Die Nationalratswahl 2019: Vom kurzen Weg vom Skandal zur Wahl – Lektionen über Sitten und Unsitten der Demokratie

 

Am 17.Mai des heurigen Jahres veröffentlichten das deutsche Magazin „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ Videoaufnahmen, auf denen der damalige Vizekanzler H.C. Strache und der damalige FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus zu sehen sind. Das „höchst ungewöhnliche Bildmaterial“ (ZIB-Moderatorin in der ZIB 2) zeigt H.C. Strache, wie er 2017 auf Ibiza in gelöster Stimmung frisch von der Leber weg, durchaus schon mit Blick auf eine Regierungsbeteiligung im Gespräch mit einer vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen schwadroniert über

·         zu vergebende bzw. zu entziehende Staatsaufträge, die Schädigung eines Unternehmens aus politischen Gründen eingeschlossen, weil dessen Chef eine andere Partei unterstützt;

·         über Spenden an die eigene Partei vorbei an den offiziellen Parteikassen, über einen „gemeinnützigen“ Verein;

·         über bereits getätigte Zuwendungen „Vermögender“ an ein solches Vehikel;

·         über eine Umgestaltung der Besitzverhältnisse an der auflagenstärksten österreichischen Boulevardtageszeitung, der Kronen Zeitung, zum Vorteil der eigenen Partei samt Zugriff auf das schreibende Personal;

·         über eine Umgestaltung der Besitzverhältnisse des staatlichen Fernsehens, um eine „Medienlandschaft ähnlich wie der Orbans“ aufzubauen.

Auch im Geschäft des „dirty campaigning“ kennt sich der Mann aus. Kompromittierendes Material über politische Gegner zu organisieren und es „übers Ausland“ zu „spielen“, um dem Schmutzkübel-Vorwurf zu entgehen, das wäre schon ein „Kunststück“… so H.C. Strache im besagten Video.

 

Der Skandal ist fertig. Am Tag drauf verkündet Bundeskanzler Sebastian Kurz Neuwahlen.

 

Worin besteht eigentlich der Skandal? Was kann man über Wahlen lernen, wenn Neuwahlen eine Antwort auf den Skandal sind? Darum soll es im Folgenden gehen.

 

Worin besteht eigentlich der Skandal und worin nicht?

 

Vorgeworfen wird Strache, im Geheimen um Parteispenden geworben zu haben und das noch dazu bei einer – zwar nur vermeintlichen, das wusste er aber zu diesem Zeitpunkt nicht – russischen Oligarchin. Ist es das, was Straches Verhalten für die Öffentlichkeit zum Skandal macht? Ist das der Inhalt des Skandals? Unsere Antwort: Sicher nicht! Warum? Derlei Spenden sind durch das geltende Parteienfinanzierungsgesetz gar nicht verboten und davon machen, wie man im Zuge der Skandalabwicklung erfahren konnte, in ihrem unstillbaren Hunger nach finanziellen Mitteln zwecks Machterhalt alle Parteien großzügigen Gebrauch. Schließlich kann man gar nicht genug in die Eigenwerbung investieren, will man an der Macht bleiben bzw. dorthin gelangen. Zu beachten ist neben der im Gesetz festgeschriebenen Spendenobergrenze nur, die Spenden ordnungsgemäß offenzulegen. Dann handelt es sich nicht mehr um versuchte Einflussnahme, die auf die Objektivität der im Amt getroffenen Entscheidungen ein schlechtes Licht werfen könnte, sondern um die Zuwendung eines Gesinnungsfreundes mit überschüssiger Finanzkraft. Wegen der in Wahrheit nur scheinbaren Oligarchin ist es im gegenständlichen Fall – anders als bei anderen Parteien – noch nicht einmal zu wirklichen Geldflüssen gekommen. Wie man im Zuge der Skandalaufarbeitung erfahren konnte, dürften es im übrigen die anderen Parteien mit der Legalität des Vorgehens beim Spendeneinsammeln auch nicht ganz so ernst nehmen und einiges an Energie darauf verwendet haben, Umgehungskonstruktionen zu ersinnen.

 

Straches Zug zur Macht hat ihn in Ibiza darüber phantasieren lassen, wie die vermeintliche Oligarchin und – wie er glaubte – Genossin im Geiste ihm und seiner Partei mit dem Kauf des auflagenstärksten und einflussreichsten Printmediums, der Kronenzeitung, unter die Arme greifen könnte; wie sich mit ihrer Hilfe die Medienlandschaft nach dem Vorbild Orbans umgestalten ließe und derart der Erfolg der FPÖ auf Dauer gestellt werden könnte. Klar im Vergleich dazu, gleich die ganze Kronenzeitung in die Hände zu bekommen, nimmt sich der seinerzeitige Versuch Faymanns, die Redaktion dieser Zeitung mittels Inseraten freundlich zu stimmen, bescheiden aus. Ganz im Sinne von „nicht kleckern, sondern klotzen“, verbirgt sich dahinter aber kein irgendwie anders geartetes Prinzip. Qualitativ ist da kein substantieller Unterschied auszumachen. Hinlänglich bekannt, um noch ein Beispiel zu erwähnen, das periodisch wiederkehrende Gezerre und Gefeilsche um die Besetzung des ORF-Stiftungsrates. Warum wohl? Und war da nicht erst kürzlich von einer „Umfärbung“ des Kurier unter der Ägide von Türkis-Blau die Rede?

 

In Alkohol- und sonstiger Laune schwadroniert Strache in Ibiza darüber, wie er die in Aussicht stehende Macht zu nutzen gedenkt. Dass Politiker qua der von ihnen bekleideten Ämter über umfassende Machtbefugnisse verfügen, gibt für sich nicht den Stoff für den Skandal, der ihn zu Fall brachte, her. Politiker dazu zu ermächtigen, Entscheidungen in allen nationalen Angelegenheiten zu treffen, darum geht es gerade in Wahlen. Das wird, anders gesagt, von Politikern gerade erwartet, dafür werden sie gewählt. Mit der Macht des Amtes, in das sie gewählt werden, ausgestattet, Rechte und Pflichten der Menschen im Lande zu definieren, darin besteht gerade der ganz Inhalt dieses Berufes. Schon für die elementarste Entscheidung, wer sich überhaupt berechtigt im Lande aufhält, wer demgemäß hier nichts verloren hat und verschwinden muss, ist niemand anderer als sie zuständig. Die wohlbekannte Haltung Straches in dieser Angelegenheit ist hinlänglich bekannt, für einen Skandal gibt sie nichts her. Derlei Entscheidungen sind Sache der in Amt und Würde gewählten Politiker. Mit Arbeitsmarktpolitik, Wirtschaftsförderung, Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme in Form von Kranken- über die Arbeitslosen- bis zur Pensionsversicherung, usw. definieren Politiker den Menschen die Bedingungen ihres Lebens vor. Selbstverständlicher Teil dieser ihrer Kompetenz sind Entscheidungen in Sachen Vergabe von Staatsaufträgen ist damit mitentscheidend über Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen. Dass Vertreter der Wirtschaft traditionell gute Beziehungen zu den Amtsträgern pflegen ist da weder zufällig noch gibt allein das Anlass für Kritik an den Politikern her. Wer, wenn nicht die Personen, die sonst auch die Wirtschaft heißen, sollte wissen, was der Wirtschaftsstandort braucht. Kleine Geschenke und Gefälligkeiten – wenn nicht ad personam so doch an die Partei, der man sich ideologisch verbunden fühlt – erhalten und pflegen bekanntlich noch jede Freundschaft und gehören zum Geschäft. Bei aller Vorsicht Straches, wie hätte er da über Kontaktversuche seitens einer Oligarchin stutzig werden sollen.

 

Zum Material für einen Skandal wird das Verhalten Straches nicht dadurch, dass er zu erkennen gibt, dass und wie er seine Macht zu nutzen gedenkt, sondern dadurch, dass er – wie er meinte, unbeobachtet – seine persönliche Macht umstandslos mit der Macht identifiziert, die ihm das Amt verschaffen wird, und zwar in Form der Ankündigung, diese Macht – zumindest in erster Instanz – in den Dienst nicht der Nation, sondern seiner Partei und ihrer möglichst dauerhaften Übernahme der Regierungsgeschäfte zu stellen. Dass er, anders formuliert, offen und unverblümt offenbart hat, dass „dem Land zu dienen“ für ihn dasselbe ist, wie dieses Land für seine Partei zu instrumentalisieren. Dummerweise für ihn hat er sich dabei filmen lassen, wäre dies doch sonst vielleicht nie aufgefallen. Oder wüsste irgendwer ad hoc zu sagen, warum Aufträge in Sachen Straßenbau unbedingt an Haselsteiner und nicht an eine andere Gesellschaft gehen sollten? Auch Privatisierungen sind der Politik ganz und gar nicht fremd, wenngleich bei Verkäufen österreichischer Assets an eine russische Oligarchin gewöhnlich eine gewissen Sensibilität an den Tag gelegt wird, an der es Strache im gegenständlichen Fall hat fehlen lassen. Mit all dem – so der Generalvorwurf – hat er eine entscheidende Vorschrift demokratischen Regierens – dass Regieren nämlich Dienst an der Nation zu sein hat – verletzt.

 

Die Demokratie trägt dieser Verpflichtung auf ein vorgegebenes nationales Interesse durch die Trennung von Amt und Person Rechnung. Die Institutionen der Macht stehen unabhängig von den Personen, die sie besetzen wollen, vor jeder Wahl fest. In Gestalt dieser Institutionen samt verfassungs- und einfachgesetzlich geregeltem Auftrag steht damit ebenfalls noch vor jeder Wahl der Inhalt der Staatsräson – die Agenda, die der Amtsträger abzuarbeiten hat – fest. Diese Positionen einzunehmen, derart selbst an die Schaltstellen der Macht zu gelangen und dieses nationale Interesse durchzusetzen, darum konkurrieren die Parteien und ihre Spitzenkandidaten. Politik ist in der Demokratie – anders als in Monarchien – ein Beruf.

 

Die Aufgabe des Politikers besteht andererseits aber gerade darin, im Maße seiner ihm vom Wähler erteilten Machtfülle selbst zu definieren, was im konkreten Fall jeweils nationales Interesse ist, Veränderung des ihm vorgegebenen Rechtsrahmens eingeschlossen. Deswegen gehört zum Politikerberuf im demokratischen Rechtsstaat ein Rechtsbewusstsein, das im Kodex der Herrschaft zuallererst ein Instrumentarium sieht, dem gewählten, also befugten Machthaber in dem, was er politisch will, Recht zu geben und Handhaben zu verschaffen. In den Worten Straches, gefragt zum Video und seinem Verhalten in Ibiza, klingt das so. Er meint:

 

dass er „Akteur einer inszenierten Gesprächssituation“ geworden sei. „In dieser habe ich Gedankenspiele artikuliert, die dumm waren und insbesondere auf dem politischen Parkett völlig inakzeptabel wären.“ Keinem Politiker seien Gedankenspiele jedoch fremd, „in denen er über Mittel und Wege nachdenkt, die politischen Ziele seiner Partei zu verwirklichen, Medienpopularität zu steigern und Verbündete in der Wirtschaft zu gewinnen“.“ (https://wien.orf.at/news/stories/2983396/, 24.05.2019)

 

In Form der Distanzierung von seinem Verhalten als persönlichem Fehltritt betont er ausdrücklich das Recht von Politikern, dem Amt die eigenen Zielvorstellungen einzuprägen. Die Empörung über die Unverblümtheit, mit der Strache seine persönliche Macht mit der Macht des Amtes, in das er gewählt wurde, identifiziert, täuscht sich freilich. Immer ist es die konkrete Politikerperson, die das jeweilige Amt gemäß ihren politischen Vorstellungen mit Inhalt füllt und die alles unternimmt, die eigenen politischen Vorhaben auf Dauer zu stellen. Es handelt sich daher um keine Spezialität Straches, das für die Ausübung von Herrschaft geltende Regelwerk den eigenen politischen Vorhaben gemäß auszulegen, es im Konfliktfall an die eigenen Vorhaben anzupassen, anzupassen insbesondere an die Notwendigkeiten, die erforderliche Macht überhaupt zu gewinnen und das eroberte Amt zu behalten. Praktisch gelebt wird die Verpflichtung auf dem Politiker vorgegebene Staatszwecke in Form einer möglichst glaubwürdige Darstellung politischen Handelns als Dienst an ihm vorgegebenen nationalen Interessen.

 

Die Abwicklung des Skandals als Gegenstand der Parteienkonkurrenz

 

Für die demokratische Öffentlichkeit ist Strache in Ibiza mit seinem hohen Rechtsbewusstsein insofern zu weit gegangen, als er sich in einem doppelt verfänglichen Kontext hat erwischen lassen: mit einer „echt scharfen“ Braut, die – wenn auch nur scheinbar, aber das wusste der Gute nicht – eine auswärtige Macht repräsentierte. Dass Strache sich in dem Video bereit zeigt, mit Hilfe russischen Geldes das Wahlergebnis seiner Partei nach oben zu treiben und dafür im Gegenzug den Ausverkauf nationaler Reichtümer anbietet, damit hat er den entscheidenden Grundstein für einen Skandal gelegt. Was aus ihm folgt war aber damit noch gar nicht abschließend entschieden. Dass daraus wirklich der größte Skandal der zweiten Republik wird, dafür bedarf es schon noch der entschlossenen Tat der politischen Konkurrenten.

 

Gespannt wartet die versammelte demokratische Öffentlichkeit nach dem Auffliegen des Skandals auf die Reaktion des Koalitionspartners, sprich von Bundeskanzler Kurz, eines Mannes, dessen geballter Wille zur Führung schon die Übernahme bzw. Umfärbung der ehemaligen ÖVP von schwarz auf türkis bis hin zum neuen Regierungsstil – des Durchregierens – kennzeichnete. Der lässt sich diese Gelegenheit, den Einfluss des Koalitionspartners in der Regierung zurückzustutzen und komplementär dazu die eigene Macht auszubauen, nicht entgehen.

 

Kurz ergreift den Skandal als Mittel, seine Macht auszubauen

 

Der Fehltritt Straches ist nicht der erste Skandal, den die Republik erlebt hat und er wird mit Sicherheit auch nicht der letzte gewesen sein. Ganz im Gegenteil, Skandale und ihre Bewältigung sind ständige Begleiter demokratischen Regierens. Man erinnere sich nur an Hypo- oder BUWOG-Skandal. Eine vollständige Liste aller Skandale seit dem 2.Weltkrieg finden sich auf Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Politische_Affäre_(Österreich)). Bei Politikern in Amt und Würde folgen regelmäßig Rücktritt des inkriminierten Politikers und gegebenenfalls Neuwahlen. Das von ihm bekleidete Amt – ohne dessen Machtfülle er weder Grund noch Möglichkeit eines Missbrauchs gehabt hätte – ist damit von jedem Verdacht gereinigt, ursächlich mit den Vorfällen zu tun zu haben.

 

Auch im gegenständlichen Fall treten die beiden involvierten Personen Strache und Gudenus von ihren Ämtern zurück. Mit der von der FPÖ vorgeschlagenen und in solchen Fällen durchaus üblichen demokratischen Skandalbewältigung, durch Rücktritte der inkriminierten Personen von ihren politischen Funktionen das Vertrauen in die Politik der Regierung wiederherzustellen, wollte Kurz sich aber nicht zufriedengeben. Keinesfalls wollte er die Entscheidung über die Fortsetzung der Koalition den Hauptdarstellern von Ibiza überlassen,  mit ihm als Kanzler in der Nebenrolle eines bloßen Beisitzers. Er ist sich und der Öffentlichkeit den Beweis schuldig, alleiniger Herr der Lage der Regierung zu sein. In den Vorfällen sieht und ergreift er die Möglichkeit zu einer Machtdemonstration an die Adresse seines Koalitionspartners. Er erklärt den Rücktritt des eigentlichen „starken Mannes“ und „erfolgreichsten Ministers“ der FPÖ, des Innenministers Kickl zur unhintergehbaren Bedingung für die Fortführung seines türkis-blauen Bündnisses und deponiert damit den unbedingten Führungsanspruch der ÖVP in der Regierung.

 

Ein Dorn im Auge war Kickl den Türkisen nicht wegen seiner hinlänglich bekannten politischen Positionen. Nicht wegen seiner Asylpolitik, nicht in Sachen Kopftuchverbot und auch nicht wegen der Wiedergründung einer berittenen Polizei. Kein Grund, die Regierungs­zusammenarbeit mit der FPÖ aufzukündigen, waren auch die Versuche Kickls, die verfassungsmäßigen Rechte von Asylanten ein wenig in die von ihm gewünschte Richtung zu biegen. Berühmt berüchtigt seine Worte: „Das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht.“ Zwischen den Ex-Bundeskanzler und Bundeskanzler in spe Kurz und Kickl passt in dieser Hinsicht so gut wie kein Blatt. Worum es Kurz ging, war was anderes. Die FPÖ sollte sich demonstrativ auf die Rolle des bloßen Juniorpartners ohne Verfügungsrecht übers eigene Regierungspersonal herunterstutzen lassen. Die Antwort kommt entsprechend prompt und ohne Zögern. Die FPÖ-Minister ziehen geschlossen aus der Regierung aus.

 

Kurz verkündet daraufhin Neuwahlen, „Genug ist genug“, „Ich musste vieles in Kauf nehmen“, lässt er die Bürger in seiner Rede wissen. „Schon davor habe er für die aus seiner Sicht erfolgreiche Regierungsarbeit vieles ertragen müssen“(https://orf.at/stories/3122932/), wird seine Rücktrittsrede auf der Homepage des ORF wiedergegeben. Formuliert ist damit ein unmittelbarer Widerspruch: Die Regierungszusammenarbeit mit der regierungsunfähigen FPÖ war höchst erfolgreich und harmonisch.

 

Die Botschaft: Er lässt sich durch keinen Skandal in sein vor den letzten Wahlen gegebenes Versprechen auf Durchregieren gegen alle Widerstände, gegen alle Interessen von Einzelnen und Interessensgruppen, reinpfuschen. Mit diesem Angebot tritt er in seiner Rücktrittserklärung an seine Wähler heran.

 

Derart präsentiert er sich als denjenigen, der im Interesse der Fortsetzung seines Regierungswerks, Geduld bis zum beinahe Unerträglichen bewiesen hat. Wenn das nicht hinlänglicher Beweis seiner Führungsstärke und charakterlicher Eignung in Personalunion ist, die ihn für die Besetzung des Amtes des Bundeskanzlers prädestiniert. Selbst aus dem Ibiza-Skandal, aus dem man ja auch lernen könnte, welch Geisteskind man sein muss, um sich für die höchsten Ämter zu qualifizieren– Strache und Kurz sind, was ihren Drang zur Durchsetzung betrifft, nicht ganz unähnlich –, wird damit glatt noch ein Argument zu wählen – Kurz, versteht sich, damit der „erfolgreiche Weg“ fortgesetzt werden kann. „Unser Weg hat erst begonnen“, „Österreich braucht seinen Kanzler“.

 

Der Wähler ist aufgerufen ihn mit der entsprechenden Mehrheit auszurüsten, die sicherstellt, dass die politischen Konkurrenten seiner Vision für Österreich nichts entgegenzusetzen haben: „Wer Kurz will, muss Kurz wählen“.

 

Die komplementäre Wahlwerbung der FPÖ -„Koalition für unsere Heimat fortsetzen“

 

Die tolle Regierungsarbeit wollte auch die FPÖ fortgesetzt wissen. Sie hätte doch mit dem Rücktritt der beiden in Ibiza handelnden Personen das ihrige getan, den Skandal ordentlich zu bewältigen. Einer Fortsetzung der Regierungsarbeit wäre daher nach allen Anstandsregeln der Demokratie nichts im Wege gestanden und diese wäre doch in den Tagen der Skandalaufdeckung auch schon vereinbart gewesen. Die Forderung nach dem Rücktritt Kickls wäre hingegen schlichtweg sachlich nicht gerechtfertigt und nur der „Machtbesessenheit“ von Kurz und ÖVP geschuldet. Die FPÖ nimmt ihre Entmachtung nicht hin und unterstützt den SPÖ-Misstrauensantrag gegen Kurz, um ihm nicht auch noch das Ministeramt als Bühne für den Wahlkampf zu überlassen.

 

Fortsetzung des erfolgreichen Weges lautet dementsprechend das Wahlkampfmotto auch der FPÖ. Garant dafür sei aber einzig und allein ihre Regierungsbeteiligung:

 

„Bei der heutigen Präsentation des ÖVP-Wahlprogrammes dürfte Kurz die Unterlagen von FPÖ-Chef Norbert Hofer erwischt haben“, vermutet FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky, denn die türkisen Forderungen decken sich in weiten Teilen mit den freiheitlichen Vorstellungen. „Ich bin gespannt mit wem Kurz eine Koalition eingehen will, um diese Forderungen durchzubringen. Außer der FPÖ fällt mir da eigentlich niemand ein“, wertet Vilimsky die inhaltlichen Wunschvorstellungen von Kurz als Koalitionsansage an die Freiheitlichen.“ (https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190910_OTS0135/fpoe-vilimsky-kurz-praesentiert-fpoe-wahlprogramm)

 

Weiter so wie bisher, das ist das Wahlkampf-Credo der FPÖ, hier stellvertretend Harald Vilimsky. Daher hat er auch nur Lob für das Wahlkampfprogramm der ÖVP, kann er doch keine inhaltlichen Differenzen zur Position der FPÖ entdecken. Wer es mit der Fortsetzung dieser Politik ernst meint, hätte gar nicht erst Neuwahlen ausrufen dürfen, gibt es dafür doch gar keinen anderen Partner als die FPÖ. Sein Schluss: Kurz sei nicht zu trauen. Aus purer Machtverliebtheit würde der nämlich sein Fähnchen nach dem Wind ausrichten. Wer daher diese Fortsetzung möchte, dürfe nicht Kurz, sondern müsse FPÖ wählen.

 

Durch den von Kurz eröffneten Machtkampf sehen sich auch die anderen Konkurrenten um die Macht herausgefordert.

 

Der Wahlkampf der SPÖ:

 

Persönliches Machtstreben“ lautet auch der Hauptvorwurf der SPÖ an die Adresse von Kurz. Die von Sebastian Kurz schon zum zweiten Mal erfolgte vorzeitige Auflösung der Bundesregierung – beim ersten Mal gegen den Koalitionspartner SPÖ, beim zweiten Mal gegen die FPÖ ohne Konsultation mit ihr als Oppositionspartei über mögliche Varianten einer neuen Regierung – aus keinem anderen Grund als „persönlichem Streben nach Macht“ ist für die SPÖ der Grund dafür, gegen Kurz und die von ihm installierte ÖVP-Übergangsregierung mit Experten einen Misstrauensantrag einzubringen.

 

Über den Maßstab, den die SPÖ an die Politik des türkisen Exkanzlers anlegt, gibt der von ihr eingebrachte Misstrauensantrag folgende weitere Auskünfte:

 

,,Was aber haben die eineinhalb Jahre in Österreich verursacht? Die Gesellschaft ist gespalten, die Solidarität in Österreich wurde abgebaut, nur die Hasspostings in den sozialen Netzwerken sind radikal angestiegen. Die Sozialdemokratie hat diese Entwicklung seit der Regierungsbildung im Jahr 2017 heftig kritisiert. Im Gegensatz dazu hat Bundeskanzler Sebastian Kurz diese Entwicklungen schöngeredet, bis vorvergangenen Freitag aufgrund der Berichterstattung des ,Spiegels‘ und der ,Süddeutschen Zeitung‘ Ausschnitte des Ibiza-Videos an die Öffentlichkeit gelangten. … Reiner Machterhalt und ein egozentrischer Grundzugang des Bundeskanzlers bestimmen seine Entscheidungen, die alle auf eine Frage hinauslaufen: Was nützt Sebastian Kurz am meisten? …Binnen nur 24 Monaten trägt Kurz also die Verantwortung dafür, zweimal eine Bundesregierung aufgelöst zu haben, weil es für ihn, und für niemand anderen, eine Besserung bedeutet. Dies zeigt einen beispiellosen politischen Zugang, der aus persönlichem Streben nach Macht alle anderen Interessen hintanstellt.“

Genauso bedeutend für die Einschätzung der Situation ist allerdings, wie Sebastian Kurz seit Bekanntwerden des Videos als Bundeskanzler agierte. Ohne Gespräche mit den Vorsitzenden der anderen im Nationalrat vertretenen Parteien zu führen, rief der Bundeskanzler einseitig Neuwahlen aus. In einem parlamentarischen Regierungssystem wäre es eine Selbstverständlichkeit, zunächst mit den anderen im Nationalrat vertretenen Parteien bezüglich der Frage in Kontakt zu treten, ob für die Bundesregierung bzw. für die verbliebenen Mitglieder der Bundesregierung noch eine Mehrheit im Nationalrat besteht und wie die Zukunft der Zusammenarbeit aussehen soll. Letztlich ging es ihm also wieder darum, seine persönlichen Interessen zu stärken und aus dieser desaströsen Situation politischen Profit zu ziehen." (Auszüge aus dem SPÖ-Misstrauensantrag gegen die Regierung, „Persönliches Streben nach Macht“, WZ vom 27.5.2019)

 

Nicht, dass irgendeine der von der SPÖ kritisierten Maßnahmen der vergangenen Regierung einfach rückgängig gemacht werden sollte, ist das entscheidende Wahlkampfargument von Pamela Rendi Wagner: nicht der 12h-Arbeitstag, nicht die Kürzung der Mindestsicherung und auch nicht die Verschärfung des Asylrechts. Was sie kritisiert ist das, was sie hinter all dem ausgemacht haben will – fehlende menschlichen Qualitäten ihres Konkurrenten von der ÖVP. Statt das Land zu einen, spaltet er; statt verantwortungsvoll mit der ihm übertragenen Regierungsmacht umzugehen und ordentlich zu führen, lässt er schon zum zweiten Mal eine Regierung platzen; und das Schlimmste, statt das Gespräch mit der Opposition zu suchen, ist er aus bloßem Machtinteresse auf einem Egotrip. Damit ist auch schon die Wahlkampfstrategie der SPÖ vorgezeichnet.

 

„… „die Geschichte“ für die Wahlkampagne ist schon vorbereitet: Kanzler Kurz trage die Verantwortung für die nun entstandene „Staatskrise“. Wider besseren Wissens und „trotz Warnungen“ habe er sich auf das Experiment mit der FPÖ eingelassen. Nach SPÖ-Sicht gehe es Kurz um Machterhalt und Posten.“ (Die SPÖ konzipiert schon den Wahlkampf, Paul Vecsei, WZ vom 21.Mai 2019)

 

All das aus einem schlichten Grund: ihm fehlt das, wofür umgekehrt gerade die Spitzenkandidatin der SPÖ, Pamela Rendi-Wagner, mit ihrer zentralen Parole im Wahlkampf steht: „Menschlichkeit“ und „Miteinander“:

 

Inhaltlich setze die SPÖ auf ein „Miteinander“. Pamela Rendi-Wagner „lebt Verantwortung und steht dafür“. Hingegen „macht Kurz ein Pokerspiel und Österreich ist sein Spielball“. (Die SPÖ konzipiert schon den Wahlkampf, Paul Vecsei, WZ vom 21.Mai 2019)

 

Anstand“ – die moralische Integrität der Kandidaten, die Sauberkeit der Politik – ist von Anbeginn an das zentrale Wahlkampfthema. „Wen würde der Anstand wählen?“ heißt es auch bei den Grünen. Politik, darin sind sich alle Parteien einig, hat Dienst an den geltenden gesellschaftlichen und ökonomischen Zwecken zu sein, wie sie in den Ämtern, für die sie kandidieren, objektiviert sind. Entscheidend ist der Charakter desjenigen, der das Amt, dessen fraglose Güte somit feststeht, besetzt. Ist Politik einmal von den Kontrahenten derart als Konkurrenz um den geeigneten Charakter definiert, werden die charakterlichen Schwächen der anderen gesucht und mit Garantie auch gefunden. Halten sich die anderen an die Regeln eines ordentlichen und anständigen Wahlkampfs? Wie halten sie es mit den gesetzlichen Grenzen der erlaubten Wahlkampfkosten, die niemand anderer als die Parteien selbst definiert haben? Wer hat da welcher Partei wie viel gespendet? Entsprechen die anderen Kandidaten der moralischen Statur, die das Amt erfordert oder haben sie was zu verheimlichen? Das sind dann die entscheidenden Fragen und wechselseitigen Vorwürfe, mit denen der Wahlkampf bestritten wird.

 

So wird der – wie es heißt – „größte Politskandal der 2.Republik“ erfolgreich in das Bedürfnis nach einer neuen, sauberen Führung überführt, die per Wahl verwirklicht werden soll.

 

III. Was kann man daraus über Wahlen in der Demokratie lernen?

 

Dass demokratische Wahlen wirklich nichts anderes entscheiden als die Konkurrenz um die Macht, ausgetragen zwischen Figuren und Parteiapparaten, die sich zur Herrschaft über Land und Leute berufen fühlen, das konnte man am Anlass der heurigen Nationalratswahl und dem stattgefundenen Wahlkampf studieren.

 

Schon das Stattfinden der Wahl war ausschließlich auf Bedürfnisse bzw. Zerwürfnisse der Machthaber untereinander zurückzuführen. Da lässt sich der eine Konkurrent um die Macht – Strache – dabei erwischen, dass alle moralische Glaubwürdigkeits- und Vertrauenswerbung dafür da ist, die Leute in die Wahlkabine zu quatschen, also die Zustimmung der Regierten zum Regiment über sie einzuholen, dessen ganzer Reiz darin besteht, dass man es dann frei und rücksichtslos ausüben kann.

 

Und ausgerechnet diese Klarstellung inszeniert der andere Konkurrent – Kurz – als den Beweis dafür, dass er ganz glaubwürdig alles Vertrauen verdient – für haargenau dieselbe Sache! Wer Straches Machtphantasien als Verstoß ablehnt, soll seine reale Machtausübung belohnen, das ist der Schluss, den Kurz aus dem Ibiza-Skandal gezogen sehen möchte. Aus demselben Kalkül und für dieselben Zwecke wie Strache – wie kann gegen die Konkurrenten um die Macht die eigene Macht gewonnen und ausgebaut werden – entdeckt Kurz den Skandal als sein Mittel in dieser Konkurrenz um die Macht, indem er Neuwahlen ausruft und die Wähler auffordert, mit ihrer Stimme seine Machtposition auszubauen: „Nur, wenn die Volkspartei nach den Wahlen so stark ist, dass wir eindeutig den Ton angeben, kann unser Kurs der Veränderung konsequent fortgesetzt werden.“(WZ vom 30.Sept. 2019, „Klarer Sieg, unklare Verhältnisse“)

 

Aus dem Skandal ein Argument zu machen, freilich mit spiegelbildlichem Vorzeichen, darauf verstehen sich auch die anderen Parteien. „Macht braucht Kontrolle“, weshalb der Wähler gut beraten wäre, ihnen die Stimme zu geben, lassen es doch Kurz und seine ÖVP an Führungsstärke und nötigen Charaktereigenschaften fehlen. Allen Angeboten an den Wähler ist eines gemeinsam, nichts von dem, was ihn praktisch in seinem tagtäglichen Werkeltagsleben betrifft, braucht auch nur vorzukommen.

 

Ausgerechnet dort, wo sich wieder einmal zeigt, wie das politische Geschäft läuft und zu welchen Höchstleistungen es Politiker in ihrem Ehrgeiz bringen, ihre konkurrierenden politischen Inhalte zu Geltung zu bringen – ohne deswegen ihre privaten Interessen zu vergessen –, soll das keinesfalls etwas mit den Ämtern zu tun haben, um die konkurriert wird, sondern einzig der Person und ihrem Charakter geschuldet sein. So als ob dieser Charakter nicht erst die Möglichkeit kriegen müsste, sich entsprechend zu betätigen. Die Wähler nehmen dieses Angebot, sich die Politik auch wieder sauber vorstellen zu können, wie gewöhnlich an und entscheiden in Wahlen, welcher Herrschaftskandidat ihren Vorstellungen hinsichtlich Charakterstärke und Anstand am besten genügt – zumindest bis zum nächsten Skandal. Die Politik, derart exkulpiert, geht ihren ungestörten Gang.

 

Wenig überraschend daher das Ergebnis der Wahlen: die altbekannten Parteien und mit ihnen dieselben politischen Inhalte finden sich wieder im Parlament ein. Geändert hat sich einzig das Mischungsverhältnis der Parteien als neue Grundlage für ihr Feilschen um Sitz und Stimme in der Regierung. Mehr war nie versprochen. Ein Fehler wäre es daher, darin einen Verstoß gegen eine wie immer idealistisch ausgemalte Demokratie zu sehen.

 

Der Bürger ist in der Demokratie zu nichts anderem aufgerufen als dazu, per Wahlkreuz einen Beitrag zu der Entscheidung abzuliefern, welche Partei regieren soll, mit anderen Worten, in der Masse mit seinesgleichen die Konkurrenz der Parteien um die Macht zu entscheiden. Genau so, als potentielle Stimme für den je eigenen Wahlverein sind die mit dem aktiven Wahlrecht ausgestatteten Bürger von den passiv Wahlberechtigten dann auch verplant. Nach jeder Wahl gibt es wieder eine vom Volk gewählte Regierung.

Geradezu vorbildlich sorgt die Demokratie mit der für sie charakteristischen Trennung von Amt und Person dafür, dass selbst noch ihre Skandale nicht gegen die Politik sprechen, sondern immer nur dafür, jetzt erst recht wieder wählen zu gehen: vom kleineren Übel bis zum saubereren Kandidaten. Man merkt, worauf es wirklich ankommt. Den Gewählten verhilft sie zu der nicht gering zu veranschlagenden Bequemlichkeit, sich bei allen künftig anstehenden Entscheidungen auf ihre Beauftragung durchs Volk berufen zu können.