GEGENARGUMENTE

Schlechte Einwände gegen den Irak-Krieg

Die amerikanische Regierung hat ihren angekündigten Überfall auf den Irak gestartet. Keine Kooperationsbereitschaft und keine Unterwerfungsgeste der irakischen Seite hat sie davon abhalten können. Kein Wunder, angesichts der Kriegsziele, aus denen Präsident Bush kein Geheimnis macht:

1. Er will – "Demokratisierung" heißt das – die Macht im Irak umstürzen und eine proamerikanische Marionette in Bagdad einsetzen.

2. Er will damit die Ölregion auf der arabischen Halbinsel neu ordnen, d.h. unter direkte amerikanische Kontrolle bringen.

3. Er gibt mit dieser demonstrativen Strafaktion ein Beispiel dafür, wie es Staaten geht, die sich Diktaten der Supermacht widersetzen und deren "Autorität" herausfordern. Mit dem unbeschönigten Präventivkrieg treibt er die militärische Beherrschung des Globus, die Ausrottung der letzten Feinde Amerikas und seine Kontrolle über den wichtigsten strategischen Rohstoff der Weltwirtschaft kompromißlos voran – und begründet damit eine neue Stellung gegenüber der gesamten Staatenwelt, speziell den alten Verbündeten in Europa.

Das alles geschieht sehr öffentlich. Ausgiebig werden die Völker schon vor und erst recht während des Krieges informiert. Täglich erläutert die US-Regierung ihre Vorgehensweise; skeptische Verbündete tragen ebenso vor breitem Publikum ihre Bedenken und Einwände vor. In der demokratischen Öffentlichkeit und überall auf der Welt fällt beides auf fruchtbaren Boden. Eine engagierte Debatte über die alte und ewig neue Frage des gerechten Krieges geht los; ebenso wie ein größerer Protest. Dessen Veranstalter machen sich zwar keine Illusionen über ihre "Chancen, den Krieg zu verhindern". Das Eine haben sie aber erreicht: Auch dieser Krieg geht nicht über die Bühne ohne einen ganzen Haufen schlechter Einwände.

Ein schlechter Einwand etwa lautet: "Nein zum Krieg – Ja zum Frieden!" Denn "Krieg bedeutet das Scheitern der Politik" und "darf nicht zum normalen Mittel der Politik werden!"

Dagegen und dennoch ist zu sagen: Wer gegen den Krieg ist, muß auch und erst recht gegen den Frieden sein! Das klingt paradox, ist aber so.

Klar, spätestens, wenn es wieder einmal so weit ist und die Schlächterei losgeht, dann genügt ein schlichter Vergleich der Brutalitäten des Kriegsgeschehens mit dem Zustand vorher, und schon stellt sich heraus, daß in diesem vorherigen Zustand eben noch nicht geschossen und gebombt wurde; daß vor allem die "unschuldigen Opfer" vorher besser dran waren – das ist unbestreitbar. Allerdings, wer deswegen sofort für den Frieden eintritt und von den Politikern den Verzicht auf Krieg verlangt, hat damit schon einen groben Fehler hinter sich. Denn was der Frieden wert ist, den man der Menschheit im Allgemeinen und derzeit den Irakis im Besonderen an den Hals wünscht, wird mit dem Übergang zum Krieg gerade drastisch offenkundig: In großem Stil bombardiert und verbrannt und gesprengt wie jetzt wurde nicht, das ist wahr; die Gründe dafür, daß jetzt Großbombardements und blutige Kämpfe angesagt werden, sind aber – wann denn sonst? – in genau den Jahren, und durch genau die "Verhältnisse" – wie denn sonst? – geschaffen worden, die nun, wo der Krieg aus ihnen hervorgeht, mit dem Titel "Frieden" geehrt werden. Wer speziell im Fall des Irakkriegs im Namen des Friedens Einspruch einlegt, muß einiges verpaßt oder verdrängt haben; nämlich daß der Friede, der am Golf hätte weiter gehen sollen, zwölf Jahre lang aus Bombenterror, wenn auch nur punktuell, aus versuchter Strangulierung der Staatsführung durch ein scharfes Wirtschaftsembargo, aus flächendeckender Weitergabe der Folgen an das eigene Volk – also aus massenhafter Verelendung durch die umfassende Quarantäne der UNO bestand.

Aber nicht nur das: Der Friede hat auch die amerikanische Unzufriedenheit mit der Fortexistenz dieses unwiderruflich geächteten Feindes beständig wachsen lassen. Und was in dem Fall gilt, das gilt generell: Die Kriege, die die Staaten immer wieder auf die Tagesordnung setzen, hängen mit dem Friedenszustand zwischen ihnen notwendig zusammen; denn was im Krieg zum großen Knall eskaliert, das sind keine anderen Interessengegensätze, Konflikte und Feindschaften als diejenigen, die den wirklichen Inhalt des Friedens ausmachen – jenseits der puren Tatsache, daß im Frieden eben noch nicht "militärisch eingegriffen" wird. Wenn man sich die Ansprüche vergegenwärtigt, die heutzutage offenbar als normal und womöglich als "friedlich" gelten, die jedenfalls mitten im Frieden von den USA an den Irak gestellt wurden, nämlich "Regimewechsel" und "vollständige Entwaffnung", dann möge man sich bitte nicht wundern, wenn zumindest die USA nicht damit gerechnet hatten, das sei ohne Krieg zu erreichen. Denn der Friede ist, vom Standpunkt derer, die darüber entscheiden, weit mehr als die bloße Abwesenheit des Krieges, viel anspruchsvoller bestimmt als bloß negativ dadurch, daß halt nicht geschossen wird: "Friede" heißt, daß die eigenen nationalen Ansprüche und Interessen zufriedenstellend bedient werden, und für den absehbaren Fall, daß dem nicht so ist, wird eben mitten im Frieden permanent der Krieg vorbereitet, indem sich Staaten generell ein Militär halten. Nicht nur die Ansprüche und Interessengegensätze, die mitten im Frieden formuliert werden, auch die Rüstung, die in der jeweiligen Vorkriegszeit aufgehäuft wird, beweist doch, daß der Friede gar nicht das Gegenteil zum Krieg ist, sondern dessen Vorbereitung. Auch wer sich nicht um die Feinheiten der Diplomatie oder die Einzelheiten des Hin und Her im UN-Sicherheitsrat mit ökonomischem Boykott, Waffeninspektoren und sorgfältig ausgetüftelten Resolutionen kümmert, muß doch registriert haben, daß verantwortliche Politiker die letzten sind, die die Staatenwelt mit einer "Gemeinschaft" verwechseln und ihre zwischenstaatlichen Affären für friedensfähig halten: Immerhin wird Jahr für Jahr von jeder Regierung ein Rüstungshaushalt vorgelegt und vom Parlament abgesegnet, immerhin wird jedes Jahr eine Generation zwangsweise vom Militär dienstverpflichtet, Soldaten eingezogen, die man nur dann "Mörder in Uniform" nennen darf, wenn sie die falsche Uniform tragen oder es werden Berufssoldaten angeworben – sofern es in der Nation genügend Arme gibt, für die das Sterben fürs Vaterland eine echte berufliche Perspektive darstellt.

Wer also nichts weiter verlangt, als daß Politiker, was immer sie sonst tun, ihre Finger vom Krieg lassen, der ist vielleicht ein guter Mensch oder naiv; vor allem aber stellt er sich ignorant gegen alles, was bis zum sogenannten Kriegs"ausbruch" an Gewalt und gewaltträchtigen Affären in der Staatenwelt läuft, und ignorant gegen die Kriterien, nach denen die Veranstalter den Übergang von der Beschaffung zum Einsatz ihrer Rüstung durchziehen.

Diese Ignoranz wird fast schon zum Programm, wenn Kriegsgegner nicht bloß unter dem Eindruck eines Krieges "Nein!" sagen und nach Frieden rufen, sondern mit der Erkenntnis kommen, der Krieg wäre – grundsätzlich, immer und überhaupt – "das Ende der Politik" oder, noch tiefer empfunden, "das Scheitern von Politik". Daß Politiker, wie neulich Kanzler Schüssel, solange sie nicht selber den Einsatzbefehl geben, solchen Unsinn in die Welt setzen, ist aus ihrer Sicht nur verständlich: Die mögen es nicht so gern, daß man die gewalttätigen Folgen ihres Handwerks, die Übergänge zu groß angelegten Gewaltaktionen, zu denen sie – und sonst keiner! – befugt, ermächtigt und fähig sind, und die wüsten Resultate, die sie – und niemand sonst! – verantworten, ihnen auch zurechnet, ihrem Amt und ihrem Beruf zur Last legt. Deswegen bestehen sie gerne und mit Nachdruck auf einer Unterscheidung, die noch viel blödsinniger ist, als es die Behauptung wäre, die Atombombe wäre "das Ende" der Atomphysik oder mit dem Bau von Panzern wäre die Fahrzeugindustrie "gescheitert": Daß nämlich Politik mit Krieg überhaupt nichts zu tun hätte – als entstünde der Krieg in irgendeinem politikfreien Raum; als gehörten zum Alltag der Politik nicht all die zwischenstaatlichen Brutalitäten und Erpressungen, die irgendwann zu dem gleichfalls politischen Beschluß führen, einen Gegner mit Militärgewalt fertig zu machen; als wäre überhaupt jemand anderer als die – hierzulande demokratisch gewählten – Profis staatlicher Herrschaft zu der Sorte Konflikt fähig, für deren sachgerechte Austragung sie wohlweislich eine möglichst weitblickende Rüstungspolitik betreiben; und als wären ausgerechnet sie mit ihrer Profession am Ende und müßten vor der "Kriegslogik" – so eins der verlogenen Sprachbilder – kapitulieren, wenn sie ernst machen und ihre politischen Ziele an ihrem ausgemachten Feind mit Waffengewalt exekutieren.

Wie gesagt: Daß Politiker Politik und Krieg so unterschieden wissen möchten, ist klar; damit verschaffen sie sich schließlich für ihr gesamtes Treiben bis hin zur Kriegserklärung das allerbequemste, nämlich ein denkbar grundsätzliches und pauschales Alibi. Aber deswegen müssen doch nicht ausgerechnet Kriegsgegner diesen Unsinn nachbeten. Wenn sie schon gegen den von – im aktuellen Fall: von amerikanischen – Politikern angesagten Krieg sein wollen, dann wäre es doch das Erste und nicht zu viel verlangt, die Spruchweisheit vom "Scheitern der Politik" zurückzuweisen und den Machthabern ihr Alibi zu zerpflücken. Doch eher ist das Gegenteil der Fall. Unbeschadet aller Einwände, die sie sonst noch auf Lager haben, halten die protestierenden Massen und ihre friedensfreundlichen Wortführer ausgerechnet von dem einen "Vorwurf" besonders viel: Politiker würden mit ihrem Gewerbe quasi abdanken, wenn "es" auf irgendwelchen undurchschaubaren Wegen doch, also trotz aller Politik "zum Krieg kommt". Ausgerechnet Kriegsgegner nehmen damit das tatsächlich praktizierte staatliche Gewaltgeschäft, dessen Name nun einmal "Politik" heißt, gegen sein letztes Produkt in Schutz, so als könnten sie zumindest "ihrem" Gemeinwesen und ihren Politikern so viel Brutalität, wie im Krieg von Staats wegen exekutiert wird, einfach nicht zutrauen und selbst dann nicht zurechnen, wenn "es" dann doch wieder einmal so weit gekommen ist; als wollten sie ihr Vertrauen in die Politik und deren Macher vor jeder Infragestellung retten, wenn diese – und niemand anderer – zu Aktionen übergehen, mit denen sie endgültig nicht mehr einverstanden sein können.

Eine geringe Abwandlung und ein Dementi gleichermaßen des "Arguments" von der scheiternden Politik liegt vor, wenn Friedensfreunde darauf bestehen, Krieg dürfe nicht zum normalen, zum alltäglichen Handwerkszeug der Politik werden. Auch darin verstehen sie sich schon wieder mit denjenigen Politikern gut oder können diese Position sogar von denen abschreiben, die den aktuellen Krieg gerade einmal nicht beschlossen haben und deswegen darauf herumreiten, Krieg dürfe nur in ganz extremen Ausnahmesituationen sein – über deren Eintritt selbstverständlich schon wieder niemand anders als sie zu befinden hat. Der Gedanke wird aber auch nicht besser, wenn er zu der Maxime radikalisiert wird, Krieg dürfe überhaupt kein Mittel der Politik (mehr) sein oder (wieder) werden. Tatsächlich braucht es kein übermäßig brillantes Gedächtnis, um darauf zu kommen, daß Krieg ein gar nicht so abseitiges Mittel der Politik ist; und für einen Gegner dieses Mittels dürfte es auch nicht zu viel verlangt sein, von dem Mittel einen Schluß auf die Zwecke zu ziehen, die ohne Gewalt offenbar nicht auskommen. Mit ihrem Imperativ, so dürfe es aber einfach nicht sein, sind die Kriegsgegner und Friedensfreunde aber schon über jede derartige Folgerung hinaus. Krieg wird von ihnen als Methode verworfen; und jeder unvoreingenommene Blick auf die Sache: auf die Politik, in deren Auftrag die Vernichtung fremder Staatsgewalt immer wieder zum Einsatz kommt, und mit Aufrüstung von langer Hand vorbereitet, der wird verweigert.

Und nicht nur das: Oft genug und so auch im aktuellen Fall wird der politische Zweck, für den Krieg geführt wird, obendrein abgesegnet; er wird nicht bloß nicht kritisiert, sondern sogar in einer harmlos klingenden Fassung gebilligt und für politisch schwer in Ordnung befunden, um daraus die Forderung abzuleiten, diese gute Sache müßte sich doch auch anders, ohne Waffengewalt erledigen lassen. Im Fall des Irakkriegs klammerten sich dessen Gegner an die Vorstellung, es dürfte eigentlich doch nur um eine etwas größere Suchaktion gehen, die von den UN-Inspektoren ganz zivil zu erledigen wäre. Als ob diese "friedliche" Spionage mit UN-Mandat nicht selbst schon das Resultat der ständig gesteigerten Kriegsdrohung gewesen wäre, macht sich eine Friedensbewegung zum Anwalt einer unkriegerischen Verwirklichung der amerikanischen Kriegsziele. Und sogar wenn die US-Regierung unermüdlich versichert, daß die Ziele, um die es ihr geht, wirklich nur mit Krieg zu verwirklichen sind, wollen manche Friedensbewegte davon einfach nichts hören. Nicht kritisch, sondern unbelehrbar und ignorant bestehen sie darauf, Krieg als verfehlte Methode abzulehnen, ohne den Ansprüchen eine Absage zu erteilen, für die Staaten rüsten, für die sie allzeit kriegsbereit sind und nötigenfalls Krieg führen.

Dementsprechend legt sich die Bewegung diejenigen Ansprüche dann auch zurecht, die sie nicht billigt und die sie für den eigentlich doch gar nicht nötigen Krieg verantwortlich macht. Ein anderer, ebenso schlechter Einwand gegen den Krieg ortet nämlich niedrige Beweggründe und macht daran einen Einspruch fest:

Der Einspruch lautet: "Kein Blut für Öl!"

Es gibt den Verdacht, daß die Bush-Regierung ihren Krieg in Wahrheit gar nicht gegen Massenvernichtungswaffen und gegen den Terrorismus führt:

"Ganz offensichtlich geht es den Regierungen der USA und Großbritanniens dabei nicht um Menschenrechte und Demokratie, nicht primär um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus oder um angebliche Massenvernichtungswaffen, sondern um politische und wirtschaftliche Interessen in einer der ölreichsten Regionen der Erde." (Aufruf von Friedensbewegten)

Ob die Friedensfreunde an einem – immerhin: – Krieg für Menschenrechte und Demokratie irgend etwas seltsam finden würden, teilen sie in dem Zusammenhang nicht mit. Sie zählen auf, was sie offenbar für moralisch eventuell vertretbare Motive für einen Militäreinsatz halten würden, gestehen diese edlen Motive den USA nicht zu und äußern einen finsteren Verdacht: Den präventiven Angreifern ginge es statt um Werte und ideale Ziele, um Interessen, um schnöde materielle Interessen "in einer der ölreichsten Regionen der Erde". Und wieso braucht es wegen solcher Interessen einen Krieg?

"Mit einer Invasion wollen sich die USA den Zugriff auf das größte Erdölvorkommen der Welt im Irak sichern und ihre Vormachtstellung in der Region weiter ausbauen. Das irakische Regime soll durch eine den US-amerikanischen Ölkonzernen freundliche Regierung abgelöst werden. Ohne Regimewechsel hätten die USA weiter keine Kontrolle über diese wichtigen Vorkommen, während europäische und russische Ölkonzerne schon seit Jahren Verträge mit dem Irak geschlossen haben." ("Nein zum Krieg" – Resist-Kampagne)

Kein Zweifel: Ein Kriegsziel der USA ist in der Tat der gesicherte Zugriff auf die Ölvorkommen in der Golf-Region; schließlich handelt es sich da um den allerwichtigsten Energierohstoff der Weltwirtschaft und insofern um eine bedeutende Quelle des kapitalistischen Reichtums. Das schließt – den recht offenen Ankündigungen der Bush-Regierung zufolge – das Recht der USA ein, nach dem Sieg auch über den geschäftlichen Zugriff auf die irakischen Ölquellen zu entscheiden: Wenn die USA schon Mühe und Kosten von Krieg, Besetzung des Irak und eines Besatzungsregimes auf sich nehmen – alles längst in diversen Szenarios durchgerechnet –, dann wollen sie auch von den Erträgen profitieren, die aus dem Land herauszuwirtschaften sind. Daß sie sich diese Mühe einfach nicht nehmen lassen und die komplette militärische Unterwerfung des Irak herbeiführen, hat seinen Grund in dem äußerst anspruchsvollen Bedürfnis der Weltmacht USA nach Sicherheit ihrer "vitalen Interessen", die sich nicht zuletzt auf die ölreichen Regionen des Globus richten.

Und mit dieser Sicherheit ist weder ein Bin Ladin vereinbar noch ein Saddam Hussein, der sich noch an der Macht hält, obwohl er bereits einen Krieg gegen Amerika verloren hat, und der auf Grund der Reichtumsquellen, über die er gebietet, und trotz Embargo sogar an Mittel herankommt, um sich an der Macht zu halten: Dieser spezielle "Tyrann" muß einfach weg. Den bisherigen Status des sogenannten Öl-Staates – das ist ein Staat, dem, wie der Name schon sagt, das Öl unter seinem Boden gehört, der es selbständig verkaufen darf und die Einnahmen für seine nationalen Interessen verwendet, Auflehnung gegen Amerika inbegriffen – diesen bisherigen Status halten die USA zumindest in der irakischen Variante für unerträglich. Und die Enteignung des irakischen Staates bezüglich seines bisher ihm gehörenden Öls ist schon mit dem "Öl gegen Nahrungsmittel"-Programm der UNO ein Stück weit gediehen. So: Über den Kontrollanspruch der übrig gebliebenen einzigen Weltmacht mit ihren weltweiten Interessen, hängen der "Feldzug gegen den Terrorismus", den die Bush-Regierung ausgerufen und begonnen hat, das Geschäft mit Energieträgern, hinter dem US-Konzerne her sind, und der Krieg gegen Saddam Hussein miteinander zusammen. Die Neuordnung der Ölregion, von der die US-Administration spricht, zielt auf nicht weniger als die Zurückdrängung des arabischen Nationalismus bzw. die völlige Ausschaltung des irakischen Nationalismus aus dem Ölgeschäft. Das berühmte "Recycling" der Petro-Dollar, bei dem bisher den sogenannten "Scheichs" überlassen wurde, wo sie investieren, bzw. was und bei wem sie kaufen, soll wesentlich mehr von den absehbaren Siegern des Krieges erledigt werden, ob mit oder ohne UNO-Einbindung. Und insofern ist in der wohlgeordneten Welt von Demokratie und Marktwirtschaft nichts normaler, nichts passender und angemessener als "Blut für Öl".

Die Friedensfreunde, die aufgebracht über ihre Entdeckung berichten, daß beim Golfkrieg Ölinteressen im Spiel sind und nach einem Sieg der US-Armee amerikanische Unternehmen die besseren Karten haben, meinen es ein bißchen anders. Sie wollen gar nicht aussprechen und kritisieren, daß und inwiefern und warum in der vom Freien Westen kontrollierten Welt die Aufsicht über das Ölgeschäft ein vollkommen hinreichender Kriegsgrund ist; sie wollen ziemlich genau auf das Gegenteil hinaus: auf die Botschaft, so etwas Banales und Berechnendes wie die Eroberung nationaler Vorteile beim Geschäft mit dem Öl dürfe doch kein Kriegsgrund sein. Der objektive und nach allen Regeln des modernen Imperialismus auch objektiv notwendige Zusammenhang zwischen ökonomischen Interessen, politischem Einfluß und militärischem Zuschlagen, der interessiert sie nur in dem einen Sinn: Den Zusammenhang wollen sie nicht gelten lassen, im Sinn von, sie wollen ihn nicht als gültiges nationales Interesse wahrhaben. Ihre Entdeckung, daß sie nämlich in einer Welt leben, in der – über das Interesse des Staates an seiner nationalen Ökonomie – die Kontrolle übers Öl für die maßgeblichen Instanzen der Weltpolitik durchaus einen Krieg begründet, die nehmen sie nicht so richtig ernst und nicht so gewichtig, daß sie deswegen gleich die gesamte Symbiose von Demokratie und Marktwirtschaft samt Ölwirtschaft kritisieren, wie es doch wohl erforderlich und konsequent wäre; weil sie den Krieg offenbar dann leichter ablehnen können, wenn sie ihn als unpassende Ausnahme von der Regel einer im Großen und Ganzen doch friedlichen und nicht so schlimm eingerichteten Weltwirtschaft interpretieren.

Der friedensbewegte Ehrgeiz geht dahin, den gerade selber entdeckten Zusammenhang zwischen Öl und Krieg aufzulösen, die kriegerische Konsequenz einer fürs Weltgeschäft notwendigen Sicherheitspolitik quasi außer Kraft zu setzen, zumindest gedanklich und insbesondere moralisch. Friedensbewegte finden es wichtig, die imperialistischen Kriegsgründe auf alle Fälle sittlich nicht gelten zu lassen, den realen Zusammenhang zwischen Ölkontrolle und Angriffskrieg drastisch ins Unrecht zu setzen: In dieser schönen Welt voller Kriegsgründe, wobei die Herrschaft über Öl- und Reichtumsquellen nicht der abwegigste ist, dürfte ausgerechnet das Ölgeschäft keinen Kriegsgrund abgeben! Die Schäbigkeit des Motivs "Öl!" hat es ihnen angetan; so weit sollte ihrer Ansicht die Welt – die realiter übrigens genau so beieinander ist – dann bitte doch nicht herabsinken, daß sie die Profite von Ami-Konzernen als zureichenden Grund für Krieg durchgehen läßt. Kein Blut bloß für Öl, lautet der Slogan!

Es gibt ein Buch von Lenin, das heißt "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus". Lenin hat das Buch mitten im Ersten Weltkrieg geschrieben, mit einer etwas eigenartigen Stoßrichtung: Er wollte nämlich die Notwendigkeit, die Unvermeidbarkeit des Krieges beweisen. Das ist insofern eigenartig, als der Krieg damals doch gerade voll in Schwung war, gerade geführt wurde, übrigens hauptsächlich von den Proletariern aller kriegführenden Länder. Aber an die, um sie zur Dienstverweigerung zu bewegen, war das Buch primär gar nicht adressiert. Lenin hat vielmehr einen Streit innerhalb der damaligen Arbeiterbewegung geführt, gegen die damalige Sozialdemokratie, die damals schon der Meinung war, auch auf Grundlage des Kapitalismus und unter Beibehaltung dieser Produktionsweise sei "eine andere Welt möglich", eine friedliche nämlich. Demgegenüber hält Lenin – zurecht – daran fest, daß "auf einer solchen wirtschaftlichen Grundlage, solange das Privateigentum an Produktionsmitteln besteht, imperialistische Kriege absolut unvermeidlich sind." So daß also, wie Lenin meint, die sozialistische Revolution die einzig senkrechte Art und Weise ist, um zusammen mit den anderen Schönheiten des Kapitalismus auch die sogenannte "Kriegsgefahr" los zu werden.

Nebenbei, und der Vollständigkeit halber: Das Buch von Lenin ist kein gutes Buch, und insofern ist seine Erwähnung hier auch keine Literaturempfehlung. Der Beweiszweck, die argumentative Absicht von Lenin – Kapitalismus führt zu Krieg – ist zwar völlig richtig, die Durchführung ist ihm aber leider vollständig mißlungen. Das beginnt damit, daß Lenin schon im Titel des Werks den Imperialismus für eine "Phase" des Kapitalismus hält, was nicht zutrifft – das Verhältnis von Kapitalismus und Imperialismus ist nicht das von "vorher" und "nachher", sondern, wenn schon, das von "innen" und "außen": Der moderne Staat ordnet im Inneren den Kapitalismus als Produktionsweise an, und wendet sich nach außen, um im Interesse seines "Kapitalstandorts", im Interesse von dessen "Wachstum" die Schranke zu überwinden, die er selber darstellt, weil seine Herrschaft auf sein Territorium begrenzt ist. Außerdem hat die Interpretation von Lenin, Imperialismus sei das "höchste" Stadium, eine verkehrte Schlagseite, gemeint war nämlich, von nun an ginge es mit dem Kapitalismus nur noch bergab. Und das war schon zu Zeiten des Ersten Weltkriegs verkehrt.

Zurück zum aktuellen Krieg und zu dessen Kritikern. Wenn die Friedensbewegten den Slogan "Kein Krieg für Öl" skandieren, dann klingt das zwar ein wenig nach dem alten Spruch vom Kapitalismus, der notwendig zum Krieg führt – er ist aber genau entgegengesetzt gemeint: Gemeint ist nämlich, daß ein Krieg für Öl auch mitten im Kapitalismus eigentlich nicht sein müßte, daß eine andere, nämlich die bisherige kapitalistische Welt auch ohne Krieg durchaus möglich wäre. Und da sollte man sich entscheiden: Wenn man das Ölgeschäft schon mit dem Krieg in Verbindung bringt – ist der Krieg nun zweckmäßig, so wie Geschäft und Gewalt im Kapitalismus eben zusammengehören, und also Kapitalismuskritik angebracht, oder handelt es sich beim Krieg um einen leicht vermeidbaren Mißgriff? Lenins Argumentation ist zwar in der Durchführung verunglückt, aber was den Kern der Sache betrifft, hat er auch heute recht.