GEGENARGUMENTE

GRIECHENLAND: FÜNF JAHRE KRISE UND KRISENKONKURRENZ, Teil II

 

Einleitung

 

Im ersten Teil der Sendung haben wir uns

 

1.      mit dem Urteil auseinandergesetzt, Griechenland hätte über seine Verhältnisse gelebt, und die Frage geklärt, woran Griechenland tatsächlich gescheitert ist.

2.      mit der Konsequenz aus dem Schuldspruch über Griechenland, der Direktive „Griechenland muss sparen“ beschäftigt und sind der Frage nachgegangen: Warum scheidet eigentlich die Alternative - mehr frisches Geld = mehr Schulden für eine Wachstumsperspektive Griechenlands aus? Was kann man daraus über die Währungsunion und das famose Projekt Europa lernen?

3.      mit dem Urteil, Griechenland mangle es an Konkurrenzfähigkeit, auseinandergesetzt.

 

In unserem heutigen zweiten Teil zur Sendung soll es insbesondere darum gehen:

·         Das Euro-Projekt und seine Widersprüche

·         Griechenland wird mit der letzten Konsequenz des Undings einer Gemeinschaftswährung gegeneinander konkurrierende Staaten konfrontiert

·         Deutschlands Kampf um seine Durchsetzung als politische Garantiemacht des Gemeinschaftsgeldes und der unauflöslichen Einheit des europäischen Staatenclubs. Der Euro als Hebel der Durchsetzung dieses Anspruchs

·         Der Streit der Syriza-Regierung mit Deutschland über den „Weg aus der Krise“ und was er über das politische Programm der „ersten linken Regierung“ Griechenlands verrät

 

Den Griechen geht wieder das Geld aus“ konnte man in der Zeitung Heute vom 28.4.2016 lesen. Wieder einmal kratzt die – dieses Mal linke – griechische Regierung alles an Geldmitteln zusammen: Arbeitslosen- und Sozialversicherung müssen alle verbliebenen Geldmittel an die Zentralbank überweisen, ebenso wie die ohnehin völlig unterdotierten Spitäler, alles nur damit der griechische Staat seine finanziellen Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern erfüllen und ein wenig an zeitlichem Spielraum für seine Verhandlungen mit ebendiesen Institutionen gewinnen kann.

 

Der Umstand, dass Griechenland mit dem Verlust seiner Kreditwürdigkeit gleich überhaupt kein Geld mehr hat, ist – wie wir in unserer letzten Sendung versucht haben, zu erklären – alles andere als selbstverständlich. Schließlich – so das zentrale Argument – ist das Geld, das in einer Nation zirkuliert, doch zuallererst ein staatliches Machwerk. Noch jeder bankrotte Staat verfügt über die Hoheit Geld zu drucken, sich im Inneren zu verschulden und Vermögenstitel im Inneren zu entwerten. Dass Griechenland, das nicht kann, heute buchstäblich kein Geld mehr hat, ist das Resultat des Beschlusses dieses Staates, der Eurozone beizutreten. Damit hat der griechische Staat die Geldhoheit und damit die Verfügung über ein eigenes nationales Kreditgeld an die EZB abgetreten. Getan hat er das in der Berechnung darauf, mit dem Euro – anders als mit der notorisch schwachen Drachme – über ein schlagkräftiges, durch die Wirtschaftsmacht nicht nur Griechenlands, sondern ganz Europas geschäftlich fundiertes Kreditgeld und damit über mehr an staatlicher Kreditfreiheit zu verfügen.

 

Griechenland hat – wie die anderen Euro-Staaten auch – darauf gesetzt, im Euro ein besseres, weltweit gültiges und damit tauglicheres Mittel ihrer Ökonomie zu haben. Nicht aufgegeben haben die an dieser Vergemeinschaftung des Geldes teilnehmenden Staaten aber ihre Konkurrenz. Ihnen allen ging es im Gegenteil darum, wirtschaftliche Potenzen ebenso wie wirtschaftliche Schwächen der europäischen Partner besser in den Dienst der eigenen Ökonomie zu stellen. Betrieben haben die europäischen Staaten die Vergemeinschaftung des Geldes also auf Grundlage ihrer Konkurrenz gegeneinander.

 

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In Zuge der Krise des Finanzkapitals und seiner Rettung mit Unmengen an staatlichem Kredit begutachtet dieses eben gerettete Finanzkapital die in seinem Portfolio befindlichen Risikopositionen neu. Dabei kommt es auch zu einer Neusortierung der Schulden der Euro-Staaten. Griechenland wird das vergleichsweise ungünstige Verhältnis zwischen den bereits aufgelaufenen und zur Neuemission anstehenden Schulden und dem Wachstum der griechischen Wirtschaft zum Verhängnis. Es wird als nicht kreditwürdig eingestuft und hat damit auf einen Schlag nicht nur seinen Kredit, sondern gleich seine gesamte staatliche Zahlungsfähigkeit verloren. Weil es als Euro-Staat die Geldhoheit abgegeben hat, ist es nicht mehr in der Lage, sich die benötigte Zahlungsfähigkeit hoheitlich zu verschaffen.

 

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Griechenland wird das Eingeständnis abverlangt, als Konkurrenzverlierer mit seiner Geldhoheit jetzt auch seine Haushaltshoheit verloren zu haben. Europa mit Deutschland als dem Ersten unter Gleichen und IWF nötigen Griechenland ein Kreditregime auf, das dem Urteil der Finanzwelt über Griechenlands geschäftliche Untauglichkeit Rechnung trägt. Versorgung mit Zahlungsfähigkeit gibt es von Seiten der europäischen Partner und des IWF nur gegen die Erfüllung harter Auflagen. Was der deutsche Finanzminister Schäuble und Konsorten Griechenland vorschreiben, folgt einer einfachen Logik:

 

·         Der Standpunkt, von dem Deutschland und Europa nicht abrücken, ist der Standpunkt des „guten Geldes“. Es geht ihnen um die Erhaltung und Stabilisierung des Euro als gutes Geld in Konkurrenz zum Dollar als Weltgeld Nr. 1.

·         Nur soweit er erfolgreiches kapitalistisches Wachstum und damit die Potenz seiner verlässlichen weiteren Vermehrung repräsentiert, genügt das Gemeinschaftsgeld den Ansprüchen seines politischen Hauptnutznießers.

·         Der Euro soll, anders herum ausgedrückt, kein Geld sein, dessen sich eine notleidende Nation wie Griechenland einfach nach ihrem Bedarf bedienen kann.

 

Die Position der Eurostaaten heißt demgemäß: Geld gibt es nur gegen die geforderten Reformen. Ohne Reformen umgekehrt gibt es kein Geld, ist der offizielle Tenor des Griechenland aufgenötigten Regimes. Nur so könne Griechenland wieder auf die Beine kommen. Wie das zu gehen hat, darüber haben die Europäer unter Führung Schäubles keinen Zweifel gelassen.

 

Wenn jetzt dem griechischen Staat der Gebrauch seiner Souveränität vorgeschrieben wird, dann ist das nach allen Grundsätzen des Geldes, dessen sich auch Griechenland bedient hat und weiter bedienen will, nur „gerecht“. Es ist dies nämlich die Gerechtigkeit der ökonomischen Ordnung, auf die sich dieser Staat im Verein mit den anderen Eurostaaten festgelegt hat.

 

Weil dieser Staat sich auf Basis dieser Festlegung eine ökonomische Konkurrenzniederlage eingehandelt hat und vom Finanzkapital als nicht kreditwürdig eingestuft wird, hat er ein Stück seiner Souveränität verloren und unterliegt dem Kommando derjenigen, die tatsächlich Herren dieses Geldes als ihres Reichtums sind, und am griechischen Staat geltend machen, dass er nicht verdient hat, was er sich geleistet hat. Dass er insofern kein Beitrag zur Stärke des gemeinsamen Geldes war.

 

Das von den europäischen Partnern an Griechenland durchgezogene Urteil lautet: Wenn das Finanzkapital Griechenland den Kredit entzieht, dann beweist das, dass dieses Land für den Euro nichts getaugt hat. Das an Griechenland vollzogene Urteil heißt, dort ist zu wenig an erfolgreichen Geschäften gelaufen.

 

Was ist die geforderte Konsequenz? Wenn Griechenland schon keinen positiven Beitrag zur Stärke des Euros hinkriegt, muss es alles tun, um diesen Euro wenigstens nicht zu belasten. Griechenland steht unter Konkursverwaltung und muss seinen gesamten ökonomischen Bestand, alles was es im Land an Reichtum gibt, zum Angebot an potentes ausländisches Kapital machen, zum Angebot an Investoren, Flughäfen, den Hafen von Piräus, Werften und was es sonst noch an Assets gibt, billig übernehmen zu können. Weil es Griechenland selbst nicht zu einer ausreichend erfolgreichen Akkumulation von Kapital gebracht hat, wird es zum billigen Objekt auswärtigen Kapitals. Das ist die eine Hälfte.

 

Der griechische Staat nimmt qua dieses Ausverkaufs ein paar Milliarden ein, die aber in gar keinem Verhältnis zum griechischen Schuldenberg stehen. Daran erkennt man nebenbei bemerkt ein weiteres Mal, dass es nicht ums Rückzahlen der Schulden geht, dass es nicht darum geht, Griechenland wieder schuldenfrei zu machen und schon gar nicht darum, aus Griechenland wieder eine im kapitalistischen Sinne blühende Landschaft zu machen.

 

Auf der anderen Seite muss Griechenland alles, was es noch an Sozialleistungen gibt, zusammenstreichen und zugleich die Steuern erhöhen, die Ausnahmeregelungen der Besteuerung auf den Inseln abschaffen; im Bereich der Landwirtschaft Ausnahmen wie die geringere Besteuerung des Agrardiesels abschaffen, 100% Steuervorauszahlungen einführen; die Bauern in hauptberufliche Bauern und Nebenerwerbsbauern scheiden und derart eine überkommene Form der Sozialhilfe abschaffen; im Bereich der Sozialversicherung müssen künftig die Ausgaben durch Einnahmen gedeckt sein. Staatliche Zuschüsse sind abzuschaffen. Das Volk hat sich als nicht rentierlich fürs Geschäft erwiesen und wird daher als zu streichende soziale Unkosten behandelt.

 

Schulden machen darf Griechenland nach wie vor. Sofern es seine „Hausaufgaben“ zur Zufriedenheit der Prüfer von der Troika erledigt, kriegt es politischen Kredit vom ESM, um qua Zahlung von Zins und Tilgung seine alten Schulden in Wert zu halten.

 

Deutschlands Kampf um seine Durchsetzung als Oberaufseher der EU – der Euro kriegt eine neue Bestimmung als Hebel der Durchsetzung dieses Anspruchs

 

Worum geht es bei diesem Griechenland verordneten Programm, wenn es um eines sicher nicht geht, darum nämlich Griechenland wieder zu einer kapitalistisch blühenden Landschaft zu machen? Verlangt ist und durchgesetzt wird eine Reduktion, ein Zusammenstreichen des Staates auf das Maß, das seine in der Konkurrenz unterlegene und zusammengestrichene Wirtschaft noch hergibt. Sein ökonomischer Bestand wird dem Euromaßstab ausgeliefert.

 

Einerseits hat dieses Programm etwas Absurdes. Griechenland kriegt Kredit und wird weiterer Kredit in Aussicht gestellt, der größtenteils in die Aufrechterhaltung der griechischen Staatsschulden und in die Bedienung der Zinsen bei diesen Banken geht. Griechenland kriegt daher Kredit, weil seine Schulden zugleich die Vermögen europäischer Banken sind. Die sollen nicht zusammenbrechen, das ist der Dienst, einzig dessentwegen das Land zahlungsfähig gehalten wird.

 

Andererseits kriegt das Land eine ökonomische Reduktion verordnet, die gar nicht darauf berechnet ist, das Land wieder positiv als Quelle von Geschäft aufzustellen. Auf welchen Status wird es heruntergefahren? Lebensfähig gehalten wird Griechenland nicht als das Land, das es bis gestern noch war, sondern nur genau so weit, wie dies für seinen Dienst am Euro notwendig ist. So wird das Land tauglich für den Euro gehalten – als bedingte, jetzt vom europäischen Kapital bewirtschaftete reduzierte Euro-Quelle. Als ein Land, das, wenn es schon keinen positiven Beitrag zur Stärke des Euro leistet, dann aber auch wenigstens kein dauerhafter Schaden für den Euro darstellt.

 

Stellt sich die Frage: Warum machen die europäischen Staaten das überhaupt, wenn Griechenland, wie man weiß, sich erstens dagegen sperrt und es zweitens sowieso geschäftlich überhaupt nicht übermäßig tauglich ist?

 

Für die Beantwortung dieser Frage muss man sich an die Aussagen Merkels erinnern, die immer betont hat, wir helfen gar nicht bloß Griechenland, sondern damit helfen wir uns selber; der Euro ist das europäische Schicksal. An was denken Merkel und Co., wenn sie sagen, Griechenland darf bzw. soll nicht aus dem Euro austreten bzw. hinausgedrängt werden? Es gab und gibt ja nach wie vor die große Sorge vor dem Grexit.

 

Der deutsche Standpunkt ist erstens offenbar auf die Wucht des Euro als Währung eines ganzen europäischen Wirtschaftsraumes berechnet. Darauf, dass er einen ganzen europäischen Raum kommandiert, will Deutschland keinesfalls verzichtet.

 

Es wäre zweitens eine Niederlage für den Euro, wenn man eingesteht, dass man – Europa unter seinem Richtliniengeber Deutschland - es nicht schafft, Griechenland im Währungsverbund zu halten. Wenn dieser Standort aus dem Euroraum hinausfällt, dann könnte das der Finanzwelt beweisen, dass Deutschland gar nicht fähig und mächtig genug ist, den ganzen Geschäftsraum dieses Geldes, auch machtmäßig abzusichern und die Staaten in ihm zu halten.

 

Dann ist es der im Euroverbund glaubwürdig durchzusetzende Machtbeweis, auf den es angekommen ist. Griechenland soll nicht rausfallen, weil dann zum ersten Mal der Euro politisch unhaltbar geworden wäre, weil es hieße, er ist gar nicht das Geld, das die Verfügung über diesen ganzen Raum garantiert.

 

Die Kehrseite dieses Machtbeweises ist, Griechenland muss zwar im Euro bleiben, dafür muss es aber auf einen Status herunterdividiert werden, der den Maßstäben dieses Euro entspricht.

 

Der zweite Widerspruch der Währungsunion

 

Was kann man aus all dem entnehmen? Welchen Schluss über den Charakter der Währungsunion kann man daraus ziehen?

 

Man kann ja sagen, Schäuble ist rücksichtslos. Die Eigenart seiner Rücksichtslosigkeit liegt aber darin, dass er gar nicht einfach sagt: Die Griechen können uns gestohlen bleiben, die leisten keinen positiven Beitrag zum Euro, deshalb raus mit ihnen aus der Währungsunion. Stattdessen wurde ein Kampf mit Griechenland darum geführt, Griechenland im Euro zu halten. Daran, dass er das nicht sagt, merkt man einen weiteren Widerspruch der Währungsunion.

 

Der Streit hat sich darum gedreht, damit fertig zu werden, dass der Erfolg der Einen notwendig auf der anderen Seite Verlierer produziert, die durch ihre Niederlage in der Konkurrenz – vor allem mit Deutschland – das gemeinsame Geld, in dem die Erfolge gemessen werden, beschädigen.

 

Der Widerspruch der Währungsunion besteht darin, dass der Konkurrenzsieger gar nicht einfach sagen kann, die Verlierer sind ihm egal, weil er selbst doch in der Konkurrenz gewonnen hat. Was hier zum Tragen kommt – und das ist eine Eigenart der Eurokonstruktion – ist, dass konkurrierende Länder mit ihrem Wachstum, das sie sich als Konkurrenten gegenseitig gerade streitig machen, ihren Erfolg in einer gemeinsamen Währung bilanzieren, deren Wert in ihrer Tauglichkeit für erfolgreiche Geschäfte gründet – eine Tauglichkeit, die durch die Niederlage des Konkurrenten ein Stück weit in Frage gestellt wird. Die andere Nation nieder zu konkurrieren, ist deshalb zugleich ein Anschlag auf die Währung und ihren Wert, in der man den eigenen Reichtum bilanziert.

 

Deutschland als Konkurrenzsieger können daher die Wirkungen der Konkurrenz, die es selber produziert, nicht gleichgültig sein. Die sind von ihrem Konkurrenzstandpunkt aus schädliche Hindernisse ihres bleibenden Erfolgs. Weil das Geld nicht bloß die Gewinne Deutschlands bilanziert, sondern zugleich, wie diese Gewinne gemacht worden sind: zu Lasten anderer Nationen.

 

Wie geht Deutschland mit diesem Widerspruch der Währungsunion um? Klarerweise nicht so, dass es Rücksicht nimmt und von seinem Konkurrenzvorteil Abstriche macht. Die Konsequenz ist eine ganz andere. Deutschland bringt genau das, was es gewonnen hat, das gute Geld, den Euro, als Machtmittel in Anschlag, um andere Nationen – die Griechen – in ihrem Verliererstatus zu erhalten; sie ökonomisch auf den Status herunter zu dividieren, der zu den Rechnungen passt, die man mit ihnen anstellt. Man nötigt Griechenland eine neue Stellung im und zum Euro auf und sagt, so sichern wir qua unserer Kreditmacht, dass Griechenland weiterhin zur Verfügung steht, für das, was wir mit ihm anstellen.

 

Der Euro kriegt damit eine neue Bestimmung. Er ist nicht mehr nur das eine Geld in dem der Widerspruch eines gemeinsamen Erfolgs konkurrierender Nationen bilanziert wird – mit der Konsequenz dieses Widerspruchs, dass der Misserfolg der Verlierernationen den Siegernationen nicht einfach gleichgültig sein kann. Das Neue ist, dass er in dem Maße, in dem andere Staaten nicht über ihn verfügen, aber auf die Verfügung über ihn angewiesen sind, ein ökonomisches Machtmittel ist. Er ist ein Hebel, Europa zu dirigieren. Ein Hebel dazu, Deutschland zum Oberaufseher Europas zu machen.

 

Exemplarisch an Griechenland – ihm ein Regime aufzunötigen, das Folgendes beinhaltet: Es muss anerkennen, dass es so, wie es aufgestellt ist, den Ansprüchen dieser Währung nicht genügt und die von ihm geforderten Reformen durchführen muss – und es soll gleichzeitig im Euro bleiben und damit beweisen, dass hinter dem Euro ein felsenfestes Regime über den ganzen europäischen Staatenblock steht.

 

V. Syriza - Der Widerstand Griechenlands gegen seine Unterordnung

 

a. Womit ist Syriza angetreten?

 

Die von Griechenland verlangte Unterordnung verläuft alles andere als reibungslos. Bei den Parlamentswahlen im Jänner 2015 erhält die in den Medien als linksradikal titulierte Partei Syriza eine überlegene relative Mehrheit und bildet gemeinsam mit der dem rechten Lager zugerechneten Partei ANEL die Regierung. Diese Regierungskoalition will sich mit Konkurrenzniederlage Griechenlands und den Forderungen der Institutionen nicht abfinden und kämpft um den nationalen Nutzen Griechenlands von Europa.

 

Die neue griechische Regierung unter Führung der Syriza weigert sich zunächst, ein weiteres Memorandum auszuverhandeln, wie Deutschland das fordert. Ihren Wählern hat Syriza versprochen, die „Austeritätspolitik“ zu beenden, Schluss zu machen mit der Streichung von für unverzichtbar erachteten staatlichen Ausgaben, dem radikalen sozialen Kahlschlag bei Pensionen, Löhnen, Kündigungsschutzbestimmungen usw., Schluss zu machen mit der Mobilisierung von Einnahmequellen durch Privatisierungen, Steuererhöhungen für die Massen unbeschadet der verheerenden Folgen. Sie kündigt an, beschlossene und schon umgesetzte Sparmaßnahmen, Haushaltseinschnitte und Privatisierungsprojekte zurückzunehmen. Sie verlangt eine grundlegende Neuverhandlung der Kreditierung Griechenlands durch die politischen Instanzen, die als Gläubiger der griechischen Staatsschulden fungieren, sowie zweitens der Haushaltsvorschriften, von denen die EZB, der Euro-Rettungsfonds und der IWF die Bereitstellung und Freigabe von Krediten abhängig machen:

 

Also, lassen sie mich ehrlich sein: Griechenlands Schulden sind derzeit nicht nachhaltig und werden nie bedient werden, vor allem nicht während Griechenland einem kontinuierlichen fiskalischen Waterboarding unterzogen wird.“ (Tsipras: Offener Brief an Deutschland: „Was Ihnen bisher nie über Griechenland gesagt wurde“ vom 30.01.2015)

 

Die Syriza Regierung appelliert an die Vernunft der Kreditgeber und deren wohlverstandenes Eigeninteresse. Die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit mit Notkrediten, die nur uneinbringliche Schulden in Wert halten, vergrößert die griechische Staatsschuld bloß immer weiter. Das Problem der Nichtbedienbarkeit der Schulden werde unter den Bedingungen eines solchen neuen und noch größeren Kredites nicht gelöst, sondern verschärft. Die Gläubiger würden damit eine Insolvenz als Fall von vorübergehender Zahlungsunfähigkeit behandeln und würden damit Konkursverschleppung betreiben.

 

Die an die Kredite geknüpften Reformvorschriften würden gleichzeitig jede produktive Nutzung des Volkes untergraben, jedes Wiederaufleben der Wirtschaft, das den Staat ökonomisch wieder geschäftsfähig macht und zur Schuldenbedienung befähigt. All das könne doch unmöglich im Interesse der Gläubiger sein. Was Griechenland brauche, sei ein Wachstum und das werde durch das uneinsichtige Handeln europäischer Politiker (Stichwort fiskalisches Waterboarding) unmöglich gemacht:

 

Schlimmer noch ist, dass trotz des großen Schadens, das dem griechischen Sozialgefüge zugefügt worden ist, das Programm nicht erfolgreich war dahingehend, dass die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft wiederhergestellt worden wäre, während die öffentliche Verschuldung von 124 % auf 180 % des BIPs stieg. Trotz der großen Opfer des griechischen Volks befindet sich die Wirtschaft des Landes immer noch im Sumpf der fortgesetzten Unsicherheit, hervorgerufen durch unrealistische Ziele der Doktrin ausgeglichener Budgets. Das hat Griechenland gefangen in einem Zirkel von Austerität und Rezession.“ („Die Schlacht in Syriza“, Le Monde 3.Juni 2015)

 

Dieser von Tsipras formulierte Einwand gegen die von den europäischen Partnern geforderte weitere Kürzung von Löhnen und Pensionen leitet sich nicht daraus ab, welche katastrophalen Wirkungen eine weitere Verarmung für die Griechen und ihre Lebensbedingungen bedeutet. Seine Beschwerde hat ihren Grund vielmehr darin, dass solche Einschnitte ins Lebensniveau der Bürger sich doch schon in der Vergangenheit als wirkungslos, wenn nicht gar kontraproduktiv erwiesen hätten. Die den Griechen abverlangten Opfer hätten sich als gar nichts geschäftsdienlich erwiesen.

 

Allein schon daraus lässt sich erschließen, dass man das den Bürgern von Syriza versprochene Wachstum besser nicht mit einem Versprechen auf Besserung von deren materiellen Lebensbedingungen verwechseln sollte. Das Angebot, das diese radikale Linke seinem Volk mit diesem Versprechen macht, besteht darin, die griechischen Arbeitnehmer als abhängige Variable einer privaten Reichtumsvermehrung in fremder Hand zu behandeln. Der Inhalt des Versprechens: Die griechischen Arbeiter sollen sich an fremden Arbeitsplätzen im Dienst an der privaten und in Geld gemessenen Reichtumsvermehrung - eines Reichtums, der nicht der ihre ist - ein Einkommen verdienen können. Um das Volk in die Lage zu versetzen, diesen Dienst auch leisten zu können, hält Syriza die Wiederherstellung eines Mindestmaßes an sozialer Sicherheit für geboten und hat daher im Wahlkampf versprochen, die „menschliche Krise“ bekämpfen und wieder für reguläre sozialstaatliche Verhältnisse sorgen zu wollen. Im Maße des Erfolgs dieses Programms zur Belebung der Wirtschaft würde sich das Volk – so die Erwartung von Syriza - wieder als Ressource des Staates bewähren, für steigende Steueraufkommen sorgen und seinen Beitrag für die Wiedergewinnung der Kreditwürdigkeit Griechenlands leisten.

 

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Syriza will ein Programm, das Griechenland wieder auf die Beine hilft und fordert einen Schuldenschnitt, weil ansonsten die Kredite nicht lebensfähig seien. Im Insistieren darauf, dass Griechenland die finanzielle Betreuung seiner Staatsbasis genehmigt werden muss, damit die Wirtschaft irgendwann wieder wächst, bekennt sich Syriza dazu, dass das Lohnen von Kredit, auch ihre letzte Maßgabe ist. Diese volksfreundliche Regierung will die segensreichen Wirkungen des Kredits für ihr Land zurückerobern und ringt darum bei den selben Instanzen, die überhaupt das Land in diese Lage gewirtschaftet haben. Woran man vor allem eines sehen kann: Wie bedingungslos auch Syriza daran festhält, dass der Euro das Lebensmittel der Nation ist und bleiben muss, weil sie offensichtlich keine nationale Alternative zu einer Pro-Euro-Staatsräson sieht. Zugleich kämpft sie aber um national verträgliche Bedingungen und Perspektiven Euro-Europas.

 

Zu diesem Zwecke versucht die griechische Regierung in Europa mit dem Argument zu landen, dass Griechenland doch auch für Europa und sein insgesamtes Wachstum wichtig sei, im Klartext: Dass das Kapital doch an der Anwendung dieser Leute ein Interesse haben müsste. Damit eröffnet die Regierung einen Machtkampf in Europa und geht bei anderen Geschädigten mit dem Ansinnen hausieren, sie müssten doch aus eigenem Interesse für die Griechen Partei ergreifen. Syriza wehrt sich damit dagegen, dass Griechenland als isolierter nationaler Krisenfall behandelt wird: Griechenland, so der national gefärbte Blick auf die Krise, ist nur Teil einer gesamteuropäischen Krisenlage, die andere, im Grunde alle gleichermaßen betrifft, die also auch nur „solidarisch“ zu bewältigen ist, letztlich zum Nutzen aller und zum Nutzen der Integration Europas. In diesem Geist fordert Athen einen neuen europäischen Willen, eine umfassende Revision der sozial-, wirtschafts- und integrationspolitischen Generallinie der EU.

 

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Griechenland findet sich mit seinen Forderungen nach einem Wachstumsprogramm und einem Schuldenschnitt in einer widersprüchlichen Position. Allein schon deshalb, weil die griechische Regierung mit ihrer Forderung, die anderen Staaten sollten Griechenland unterstützen und ihm zu einem Wachstumsprogramm verhelfen, von den Konkurrenzsiegern, die – so wie Griechenland – beim Projekt Euro einzig deshalb mitmachen, weil sie sich davon einen Zugewinn an nationaler Stärke erwarten, verlangt, dass diese ihren Konkurrenzstandpunkt im Interesse Griechenlands und seines Erfolgs aufgeben. Sie sollen Rücksicht üben, auf Schulden verzichten und ihrem Konkurrenten Griechenland bei seinem Wachstumsprogramm unterstützen. Einem Griechenland, dass selbst den Standpunkt der Konkurrenz gar nicht aufgeben, sondern im Gegenteil wieder in die Rolle eines erfolgreichen Konkurrenten aufsteigen möchte. Die nachgeschobene Begründung: Ausgerechnet das wäre doch auch im Interesse und zum Vorteil der Konkurrenzsieger – insbesondere Deutschlands.

 

Der noch härtere objektive Widerspruch liegt freilich im Euro-Projekt selbst und Griechenlands Interesse an ihm begründet. Im Euro bleiben möchte Griechenland, weil es in der Härte dieser Währung das entscheidende Mittel des nationalen Erfolgs sieht. Dem angedrohten Grexit entgehen kann es freilich nur, wenn es die geforderten Haushaltseinschnitte akzeptiert und damit auf seine nationalen Ambitionen – derentwegen es im Euro bleiben möchte – verzichtet. Verweigert es umgekehrt im Interesse seiner nationalen Ambitionen die geforderten Haushaltseinschnitte, beschädigt es durch die Infragestellung der Garantiemacht des Euro – Deutschland – das Geld, einzig dessentwegen es aber bei dem Projekt Euro mitmacht. Der angedrohte Rauswurf aus dem Euro würde das Land dazu zwingen, zur Drachme zurückzukehren, die es – wegen ihrer Untauglichkeit als weltweites Geschäftsmittel dereinst gerade loswerden wollte.

 

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In ihrem Ansinnen sieht sich Syriza mit staatlichen Euro-Partnern konfrontiert, die ihren Nutzen aus 10 Jahren Euro-Expansion in und durch die Krise des Euro-Wachstums nicht flöten gehen lassen wollen. Und zwar in doppelter Hinsicht: Was die Stärke des Euro betrifft und was sie von ihm haben. Das fällt nämlich nicht nur für Griechenland nicht zusammen.

 

b. Griechenland geht in die Knie – Womit Syriza erpresst wurde!

 

Mit ihrem Antrag beißen Tsipras und Varoufakis in der Euro-Gruppe und vor allem bei Schäuble auf Granit: Keine neuen Kredite, keine Erleichterungen beim Schuldendienst ohne die Fortsetzung der Sparpolitik und ohne die pünktliche Erfüllung der entsprechenden Auflagen, die die auswärtige Aufsicht dem griechischen Staatshaushalt verordnet, egal wieviel das im Land ruiniert.

 

Sie bekommen praktisch vorgeführt, dass die Griechen wählen können, wen sie wollen, die entscheidenden Festlegungen ihres Staatsprogramms und die damit einhergehenden Zwänge werden davon nicht berührt. Sie mussten lernen, dass der Kern ihrer kapitalistischen Staatsräson und dessen entscheidendes Machtmittel – Geld und Kredit – längst nicht mehr in griechischen Händen liegen, sondern in denen der mächtigen Euro-Partnern. Und sie müssen weiters lernen, dass diese Partner mit dem Gemeinschaftsgeld anders rechnen, als ein griechischer Finanzminister sich das für sein Land vorstellt. Sie trauen Griechenland kein international konkurrenzfähiges Kapitalwachstum zu, wollen in das Land nicht noch mehr Kredit investieren und gehen davon aus, dass die Stärke und internationale Reputation ihrer Gemeinschaftswährung an allem anderen hängt als am griechischem Geschäftsgang. Dem Urteil hat sich die Athener Regierung zu beugen, egal welche.

 

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Die griechische Regierung lässt im Juli 2015 das Volk über die Frage abstimmen, ob sie einem neuen Memorandum zustimmen soll oder nicht. Das griechische Volk lehnt die Zustimmung zu einem weiteren Memorandum mir überwältigender Mehrheit ab. Am Tag nach der Abstimmung stimmt Tsipras einem neuerlichen Memorandum zu. Er begründet das wie folgt:

 

„Die Regierung erhielt nie den Auftrag des Volkes das Land aus der Eurozone zu führen. Weder war das das Dilemma der Volksabstimmung, trotzdem die gesamte Opposition und ausländische Kreis dieses behaupteten" setzte er” – Tsipras – „fort und fügte hinzu, dass „die 62% der Volksabstimmung nicht 'ja' zur Drachme meinten". "Aus diesen Gründen waren unsere Wahlmöglichkeiten beschränkt. Wir trafen eine Wahl der Verantwortung. Wir machten einen Schritt zurück, entkommend der Höhle des Löwen.”” (Le Monde 3.6.2015 „The Battle in Syriza“)

 

Darüber hinaus merkt Tsipras an, dass er selbst von diesem neuerlichen Sparprogramm nicht überzeugt, aber gezwungen sei, sich dem momentanen Kräfteverhältnis zu beugen, eine Schlacht, aber nicht den Krieg um ein anderes Europa verloren habe. Tsipras und mit ihm die Anhänger der Syriza-Regierung in und außerhalb Griechenlands sprechen im Zusammenhang der Unterschrift unter ein weiteres Memorandum von einer „Erpressung“ Griechenlands und ignorieren damit sowohl, womit Tsipras sich hat erpressen lassen, was also Inhalt dieser Erpressung war, als auch wodurch Griechenland erpressbar wurde.

 

Der griechische Staat hat sich die Spekulation auf seine Euro-Schulden für die Finanzierung seines Haushalts zunutze gemacht. Er hat auf die Macht der EU und des Euros als Mittel neuer ökonomischer und politischer Potenz gesetzt. Darin hat Tsipras die Vorgängerregierungen nie kritisiert. Mit diesem von Tsipras geteilten Nationalismus, der Europa als Chance für den nationalen Aufstieg wahrgenommen hat, hat Griechenland sich von denen abhängig gemacht, von denen es sich jetzt so schlecht behandelt sieht.

 

Erpresst wurde Syriza – wie bei jeder Erpressung – mit der Androhung einer Schädigung ihres Interesses. Vor die Wahl gestellt, sich zwischen Haushaltsouveränität in einer schwachen, wesentlich nur in Griechenland geltenden Drachme und einem Geld mit weltweiter Geltung entscheiden zu müssen, entscheidet sie sich für den Verbleib im Euro – trotz des mit dieser Wahl einhergehenden Verlustes an Haushaltssouveränität. Eine Wirtschaft, die nicht unmittelbar Euro – ein Weltgeld – verdient, genügt offenbar nicht den nationalen Ambitionen von Tsipras.

 

Das rechtfertigt für ihn auch den Bruch so ziemlich aller seiner vor der Wahl und auch noch in seiner Regierungserklärung gegebenen Versprechungen und ihre Verkehrung ins Gegenteil. Eines sei nämlich zumindest doch erreicht worden:

 

Die Wahl war, wie Tsipras sagte, eine zwischen der Annahme der Übereinkunft, mit der er in vielen Punkten radikal nicht übereinstimme, und einem ungeordneten Bankrott.“ (http://www.ert.gr/tsipras-apenanti-ston-ekviasmo-moni-epilogi-na-mirastoume-tin-efthini/)

 

Dass Griechenland auf Basis der mit den Gläubigerstaaten getroffenen Übereinkunft – wie Kritiker, allen voran der damalige Finanzminister Varoufakis, behaupten - keine Perspektive hätte, will er nämlich nicht gelten lassen. Er stimme radikal nicht überein. Einen wenn auch kleinen Erfolg hält er sich dennoch zugute, der Bankrott wurde verhindert. Welchen Bankrott, möchte man fragen? Der Bankrott weiter Teile der Bevölkerung kann wohl nicht gemeint sein. Der wird mit den neuen Maßnahmen, zu denen sich die griechische Regierung verstanden hat, gerade durchgesetzt. Die Forderungen der Gläubiger abzulehnen, weil eine weitere Verarmung der Bevölkerung einfach nicht mehr zuzumuten sei, war offenbar keine Option. Deren Bankrott muss eben sein, wenn es gilt, den des Staates zu vermeiden. Noch mehr Griechen dürfen mit ihrer weiteren Schlechterstellung für den Beweis geradestehen, dass Griechenland gewillt ist, allen Forderungen der Gläubiger zu entsprechen, auch solchen, die Bevölkerung und Wirtschaft noch weiter schädigen.

 

Jeder Rücksicht auf die materielle Lage der Bevölkerung bricht sich offensichtlich an dem einen großen Ziel, Verbleib im Euro. Insoweit das Volk nicht für die nationalen Ambitionen Griechenlands taugt, erübrigt sich auch für Tsipras jede Rücksicht auf dessen materielle Lage.

 

Insofern ist die Rede von einem Auftrag, den ihm das griechische Volk bei der Volksabstimmung erteilt bzw. eben nicht erteilt hätte, endgültig als verlogen kenntlich, blamiert sie sich doch allein schon daran, dass die Frage, die dem Volk vorgelegt wurde, von niemand anderem als von der Regierungsmannschaft selbst formuliert wurde. Hätten Tsipras und die Regierung einen entsprechenden Auftrag haben wollen, hätte sie die Frage nur entsprechend formulieren müssen. Das sie dies nicht taten, zeigt, dass solches von vornherein nicht in ihrer Absicht lag, auch wenn ihr dies von Seiten der Opposition und ausländischer Kreise unterstellt wurde.

 

Eines ist in jedem Fall gewiss, eine Fortsetzung der Politik der Memoranden hat die griechische Bevölkerung mit großer Mehrheit abgelehnt. Sich über diesen Auftrag hinwegzusetzen, bereitete ihm offenbar kein Problem. Von wegen daher ein weiteres Mal, ihm wären in den Verhandlungen die Hände gebunden gewesen, weil der ihm vom griechischen Volk erteilte Auftrag nicht so weit gereicht hätte.

 

Lernen kann man daraus, was Volkes Wille ist, definiert noch immer die Regierung. Demokratische Politiker nehmen die Wünsche der Bevölkerung nur so zur Kenntnis, wie es in ihre Kalkulationen mit dem Arbeitsvolk als Manövriermasse für den geschäftlichen Erfolg und fürs staatliche Vorankommen hineinpasst. Verstanden wissen, möchte Tsipras und seine Regierung die Sache aber genau andersherum. Kurz, die behauptete Alternativlosigkeit ist nicht Folge eines der griechischen Regierung vorausgesetzten Volkswillen, sondern Resultat der Entscheidung der Regierung, eine Zukunft für Griechenland nur in Europa und der Eurozone zu sehen, auch wenn dies für weite Teile der Bevölkerung weitere Opfer bedeutet.

 

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Diese Unterordnung Griechenlands unter die Forderungen seiner Gläubiger verläuft innerhalb von Syriza selbst nicht reibungslos. Darüber, wie der Kampf Griechenlands um seinen nationalen Nutzen auszusehen hat, entbrennt innerhalb der Regierungspartei ein Streit zweier Fraktionen. Jede der beiden Seiten entscheidet sich für eine der beiden Seiten am Geld – ökonomisch fundierte Werthaltigkeit versus Souveränität über das entscheidende Kommandomittel der Wirtschaft.

 

Syriza unter Tsipras – der behauptet erpresst worden zu sein und keinen anderslautendes Pouvoir des Volkes gehabt zu haben – für die Seite der ökonomisch und politisch fundierten Werthaltigkeit des Euro, und die Gegenpartei – die spätere Laiki Enotita für die Souveränität der Handhabung des entscheidenden Kommandomittels der Wirtschaft. Über diesen Streit kommt es schlussendlich zum Bruch und zur Säuberung der Partei von all jenen, die den Kurs ihres Parteiführers nicht mittragen wollen. Ein Kampf, der bis heute nicht ausgestanden ist.

 

Was man am Beispiel Griechenlands über Demokratie lernen könnte

 

Eines könnten auch hiesige Bürger am Fall Griechenland ein weiteres Mal lernen. Vorsichtig zu sein, wenn die Politik sich auf sie beruft. Nie geht es nämlich einfach um ihre Interessen: Nicht in Griechenland und nicht bei uns.

 

Die Griechen durften in einer eigens veranstalteten Volksabstimmung Nein sagen, so laut und zahlreich wie sie wollten. Das hat nichts daran geändert, dass diese ihre Stimme nichts zählte. Was Griechen zusteht, wofür und unter welchen Bedingungen sie Kredite bekommen, das entscheiden Schäuble und Co. und das leuchtet dann letztlich sogar der dank der Wahlkreuze derselben griechischen Stimmbürger im Jänner 2015 eindeutig dazu berufene griechischen Regierung, als unabänderliches Sachgesetz sosehr ein, dass sie von einer Ablehnung der eigenen Entscheidung durch ihre Bürger einfach nichts mehr wissen will.

 

Nicht anders, nur mit umgekehrtem Vorzeichen, hier bei uns. Hier wurde der Bürger gehört, bevor er sich überhaupt zu Wort gemeldet hatte. Wenn griechische Bürger in einer Volksabstimmung zu Protokoll geben, dass sie weitere Sparauflagen einfach nicht mehr ertragen, weil schon die bisherigen die Gesellschaft ausreichend zerstört haben, dann kommen die hier beheimateten Bürger als Berufungsinstanz für die unumstößliche Notwendigkeit der Erfüllung noch weiterer und noch härterer Sparauflagen gerade recht. Da wussten unsere Regierungen dann sofort, dass den Steuer-Bürgern weitere Belastungen einfach nicht mehr zuzumuten seien. Weil es bekanntlich ja üblich ist, vor jeder Steuer- und Abgabenerhöhung die Zustimmung der Bürger einzuholen.

 

Man sieht an diesen Beispielen: Demokratische Politiker nehmen die Wünsche der Bevölkerung nur so zur Kenntnis, wie es in ihre Kalkulationen mit dem Arbeitsvolk als Manövriermasse für den geschäftlichen Erfolg und fürs staatliche Vorankommen hineinpasst. Darauf berufen sich dann als Inhalt ihrer demokratischen Verantwortung für das Allgemeinwohl, für Staat und Wirtschaft, ohne die doch das Volk nicht leben kann.

 

Demokratie funktioniert nicht so, dass sich die Regierenden in Wahlen über Wünsche der Regierten informieren. Demokratie funktioniert anders herum. Die Regierenden berufen sich darauf, dass sie dafür gewählt sind, das Beste für ihre Völker zu tun. Zur Rechtfertigung ihrer Maßnahmen verweisen sie auf lauter Sachzwänge, denen sie genügen müssen: der Staatshaushalt muss schließlich in Ordnung kommen, die Krise muss bewältigt werden, die brachliegende Wirtschaft muss wieder aufleben usw. Nur wenn das alles in Ordnung kommt, und das kommt eben nur mit diesen harten Maßnahmen in Ordnung, die zu treffen sie gezwungen seien, kann auch das Volk, sich Besserung erhoffen. Nicht gleich, aber dann wenn es wieder aufwärts geht mit der Wirtschaft und wenn der Staat wieder besser dasteht, dann lohnen sich die Opfer - so die beständige Auskunft der europäischen Politiker.

 

Diese Opfer werden nicht von der Einsicht der Bevölkerung in die Notwendigkeit der getroffenen Maßnahmen abhängig gemacht, sondern diese werden von oben durchgesetzt. Dafür gebrauchen die Politiker einerseits ihre Macht, die sie als Gewählte haben. Andererseits berufen sie sich dann auch noch auf die Art und Weise, wie diese Macht zustande gekommen ist und auf die Verantwortung, die sie damit übernommen haben. Insofern sie ja vom Volk gewählt seien, sei ihr Handeln nicht nur notwendig, sondern auch noch legitim. Was sie damit machen, ist also schlicht: Sie verweisen die Betroffenen auf deren Abhängigkeit - darauf, was alles aufgehen muss an Kapital- und Staatsrechnungen und wie das Volk darin vorkommt - und fordern mit dem Verweis, vom Volk gewählt zu sein, Zustimmung ein.

 

Leider funktioniert das alles noch immer viel zu gut. Alle - selbst die von der Krisenpolitik Enttäuschten mit ihren Vorstellungen von einer sozialeren, besseren Politik appellieren ja mit ihren Massendemonstrationen, Besetzungen von Plätzen an die Politik, sich ihrer Belange anzunehmen. Damit verweisen sie ihre Belange an die für ihre verheerende Lage zuständigen Instanzen. Ausgerechnet diejenigen, die ihnen die ziemlich verheerenden Wirkungen ihrer geschäftlichen Anwendung und politischen Betreuung einbrocken, werden dafür für zuständig erklärt, diese Wirkungen zu korrigieren.