GEGENARGUMENTE

ÖSTERREICH 2018 - WAS MARXISTEN AKTUELL ZU KRITISIEREN UND ZU ÄNDERN HABEN

 

Am 3.März 2018 fand in Wien an der VHS Hietzing eine Rosa Luxemburg Konferenz statt. Wir bringen im Folgenden das Referat, das wir auf dieser Konferenz gehalten haben.

 

Einleitung

 

Zur Absicht des Vortrags ein paar einleitende Bemerkungen an Hand des Ankündigungstextes zu dieser Konferenz. Da heißt es

 

Es wird immer deutlicher, dass die bisher herrschende Ordnung, so mächtig sie uns heute noch erscheinen mag, auf Sand gebaut ist. Die Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus stellt sich daher einmal mehr ganz konkret. Die Linke steht dabei vor der Frage, mit welchen Theorien, Programmen, Strategien und Methoden sie den Kampf für eine bessere, gerechtere Welt weiterführen möchte.“ (Aufruf zur Rosa Luxemburg Konferenz 2018 „Eure Ordnung ist auf Sand gebaut)

 

Woher außer dem eigenen Wunsch entnimmt man eigentlich, dass die bisher herrschende Ordnung „auf Sand gebaut ist“? Dass die herrschende Ordnung „auf Sand gebaut ist“, können wir faktisch nicht entdecken.

 

·         Weder beweist eine Finanzkrise – nicht die aktuelle und schon gar nicht die von 1929 –, dass der Kapitalismus am Ende wäre, - einem Ende, auf das sich die Linke rechtzeitig mit „Theorien, Programmen, Strategien und Methoden“ einstellen müsste.

·         Noch wollen die Leute in ihrer überwiegenden Mehrheit etwas von einer „Überwindung des Kapitalismus“ wissen. Sie ziehen ganz offensichtlich einen völlig anderen, gegenteiligen Schluss aus der Weltlage. Sie wählen zunehmend rechte Parteien.

 

Das Interesse an der Umgestaltung der Gesellschaft, ergibt sich nicht aus der Lage, es will erzeugt sein. Dazu muss man sich zuallererst selbst klarmachen, worin die vorfindliche Welt zu kritisieren ist und warum die Menschen trotz all ihrer negativen Erfahrungen an dieser Wirtschaftsweise und ihrem politischen Überbau festhalten. „Die Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus“ stellt sich daher nicht wie von selbst, sondern davon sind die Leute erst noch zu überzeugen.

 

Womit hat man es zu tun, wenn man mit einer Kapitalismuskritik auf die Menschheit losgeht?

 

Faktisch ist es doch so, dass man sich mit einer radikalen Kritik an den politischen und ökonomischen Verhältnissen, die die Notwendigkeit der Abschaffung des Kapitalismus begründet, heutzutage meist lächerlich macht– sogar bei manchen Linken.

 

Warum ist das so? Weil der überwältigenden Mehrheit der Österreicher alles, was Politik und kapitalistische Wirtschaft zum Schaden der Mehrheit einrichten und dauernd nach ihren Bedürfnissen und Notwendigkeiten ändern, als alternativlose Lebensbedingung gilt.

 

Daran hat selbst die größte Krise seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 nichts geändert. Obwohl die Finanzkrise 2008 doch schlagartig klarmachen hätte können, um was für eine merkwürdige Lebensbedingung es sich da handelt.

 

Worin lag die Katastrophe, dass Banken bankrottgingen? Kein einziges Stück sachlichen Reichtums – kein einziger Gebrauchsgegenstand, keine Maschine – hat sich doch dadurch in Luft aufgelöst. Weg war einzig ein Gutteil des Wertes der Papiere, die die Banken und sonstige Investoren sich wechselseitig verkauft haben. Wenn darüber trotzdem die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrundes kommt, dann dreht sich offenbar alles genau darum. Das ganze Leben einer Nation hat dem zu dienen und hängt davon ab, dass sich in ihr das Geld vermehrt. Zentralinstanz dieser Geldvermehrung ist der Finanzsektor. Wenn die Geldvermehrungsmaschinerie des Finanzsektors nicht funktioniert, steht das gesamte ökonomische Leben der Nation auf dem Spiel.

 

Für die versammelte Politikermannschaft, die bis dahin noch jede Sozialstaatskürzung immer damit begründet hat, dass die Staatskasse leer, der Staat hoffnungslos überschuldet sei, war sofort klar: Sie musste das Finanzkapital und dessen Finanzprodukte unbedingt retten und sie hat dafür schlagartig Hunderte von Milliarden mit einem Machtwort geschaffen. Die Bankenrettungspakete wurden damit verteidigt, dass die Finanzinstitute „systemrelevant“ wären. Damit wurde nicht das System disqualifiziert, dessen Erhalt so viel kostet, sondern der Aufwand gerechtfertigt.

 

Denen unten, die mit Finanzprodukten nichts am Hut haben und so gut wie keine besitzen, hat die milliardenschwere Bankenrettung als alternativlos eingeleuchtet.

 

·         Statt folgenden Schluss zu ziehen: Das Geld und seine Vermehrung sind ein einziges Hindernis für eine vernünftige Reproduktion aller, wenn jede Produktion mit dem Totalverlust aller Wertpapiere aufhört –

·         hat das Volk diesen angeblichen „Beweis“ geschluckt, dass offenbar ohne die Banken nichts, mit ihnen aber immerhin alles Gewinnträchtige läuft. Das Volk anerkennt die Gleichung „Geldvermehrung = Bedingung für alles, also – alternativlos!“ und macht weiter wie vor der Finanzkrise: Geld verdienen durch Arbeit – eine Arbeit, die diejenigen, die sie verrichten, arm bleiben lässt, ihre Arbeitgeber aber immer reicher macht.

 

Also es ist notwendig, sich mit den falschen Urteilen der Leute über den Kapitalismus auseinanderzusetzen, sie zu kritisieren. Eine schlechte Prognose – „auf Sand gebaut“ – hat nichts mit einer Kritik zu tun! Eine solche ist aber unerlässlich und der wollen wir uns im Folgenden widmen.

 

Im ersten PunktAlternativlosigkeit – von oben verordnet und durchgesetzt“ geht es um das, was die Politik durchsetzt und wie sie das dem Volk präsentiert.

 

Im zweiten PunktAlternativlosigkeit – von unten nicht nur akzeptiert, sondern als eigene Lebensbedingung anerkannt, gewollt und verteidigt“ geht es darum, wie die Bevölkerung sich zu dieser von oben durchgesetzten Alternativlosigkeit stellt und welche Fehler sie dabei macht. Weiters wird überprüft, ob das, was es an linker Kritik gibt, diesen Fehler der Leute kritisiert.

 

Im dritten Punkt geht es um die Verlängerung des Fehlers, die von oben verordnete Alternativlosigkeit anzuerkennen und zu verteidigen, in Gestalt von konstruktiver Kritik.

 

1. Alternativlosigkeit – von oben verordnet und durchgesetzt

 

Von oben, von der Politik und der Wirtschaft her gesehen ist das einfach: Die politische Gewalt setzt die kapitalistischen Verhältnisse durch, macht also alle – alternativlos – abhängig vom Gedeihen des kapitalistischen Geschäfts. Subjekt der Ökonomie ist das Kapital, das mittels Lohnarbeit seine Vermehrung betreibt. Alternativen kennen sie, aber nur fürs Zementieren der Verhältnisse. Und damit sind sie dauernd befasst. Was gestern noch alternativlos war, wird heute geändert mit dem Argument: Es gibt keine Alternative.

 

Früher – vor der Finanzkrise – war die „Globalisierung“ alternativlos; ein Geistersubjekt, das die Staaten angeblich zum Rückzug aus der Wirtschaft, zu „Deregulierungen“ gezwungen hat. Jahrzehntelang hat gegolten: „Staat halt dich raus! Die Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt!“. Mit der Finanzkrise war es mit der alternativlosen Deregulierung plötzlich vorbei. Plötzlich – wieder alternativlos – entschiedenes und großzügiges Eingreifen des Staats ins Finanzsystem notwendig.

 

Nacheinander waren alternativlos:

·         die Bankenrettung mit Hunderten von Milliarden $, €, ₤ …; Verstaatlichungen von Banken; Milliarden-Subventionen aus dem Staatshaushalt zur Verbesserung der internationalen Konkurrenzposition des heimischen Kapitals (Verschrottungsprämie, Konjunkturprogramm, Subvention von Kurzarbeitergeld usw.);

·         dann das Gegenteil: Sparhaushalte; „Schuldenbremse“ und Schuldenabbau und

·         wieder das Gegenteil: Milliardengarantien der sog. „Rettungsfonds“ EFSF und des ESM für die Rettung der Staatsschuldenpapiere in den Tresoren der Banken…

 

Immer waren es „alternativlose Sachzwänge“, obwohl der nächste „Sachzwang“ die Alternativlosigkeit des jeweils vorhergehenden widerlegt.

 

*

 

Es können also nicht Sachzwänge gewesen sein, denen die Regierung gefolgt ist und folgt. Es sind Entscheidungen der Verantwortlichen in Regierung und Wirtschaft, die Resultat dessen sind, was ein Staat wie Österreich will: „Österreich wieder an die Spitze bringen“ – in der Konkurrenz am Weltmarkt ganz vorne mitmischen. Alternativlos ist dabei nur eines: das, was die Regierung durch ihre Entscheidungen alternativlos macht für diejenigen, die dazu herangezogen werden, dass in Österreich billiger, produktiver, innovativer und kapitalkräftiger produziert wird.

 

Die Senkung der Arbeitskosten, Billiglohn, Sparen bei den Sozialhaushalten einerseits, Milliarden für die Rettung des Finanzkapitals andererseits, sind immer dann, wenn sie anstehen, zwar nicht alternativlos, systemnotwendig sind sie aber schon, wenn die Kapitalisten des Standorts Österreich in der Weltmarktkonkurrenz reüssieren wollen.

 

Festzuhalten ist: Politik und Wirtschaft verordnen ihr kapitalistisches System und die daraus folgenden Zumutungen, und das alles wird denjenigen, die dafür praktisch in Anspruch genommen werden, von der Politik und von den Organen der Öffentlichkeit als grundsätzlich alternativlos präsentiert.

 

Damit steht fest, was als Erstes zu tun ist, damit sich an Österreich 2018 Grundsätzliches ändert:

 

Zu erklären und bekanntzumachen ist, dass das, worauf sich Wirtschaft und Politik als alternativlose Sachzwänge jeglichen Wirtschaftens berufen, Notwendigkeiten, „Zwänge“ einer Produktionsweise sind, die nicht durch die „Sache“, sondern durch staatliche Macht alternativlos gemacht werden.

 

2. Alternativlosigkeit – von unten nicht nur akzeptiert, sondern als eigene Lebensbedingung anerkannt, gewollt und verteidigt

 

Dass die Oberen mit ihrer politischen und ökonomischen Macht all das alternativlos machen, ist allerdings kein Grund für die dafür benutzten Unteren, dies alles als alternativlos hinzunehmen oder gar daran zu glauben, dass der ganze Kapitalismus alternativlos sei. Tun sie aber in ihrer übergroßen Mehrheit, trotz ihrer schlechten Erfahrungen, wie wenig ihre eigenen Rechnungen und Lebenspläne aufgehen.

 

Das merken sie zwar – wenn der Lohn immer weniger fürs Leben reicht, sie arbeitslos werden, usw. Sie bleiben aber bei dem, wovon sie ausgegangen sind; - in den kapitalistischen Verhältnissen ein alternativloses Mittel dafür zu sehen, sich einen Lebensunterhalt zu verschaffen. Es ist notwendig, sich klar zu machen, wie die Bürger sich zu dieser ausgerufenen Alternativlosigkeit stellen; wie sie diese rezipieren.

 

Statt Frage nach dem Grund des Scheiterns – Suche nach Schuldigen

 

Wenn das, worauf sie setzen, immer wieder nach hinten losgeht, dann könnten sie danach fragen, ob es dafür system(at)ische Gründe gibt. Wenn sie aber stattdessen bei ihrer Suche danach, warum sie immer wieder scheitern, zugleich daran festhalten, dass die Verhältnisse eigentlich ihre Mittel seien, dann fragen sie angesichts negativer Erfahrungen, was oder wer dieses ihr Mittel so verfälscht, dass sie nie auf einen grünen Zweig kommen. Statt Gründen suchen und finden sie dann Schuldige:

 

·         Arbeitskollegen als Konkurrenten um den besseren Arbeitsplatz, den höheren Lohn, beim Aufstieg;

·         Chefs/Vorgesetzte, die Kollegen bevorzugen, die es „nicht verdienen“;

·         Diejenigen, die dafür zuständig sind, ihre Lebensbedingungen einzurichten: Politiker, die ihre Pflichten vernachlässigen

·         Diejenigen, die „eigentlich nicht hierher gehören“ (Ausländer, Migranten…)

·         Die „Reichen“, die, statt ihre vermeintlich „eigentliche Pflicht“ zu tun „Arbeitsplätze zu schaffen“, abzocken, entlassen, Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, Ausländer einstellen.

 

Zur Verdeutlichung des Fehlers:

Jeder der in die skizzierten Verhältnisse geboren wird, muss sich um Geld und um Arbeit kümmern. Wer das ihm aufgezwungene Interesse verfolgt und sich auf diese Weise durchschlägt, gehorcht der Not und begeht soweit noch keinen Fehler, den er auch lassen könnte. Eine Parteinahme für den Kapitalismus wird daraus aber, wo die Bürger sich auf diese ihnen vom Staat qua Freiheit, Gleichheit und Eigentum vorgegebene Position eines Konkurrenzsubjektes als positive Bedingung ihres Auskommens einlassen.

 

Es ist das eine, sich einen Job zu suchen, weil man in dieser Gesellschaft ohne Eigentum keine andere Wahl hat, an das Geld zu kommen, das man braucht. Was ganz anderes ist es, zu glauben, wenn man sich richtig qualifiziert, sich bestens bemüht, allen Ansprüchen zu genügen, man den Schlüssel für den eigenen Erfolg in Händen hat. Wenn man was gelernt hat und fleißig ist, dann bringt man es zu was.

 

Das Zweite, was zu kritisieren ist, ist dass die allermeisten Leute die negativen Erfahrungen, die sie mit den Verhältnissen machen, in Gründe verwandeln, sich noch mehr zu bemühen, in ihnen zurechtzukommen, ihren Misserfolg Schuldigen anlasten – und von der Politik verlangen sie, dass die dafür sorgt, dass die Rechtschaffenen und Ehrlichen vorankommen und den Schuldigen das Handwerk gelegt wird.

 

Damit steht auch fest, was als Zweites zu ändern ist:

Es ist den Leuten zu erklären – zu beweisen –, warum sie nie auf die Gründe ihrer schlechten Erfahrungen kommen, wenn sie bei der Suche danach von der Voraussetzung ausgehen, die kapitalistisch eingerichteten Verhältnisse müssten doch das Mittel für jeden sein, der rechtschaffen seine Pflicht tut.

 

2.a Die übliche linke Kritik hierzulande leistet das genau nicht.

 

Das soll an einigen typischen, exemplarischen Positionen gezeigt werden. Die erste stammt von der Seite des Gewerkschaftlichen Linksblocks.

 

Man kann man auf der Homepage des GLB in einem Beitrag vom 19.01.2018 mit dem Titel „Vorrang für Gewinnausschüttungen, Sachinvestitionen stagnieren“ Folgendes lesen.

 

Vorrang für Gewinnausschüttungen, Sachinvestitionen stagnieren „Das jetzt vorgelegte Wertschöpfungsbarometer der oö Arbeiterkammer für 2016 zeigt einmal mehr das Potenzial für eine offensive Lohnpolitik, Kapazitäten für Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen sowie für eine Wertschöpfungsabgabe als Basis zur Finanzierung von Sozialstaat und Kommunen, konstatiert Josef Stingl, Bundesvorsitzender der Fraktion Gewerkschaftlicher Linksblock im ÖGB (GLB): „Die Studie zeigt einmal mehr, dass für die Wirtschaft nicht die gesellschaftliche Verantwortung und das Gemeinwohl – etwa durch Schaffung und Sicherheit von Arbeitsplätzen, der Produktivität entsprechende Einkommen, soziale Sicherheit und ein gutes Leben für alle wichtig ist, sondern die Profitmaximierung zugunsten einer kleinen Minderheit“ kritisiert Stingl.“ (http://www.glb.at/article.php/20180119100239507)

 

Eigentlich, so der GLB-Vertreter, hätte es in der Wirtschaft um das Gemeinwohl zu gehen, das sich für ihn als ein gutes Leben und soziale Sicherheit buchstabiert. Was muss er aber feststellen? Nichts davon sieht er zu seiner Zufriedenheit verwirklicht. Worin sieht er den Grund dafür, dass das gute Leben und die soziale Sicherheit, nicht und nicht rauskommen wollen?

 

Sosehr er mit den Resultaten des Wirtschaftens unzufrieden ist, so wenig nimmt er die Art und Weise des Wirtschaftens als möglichen Grund dafür in den Blick. Eigentlich wäre die Welt der Wirtschaft schon in Ordnung, wenn da nicht eine kleine Minderheit – die Unternehmer – das „Gemeinwohl“ hintertriebe, indem sie ihre Profite maximieren und die Gewinne ausschütten, statt „Sachinvestitionen“ zu tätigen und Arbeitsplätze zu schaffen oder wenigstens zu erhalten.

 

Das vorgestellte Bild vom guten Leben beinhaltet wie selbstverständlich so gut wie alles, was man vom Kapitalismus kennt: dass man alles, was Mensch braucht, kaufen muss; dass die eigentumslose Mehrheit der Bevölkerung das dafür erforderliche Einkommen nur verdient, wenn sie einen Unternehmer findet, der sie an einem Arbeitsplatz für seinen Gewinn arbeiten lässt; dass es um Gewinn geht. An all dem liegt es nach Aussage des GLBlers nicht, dass das gute Leben für alle sich nicht einstellt. Sondern daran, dass die Unternehmer statt ihrer Pflicht Arbeitsplätze zu schaffen nachkommen, die Profite maximieren und die Gewinne ausschütten.

 

„Profitmaximierung zugunsten einer kleinen Minderheit“

 

Wer den Vorwurf der Profitmaximierung erhebt, macht eines nicht, er formuliert keinen Einwand gegen den Profit selbst. Kritikabel wird der Profit in seinen Augen erst durch seine Übertreibung. Nicht im Profit sondern in der Gier nach ihm, im Bestreben ihn zu maximieren, in der amoralischen und unanständigen Übertreibung des Strebens nach Profit sieht er den Grund für die beklagten Umstände.

 

Dass Profit sein muss, zum Wirtschaften dazugehört, leuchtet dem Vertreter des GLB ein. Wie heißt es im Zitat: das „Wertschöpfungsbarometer“ – ein anderer Ausdruck für den Gewinn der Unternehmer – „der oö Arbeiterkammer für 2016 zeigt … das Potenzial für eine offensive Lohnpolitik vorhanden ist. Gewinn gilt ihm als Voraussetzung dafür, Lohnforderungen stellen zu können!

 

*

 

Wer so denkt, handelt sich freilich einen unauflöslichen Widerspruch ein. Entweder ist der Profit und das Profitmachen nämlich eine respektable Sache, gegen die sich nichts sagen lässt. Dann kann er aber doch gar nicht hoch genug sein und die Herrschaften, die sich um ihn kümmern, liegen genau richtig, wenn sie sich an nichts anderem als an ihrem Profit orientieren. Mehr Profit wäre dann ja mehr von den guten Wirkungen, die ihm nachgesagt wird.

 

Ist das Streben nach hohem Profit aber schädlich für die Arbeitnehmer, dann kann es unmöglich wahr sein, dass Profit und Nutzen der Arbeitnehmer miteinander verträglich sind. Dann ist die kapitalistische Geschäftemacherei ganz grundsätzlich nicht dafür vorgesehen ist, Lebensmittel der Menschheit zu sein. Dann schließen die Prinzipien der Marktwirtschaft von vornherein all die unangenehmen Folgen notwendig mit ein, die von den Kritikern aufgezählt werden. Dann ist es aber eine Dummheit, ausgerechnet am Profit eine nützliche und eine böse Seite zu unterscheiden. Dann ist nicht die Profitgier – nicht das Maximieren des Profits – zu kritisieren sondern der Profit selbst.

 

„Wertschöpfungsbarometer[1] zeigt Potenzial für offensive Lohnpolitik,

 

Das Verhältnis zwischen einem kapitalistischen Betrieb und seinen Lohnempfängern sieht etwas anders aus, als es sich die Kritiker der Profitgier zurecht legen. Wenn ein Betrieb Lohn zahlt, dann deshalb, weil ihm die mit dem Lohn eingekaufte Leistung mehr an Reichtum einspielt als der Vorschuss in die Produktion – Lohn inklusive – gekostet hat. Einen anderen Zweck als vermehrten Geld-Rückfluss kann ein Geldvorschuss auch gar nicht haben.

 

Dieses Verhältnis beinhaltet einen unauflöslichen Gegensatz. Der Betrieb erreicht seinen Zweck Profit ja umso besser, je geringer der gezahlte Lohn – im Verhältnis zur geldwerten Leistung des Arbeitnehmers – und mit ihm der Nutzen des Lohnempfängers aus seiner Arbeit ist. Jeder Euro mehr an Lohn bedeutet schließlich immer eine Schmälerung des Gewinns und damit eine Schmälerung der Größe, deretwegen der Unternehmer einzig investiert.

 

Von einem solchen prinzipiellen Gegensatz von Lohn und Profit wollen die Kritiker der Profitgier nichts wissen. Sie halten im Gegenteil an der Vereinbarkeit von Profit und Wohl der Arbeitnehmer fest. Als Grund für miese Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und soziale Unsicherheit gilt ihnen nicht der Profit, sondern die überzogene Stellung der Unternehmer zum Profit. Nicht der Profit ist schlecht, sondern ein zu viel davon. Jemand der so urteilt, meint, Profit und Lohn seien eigentlich zwei verträgliche Größen, die harmonieren könnten, wenn nur die Unternehmer nicht zu gierig wären. Wer so denkt, will nicht das System der Marktwirtschaft und seine Rechnungsweise angreifen, sondern die Rechner. Er erweist sich damit als jemand, der sich im Angesicht der schlechten Erfahrungen, die man als Lohnabhängiger in der Marktwirtschaft macht, den guten Glauben an die Brauchbarkeit dieser Wirtschaftsweise erhalten möchte.

 

Meister darin ist hierzulande der ÖGB. Stoppt die Profitgier!“ titelt etwa eine Veranstaltung des Internationalen Referates des ÖGB auf dieser Konferenz. Einen ähnlichen Inhalt haben die bekannten Kennzeichnungen der Wirtschaft als Turbo-, Casino-, Karawanen-, Finanzkapitalismus. Dem Erfindungsreichtum hinsichtlich der Zusätze zum Kapitalismus sind schier keine Grenze gesetzt und zeugen immer nur von einem, der trostlosen Absicht, die unerwünschten Resultate des Wirtschaftens auf gar keinen Fall als notwendiges Resultat des ganz normalen Kapitalismus begreifen zu wollen. Nie ist es der Kapitalismus, der seine hässliche Fratze zeigt, sondern seine Entartung. Nie sollen einfach der Kapitalismus und seine Zwecke Grund der beklagten Schädigungen sein, sondern seine Übertreibung.

 

Kapazitäten für die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen“

 

Eine Bemerkung zum Thema Sachinvestitionen: Was machen die Unternehmer? Der Vorwurf heißt: Statt mit ihren Gewinnen „Sachinvestitionen“ zu tätigen und damit Arbeitsplätze zu schaffen bzw. wenigstens zu erhalten, machen sie was mit ihren Gewinnen? Sie schütten sie aus. Statt dieser ihrer „gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen, haben sie nur ihren privaten Nutzen im Sinn und stecken den Gewinn einfach ein, ohne die Arbeitnehmer am Erfolg des Unternehmens partizipieren zu lassen.

 

An der Stelle mal ein Hinweis auf die Eigenart des Gemeinwohls des vom GLB geforderten guten Lebens für alle. Ein eigentümliches Versprechen, auf das die Unternehmer da festgelegt werden sollen: auf die Pflicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Für wen ist ein Arbeitsplatz ein Zweck für sich? Für niemanden! Weder für die Unternehmer – die sind nicht an Arbeitsplätzen, sondern an rentablen Arbeitsplätzen interessiert. Andernfalls gäbe es keine Arbeitslosigkeit.

 

Noch ist für die lohnabhängige Bevölkerung Arbeit das, was sie braucht. Arbeit um ihrer selbst willen ist niemandes Zweck. Bei derlei Notwendigkeiten ist man im Gegenteil froh, wenn sie erledigt sind. Auf einen Arbeitsplatz angewiesen sind die Arbeitnehmer nur, weil ihnen – qua Mangel eigenen Vermögens – keine andere Einkommensquelle offen steht.

 

Insofern ist die vom GLB vorgebrachte Beschwerde an die Adresse der Unternehmern fürchterlich realistisch. Mit größter Selbstverständlichkeit geht sie von der Abhängigkeit der Arbeitnehmer von einem Arbeitsplatz aus und sie irrt sich darin ja einerseits auch nicht. Es ist eine Eigenart marktwirtschaftlicher Verhältnisse. Nur wer einen Arbeitsplatz hat, hat ein Einkommen und das braucht man, weil man ansonsten von allem was man zum Leben braucht und will ausgeschlossen ist. Dafür sorgt das Eigentum. Mit dieser Beschwerde wird im Grunde eingestanden, dass die Arbeitnehmer unter den herrschenden Verhältnissen ihr Leben nicht selber im Griff haben, es nicht selber im Griff haben, mit ihrer Arbeit für erträgliche Lebensumstände zu sorgen. Eine Abhängigkeit, die weder hinterfragt und schon gar nicht kritisiert wird. Das ist die Seite des Realismus.

 

Diese Beschwerde ist zugleich aber auch idealistisch. Idealistisch ist sie, insofern sie gegen den eigenen Merker sich nicht davon abbringen lässt, dass der Arbeitsplatz doch zumindest leisten müsste, dass die Menschen von ihm leben können, statt zur Kenntnis zu nehmen, dass der Lohn offenbar für was anderes gezahlt wird als dafür, dass der Lohnempfänger vom Lohn leben kann. Arbeitsplätze sind Bereicherungsmittel der Unternehmen. Es gibt sie nur, wenn die mit dem Lohn eingekaufte Arbeitskraft das Unternehmen reicher macht. Lohn und Gewinn stehen daher in einem unauflöslichen Gegensatz. Das Arbeitsplätze nicht das Mittel der Arbeitnehmer sind, ist auf seine Weise auch dem GLB nicht unbekannt, wenn er „Kapazitäten“ für Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen entdeckt haben will. Derlei Kapazitäten wären doch gar nicht notwendig, wäre der Zweck der Arbeitsplätze nicht der Profit der Unternehmen, sondern das Auskommen der Menschen, die an ihnen arbeiten.

 

 

Kritiker der Profitgier – wie etwa der GLB – glauben keine Sekunde daran, dass die Unternehmer von sich aus ein Einsehen haben. Für die Harmonie von Profit- und Lohninteresse zu sorgen, das halten sie für die Aufgabe des Staates und sie täuschen sich damit ein weiteres Mal. Ihnen will nämlich nicht auffallen, dass die ganze Macht der unternehmerischen Kalkulation, die sie durch den Staat beschränkt sehen wollen, sich dem Umstand verdankt, dass derselbe Staat mit Freiheit, Gleichheit und Eigentum, mit seinem ganzen Gesetzesapparat nichts anderes macht, als genau diese Kalkulation der Unternehmer ins Recht zu setzen. Ihnen will nicht auffallen, dass das angewiesen Sein der abhängig Beschäftigten auf einen Arbeitsplatz seinen Grund in der geltenden Eigentumsordnung hat. Eine Eigentumsordnung, die niemand anderer als der Staat verbindlich macht, weil er in der damit von ihm eingerichteten kapitalistischen Ökonomie die eigene Grundlage hat. Ihm kann daher der Erfolg dieser Ökonomie, der nun einmal im Profit des Kapitals besteht, grundsätzlich gar nicht groß genug sein. „Das Wachstum“ des Kapitals ist der wahre Inhalt des Gemeinwohls dieser Gesellschaft. Alle Politik und damit das ganze Volk hat ihm zu dienen.

 

Plausibilität für die Zuständigkeit des Staates in Sachen Beschränkung der „unvernünftigen“ Gier der Unternehmer ziehen sie aus dem Umstand, dass der Staat schon längst ins wirtschaftliche Geschehen eingreift und tatsächlich da und dort auch dem Gewinnstreben der Unternehmer kritisch gegenübertritt. Was sie aber nicht zur Kenntnis nehmen wollen, ist Folgendes: Wenn sich der Staat dazu entschließt, etwa als Sozialstaat in die Wirtschaft einzugreifen, dann sicher nicht, um die Ökonomie, die er gerade ins Recht gesetzt hat, gleich wieder auszuhebeln, sondern einzig um die Voraussetzungen dieser Ökonomie sicherzustellen, die die Rücksichtslosigkeit dieser Sorte Wirtschaft gegen ihre eigenen Grundlagen in Frage stellt.

 

Noch einmal zusammenfassend:

 

Tatsächlich brauchen die Menschen im Kapitalismus jemanden, der sie beschäftigt und der sie für ihren Dienst entlohnt. Die Umkehrung, Arbeitsplätze wären dazu da, die Menschen einen Lohn verdienen zu lassen, damit sie davon leben können, ist deswegen noch lange nicht richtig. Nur wer das aber glaubt, hält es für einen Verstoß an geltenden Prinzipien des Wirtschaftens, dass dieser Lohn in vielen Fällen tatsächlich nicht für das „gute Leben“ reicht.

 

Der Fehler, den so jemand macht, besteht darin, das praktische Urteil der Menschen – sie gehen einer Lohnarbeit tatsächlich einzig deshalb nach, weil sie auf den damit verdienten Lohn angewiesen sind – für die Erklärung der Sache zu halten. So als ob gearbeitet würde, damit die Menschen ein Einkommen haben.

 

Damit kommen wir zum Ausgangspunkt der Kritik an dem GLB-Zitat zurück. Die Aussage unsererseits lautete: Zu ändern ist Folgendes:

Es ist den Leuten zu erklären, warum sie nie auf die Gründe ihrer schlechten Erfahrungen kommen, wenn sie bei der Suche danach von der Voraussetzung ausgehen, die kapitalistisch eingerichteten Verhältnisse müssten doch das Mittel für jeden sein, der rechtschaffen seine Pflicht tut. Ihnen ist zu erklären, dass sie nicht Teilhaber einer gemeinsamen Daseinsbewältigung sind, sondern Kostenfaktor einer Wirtschaft, die ihren Erfolg im Gewinn der Kapitaleigner misst und keineswegs in hohen Löhnen und kurzen Arbeitstagen.

 

Wird das durch die besprochenen Urteile geleistet? Die Antwort ist ein eindeutiges NEIN. Statt diesen Fehler zu kritisieren, buchstabiert auch der GLB den Menschen genau diese verkehrte Sichtweise nochmals ausdrücklich vor. Was braucht der Arbeiter?Einen Lohn! Weil er einen Lohn braucht, braucht er einen Arbeitsplatz, einen Sozialstaat usw. – und all das ließe sich schon mit dem Gewinninteresse der Unternehmen vereinbaren.

 

                                                                                        *

 

Diese Sorte Kritik im Namen eines Ideals – hier etwa das eigentliche Gemeinwohl, wie es sich der GLB zurechtlegt – kennt eine Steigerungsform. Das Prinzip, in dessen Namen argumentiert wird, ist dann gar kein hohes Ideal mehr, sondern gefordert wird im Namen des Funktionierens des Systems. Wer so kritisiert, kritisiert konstruktiv.

 


 

3. Der Fehler konstruktiver Kritik

 

Solange die Lohnabhängigen sich die Abhängigkeit vom Geld und von allem, was daraus als „Sachzwang“ folgt, als ihre Lebensgrundlage einleuchten lassen, so lange kommen die Auskünfte, von denen wir meinen, dass sie an die Leute zu bringen wären, bei denen gar nicht gut an. Früher – vor 1989 –, als es noch den „Realen Sozialismus“ gab – hieß es „Geh nach drüben!“ Heute heißt es nur mehr „Sag mir deine Alternative!, das „brauche ich nicht oder diese Kritik ist „nicht konstruktiv“.

 

Unsere Botschaft wird daran blamiert, dass sie den Lohnabhängigen nicht bei ihren praktischen Problemen hilft – dabei einen Arbeitsplatz, einen höheren Lohn, eine sichere Pension, usw. zu bekommen. Wer das sagt, hat einerseits Recht, nur übersieht er andererseits, dass wir gerade nachgewiesen haben, dass das Erwirtschaften des Lebensunterhalts aller Beteiligten überhaupt nicht der Zweck des Wirtschaftens im Kapitalismus ist, sondern die leidige Unkost, die klein gehalten werden muss – weswegen der praktische Standpunkt des Zurechtkommen Wollens ein Fehler ist.

 

Diese jetzige Arbeitswelt ist keine Naturnotwendigkeit. Diejenigen, die benutzt werden, ohne Nutznießer der Verhältnisse zu sein, müssten sich diese Erpressung zu rentabler Arbeit nur nicht bieten lassen. Das ist das, was früher einmal Revolution geheißen hat!

 

Mit einer solchen radikalen Kritik an den politischen und ökonomischen Verhältnissen, die darauf hinausläuft, den Kapitalismus abzuschaffen, blitzt man heutzutage ab. Warum?

 

·         Weil die Lohnabhängigen sich europaweit mehrheitlich ihre Abhängigkeit vom Erfolg des kapitalistischen Geschäfts als „alternativlos“ einleuchten lassen wird Kritik, die so antritt, mit dem Verdikt „unrealistisch“, nicht „konstruktiv“ zurückgewiesen.

·         Wegen dieses durchgesetzten Dogmas der „konstruktiven Kritik“ outet sich jede Kritik als diskussionsunwürdig, die nicht gleich in Form „realistischer Verbesserungsvorschläge“ daherkommt, d.h. grundsätzlich die Alternativlosigkeit der bestehenden Verhältnisse anerkennt.

 

Politiker aller Colour, ganz normale Bürger und leider auch Linke üben sich in dieser Disziplin der konstruktiven Kritik, ganz so, als ob es logisch und zwingend wäre, dass aus Einwänden niemals die Ablehnung des Kritisierten, sondern stets seine Vervollkommnung zu folgen hätte. An allem, woran kritisch denkende Zeitgenossen Anstoß nehmen, wollen sie hilfreich mitwirken – wirklich an allem!

 

Beispiel „Krisenpolitik: In der Finanzkrise etwa sind Linke für eine andere Krisenpolitik eingetreten, statt sich erst einmal Rechenschaft darüber abzulegen, was da eigentlich in der Krise ist und ob das wirklich gerettet werden soll.

 

Die zahllosen EU-Gipfel haben gänzlich ihre offiziellen Ziele verfehlt, nämlich das „Vertrauen der Märkte wiederherzustellen“ und die Krise in der Eurozone zu lösen.“ (Aufruf zu einem Alternativgipfel – www.altersummit.eu[2])

 

Politik und Wirtschaft haben 2008 die größte Krise ihres famosen Wirtschaftssystems namens Marktwirtschaft ausgerufen, NICHT weil Millionen Menschen obdachlos geworden sind, Hunger leiden und nicht ordentlich medizinisch versorgt sind. Das war schon vor 2008 so und da war von Krise nicht die Rede. Der offizielle Krisenbefund hat keinen Zweifel offengelassen: Krise ist, wenn das Gewinne machen nicht mehr klappt. Um den Kreditüberbau zu retten und das Gewinne machen wieder in Gang zu setzen, wurden und werden massenhaft Existenzen geopfert (Hinweis GR. …), weil sie im marktwirtschaftlichen System ohnehin keine andere ökonomische Existenzberechtigung haben, als diesem Zweck zu dienen. Das Funktionieren dieses Zwecks sollte man den Massen an Lohnabhängigen, Pensionisten daher besser nicht an den Hals wünschen.

 

Die europaweiten Beschwerden gingen aber auf nichts anderes. Bezogen wurde sich auf die Verschlechterung der Lebensbedingungen – die Differenz der krisenhaften Lebensbedingungen zur Normalität des Kapitalismus. Herbeigesehnt wurde die Normalität des Kapitalismus, die gestern noch kritisiert wurde.

 

                                                                                       *

 

Diese Sorte Kritik fasst die Krise als gemeinschaftliche Notlage! Deshalb weil in der Krise viele Rechnungen nicht aufgehen – weil die Unternehmer nicht ausreichend Gelegenheit für ihr Geschäft finden, die Löhne der Arbeiter gekürzt oder sie gleich entlassen werden, weil die Kreditwürdigkeit der Staaten in Frage gestellt wird – liegt aber noch lange kein allgemeiner Schaden vor, den „wir alle“ hätten. Diese unter den Stichwort „Krise“ zusammengefassten Notlagen unterscheiden sich nämlich nicht bloß. Es handelt sich vielmehr um Krisen von Subjekten mit gegensätzlichen Interessen:

·         Da sind einmal die Einkommensabhängigen ohne Arbeit mit zu wenig Geld, - Menschen, die auf Lohn angewiesen sind, der schon in normalen Zeiten immer zu gering ist und den sie nicht nur in Zeiten der Krise massenhaft bestritten kriegen und zwar von den ebenfalls zur Gemeinschaft der Krisenopfer gehörigen

·         Unternehmern, die doch gerade im Interesse der Bewältigung ihrer Krise - des Erfolgs ihres Geschäftes, das in der Krise nicht genügend gut läuft - die Löhne der Beschäftigten kürzen und massenhaft Leute entlassen und

·         schließlich der Staat mit seinen Haushaltssorgen, der mit dem Verweis auf diese Sorgen sein Volk drangsaliert.

 

Von so etwas wie einem in den Zwecken der Ökonomie gründenden Gegensatz der Interessen wollten die europaweiten Beschwerden allesamt nichts wissen. Im Gegenteil, insoweit die Krise als allgemeine Notlage gefasst wurde, wurden alle die gegensätzlichen Interessen eingemeindet in den großen Kreis der von der Krise Betroffenen. Eine nationale Notlage wurde beschworen, die irgendwie gemeinschaftlich unter Staatsregie bewältigt werden soll. Der Vorwurf lautete – der Staat betreibe eine „verfehlte Krisenpolitik“, eine „verfehlte Steuer- und Sozialpolitik“ und sorge für eine „ungerechte Verteilung“, weshalb es kein Wachstum und keine Arbeitsplätze gäbe.

 

Beispiel „Digitalisierung der Produktion“: Selbst in Diskussionen um Industrie 4.0 und ihren Folgen – Diskussionen denen man durchaus entnehmen könnte, welche Zweck Produktivkraftsteigerungen im Kapitalismus haben – bringen sich Linke und sonstige Protestbewegungen gegen Armut konstruktiv ein.

 

Mit der industriellen Revolution, die das Kapital aktuell durchsetzt, der Industrie 4.0, der Digitalisierung der Produktion läuten die Kommandeure der gesellschaftlichen Arbeit die nächsten Runde großflächiger Einsparung von bezahlter Arbeit im globalen Kampf um alte und neue Absatzmärkte ein, machen sie immer größere Teile der Gesellschaft einkommenslos. Was vermelden große Teile der Linken dazu? An Industrie 4.0 und ihren Folgen - entdecken sie nicht den Irrsinn einer Produktionsweise namens Kapitalismus, in der die Steigerung der Produktivkräfte – dass also mehr Güter in immer kürzerer Zeit produziert werden können – vermehrten Ausschluss der Arbeiter vom von ihnen produzierten Reichtum bedeutet, sondern wollen das gesellschaftliche Problem der Arbeitslosigkeit lösen. Angesichts um sich greifender „Einkommenslosigkeit“ gepaart mit beinahe unerschöpflichen „Überkapazitäten an Gütern“ ist nicht einfach die Verteilung der im Überfluss vorhandenen Produkte und der immer weniger werdenden nötigen Arbeit angesagt, sondern mit einem Grundeinkommen für alle sollen die Folgen der Digitalisierung abgefedert werden. Dieser Vorschlag strotzt tatsächlich vor „Konstruktivität“. Kein Wunder, dass inzwischen schon sogar Unternehmer dem Vorschlag was abgewinnen können!

 

Man hat es heute mit einer eigenartigen Sorte Antikapitalismus zu tun

 

Kapitalismuskritik ist heutzutage ausgestorben. Die Opposition, die antritt, tritt unter dem Banner „gegen neoliberale Politik“ an. „Gegen Neoliberalismus“ ist die Forderung nach einer anderen, besseren, effektiveren, Krisen vermeidenden Lenkung der Wirtschaft, die Wirtschaft als solche, der Kapitalismus, bleibt außen vor.

 

Dort, wo Politik und Wirtschaft klarstellen, dass der Unterhalt der Arbeitenden nicht der Zweck der kapitalistischen Produktion ist, hält eine Protestbewegung, die unter diesem Banner antritt, daran fest, dass Lohn und Gewinn sich vereinen ließen, wenn der Staat nur alles richtig machen würde.

 

Verteidigt wird unter diesem Banner insbesondere der Sozialstaat, so als ob nicht gerade der Sozialstaatnoch einmal ausdrücklich die Unvereinbarkeit der Interessen zeigen würde. Woher kommen denn permanent die „sozial Schwachen“, um die sich der Staat per Sozialpolitik kümmern soll? Der Ruf nach dem Sozialstaat akzeptiert als Selbstverständlichkeit eine Wirtschaftsweise, die staatliche Eingriffe braucht, um dem Arbeitsvolk überhaupt ein Auskommen zu sichern; Unternehmen, die laufend für Sozialfälle sorgen bei Jung und Alt.

 

Diese Unversöhnlichkeit zwischen Lohn und Gewinn nimmt die Protestbewegung nicht zur Kenntnis, bestreitet nicht den Zweck, sondern streitet mit der Politik über die richtigen Mittel zur Verfolgung des Zwecks. Die Alternativen, die sie dann vorschlagen, zeigen, wie wenig alternativ sie sind.  

 

Damit steht auch fest, was wir als Drittes an Österreich 2018 zu ändern haben:

Eine Kritik muss her, die ausspricht, dass es ein fundamentaler Fehler ist, sich beim Kritisieren darauf einzulassen, konstruktiv zu sein, weil man sich damit von vornherein darauf verpflichtet, dass die bestehenden Verhältnisse grundsätzlich in Ordnung gehen. Kritik muss erst einmal prüfen, ob das Kritisierte überhaupt verbesserungswürdig ist – oder nicht vielmehr abzuschaffen.

 

Warum man als Betroffener einen Fehler macht, wenn man beim Kritisieren von vornherein konstruktiv ist; warum man mit Verbesserungsdebatten aufs falsche Pferd setzt, wenn man zu denen gehört, die mit den herrschenden Zwecken systemnotwendig schlecht bedient sind: Das den Leuten zu sagen, meinen wir, ist die Aufgabe linker Politik.

 

Die überaus große Mehrheit der abhängig Beschäftigten denkt und handelt nicht als Mitglied einer Klasse, welche sich über den Gegensatz ihrer Interessen zu denen des Kapitals wie auch zu den Interessen des Staates, der diese gesellschaftlichen Verhältnisse einrichtet, im Klaren ist. Die Lohnabhängigen denken und agieren als verantwortliche Mitglieder eines nationalen „Wir“, die eben deshalb eher in den „Fremden“ (z.B. den Flüchtlingen) ihre Gegner sehen als in einheimischen Unternehmern und Politikern.

 



[1] Im Gegenteil, Gewinne gelten dem GLB als gute Voraussetzung einer „offensiven Lohnpolitik“:

Der von der Arbeiterkammer Oberösterreich berechnete AK-Wertschöpfungsbarometer zeigt die Entwicklung jenes Wertes auf, den österreichische Mittel- und Großbetriebe im Durchschnitt an jedem Mitarbeiter/jeder Mitarbeiterin pro Jahr tatsächlich – also nach Abzug der durchschnittlichen Personalkosten – verdienen. Konkret wird dabei die Differenz zwischen der durchschnittlichen ordentlichen Wertschöpfung je Beschäftigtem (= wertmäßig betrachtete Produktivität) und dem durchschnittlichen Personalaufwand je Beschäftigtem (laut Gewinn- und Verlustrechnung) ermittelt und im Mehrjahresvergleich gegenübergestellt. Ergänzt wird der AK-Wertschöpfungsbarometer jeweils durch eine Analyse der Gewinnausschüttungs- und Investitionspraxis der untersuchten Unternehmen.

(https://ooe.arbeiterkammer.at/service/betriebsrat/hilfsmittel/AK-Wertschoepfungsbarometer.html)

[2] Die zahllosen EU-Gipfel haben gänzlich ihre offiziellen Ziele verfehlt, nämlich das „Vertrauen der Märkte wiederherzustellen“ und die Krise in der Eurozone zu lösen. In Europa hat gerade eine weitere Bankenkrise begonnen; die Austeritätspolitik, die übereinstimmend in allen Ländern durchgeführt wird, führt zu einer allgemeinen Rezession; die soziale und wirtschaftliche Situation verschlechtert sich in den meisten europäischen Ländern, insbesondere den an der Peripherie der Eurozone gelegenen. … Diese Entwicklungen stellen die ernsthafteste Gefahr für die Demokratie dar, die Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erlebt hat.“ (Aufruf zu einem Alternativgipfel – www.altersummit.eu)