Das Wirtschaftswachstum –Warum muss die Wirtschaft eigentlich immerzu wachsen? 

 

Einleitung

 

Wachstumsstillstand, ein Nullwachstum – dass also in einem Jahr genauso viel an Bruttoinlandsprodukt zustande gekommen ist wie im Jahr zuvor – gilt als eine mittlere Katastrophe. Minuswachstum ist fast so etwas wie ein nationaler Gau. Darin sind sich Wirtschaftspolitiker einig ebenso wie in ihrem Credo: Das Wachstum muss wieder angestoßen werden, damit die Wachstumsraten wieder nach oben gehen. Wirtschaftswachstum, das ist der Erfolgsmaßstab allen Wirtschaftens. In seinen Dienst stellen sich die Politikermannschaften aller Marktwirtschaften und verabschieden Konjunkturpakete, die dem Wachstum Impulse setzen sollen. Milliardenbeträge werden locker gemacht, nur damit das Minus-Wachstum gebremst und ein Plus-Wachstum initiiert wird.

 

Wachstum, das kann man bereits diesen paar Bemerkungen entnehmen, ist so etwas wie der Inbegriff des ökonomischen Gesamtinteresses, der Inbegriff des nationalen Reichtums. Ohne Wachstum ist Krise, ohne Wachstum wächst die Arbeitslosigkeit, sind die Pensionen und Sozialkosten nicht zu finanzieren und die Normalbürger werden ärmer. Es lohnt sich, sich die Absurdität dieser Wahrheit vor Augen zu stellen: das Leben der ganzen Gesellschaft hängt davon ab, dass die Wirtschaft immerzu wächst. Alles, was übers Jahr gearbeitet, produziert und verkauft wird, ist witzlos, verfehlt sein Ziel, wenn es nicht mehr ist als im Jahr vorher. Die Gesellschaft ist darauf angewiesen, immer mehr zu produzieren und immer mehr zu arbeiten.

 

Dabei kann niemand so recht sagen, was eigentlich fehlte, wenn nur genau so viel wie letztes Jahr produziert und konsumiert würde. Ob Bedarf nach einem Mehr an Autos, Handys, Waschmaschinen usw. besteht, wäre erst noch zu überprüfen. Aber auch diese Branchen müssen immer weiter wachsen! Es geht eben nicht um einen bestimmten Mangel und seine gezielte Überwindung, wenn es um Wachstum geht. Umgekehrt gibt es in der Gesellschaft, die Wachstum zum obersten Ziel der Wirtschaft erklärt, Bedürfnisse und Nöte, die nicht befriedigt werden: mehr kostenlose Kindergartenplätze, mehr Lehrer, mehr, bessere und billigere Pflege in Krankenhäusern und Altenheimen bräuchte es sehr wohl. Diese „Sektoren“ sollten vielleicht schon wachsen. Aber sie dürfen nicht wachsen. Denn das, was in ihnen an Leistung erbracht und an Bedarf gestillt wird, zählt nicht zu dem Wachstum, auf das es in der Marktwirtschaft ankommt, sondern geht auf seine Kosten.

 

So einfach ist es also nicht mit dem absurden Imperativ: „Immer mehr Wachstum muss sein!“ Es ist also der Frage nachzugehen, was eigentlich die Sache ist, von deren Wachstum unser aller Leben abhängt.

 

Die Sendung gliedert sich in fünf Teile:

 

 

Teil 1: Der ideologische Gehalt der Redeweise von „ohne Wachstum kein Wohlstand“  

 

„Ohne Wachstum kein Wohlstand“ – Wie der Wohlstand aussieht, bleibt unbestimmt. Jeder darf daran denken, was ihm fehlt und dann Wachstum gut finden. Wachstum kommt als Mittel für jedermann daher. Bloß, wenn was fehlt, fehlt eben genau das und nicht Wachstum. Wenn Wohnraum, Kindergärten usw. fehlen, fehlt eben genau das und nicht Wachstum.

 

Wer Wachstum so anpreist, als absolute Voraussetzung, die unerlässliche Bedingung für alles, was man sich an Gutem und Schönen vorstellen kann, der gibt damit zugleich zu Protokoll, dass nichts von dem im Wachstum selber enthalten ist, was man sich als seine Wirkung versprechen soll. Wachstum fällt nicht damit zusammen, dass dann alles vorhanden ist, was man braucht. Wenn es heißt, „Wachstum muss her“, dann heißt das, erst muss es wachsen, dann wird vielleicht das Bedürfnis nach Wohnraum, Kindergärten usw. befriedigt. Wachstum ist dann aber was anderes als die Befriedigung der Bedürfnisse. Die Befriedigung der Bedürfnisse wird davon abhängig gemacht, das es wächst. Alles, was man sich an Bedienung von Interessen vorstellen kann, kommt überhaupt erst nach dem Wachstum, ist eine eigene Sache, die ohne das Wachstum nicht geht, aber man umgekehrt den Resultaten des Wachstums überhaupt erst abgewinnen muss.

 

 

Die positive Umkehrung des Satzes „Ohne Wachstum kein Wohlstand“ lautet „Unser aller Wohlstand wird durch das Wachstum befördert“. In dieser Umkehrung wird aus dem negativen Befund – ohne Wachstum gibt es den hierzulande gültigen Wohlstand nicht – die positive Aussage, Wachstum schaffe Wohlstand und zwar für uns alle. Da fragt sich jetzt freilich schon, was das eigentlich für ein Wohlstand ist, der durch Wachstum befördert wird? Denken soll man jedenfalls dabei schon an den Wohlstand von uns allen. Genau so will der Satz verstanden werden.

 

Dabei ist die in der positiven Umkehrung getroffene Behauptung, Wachstum schaffe Wohlstand und zwar für alle, erkennbar falsch. Um das zu belegen, reicht es eigentlich schon aus, auf empirische Daten zu verweisen. Selbst wenn man vom bescheidensten Anspruch in Sachen Wohlstand ausgeht – einem durch einen gesicherten Arbeitsplatz gesicherten Einkommen, egal wie diese Beschäftigung entlohnt ist und wie lange sie dauert – könnte einem auffallen, dass die durchwegs positiven Wachstumsraten der vergangenen Jahrzehnte – einzige Ausnahme war das Jahr 2009 der Finanzkrise – mit steigender Arbeitslosigkeit einhergingen. Wachstum war also all die Jahre über begleitet von steigender Verarmung auf Seiten der Arbeitnehmer. Immer größeres Wachstum ging einher mit größer werdender Armut in der Klasse der abhängig Beschäftigten. Offenbar ist das Wachstum der Wirtschaft nicht zu haben ohne eine sie begleitende Verarmung der Arbeitnehmer – das wohlgemerkt selbst unter allerbescheidensten Ansprüchen daran, wie der Wohlstand der Arbeitnehmer gemessen wird, Wohlstand als Beschäftigung.

 

Aus diesem Zusammenhang wird auch kein Geheimnis gemacht, er lässt sich im Wirtschaftsteil aller Zeitungen nachlesen. Dieser Sachverhalt wird nicht geleugnet und dennoch gilt er nicht als Widerlegung der Behauptung, nach welcher Wachstum zum Wohlstand aller beiträgt. Jeder Versuch, mit dem Verweis auf diese Daten auf einen offensichtlichen Widerspruch aufmerksam zu machen, wird damit gekontert, dass das Wachstum, wenn es für den Wohlstand aller nicht reicht, dann wohl noch nicht groß genug ist. Das ist die klassische Entgegnung, mit der der Zusammenhang gerettet und zugleich dementiert wird. In den Worten der österreichischen Wirtschaftskammer klingt das etwa so:

 

„Die sogenannte Beschäftigungsschwelle gibt dabei an, wie stark eine Volkswirtschaft wachsen muss, damit die Zahl der Beschäftigten zu steigen beginnt. In Österreich liegt die Beschäftigungsschwelle aktuell zwischen 1,5% und 2%. Wenn Wachstum hingegen unter ein bestimmtes Niveau fällt, verfestigt sich die Arbeitslosigkeit auf einem hohen Niveau.“ (https://news.wko.at/news/oesterreich/2012-09_Dossier_Wohlstand_braucht_Wachstum.pdf)

 

Einerseits wird an der Abhängigkeit des Wohlstandes vom Wachstum festgehalten. Zugleich wird diese Behauptung aber dem Inhalte nach sofort wieder dementiert, insofern gar nicht jedes Wachstum Wohlstand schafft, sondern nur das Wachstum, das höher ist als eine Beschäftigungsschwelle genannte Grenze.

 

Liest man sich durch Zeitungen und wissenschaftliche Artikel, stellt man ganz und gar nicht zufällig fest, dass insbesondere die angegebene Beschäftigungsschwelle von 2% alles andere als ein fixer Wert ist. Einmal ist sie 2% und dann wieder 3%, gerade so wie es dem aktuellen Verhältnis der Entwicklung der Arbeitslosenquote und des Wirtschaftswachstum in einem Land entspricht. Das klingt dann etwa so:

 

„Schon im vergangenen Jahr hat das Institut für Höhere Studien (IHS) in seiner Mittelfristprognose davor gewarnt, dass die Arbeitslosenquote im Land trotz BIP-Wachstums bis 2019 mit 8,75 Prozent (nationale Berechnung) vergleichsweise hoch bleiben werde. Um hier die Trendwende zu schaffen, müsste die heimische Wirtschaft um 2,5 bis drei Prozent im Jahr wachsen. Davon ist Österreich auf absehbare Zeit weit entfernt.“ (https://www.diepresse.com/4981429/mehr-arbeitslose-trotz-aufschwung)

 

Derartige Faustregeln für einen Zusammenhang von Wachstum und Schaffung neuer Arbeitsplätzen sind sehr geständig. Offen wird ausgesprochen, dass gar nicht jedes Wachstum Wohlstand schafft – Wohlstand dabei wohlgemerkt immer gleichgesetzt mit Beschäftigung. Nein, nicht Wachstum schafft Beschäftigung, sondern nur steigende Wachstumsraten. Ein großes Geheimnis ist der in der Faustregel ausgesprochene Zusammenhang allerdings nicht. Die Steigerung der Wachstumsraten – von dereinst 2% auf heute eher an die 3% – erklärt sich daraus, dass alle Betriebe – vor allem im Bereich der industriellen Produktion – ständig rationalisieren, also die Produktivkraft der angewandten Arbeit steigern, Maschinenparks und Fertigungsstraßen erneuern und zusehends automatisieren, und das in immer kürzeren Abständen. Selbstverständlich nicht in der Absicht, Arbeit – also Anstrengung – einzusparen, sondern um bezahlte Arbeit einzusparen. Das bringt dann die Arbeitslosenzahlen hoch und senkt zugleich über die von den Betrieben hergestellte Konkurrenz zwischen Beschäftigten und Unbeschäftigten das generelle Lohnniveau. Erst bei unüblich hohen Wachstumsraten von an die 3%, werden dann netto mehr Arbeitsplätze geschaffen als abgeschafft.

 

Schon den bisherigen Ausführungen kann man entnehmen, dass es sich mit einer Wirtschaft, die unter dem Imperativ Wachstum steht, anders verhält, als dies den Leuten in Schule und Öffentlichkeit ständig gepredigt wird. Entgegen der Behauptung Wachstum sei Bedingung von unser aller Wohlstand, verhält es sich genau umgekehrt. Wachstum und Wohlstand gerade der lohnabhängigen Bevölkerungsteile – damit des Großteil dieser Bevölkerung – schließen sich unmittelbar aus. Immer mehr wird produziert, investiert, steigende Wachstumsraten werden als nationale Erfolge bilanziert, werden als Beleg für den Zuwachs des nationalen Reichtums verbucht und immer weniger von diesem Reichtum verbleibt in den Taschen der abhängigen Produzenten. Den Leuten wird eingeredet, wenn sie sich fürs Wachstum ins Zeug legen, dann hätten auch sie etwas davon. Dabei ist dieses Wachstum, für das sie sich einspannen lassen sollen, für sie unmittelbar und auf Dauer mit materiellen Einbußen verbunden. Dies ist selbst noch den Aussagen von Öffentlichkeit und Wissenschaft zu entnehmen, auch wenn die ihre Aussage gerade nicht als Dementi der Behauptung, Wachstum schaffe Wohlstand für alle, verstanden wissen wollen.

 

Obwohl dies eigentlich offensichtlich zu sein scheint, verfängt der behauptete Bedingungszusammenhang von Wachstum und persönlichem Wohlstand bei den Adressaten. Dies verlangt nach einer Erklärung. Diese Erklärung besteht aus zwei Teilen. Zum ersten ist die negative Bestimmung – ohne Wachstum kein Wohlstand – für jedermann evident. Der nach Bedingungen für seinen Erfolg suchende Menschen, der Mensch der gerne mehr von seiner Arbeit hätte, übersetzt sich – und das ist und bleibt ein Fehler – diesen negativen Zusammenhang in einem zweiten Schritt in ein positives Mittel. Wenn es ohne Wachstum keinen Wohlstand gibt, dann muss es wohl Wachstum geben, soll aus dem Wohlstand etwas werden. Niemals ist aber die Schaffung einer Voraussetzungen für den persönlichen Wohlstand dasselbe wie die Herstellung des gewünschten Wohlstands selbst, schon gleich nicht, wenn diese Voraussetzung davon lebt, dass am Wohlstand geknapst wird.

 

In Zeiten in denen das Wachstum stockt, wird im Namen des Wachstums ganz offensiv der Schaden der Leute verlangt. Verzichtet auf Lohn, arbeitet länger, nehmt Teilzeitarbeit in Kauf, usw. Es wird richtig offensiv von den Leuten eingefordert, dass sie für das Wachstum, das ihnen was bringen soll, Opfer zu bringen haben. Die Brutalität der Wachstumsideologie wird darin so richtig auf den Begriff gebracht.

 

Der erste Satz dieser Argumentation heißt immer, euer Wohlergehen hängt vom Wirtschaftswachstum ab. Satz zwei, der daraus folgen soll, heißt, also müsst ihr euch fürs Wirtschaftswachstum auch reinhängen und sogar, wenn es gerade eine Wachstumsdelle gibt, Opfer bringen. Wenn für euch trotzdem nichts rausspringt, war das Wachstum wohl nicht groß genug. Deshalb zurück an den Anfang: Weil euer Wohlergehen vom Wachstum abhängt, müsst ihr euch umso mehr für das Wachstum ins Zeug legen. Das ist die ganze Spirale, die den Leuten vorgesetzt wird und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch. So wird die gar nicht geleugnete Schere zwischen Wachstum und Armut im Bereich der abhängig Beschäftigten hierzulande immer größer.

 

Teil 2: Was der Imperativ Wachstum über die Ökonomie aussagt 

 

Im zweiten Teil geht es jetzt darum zu untersuchen, was dieser Imperativ – Wachstum muss sein, die Wirtschaft soll immer mehr wachsen – was der eigentlich über eine solche Wirtschaft aussagt. Dabei soll noch gar nicht untersucht werden, was das eigentlich ist, das da immerzu wachsen muss. Eines folgt dabei sofort. Wenn es wie in unserer Wirtschaft einen solchen Imperativ gibt, verfehlt diese Ökonomie ihren mit dem Wachstumsimperativ ausgesprochenen Zweck, wenn sie nicht wächst. Anders formuliert, Reichtum, der produziert wird und nicht wächst, ist keiner hierzulande keiner. Für sich betrachtet, ist jeder produzierte Reichtum erst einmal nichts, es sei denn, er genügt dem Maßstab Wachstum.

 

Was ist das für eine seltsame Ökonomie, in der so etwas gilt? Gemessen am Maßstab einer Wirtschaft, die alle Mittel zur Bedürfnisbefriedigung der Menschen hervorbringt ist dieser Wachstumsimperativ eine Absurdität. Dann sind nämlich jedermanns materielle Bedürfnisse irgendwann befriedigt, schlicht deshalb, weil diese Bedürfnisse nun einmal endlich sind. Immer mehr Handys, Surfbretter oder Fernsehgeräte sind vom Standpunkt einer Ökonomie, die sich der Bedürfnisbefriedigung zuwendet, widersinnig. Anders vom Standpunkt einer Ökonomie in der der Imperativ Wachstum gilt. Dies lässt einen ersten Schluss zu. Eine Wirtschaft, die ihren Zweck darin hat, immer weiter zu wachsen, hat ihr Maß ganz eindeutig nicht in der Bedienung der Bedürfnisse der Menschen. Es soll Reichtum produziert werden, und er wird auch in stofflich, materieller Form produziert, aber genau der hat sein Maß nicht in dem, was er stofflich materiell ist, was er für die Versorgung der Menschen leistet, sondern in purem Wachstum.

 

Ein zweiter Schluss schließt sich an. In einer solchen Ökonomie besteht unmöglich ein rationales Verhältnis von Arbeit und Bedürfnisbefriedigung. Eine Ökonomie die den Zweck hat die Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder zu befriedigen hätte nämlich nichts anderes zu tun, als zu ermitteln, was die Menschen für ihr Wohlergehen benötigen und die Arbeit danach zu organisieren. Was sie nicht bräuchte wäre permanentes Wachstum. In einer solchen Wirtschaftsweise würde automatisch noch eine andere Kalkulation mit einfließen, die Kalkulation nämlich, wie viel Aufwand man einem bestimmten Bedürfnis widmen will. Zu entscheiden wäre, ob man angesichts des erforderlichen Arbeitsaufwandes eigentlich ein Bedürfnis befriedigen möchte oder es nicht eigentlich vernünftig wäre zumindest zum gegebenen Zeitpunkt auf Arbeit und Bedürfnisbefriedigung verzichten. Es müsste nur so viel und so lange gearbeitet werden, bis die gewünschten sachlichen Mittel zur Bedürfnisbefriedigung hergestellt sind, dann wäre Schluss mit der Arbeit und es geht ans konsumieren. Dann stehen die Bedürfnisse derentwegen man arbeiten muss im Vordergrund und es ist klar, dass es dafür kein permanentes Wachstum braucht. Man kann jetzt noch schärfer formulieren. Dafür braucht es nicht bloß kein Wachstum, sondern es wäre nachgerade zu ein Unfug, immer weiter für das Wachsen der Wirtschaft zu arbeiten, wenn doch alle gewünschten Mittel für den Lebensunterhalt und die gehobenen Bedürfnisse der Menschen hergestellt sind.

 

In einer Ökonomie, in der ein immanenter Wachstumsimperativ gilt, steht das Verhältnis von Arbeit und stofflichem Reichtum ganz generell auf dem Kopf. Wie ein vernünftiger Zusammenhang gesellschaftlicher Reproduktion aussieht, beschreibt Marx in einem Brief an Louis Kugelmann:

 

„Daß jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes Kind. Ebenso weiß es, daß die den verschiedenen Bedürfnismassen entsprechenden Massen von Produkten verschiedne und quantitativ bestimmte Massen der gesellschaftlichen Gesamtarbeit erheischen.“

(http://www.magazinredaktion.tk/magazin/heft2/kugelmann.php)

 

Aus diesem schlichten Zusammenhang vernünftiger gesellschaftlicher Reproduktion folgt eines gerade nicht, dass nämlich immer mehr und immer länger gearbeitet werden muss. Daraus folgt umgekehrt, dass Arbeit, dort wo der Imperativ Wachstum herrscht, nicht Maß nimmt an den ermittelten gesellschaftlichen Bedürfnissen, sondern vollständig diesem Zweck Wachstum subsumiert ist. Das als das praktisch gültig Gemachte ist das Gegenteil von vernünftig, eine Verrücktheit. Wo immer mehr Wachstum, immer mehr wirtschaftliche Aktivität, gefordert ist, da ist jede Organisation der Arbeit gleichgültig gegen den Sachverhalt, dass Arbeit in allen ökonomischen Systemen nichts anderes ist als mit Mühsal und Anstrengung verbundene Erledigung von Notwendigkeiten im Bereich des Produzierens oder des Dienstleistens. Weil das so ist, ist es das einzig Vernünftige, diesen ärgerlichen Umstand möglichst zu reduzieren, sodass den Menschen mehr Zeit zur Verfügung steht, sich ihren Bedürfnissen, ihren Interessen und ihrer Weiterentwicklung zu widmen.

 

Marx hat in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass das einzig vernünftige Maß für gesellschaftlichen Reichtum die disposable time ist, die freie Zeit, in der der Mensch ganz bei sich ist. Freie Zeit, sprich Arbeit für die Bedürfnisbefriedigung zu reduzieren, ohne dass die Bedürfnisse zu kurz kommen, ist das einzig vernünftige Maß des Reichtums einer Gesellschaft. In einer Gesellschaft, die unter dem Diktat des Wachstums steht, ist dieses Verhältnis von Arbeit als notwendiger Mühsal und freier Zeit auf den Kopf gestellt. In einer solchen Ökonomie ist die freie Zeit nicht Zweck, sondern notwendigerweise nur Abfallprodukt der Unterwerfung der Arbeit unter den Imperativ des Wachstums.

 

Was setzt die dauerhafte Subsumtion von Arbeit unter Wachstum voraus? Diese dauerhafte Subsumtion von Arbeit unter das Wachstum kann überhaupt nur dort geschehen, wo für die arbeitende Menschheit die dauerhaft eingerichtete Notwendigkeit existiert, sich permanent dieser Mühsal der Arbeit zu unterziehen. Solche Knechte von immer mehr Wachstum sind die unmittelbaren Produzenten nur dort, wo sie nicht die Verfügung über die Produkte ihrer Arbeit haben, sondern wo die Früchte der Arbeit anderen Privateigentümern zufallen. Weil dies so ist, ist es den Produzierenden nicht möglich, zu beschließen, jetzt haben wir erst einmal genug produziert, die Bedürfnisse der Gesellschaft sind erfüllt, jetzt machen wir Schluss mit der Arbeit, jetzt beginnt die freie Zeit, jetzt geht es nur um uns. Offensichtlich partizipieren sie hierzulande am von ihnen selbst produzierten Reichtum überhaupt nur soweit, dass sie ihre Subsumtion unter das Wachstum mehr oder weniger dauerhaft auszuführen in der Lage sind. Andernfalls würde sich nämlich niemand eine Arbeit antun, deren einziger Zweck das beständige Mehr ist.

 

Noch ein letzter Schluss lässt sich ziehen. Wenn das Wirtschaftswachstum die Produzenten zu seinen Knechten macht, bedeutet das nicht, dass notwendigerweise alle immer mehr arbeiten müssen. Dagegen sprechen empirisch die bekannten Arbeitslosenzahlen. Sie legen Zeugnis davon ab, dass dieses Knechtsdasein vermehrte Freizeit durchaus einschließt. Während aber unter vernünftigen Verhältnissen freie Zeit das Maß des Reichtuns ist, gilt dies für Knechte des Wachstums – für Menschen, die von den Betrieben entlassen und arbeitslos gemacht werden – nicht. Mit dem Verlust ihrer Arbeitsstelle verlieren sie nämlich auch ihre Einkommensquelle. Weniger arbeiten bedeutet daher für sie, dass sie noch weniger von gegen Geld vermitteltem Zugriff auf Lebensmittel haben. Den brauchen sie, weil alles was sie für ihren Lebensunterhalt benötigen, fremdes Privateigentum ist. Statt sich also ihrer freien Zeit erfreuen zu können, brauchen sie nichts dringender als wieder einen Arbeitsplatz.

 

Das klärt auch das kleine Rätsel, dass es landauf, landab einen nie zur Zufriedenheit erfüllten Ruf nach Arbeit gibt, gerade so als ob Arbeit das erste Lebensbedürfnis der Menschen wäre und nicht die Früchte der Arbeit. In Wirklichkeit braucht wirklich niemand Arbeit. Was alle brauchen sind die Früchte der Arbeit. Der unsinnige Ruf nach Arbeit, Arbeit, Arbeit macht diese Umkehrung des vernünftigen Verhältnisses noch einmal augenfällig. Wo Arbeit dem Zweck Wachstum subsumiert ist, wo daher die Arbeitenden notwendig von den Früchten ihrer Arbeit getrennt sind, wird die Arbeit – eigentlich Mittel für die Menschen, sich das Nötige zu beschaffen – notwendigerweise zum eigenständigen Zweck. Lebenslang müssen sie sich bemühen, durch Arbeit wenigstens so viel von dem Reichtum, den sie selbst herstellen, anzueignen, dass sie weitermachen können.

 

All das ist bereits dem in dieser Gesellschaft herrschenden Imperativ Wachstum zu entnehmen, ohne überhaupt geklärt zu haben, was da eigentlich wachsen soll und muss. Allein das ist schon Grund genug, dieser Wachstumsgesellschaft die Freundschaft aufzukündigen.

 

Teil 3: Was soll denn eigentlich permanent wachsen? 

 

Was ist das, was da permanent wachsen muss? Gemessen wird das nationale Wachstum in der jährlichen Zuwachsrate seines in Geld gemessenen Bruttoinlandsproduktes. Für das was da bilanziert wird, gibt es mehrere Ermittlungsarten.

 

  1. Erste Rechnungsart: Die Entstehungsrechnung 

 

Die erste das Bruttoinlandsprodukt zu berechnen ist die Entstehungsrechnung. Auf der Homepage der Statistik Austria – der Stelle, zu deren Aufgabe die Berechnung des österreichischen Bruttoinlandsproduktes gehört – heißt es:

 

„Das BIP selbst ist in erster Linie als Produktionsmaß zu verstehen. … Es errechnet sich demnach aus der Summe der in einer Volkswirtschaft produzierten Waren und Dienstleistungen, abzüglich jener Waren und Dienstleistungen, die im Produktionsprozess verbraucht wurden.“

 

Die Geldwerte aller in einem Land in einem Jahr produzierten und verkauften Endprodukte und Dienstleistungen werden zu einer Gesamtsumme aufaddiert[i]. Das Wachstum, um das sich alle Welt Sorgen macht, besteht also gerade nicht in der Zunahme nützlicher Güter. Ginge es darum, ließe sich gar keine solche Summe bilden. Mit der größten Selbstverständlichkeit werden die in einem Jahr produzierten Gebrauchswerte und Dienstleistungen – Milch, Autos, Handys, Haarschnitte, usw. – mit ihrem Geldwert – damit, was sie als Mittel der Geldaneignung taugen – gleichgesetzt. Wachstum wird also in unserer Gesellschaft in Geld gemessen. Der Imperativ Wachstum bedeutet folglich, dass über die Veräußerung von Waren und Dienstleistungen jedes Jahr eine immer größere Geldsumme erwirtschaftet werden soll.

 

Geld, das für sich kein einziges materiell-sachliches Bedürfnis befriedigt, ist in dieser Ökonomie die ultimative Gestalt dessen, was Reichtum ist, und als diese das oberste und seiner pur quantitativen Natur nach zugleich maßlose Bedürfnis. Ständig, Jahr für Jahr, soll deswegen aus einer bestimmten Geldsumme – ermittelt über den Verkauf von Waren und Dienstleistungen – eine größere werden. Wachstum heißt, Gelderträge sollen ständig wachsende Gelderträge erbringen. Daraus folgt aber, ohne dass Güter und Dienstleistungen zu Geld gemacht werden, zählt aller produzierte Reichtum in unserer Gesellschaft nichts, Güter des täglichen Bedarfs ebenso wie alle Mittel der Produktion. Alle stehen in dieser gesellschaftlich verbindlichen Wachstumsberechnung gleichermaßen nur für ihren Veräußerungswert, für ihren Geldwert.

 

Unsere Gesellschaft zeigt sich damit als eine, in der aller Zugriff auf Güter und Dienstleistungen ausschließlich über Geld läuft. Einzig erlaubtes Zugriffsmittel auf die in fremder Hand befindlichen Gegenstände des Bedarfs und die gewünschten Dienste ist das Geld. Es ist als dieses alleinige Zugriffsmittel vorgeschrieben und muss vorgeschrieben sein, weil sich umgekehrt alle Produkte hierzulande – das ist ja der Gehalt des Wachstums – als geldwerte Produkte auf dem Markt bewähren müssen. Was sich umgekehrt nicht als geldwertes Produkt bewährt, taugt nichts für das Wachstum.

 

Eine Ideologie über das Geld aus den Lehrbüchern der Sozialkunde blamiert sich damit unmittelbar. Geld, heißt es dort immer, sei ein Mittel, an die Gegenstände des Bedarfs heranzukommen. Wäre dies die Wahrheit, müsste den Menschen das erforderliche Geld in dem Maße zur Verfügung stehen, wie sie Bedürfnisse haben. Unschwer zu erkennen, dass dem nicht so ist. In Wahrheit verhält es sich umgekehrt. Weil wachsender Geldreichtum der Zweck dieser Ökonomie ist, wird vorgeschrieben und übrigens per Staatsgewalt durchgesetzt, dass an Gegenstände des Bedarfs nur der kommt, der das Interesse des Verkäufers, aus Waren Geld zu machen, bedient.

 

Für Unternehmer sind die unter ihrem Kommando produzierten Güter Mittel um ihrer besonderen Art des Gelderwerbs nachzugehen. Ihre Güterproduktion nimmt nicht Maß am gesellschaftlichen Bedarf. Produziert wird einzig des mit den Produkten zu erzielenden Geldeinkommens wegen. Für Bedürfnisse, die über kein Geld verfügen, wird daher gleich gar nicht produziert.

 

Unternehmer nehmen aber noch in einem anderen Sinne nicht Maß an einem festgestellten gesellschaftlichen Bedarf. Sie würden sich umgekehrt wünschen, dass die Leute unabhängig von ihren praktischen Bedürfnis an Gütern des täglichen Bedarfs immer mehr von den unter ihrem Kommando produzierten Waren kaufen. Die Kapitalisten, leiden geradezu daran, dass die Bedürfnisse der Menschen nicht – wie die Volkswirtschaftslehre glauben machen möchte – maßlos sind, sondern endlich. Zugleich leiden sie daran, dass die Leute nicht endlos über Geldmittel, Kaufkraft, verfügen.

 

Dieses doppelte „Leiden“ der Kapitalisten – das zweite Leiden an der endlichen Kaufkraft der Menschen ist ihr eigenes Werk – bringt eine Reihe von Umgangsweisen hervor, die, ein weiteres Mal die Unvernunft des ganzen Verhältnisses offenbart. Zwar lässt sich für Unternehmer an der Endlichkeit des Bedürfnisses ihrer Kundschaft nichts ändern, satt ist satt, aber es lassen sich unter Einsatz von viel Marketing doch wenigstens ständig neue Bedürfnisse zum Teil der abstrusesten Art wecken. Jedes Jahr ein neues Handy ist da nur eines von vielen Beispielen. Das zweite Leiden, das hausgemachte Leiden, an der endlichen Verfügung über Kaufmittel, wird natürlich auch nicht aufgehoben. Wie auch? Löhne stellen in der Unternehmensrechnung Kosten dar, die im Interesse des Unternehmenserfolgs daher gar nicht gering genug sein können.

 

Machen lässt sich aber etwas anderes. Das Angebot an Waren ist dem schmalen Geldbeutel der ins Auge gefassten Kundschaft anzupassen. Das Resultat ist eine Massenproduktion billigster bis hin zu gesundheitsgefährdenden Konsumgüter aller Art. Periodisch wiederkehrende Lebensmittelskandale belegen dies. Der Geldmangel der kleinen Leute ist aber eine Grundlage für noch eine andere Art von Geschäft. Für Bedürfnisse, die ob ihrer Natur bedient werden müssen, denen aber die nötigen Geldmittel fehlen, gibt es in unserer Geldwirtschaft ein Angebot der besonderen Art, den Konsumentenkredit. Banken gelingt es damit, selbst aus der Not der Leute noch ein Mittel ihres Geschäfts zu machen. Der Kapitalismus schafft es damit sogar noch aus der Armut der Menschen ein Mittel des Wachstums zu machen, nicht gerade zum Nutzen der Menschen mit Geldmangel.

 

Diesen Punkt zusammenfassend: Der Inbegriff des Reichtums unter dem Imperativ Wachstum heißt Geld. In seiner Qualität ist dieser Reichtum Geld gleichgültig bis rücksichtslos gegen die Gebrauchsgestalt der Waren, weil sie eben nur als Verkörperung von Geldwert zählen. Marx hat diesen Reichtum daher als abstrakten Reichtum bezeichnet. Es gibt eine schöne Stelle von Marx am Ende des ersten Kapitels seines Hauptwerks, Das Kapital, wo er die Verrücktheit dieser Sorte Reichtums noch einmal so zusammenfasst:

 

„Könnten die Waren sprechen, so würden sie sagen, unser Gebrauchswert mag die Menschen interessieren, er kommt uns den Waren aber nicht als Dingen zu. Was uns dinglich zukommt, ist unser Geldwert. Unser eigener Verkehr als Waren beweist das.“

 

Dieser Reichtum ist gleichgültig bis rücksichtslos gegen die Bedürfnisse der Produzenten des sachlichen Reichtums. Wegen des herrschenden Geldinteresses zählt überhaupt nur Bedürfnis, das mit Geld ausgestattet ist. Jedes Bedürfnis findet also am Geld, an der Kaufkraft, ihre Schranke und wird zugleich, wegen des Geldinteresses der Unternehmer, immer als schrankenloses Bedürfnis unterstellt und gewürdigt.

 

  1. Zweite Rechnungsart 

Eine weitere Methode das Bruttoinlandsproduktes zu berechnen stellt die Verteilungsrechnung dar. Bei dieser Methode wird es als die Summe aller Einkommen bilanziert. Auf der Homepage der Statistik Austria heißt es:

 

„Das BIP entspricht … der Summe der im Produktionsprozess entstandenen Einkommen“

 

Was bedeutet der Imperativ Wachstum bezogen auf diese zweite Rechnungsweise? Wachstum liegt nach ihr dann vor, wenn die Summe aller Einkommen eines Jahres größer ist also die Summe der Einkommen vom Vorjahr. Nimmt man diese zweite Rechnungsweise naiv beim Wort, könnte man meinen, es genügt, den Beschäftigten mehr zu zahlen, und schon wäre nicht nur das Wachstum größer, sondern auch das Leiden der Menschen an fehlender Kaufkraft behoben. Es ist kein Geheimnis, so ist die Sache mit dem Wachstum nicht gemeint. Was wachsen soll ist die Summe aller Einkommen und das ist nicht dasselbe wie das Wachsen aller einzelnen Einkommen. Genau dieser Begriff von Reichtum als Summe aller Einkommen liegt der Bestimmung des BIP nach der zweiten Rechnungsweise aber zu Grunde.

 

Wenn man die verschiedenen Einkommen daraufhin begutachtet, wie sie zum Wachstum stehen, stellt man eine Zweiteilung fest. Da gibt es zum einen diejenigen, die ihr Einkommen unter Einsatz ihres Geldes erwirtschaften. Das sind die Unternehmer. Deren Unternehmertum besteht darin, Geld für Arbeitskräfte, Maschinen, usw. zu verausgaben, um eine Produktion anzuleiern, die Produkte hervorbringt, die für mehr Geld verkauft werden, als ihre Herstellung gekostet hat. Bei diesen Unternehmern fällt das Wachstum ihres Einkommens mit ihrem Dienst am Wachstum zusammen. Anders beim großen Rest der Bevölkerung, bei den abhängig Beschäftigten. Deren Einkommen – die Löhne, die sie verdienen – sind ein Abfallprodukt davon, dass die Unternehmen mit Hilfe der von ihnen bezahlten Arbeitnehmer ein Einkommen erzielen. Was daher in jedem Fall wachsen muss, das sind die Einkommen der Unternehmen, weil es ohne dieses Wachsen für alle anderen Mitglieder der Gesellschaft nichts zu verdienen gibt.

 

In der Rechnung der Unternehmen sind die Einkommen der abhängig Beschäftigten aber nicht bloß Abfallprodukt, genauer besehen gehen sie in deren Kalkulation als Kost ein. Während also das Einkommen der einen das Wachstum ist, auf das es ankommt, sind die der anderen – der großen Mehrheit – für die Unternehmen und damit auch für das Wachstum der Wirtschaft die negative Größe, eine Kost, die sich als eine solche lohnen muss.

 

Dieselben Einkommen, die in der Unternehmenskalkulation eine Kost sind, werden in der Berechnung des BIP mit den Einkommen derjenigen, die das gewünschte Wachstum sind, zu einer gemeinsamen Summe aufaddiert. Als dieser Summand tragen die Lohneinkommen gleichberechtigt mit den Unternehmenseinkommen positiv zum Wachstum bei. Zugleich können sie als die Kost, die sie sind, gar nicht niedrig genug sein.

 

Stellt sich die Frage, inwiefern die Löhne obwohl Kost ein Beitrag zum Wachstum sind? Eines ist sicher, die abhängig Beschäftigten werden nicht für die Produkte ihrer Arbeit bezahlt. Dann gäbe es keinen Gewinn. Mit der Bezahlung der Löhne findet eine ganz andere Aneignung als die der Produkte statt. Die Einkommenszahler erwerben mit dieser Zahlung nicht einfach das Produkt der Arbeit, sondern die Arbeit selbst – die Fähigkeit zu arbeiten –, sodass die Arbeit von Anfang an gar nichts anderes ist, als Teil der privaten Geldvermehrung, die dem Unternehmen gehört und die es sachgerecht seinem Zweck gemäß organisiert. Einzig so wird Arbeit in unserer Gesellschaft überhaupt bloß verrichtet. In Gestalt dieses Aneignungsverhältnisses wird die Arbeit produktiv für diejenigen, die die Einkommen zahlen und damit auch für das Wachstum insgesamt. Dann ist damit auch das Maß der Nützlichkeit der Arbeit fürs Wachstum, um das es geht, genau so gegeben. Weil es um Wachstum geht, ist die Lohnzahlung genau in dem Maße nützlich, als die mit dem Lohn eingekaufte Arbeit mehr geldwertes Eigentum produziert, als ihre Aneignung kostet. Umgekehrt, der Mensch, der Arbeit verrichtet, der ist fürs Wachstum mit seiner Arbeit umso nützlicher, je mehr er mit ihr Eigentum in fremder Hand wachsen lässt.

 

Die Einkommen aus Lohnarbeit, stehen daher zum Wachstum der Einkommen der Unternehmen in einem unmittelbaren Gegensatz. Jedes Wachsen der Löhne verringert die Einkommen der Unternehmen und beschneidet damit die Basis dieses Wachstums. Wo es um Wachstum geht, ist auf Seiten der lohnabhängigen Einkommen daher notwendig Zurückhaltung angesagt. Diese Einkommen aus unselbstständiger Arbeit, in der Einkommensbilanz mit den Einkommen der Unternehmen zu einer Gesamtsumme aufaddiert, beschränken in ihrem Wachstum das Wachstum der Gesamtsumme, dürfen selber also gerade nicht ständig wachsen, soll das Wachstum vorankommen.

 

Ein Widerspruch der unserer Gesellschaft immanent ist: Damit das Bruttoinlandsprodukt als Summe der Einkommen wächst, müssen einige Einkommen – und das sind nicht gerade die Einkommen der Minderheit – als Anteil am insgesamt zustande kommenden Reichtum schrumpfen. Ein nationales Wachstum kommt nur zustande, wenn die Einkommen der Unternehmer schneller wachsen als die Einkommen der arbeitenden Menschheit. Aufgehen darf nur das Interesse der einen Klasse von Einkommensbezieher, wenn Wachstum als Summe aller Einkommen stattfinden soll. Während also – wie im öffentlichen Verständnis – Wachstum als Indikator für nationales Wohl genommen und mit dem Allgemeinwohl – gemeint als Wohl aller – gleichgesetzt wird, ist dieses Allgemeinwohl in Wahrheit eine widersprüchliche Angelegenheit. Wachstum bedeutet Wachsen der Einkommen der Unternehmen. Alle anderen Einkommensarten – insbesondere Einkommen aus unselbstständiger Arbeit – sind nicht bloß abhängige Variable, sondern sogar Schranke der Einkommen auf die es wirklich ankommt. Sie sind nur soweit und nur in der Höhe von Bedeutung, wie sie sich als Mittel für die Steigerung der Unternehmenseinkommen bewähren; nur in diesem funktionellen Verhältnis.

 

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Erste Ergänzung: Damit Wachstum zustande kommt, ist es nötig, dass das Einkommen der Unternehmen in ganz bestimmter –nämlich wachstumdienlicher Weise – verwendet wird. Es einfach zu verkonsumieren, kommt für Unternehmereinkommen nicht in Frage. Den ganzen Gewinn in Gestalt von Luxusartikel einfach zu verkonsumieren, wäre wenig produktiv und wenig wachstumsförderlich. Das wäre bloß konsumtiv. Einkommen nur dafür zu nutzen, damit man seine kleinen oder größeren Bedürfnisse befriedigt, das wäre wenig tauglich für den Imperativ Wachstum. Um diesem Imperativ zu genügen, darf Einkommen nicht verkonsumiert, sondern muss investiert – sprich für die Zwecke der Erwirtschaftung weiteren Wachstums eingesetzt – werden. Wachstumstaugliche Verwendung von Einkommen ist also Reinvestition der Unternehmenseinkommen, Reinvestition des Gewinns. Der Imperativ Wachstum bedeutet, Gewinn hat so eingesetzt zu werden, dass daraus mehr Gewinn wird. Der Maßstab des Wachstums, dem Unternehmer folgen, bringt es also zu dem Zirkel, der das Geschäft aller kapitalistischen Unternehmer auszeichnet. Gewinnerwirtschaftung und Wiederverwendung des so erzielten Einkommens für erneute Gewinnerwirtschaftung und das ad Infinitum.

 

Der gesellschaftliche Zweck, Geld in einer grenzenlosen Bewegung in ein Mehr davon zu verwandeln, ist in seiner Selbstzweckhaftigkeit absurd. Nicht einmal eine Reproduktion der Unternehmen auf gleicher Stufenleiter, einfach nur den Stand der Produktion zu erhalten, heute genauso viel zu produzieren wie gestern, ist mit dem Imperativ des Wachstums – aus verdientem Geld mehr Geld zu machen – vereinbar. Unternehmen, die diesem Zweck – aus Wachstum von heute mehr an Wachstum morgen zu machen – nicht genügen, haben in einer Ökonomie, die ihren Reichtum als Geldwachstum bilanziert, keine Existenzberechtigung.

 

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Zweite Ergänzung: Der Grund der zirkelhaften Logik ist nicht in der individuellen Maßlosigkeit einzelner Akteure zu finden, sondern liegt im gesellschaftlich gültig gemachten Maß des Reichtums selbst, im Geld. Geld als Zweck ökonomischer Aktivität ist seiner Natur nach maßlos. Wenn ökonomischer Erfolg sein Maß im verdienten Geld hat, dann gibt es kein genug, dann ist ein Mehr in jedem Fall die bessere Verwirklichung dieses Zwecks. Der Wachstumsimperativ erweist sich damit als der spezifischen Form des gesellschaftlichen Reichtums geschuldet.

 

Immer wenn diese ökonomische Praxis von Unternehmen Anlass für Unzufriedenheit bietet –wenn etwa wieder einmal Entlassungen anstehen oder die Übertretung von Umweltnormen publik wird – kommt der Vorwurf auf, Unternehmer könnten den Hals nicht voll kriegen, sie wären von Profitgier getrieben. In Wahrheit verhält es sich mit der Gier von Unternehmern und Managern etwas anders als in solchen Klagen zu hören ist. Gier sei gar nicht dementiert. Die ist allerdings nicht einfach einer subjektiven Eigenschaft der Menschen an den Schaltstellen der kapitalistischen Unternehmern geschuldet. Als personifizierte Repräsentanten des mit Geld als Maß des Reichtums gesetzten selbstbezüglichen Zwecks Geldvorschuss in vermehrten Geldrückfluss zu verwandeln ist diese Gier Teil ihrer Berufsqualifikation. Als solche Charaktermasken des kapitalistischen Zwecks dürfen sie den Hals nicht vollkriegen andernfalls sind sie für den Job nicht geeignet. Nicht die Gier von Menschen macht aus Unternehmen Geldvermehrungseinrichtungen, es verhält sich umgekehrt. Wer diese Unternehmen führen will, muss diese Charaktereigenschaft mitbringen.

 

Unternehmer erfahren ihren Zweck Geld in mehr Geld zu verwandeln als einen Sachzwang, der ihnen durch die Konkurrenz aufgenötigt wird. Was ihnen da in Gestalt eines Sachzwang aufgezwungen wird, ist freilich nichts anderes als ihr eigenes Interesse. Konkurrenz bedeutet, alle Unternehmen wollen wachsen, aber nicht indem sie ihre Produktion mit der anderen Unternehmen – ihren Konkurrenten – zusammenlegen und ihre Ergebnisse zu einem gemeinsamen Wachstum aufaddieren, sondern alle betreiben ihr Gewinninteresse gegeneinander. Alle betreiben ihre Gewinnemacherei als Privatproduzenten, bilanzieren ihren Erfolg in Gestalt der Geldsumme, die sie auf sich und damit von allen anderen Unternehmen weg ziehen können. Weil es allen um dasselbe geht, darum nämlich die eigenen Produkte mit möglichst großem Gewinn zu veräußern und den so erzielten Gewinn zu reinvestieren, was einschließt, möglichst viel der immer begrenzten gesellschaftlichen Kaufkraft auf sich und damit von den anderen weg zu ziehen, bestreiten sie sich wechselseitig den ökonomischen Erfolg. Jeder Unternehmer will und muss Gewinn machen und zwar auf Kosten der Konkurrenten, die sich dieselbe Kaufkraft aneignen wollen. Schonung der Konkurrenten kann sich kein Unternehmen leisten.

 

Allseitige Konkurrenz hat aber noch eine zweite Seite. Diese Kehrseite des Gegensatzes der konkurrierenden Unternehmer ist ihre Abhängigkeit voneinander. Jedes Wachstum eines Unternehmers setzt Wachstum an anderer Stelle voraus. Für Unternehmen, die ihren Gewinn mit Produktion und Verkauf von Maschinerie machen, heißt dies, dass sie einen Abnehmer brauchen, der seinen Gewinn in neue Maschinerie investiert, um seine Produktion auszudehnen. Das gleiche gilt für Betriebe, die Lebensmittel herstellen. Mehr Gewinn setzt mehr Kaufkraft für ihre Produkte voraus. Alle Unternehmen hängen also für ihren Erfolg davon ab, dass das Gewinnemachen an anderer Stelle funktioniert. Alle Betriebe bestreiten sich als Privatproduzenten ihr Wachstum und sind zugleich für ihr Wachstum in der Konkurrenz auf das Wachstum der Konkurrenten angewiesen. Ein unauflöslicher Widerspruch, der untrennbar mit einem Wirtschaften unter dem Imperativ Wachstum verbunden ist.

 

Es wäre daher ein Widerspruch zur Logik des Wachstumsimperativ, sich vorzustellen, dass alle Unternehmer zugleich immer ordentlich Gewinne machen und sich dann alle schwarzen Zahlen zum Wachstum aufaddieren. Es verhält sich anders. Nationaler Reichtum im Kapitalismus wächst nur, wenn die Gewinne der Sieger in der Konkurrenz die Verluste der Verlierer nicht nur ausgleichen, sondern übersteigen. Wachstum geht also nicht nur mit permanentem Angriff auf den Lebensunterhalt, die Lebensbedürfnisse der Arbeiter, einher, Wachstum schließt immer auch ein, dass Unternehmen Verluste machen oder gar durch ihr Scheitern als Gewinnmaschinen aus der Konkurrenz aussortiert werden.

 

Zu besichtigen ist dies an Industrieruinen, an verrottenden Maschinen und Gebäuden, die nicht etwa deswegen stillgelegt werden, weil sie verbraucht oder nicht mehr für vernünftige Produktion zu benutzen wären, sondern weil sie am Maßstab des Gewinnemachens gescheitert sind. Und die lebendigen Industrieruinen die finden sich dann bei den Arbeitsämtern ein. Das sind bekanntlich die Menschen mit viel freier Zeit, ohne Mittel diese freie Zeit gescheit zu nutzen. Sie vermehren die Armutsschichten der lohnabhängigen Leute.

 

Dritte und letzte Ergänzung: Konkurrenz der Privatunternehmen findet über die beständige Steigerung der Produktivkraft der Arbeit zwecks Einsparung von bezahlter Arbeit statt. All dies um die produzierten Waren möglichst billiger als die Konkurrenz verkaufen zu können. Ganze Belegschaften machen Erfahrungen damit, dass diese Einsparung der Arbeitszeit sie brotlos macht.

 

Die Kehrseite dieser Steigerung der Produktivkraft – des immer mehr Produktion pro Zeit – heißt zugleich, dass immer mehr Produkte abgesetzt werden müssen. Mit dem Interesse an Verbilligung ihrer Produktion, um sich in der Konkurrenz durchzusetzen, wächst zugleich der Zwang immer größere Massen von Produkt auf dem Markt in Geld zu verwandeln. Wohlgemerkt, die größere Masse an stofflichem Reichtum, um die es da geht, ist nicht das Ergebnis eines gewachsenen Bedürfnisses nach diesen Gütern. Produziert wird im Gegenteil unabhängig von und rücksichtslos gegen vorhandene Bedürfnisse, rücksichtslos vor allem gegen die Beschränktheit der gesellschaftlichen Kaufkraft. Die ist nichts anderes als das Resultat des Sachzwangs, Geld einzusetzen, um es zu vermehren. Wachstum schließt daher ein, dass alle Unternehmen immer mehr Waren abzusetzen haben, gemeinsam einen Überfluss an Gütern produzieren, den sie dann selbst noch insofern als Mangel bemerken, als sie ihr Warenangebot nicht mehr voll oder gar nicht los werden, also auch keinen Schnitt machen. Es wird also unter dem Imperativ Wachstum periodisch ein zu viel an brauchbaren Gütern erzeugt, ein zu viel an sachlichem Reichtum, als dass es mit dem Wachstum weitergehen könnte. Der Widerspruch, demzufolge das Interesse an vermehrten Veräußerungsgewinnen die Endlichkeit der Bedürfnisse als Mangel entdeckt, wird hier auf eine neue Etage gehoben. Dieser systematisch produzierter Überfluss – diese Überakkumulation an Kapital – wird als allgemeine Krise des Wachstums registriert. Der Wachstumslogik folgend, wird mit dieser Paradoxie – Überfluss wird als Mangel registriert – verfahren. Der Überfluss als Mangel wird beseitigt. Wie? Man zieht ihn kapitalistisch aus dem Verkehr. Man entwertet ihn, man vernichtet ihn, kurz man beseitigt ihn. Die Produktion wird heruntergefahren, Betriebe werden still gelegt, Waren und Leute werden auf Halde gelegt. Weil Produktionsmittel und Lebensmittel für das Wachstum zu viel sind, werden sie kapitalistisch sachgerecht entsorgt: Als Gebrauchsgüter aus dem Verkehr gezogen, dh. systematisch daran gehindert, noch irgendein Bedürfnis zu erfüllen und als Arbeitskräfte von Arbeit freigesetzt, was ihrer Lebensqualität und ihren Wiederverkaufseigenschaften natürlich auch nicht gut bekommt.

 

Teil4: Wachstum als nationale Reichtumsbilanz

 

In einer Gesellschaft, die unter dem Imperativ Wachstum steht, geht es um das Wachstum kapitalistischer Gewinne. Umgekehrt gilt, wo es um kapitalistische Gewinne geht, geht das nicht ohne Wachstum. Zugleich steht fest, dass in dieser Gesellschaft an keiner Stelle in der Ökonomie – noch nicht einmal seitens der Nutznießer dieser Verhältnisse – der Zweck allgemeinen Wachstums, von Wachstum überhaupt, existiert. Keiner der Privatproduzenten steht auf dem Standpunkt des Wachstums. Sie wollen nicht das Kapital überhaupt, sondern ihr privates Kapital vergrößern. Das der anderen Unternehmer zu vermehren ist nicht ihr Anliegen, im Gegenteil. Eben weil Wachstum nicht das Werk einer verbündeten kapitalistischen Mannschaft ist, sondern das Wachstum gar nicht anders zustande kommt als in ihrer Konkurrenz, gibt es zugleich an keiner Stelle der Ökonomie den allgemeinen Standpunkt einer Wachstumsbilanz.

 

Diesen Standpunkt gibt es überhaupt nur beim staatlichen Verwalter der nationalen Ökonomie namens Marktwirtschaft oder Kapitalismus. Bloß der steht auf dem Standpunkt, dass sich all die unterschiedlichen bis gegensätzlichen Kalkulationen der verschiedenen Kapitale zu einem insgesamten Plus aufsummieren, das sich in Euro und Cent beziffert. Das ist deswegen verrückt, weil es den Reichtum bloß als privaten gibt. Es ist ja nie so, dass irgendwo ein Stück Reichtumsquelle existiert, dass irgendwo eine Anstrengung wirklich für unser Wachstum unternommen würde. Es ist immer jemandes Reichtum, und jemandes Reichtumsquelle und von deren praktizierten Standpunkt summiert sich nichts.

 

Was ist das dann aber für eine Bilanz, die der Staat zieht? Zählt er nur begriffslos zusammen? Ist das nur ein bloß inhaltleeres Aufsummieren von Geldsummen, die sich als Geldsummen, die sie sind, gerade nicht bloß nicht addieren, sondern ausschließen, weil sie ja als Geldsumme immer die Mittel für die Konkurrenz gegeneinander sind. Nein! Was der Staat bilanziert, ist eben nicht bloß eine solche Summe. Was er bilanziert ist qualitativ etwas Anderes, nämlich tatsächlich so etwas wie „nationaler“ Reichtum. Nationaler Reichtum im Sinne von, er betrachtet die Ökonomie als Quelle des Geldreichtums über den er nicht bloß regiert, sondern mit dem er regiert.

Dass er national bilanziert ist einerseits ein Widerspruch gegen die ökonomischen Verhältnisse, es ist dies aber andererseits sachgerecht für den Staat, weil er im Wachstum des Reichtums die Grundlage seiner eigenen Macht hat. Der Staat hat tatsächlich – sei es über Steuern, sei es über seine Verschuldung, mit der er auf das Wachstum spekuliert – im Wachstum sein Machtmittel, die Substanz seiner Herrschaft über die Gesellschaft. Für alles, was er an politischen Schritten setzt, ist er auf die Resultate des Wachstums angewiesen. An ihm hängt die Beschaffung aller Mittel, mit denen er nach innen und außen seine Souveränität ausübt.

 

Weil das so ist, nimmt er in dem was er an staatlichen Leistungen erbringt nicht einfach Maß daran, was ihm das Wachstum an ökonomischen Mittel einspielt, sondern bezieht alle diese staatlichen Leistungen immer schon darauf, was sie für dieses Wachstum leisten. Nicht, er kann nicht mehr an Gesundheitsleistungen, Bildung, usw. erbringen, sondern er beurteilt alle diese Leistungen im Hinblick auf ihre Notwendigkeit für das Wachstum. Die Politik, die er mit den aus dem Wachstum entnommenen Mitteln betreibt, läuft über alle Ressorts der Politik hinweg auf nichts anderes hinaus, als erneut nationales Wirtschaftswachstum zu fördern. Er sorgt für einen funktionierenden Rechtsstaat, stattet seine Geschäftswelt mit dem Geldmaterial aus, in dem die geschäftlichen Erfolge zu bilanzieren sind, sorgt für die notwendige Infrastruktur – vom Schienen- und Straßennetz bis zur Glasfaserverkabelung der Republik –, richtet ein Bildungswesen ein, mit dem er für den nötigen Nachwuchs an brauchbaren Arbeitskräften sorgt, kümmert sich überhaupt in allen Abteilungen darum, dass das Volk in der vorgefundenen Berufshierarchie seinen Beitrag zum Wachstum leistet. Um es am Beispiel der Bildung noch einmal zu verdeutlichen. Was an Bildung stattfindet hat nicht sein Maß darin, wieviel Geld im Staatshaushalt vorhanden ist, sondern hat sich daran zu messen und blamiert sich zwischendurch auch daran, welchen Beitrag sie zum Wachstum leistet. Wenn Studenten dann protestieren und sagen „Bildung ist doch keine Ware“ und „Gibt es nicht noch was anderes als Wachstum?“ lautet die Antwort „Nein“. Dafür findet sie statt und da braucht man weniger Altphilologen als Ingenieure.

 

Kurz, der Staat betreibt Wachstumspolitik. Land und Leute unterwirft er in allen Abteilungen seiner Politik dem Imperativ Wachstum. Alles was die Gesellschaft ausmacht, alles was als Reichtumsquelle benutzbar ist, wird auf seinen Beitrag zum Wachstum begutachtet und entsprechend eingeordnet. Der Staat trimmt seine Gesellschaft auf Wachstum, weil er darin seine Machtquelle hat und diese Macht gebraucht er dann eben so, dass er sich fürs Wachstum stark macht.

 

Zu den Wachstumskritikern 

 

Abschließend noch ein Nachtrag zur bürgerlichen Wachstumskritik.

 

Die paar Kritiker marktwirtschaftlichen Wachstums, die es gibt, nehmen nicht die ökonomische Substanz des „Wirtschaftswachstums“ in den Blick. Wie kommt es überhaupt zustande und warum fallen seine Resultate regelmäßig so einseitig aus? Wie kommt es, dass eine Ökonomie, die sich dem Wirtschaftswachstum verschreibt regelmäßig dessen Einbruch und Zusammenbruch produziert, und dann tatsächlich alle Lebensverhältnisse in Frage stehen? Was ist das für ein Wachstum, das als allgemeinen Zweck überhaupt keiner der wirtschaftlichen Akteure verfolgt? Mit solchen Fragen und den Ungereimtheiten marktwirtschaftlicher Wachstumsapologetik halten sie sich nicht weiter auf.

 

Die negativen Wirkungen für die Betroffenen, die Umwelt, das Klima usw. verbuchen sie als Folge einer falschen Einstellung zu Möglichkeiten und Grenzen des Wachstums. Sie nehmen die ideologischen Versprechen der Politik hinsichtlich der Segnungen des Wachstums wie den eigentlichen Gehalt und Zweck des Wachstums und seiner politischen Förderung. Deswegen vermissen sie bei deren Einsatz für nationales Kapitalwachstum die „gesellschaftliche Verantwortung“ und machen sich für ein Wachstum ohne all die negativen Wirkungen, ein „nachhaltiges“; „begrenztes“, „qualitatives“ usw. Wachstum stark. Und sie nehmen die Unterordnung aller Lebensverhältnisse unter die „Sachnotwendigkeiten“ kapitalistischer Geldvermehrung wie eine verfehlte, alle Gesellschaftsmitglieder, Kapitalisten, Arbeiter, Konsumenten, eben „die Menschen“ einigende falsche Stellung zu Bedürfnissen und deren Befriedigung. Die Korrekturen, die sie anmahnen, laufen regelmäßig auf Änderung der hierzulande angeblich herrschenden Einstellung des „Konsumismus“ hinaus. Sie verlangen „Umdenken“ im allgemeinen und „verantwortungsvolle Beschränkung im Besonderen. Sie polemisieren nicht gegen die absurde Form des kapitalistischen Wirtschaftens sondern gegen den Materialismus derer, die die Arbeit machen und nicht viel davon haben.

 

Womit Wachstumskritik also vor allem eines ist: eine neue Variante von Antikritik am Kapitalismus und seinen widrigen bis zerstörerischen Konsequenzen für die Grundlagen, Bedingungen und Mittel des Lebens der Leute.

 


[i] Selbst Professoren der Volkswirtschaftslehre wissen, dass man Milche, Autos, Handys, Haarschnitte, usw. nicht sinnvoll aufaddieren kann. Weil sie sich dadurch aber keinesfalls von ihrem unsinnigen Vorhaben, die ganze kapitalistische Produktionsweise zu einer einzige Produktionsgemeinschaft zu verklären, sprich alle wirtschaftlichen Tätigkeiten als Beiträge zu einem gemeinschaftlichen Ergebnis zu deuten, von dem umgekehrt alle abhängen, abbringen lassen wollen, schmarotzen sie in ihrer Theoriebildung an dem Umstand, dass in der Welt der Wirtschaft, zu deren Erklärung sie gerade antreten all die vielfältigen Produkte und Dienstleistungen tatsächlich auf ein einheitliches Maß zurechtgestutzt sind.