt werden. Dann ist es aber eine Dummheit, ausgerechnet am Profit eine nützliche und eine böse Seite zu unterscheiden. Dann ist nicht die Profitgier zu kritisieren sondern der Profit selbst.

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Das Verhältnis zwischen einem kapitalistischen Betrieb und seinen Lohnempfängern sieht etwas anders aus, als es sich die Kritiker der Profitgier zurecht legen. Wenn ein Betrieb Lohn zahlt, dann deshalb, weil ihm die mit dem Lohn eingekaufte Leistung mehr an Reichtum einspielt als sie an Lohn kostet. Dieses Verhältnis beinhaltet einen offenkundigen Gegensatz. Der Betrieb erreicht seinen Zweck ja umso besser, je geringer der gezahlte Lohn und mit ihm der Nutzen des Lohnempfängers von seiner Arbeit ist. Jeder Euro mehr Lohn bedeutet zugleich immer eine Schmälerung des Gewinns und damit eine Schmälerung der Größe, derentwegen der Unternehmer einzig investiert.

Leute, die Profitgier kritisieren, wollen von diesem Gegensatz nichts wissen. Sie bemerken zwar die Wirkungen dieses Gegensatzes, führen sie aber nicht auf den Profit zurück, sondern auf die Gier der Unternehmer. Sie machen also nicht den Zweck Profit als Grund für die schlechte Bezahlung dingfest, sondern die überzogene Stellung der Unternehmer zum Profit. Nicht der Profit ist schlecht, sondern ein zu viel davon. Jemand, der so urteilt, meint, Profit und Lohn seien eigentlich zwei verträgliche Größen, die harmonieren könnten, wenn nur die Unternehmer nicht zu gierig wären.

Wer denkt, dass die Lohnsenkung oder die Entlassung – normale Mittel in der Konkurrenz von Unternehmen – vermeidbare Unfälle wären, die nur durch ein unmoralisches Verhalten der Betriebsführungen zustande kämen, will nicht das System der Marktwirtschaft und seine Rechnungsweise angreifen, sondern die Rechner. Er erweist sich damit als jemand, der sich im Angesicht der schlechten Erfahrungen, die man als Lohnabhängiger in der Marktwirtschaft macht, den guten Glauben an ihre Brauchbarkeit erhalten möchte.

These 5:  Grund der Armut ist nicht die Arbeitslosigkeit

Das Wahlbündnis „Europa anders“ schreibt:

 „Arbeitslosigkeit ist nicht alternativlos: Die Arbeitslosigkeit steigt seit Jahrzehnten und immer mehr Menschen leben in Armut. Wir stehen für gerechte Verteilung von Arbeit durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und für eine ernsthafte Debatte über die Chancen eines bedingungslosen Grundeinkommens – eine Wirtschaft, die das Gemeinwohl fördert und die Umsetzung der Energiewende bis 2040. Damit es den Menschen wieder gut geht – und so auch der Wirtschaft.“ (Europa anders, „Für ein Europa der Menschen“)

a. ad „Arbeitslosigkeit ist nicht alternativlos“

Bevor man daran geht, das „Problem“ der Arbeitslosigkeit bekämpfen zu wollen, sollte man sich zuerst einmal vergegenwärtigen, welch wahnwitziges Problem man sich da macht. Was ist denn los, wenn Menschen ausgerechnet „Arbeit“ fehlt?

Wenn es Arbeitslosigkeit gibt, ist das ein Indiz für eine absurde Lage und zugleich auch eine fundamentale Kritik, und zwar nicht deswegen, weil Leute keine Arbeit finden. Um ein Indiz einer absurden Lage handelt es sich, weil Leute eine Arbeit brauchen, die Gesellschaft aber ihre Arbeit gar nicht braucht. Die Leute brauchen Arbeit, obwohl es die Arbeit gar nicht braucht.

Arbeit ist der Aufwand, den die Menschen treiben müssen, damit es Wohnungen gibt, Brot gebacken wird und Wurst auf die Semmel kommt. Arbeit ist ein notwendiger Aufwand zur Befriedigung von Bedürfnissen. Bei diesem notwendigen Aufwand – und jedem Individuum geht es ja auch so – handelt es sich um eine Sache, bei der man zufrieden ist, wenn sie weniger wird. Als Individuum, als Mensch, der der Natur mit seinen Bedürfnissen gegenübersteht, strengt man sich an, wenn es sein muss, und ist zufrieden, wenn die Arbeit erledigt ist und man sich an den Genuss ihrer Früchte machen kann. Und wenn Mittel und Wege gefunden werden, die Arbeit zu verkürzen, also die Bedürfnisse in kürzerer Zeit mit weniger Aufwand zu befriedigen, dann ist das für jeden einzelnen in seiner privaten Logik gut und nicht schlecht. Dann ist es ein Zuwachs an Freizeit, oder umgekehrt ein Zuwachs an materiellem Reichtum.

Nicht in unserer Gesellschaft. Die ist arm an Arbeit, heißt es. Regierung und Opposition, Gewerkschaft und sogar die Reste der österreichischen Linken, allesamt sind sie einhellig der Meinung, der Kampf gegen Arbeitslosigkeit ist eine zentrale Aufgabe der Politik. Aber so selbstverständlich und durchgesetzt dieser politische Standpunkt quer durch alle politischen Lager auch ist, sowenig selbstverständlich ist er in Wahrheit. Arm an Arbeit, das ist ja dasselbe wie umgekehrt ausgedrückt, zu reich an den Produkten der Arbeit. Alles, was die Arbeit erledigen soll, ist schon erledigt. Dann fehlt es an was? In Wahrheit fehlt es dann an nichts! In unserer Gesellschaft fehlt es dann an Arbeit.

Ausgerechnet die Abnahme des Aufwandes, den man treiben muss, eine Abnahme, die zeigt, dass die Gesellschaft reicher geworden ist und die noch jeden in seiner privaten Kalkulation zufrieden stimmt, wird in unserer Gesellschaft als Katastrophenlage, als Problemsituation besprochen und dieser Aufwand kriegt dann noch dazu den Charakter einer begehrten Mangelware. Ausgerechnet nach Arbeit – nach der Mühsal – gibt es ein ungemein wichtiges und dann auch noch häufig nicht befriedigtes Bedürfnis.

b. ad „Die Arbeitslosigkeit steigt seit Jahrzehnten und immer mehr Menschen leben in Armut.“

Die Behauptung lautet, Arbeitslosigkeit wäre einer der Gründe von Armut. Das ist nicht richtig. Es verhält sich genau umgekehrt, nur wer arm ist, hat mit seiner Arbeitslosigkeit ein Problem. Wer reich ist, wer über ausreichend Vermögen verfügt, der hat mit der Arbeitslosigkeit überhaupt kein Problem. Der braucht nicht zu arbeiten, der lässt arbeiten und wird dabei auch noch reicher.

Nur diejenigen, die schon im Ausgangspunkt arm sind, die nichts besitzen als ihr Arbeitsvermögen, haben ein Problem mit der Arbeitslosigkeit. Durch die Trennung von allen Produktionsmitteln sind sie unfähig gemacht, auch nur den eigenen Lebensunterhalt zu erarbeiten, die Möglichkeit zu arbeiten, die sie sind, zu verwirklichen.

Tatsächlich ist ihr Problem aber noch nicht einmal wirklich die „Arbeitslosigkeit“. Richtig ist, Arbeitslose sind Menschen, die darauf angewiesen sind, bei einem Unternehmer zu arbeiten, weil sie ohne Beschäftigung ohne Einkommen dastehen. Ihr wahres Problem ist, sie haben kein Geld. Schon das Problem so zu fassen, sie hätten keine Arbeit, ist eine entscheidende Verdrehung dieses Problems. Natürlich haben sie keine Arbeit, aber deswegen ist es noch lange nicht richtig, dass sie deshalb notwendig verarmen müssen. Menschen sind nicht arm, weil sie arbeitslos sind, sondern weil sie arm sind, brauchen sie einen Arbeitsplatz.

Arbeit macht in Wahrheit nicht sie reicher, sondern die Unternehmen, schließt sie selbst damit immer weiter vom produzierten Reichtum aus. Sie schaffen mit ihrer Arbeit den Reichtum, der sie anwendet und ausbeutet. Kurz: Ein Arbeitsplatz ist ein Ausbeutungsplatz und nicht die Rettung vor Armut.

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Wenn man schon die „steigende Arbeitslosigkeit“ zum Problem erklärt, dann wäre wenigstens zu erklären, woher diese Steigerung kommt. Sie kommt jedenfalls nicht daher, dass seitens Staat und Wirtschaft zu wenig für Beschäftigung getan würde. Beschäftigung ist nämlich niemandes Zweck, Beschäftigung muss sich rentieren für das Unternehmen. Und dieses Kriterium der „rentablen Arbeit“ sorgt dafür, dass die Arbeitslosigkeit steigt.

Mit dem Erfolg des Kapitals, mit seiner Größe wächst sein Anspruch auf Gewinn. Beschäftigung und Beschäftigungssicherheit wachsen dabei nicht mit. Eher schon ist das Gegenteil richtig, wächst mit dem Erfolg des Kapitals die Unsicherheit derer, die vom Lohn leben müssen. 

Die Kapitale wachsen in Konkurrenz zueinander. Sie machen sich wechselseitig den geschäftlichen Erfolg streitig, senken den Kostpreis der von ihnen hergestellten Waren, unterbieten die Konkurrenz und sorgen so dafür, dass das was an zahlungsfähiger Nachfrage vorhanden ist, den eigenen Gewinn versilbert und nicht den der Konkurrenz.  

Das Mittel zur Senkung des Kostpreises ist die Erhöhung der Produktivität der Arbeit. Neue Produktionsanlagen werden angeschafft, die mehr an Lohnkosten einsparen, als sie selbst kosten. Unternehmen organisieren laufend neue Maschinerie, an der produktiver gearbeitet wird, an der also in weniger Zeit dieselbe Masse an Produkt, oder in derselben Zeit mehr an Produkt erzeugt wird, als noch zuvor. Sie machen die Kostpreise für sich billiger, indem sie durch Steigerung der Produktivität der Arbeit bezahlte Arbeit einsparen.  

Im Kapitalismus dient die Steigerung der Produktivität also nicht dazu, Arbeit zu ersparen. Diese Steigerung dient vielmehr einzig dazu, den Unternehmern bezahlte Arbeit zu ersparen. Unternehmen investieren, entlassen Leute und die verringerte Anzahl an Leuten stellt genauso viel Produkt her oder mehr als gestern die größere Belegschaft.  

Grund der Armut ist also nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Profitmacherei – und nicht etwa zu wenig davon, auch wenn man sie als Beschäftigung  verharmlost. Das Wachstum von gestern – nicht zu wenig davon – ist Grund der Arbeitslosigkeit von heute. Arbeitslosigkeit ist sozusagen der perverse Lohn, den das System seinen Arbeitskräften für die immerzu steigende Produktivität ihrer Arbeit bezahlt. Die riesige Zahl der überflüssigen Arbeitskräfte, das Maß ihres Elends, ist geradezu ein Ausweis der erreichten Produktivität der Arbeit, der menschlichen Quelle des materiellen Reichtums.

Wenn man behauptet, den Arbeitslosen fehlt die Arbeit und  nicht das Geld, dann ist man weg davon, sich die Arbeitslosigkeit und die dabei unterstellte Armut zu erklären, und dabei gelandet, den Arbeitslosen wieder Arbeit verschaffen zu wollen. 

These 6: Armut ist keine Unterlassungssünde des Staates

a. Von wegen der Staat wäre untätig – wie der Staat für Armut sorgt…

Die EU hat den Kampf gegen die Armut bisher wenig erfolgreich geführt.“ heißt es im Buch „Das Gespenst der Armut“ von Lutz Holtzinger. Armut gäbe es, weil die EU den Kampf gegen sie bislang zu wenig erfolgreich geführt hätte, lautet seine Behauptung. Nichts gibt es aber, weil es nicht verhindert wird. Auch Armut gibt es nicht, weil der Staat nichts gegen die Armut tut,  sondern weil er mit seinem staatlichen Wirken überhaupt erst die Grundlage der Armut schafft.

Es ist nämlich erst der Staat, der mit der Garantie des Privateigentums den Ausschluss vom vorhandenen Reichtum zur verbindlichen Grundlage des Produzierens macht. Den einen garantiert er ihr Kapitaleigentum und die anderen schließt er von allen Mitteln, das eigene Leben zu reproduzieren aus und verpflichtet sie damit auf den Dienst am Kapital.

Oder, wie es im Buch „Der bürgerliche Staat“, nachzulesen auf der Homepage des Gegenstandpunktverlages http://www.gegenstandpunkt.com/ heißt

Das Privateigentum, die ausschließende Verfügung über den Reichtum der Gesellschaft, von dem andere in ihrer Existenz abhängig sind, also Gebrauch machen müssen, ist die Grundlage des individuellen Nutzens und damit auch Schadens. Ihm verdankt sich die moderne Form der Armut, die sich selbst als Mittel fremden Eigentums erhalten muss, dessen Wachstum selbstverständlich dem Staat am Herzen liegt.

b. … und wie er mit den negativen Wirkungen umgeht: Der Sozialstaat

Wenn der Staat auch noch als Sozialstaat tätig wird, dann nicht, um sein eigenes Tun wieder rückgängig zu machen, sondern um die Wirkungen auf das systemverträgliche Maß zu beschränken. Dieses Maß ist dabei sehr elastisch und in letzter Konsequenz dadurch bestimmt, was die Leute sich bieten lassen.

Bevor man den Sozialstaat hochhält, sollte man bedenken, was man da alles als selbstverständlich unterstellt. Was erfährt man etwa über eine Wirtschaftsweise, wenn es in den diversen Sozialberichten, im Handbuch Armut usw. heißt,

dass die sozialen Transferzahlungen des Staates dafür ausschlaggebend sind, dass anstelle von 43 bloß 13 Prozent der Bevölkerung an der Armutsschwelle und darunter leben.“

Man könnte sich auch mal fragen: Was ist denn das für eine Wirtschaftsweise, wo die Menschen mit dem, was sie mit ihrer Arbeit unmittelbar verdienen in einer großen Zahl – immerhin 43% – immerzu nicht auskommen können, in der immerzu die Staatsgewalt nötig ist, damit das Arbeitsvolk auch nur einigermaßen über die Runden kommt. Mit dem, was sie an Lohn und Gehalt verdient, befindet sich knapp die Hälfte an der Armutsgrenze. Es wird als selbstverständlich und auch unkritisiert unterstellt, dass Unternehmen mit ihren Geschäften keine gesicherte Beschäftigung und Bezahlung bieten, sondern von Jung bis Alt lauter Sozialfälle schaffen. Diese Grundlage des Sozialstaats wird völlig ignoriert, wenn man für eine sachgerechte Verwaltung der Sozialfälle eintritt.

Wer nach dem Erhalt des Sozialstaates ruft, nimmt es als Selbstverständlichkeit hin, dass die Menschen ohne die sozialstaatlichen Regelungen, ohne dass sie über entsprechende staatlich organisierte Kassen – die aus Lohnteilen finanziert werden – versorgt sind, in ihrem gesamten gesellschaftlichen und Arbeitsleben, das ihnen einerseits Chancen eröffnet, zu dem aber offenbar andererseits mit Notwendigkeit eintretende Notlagen dazugehören, mehr oder weniger aufgeschmissen wären.

Umgekehrt fragt sich jemand, der die Rettung des Sozialstaats verlangt, nicht, was das denn eigentlich für eine Politik ist, die ja gar nicht erst nachträglich mit ihrem Staatshaushalt eingreift, sondern die doch offenbar diese Gesellschaft in allen Details organisiert und hoheitlich betreut, eine Gesellschaft, die laufend solche Ergebnisse hervorbringt?