GEGENARGUMENTE

MIT SOZIALER GERECHTIGKEIT VON PENSIONSKÜRZUNG ZU PENSIONSKÜRZUNG

Durch die geplante Pensionssicherungsreform sollen die Pensionen in Österreich radikal gekürzt werden. Trotz der radikalen Einkommenseinbußen, die das für die künftigen Pensionisten bedeutet, regt sich in Österreich kein Widerstand gegen die Pensionskürzungen. Darüber, dass Pensionskürzungen notwendig sind, besteht in der gesamten Republik Einigkeit – von der Regierung angefangen bis hin zur rotgrünen Opposition, dem ÖGB und weiten Teilen der Bevölkerung. Was aber gefordert wird – am mächtigsten vom ÖGB – ist eine sozial gerechte Pensionsreform. Dass Pensionisten ihre Pension brauchen, ihnen also eine Pensionskürzung nicht zuzumuten ist, das ist offensichtlich für niemand in der Republik ein Argument. Demgegenüber wollen wir in der heutigen Sendung folgende Fragen beantworten:

Eine Pensionsreform muss sein! Warum eigentlich?

Die Pensionen sind unfinanzierbar, verkündet die Regierung! Dass das Pensionssystem reformiert werden muss, sagt auch der ÖGB. Und alle wissen, dass damit nur eines gemeint ist: die Pensionen müssen runter und die Beitragsjahre müssen rauf. Wobei natürlich so wie schon bisher nicht garantiert werden soll, dass man die erforderliche Anzahl an Beitragsjahren überhaupt schafft. Das hängt von den Bedürfnissen der Wirtschaft ab und geht die Bundesregierung mitsamt der Konsequenzen für das Auskommen der Arbeitnehmer in ihrer sogenannten aktiven Zeit wie im Alter nichts an. Landauf, landab regt sich nicht der leiseste Einwand, niemand widerspricht! Allen scheint es selbstverständlich, dass die Verarmung der Alten ein unhintergehbares Sachgesetz ist.

Als Haupt- und Generalargument wird dabei von allen Seiten auf die Alterspyramide verwiesen. Immer weniger Junge müssen in Zukunft immer mehr Alte erhalten, heißt es. Daher müssen die Pensionsansprüche einfach herunter. Damit wird – auch wenn das niemand auffallen mag – ein Paradoxon formuliert, das Paradoxon nämlich, dass trotz der enormen Zunahme des produzierten sachlichen Reichtums, trotz mehr produzierter Autos, mehr hergestellter Waschmaschinen und Geschirrspüler und was der nützlichen Dinger mehr sind, die Alten ärmer gemacht werden müssen. Von den für Otto Normalverbraucher weniger nützlichen Dingern wie Kampfflugzeugen, Atomkraftwerken und Fabrikshallen noch einmal ganz abgesehen. Das ist erklärungsbedürftig, sollte man meinen. Wie ist sowas möglich?

Nicht für die Öffentlichkeit. Und das ist auch ganz sachgerecht. Sie weiß nämlich, dass all der produzierte Reichtum einfach nicht für diejenigen da ist, die ihn produzieren und die ihn brauchen, sondern dafür, durch ihren Verkauf ihrem Eigentümer den produzierten Gewinn in Geld zu realisieren. Wie selbstverständlich geht sie deshalb in ihren Berechnungen nicht vom produzierten Reichtum, sondern vom verdienten Lohn aus. Einzig der kommt für sie als Finanzierungsquelle der Pensionen in Frage. Die Größe, die schon den Lebensunterhalt der Aktiven zu einem Rechenkunststück macht, muss zusätzlich noch die – weil zu alt oder zu teuer und überhaupt nicht oder nicht mehr ausreichend lohnend - vom Kapital ausrangierten Arbeitnehmer finanzieren. Klar, dass dann immerzu zuwenig Geld für die Pensionisten da ist, dass jeder Pensionist mehr oder jeder Beitragszahler weniger im Rahmen dieser Logik immer nur nach der einen Konsequenz schreit, die in regierungsamtlichem Zynismus Sicherung des Pensionssystems genannt wird. Nur hat das eben rein gar nichts mit dem Verhältnis von Alt zu Jung, sehr viel, um nicht zu sagen alles, mit der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer staatlichen Verwaltung zu tun.

Weil die laufenden Produktivitätssteigerungen im Kapitalismus den Unternehmern einzig dazu dienen, an ihren Lohnkosten zu sparen, um ihre Positionierung in der Konkurrenz zu verbessern, führen sie nicht zu mehr Reichtum in Arbeitnehmerhand, nicht zu einer Vergrößerung des finanziellen Spielraums der Pensionskassen und zu mehr Wohlstand der Alten, sondern sorgen im Gegenteil dafür, dass mit der im Verhältnis zum produzierten Reichtum verringerten Lohnsumme auch die Beitragszahlungen und damit – gemäß der Logik des Generationenvertrages – auch die Pensionen immer weiter hinter diesem produzierten gesellschaftlichen Reichtum zurückbleiben.

Und als Nebeneffekt sorgen die mit den dazugehörigen Kündigungswellen immer löchriger werdenden Beschäftigungsbiographien dafür, dass neben dem Lohn auch die Lohnprozente, auf die Pensionisten überhaupt einen Anspruch haben, nicht in den Himmel wachsen. Mit der bis datto üblichen Praxis, die ausgemusterten Alten nicht der Arbeitslosenkasse zur Last fallen zu lassen und statt dessen in die sogenannte Frühpension umzuleiten, ist die Politik heute unzufrieden und stellt sie deshalb ab. Dadurch entsteht zwar kein einziger neuer Job, billiger sind die Alten dann aber allemal.

So schafft es der Kapitalismus, tatkräftig unterstützt von der Politik, tatsächlich noch lange vor jeder Pensionsreform, aus einer Vergrößerung des gesellschaftlichen Reichtums eine Verschärfung des Ausschlusses nicht nur der Pensionisten von diesem immer größer werdenden gesellschaftlichen Reichtum folgen zu lassen.

Die Position des ÖGB: Pensionskürzungen ja – aber sozial gerecht!

Wer meint, es gäbe genügend Gründe sich die geplanten Pensionskürzungen nicht gefallen zu lassen, der sieht sich mit dem ÖGB als dem Organisator eines Widerstandes der Arbeitnehmer schlecht bedient. Die geplanten Pensionskürzungen einfach zurückzuweisen, kommt dem ÖGB nämlich nicht in den Sinn. Wenn er trotzdem zum Erstaunnen und Ärger einer vom staatstragenden ÖGB streikentwöhnten Öffentlichkeit hier und dort schon einmal sowas organisiert, das an einen Streik erinnert, wenn er seine Mitglieder am Feierabend und damit in ihrer Freizeit in Regen und Hagel demonstrieren lässt, dann auf jeden Fall schon einmal nicht, weil er einfach gegen die Pensionskürzungen antreten würde. Das Motto der Demonstration vom 13.Mai wie überhaupt der gesamten Kampagne des ÖGB gegen die Pläne der Bundesregierung lautet nicht – Gegen Pensionskürzungen! Weg mit den Reformplänen der Regierung und zwar alternativlos. Nein, sein Motto lautet:

"Sozial gerecht reformieren, statt abkassieren – brutal und schlecht"(Losung des ÖGB)

Daran, dass auch der ÖGB Reformen will, ist zu erkennen, dass seine Kriterien dafür, wie eine ordentliche Sozialpolitik zu funktionieren und was sie zu leisten hat, sich gar nicht grundsätzlich von denjenigen der Bundesregierung unterscheiden. Mit der Regierung ist er sich insbesondere darin einig, dass solidarische Pensionsfinanzierung heißt, dass die arbeitende Klasse die Kosten für die Finanzierung ihrer in Pension befindlichen Alten selbst abzudecken hat. Und wenn dann das Geld, das so hereinkommt, nicht für die Finanzierung der Pensionen in der bisherigen Höhe reicht, dann sind auch nach seiner Ansicht nicht höhere Löhne nötig, damit die Aktiven trotz ihrer Abzüge gut leben und die Pensionisten ordentliche Pensionen erhalten. Stattdessen fordert dann auch er eine Pensionsreform. Und wie man es dreht und wendet, das läuft in jedem Fall auf ein, wie der ÖGB sowas nennt, Abkassieren raus. Der ÖGB will das nicht so gesehen haben. Man muss, so seine Position, der von der Regierung geplanten Reform nur einen Schuss "Soziale Gerechtigkeit" verpassen und schon wird aus dem Abkassieren der Regierung eine sozial verträgliche und nachhaltige Sicherung der Pensionen, auf die insbesondere die Jungen ein Recht haben. Aber wo endet denn für den ÖGB die sozial verträgliche Reform und wo beginnt das Abkassieren? Was unterscheidet eine sozial gerechte Reform, wie sie der ÖGB fordert, von der Reform der Bundesregierung? Kurz, wie sieht sie aus, die vom ÖGB eingeforderte soziale Gerechtigkeit?

Die Regierung plant die Verlängerung des Durchrechnungszeitraumes von 15 auf 40 Jahre. Und der ÖGB? Der sorgt sich um die dann wichtige Frage der Aufwertung länger zurückliegender Versicherungszeiten. Die Regierung plant die Senkung der Steigerungsbeträge. Und der ÖGB? Der findet es gemein, wenn sie auch rückwirkend wirksam wird. Die Regierung will die Frühpension abschaffen. Und der ÖGB? Der hält das – nein, man ahnt es schon, auch das hält er nicht für grundsätzlich inakzeptabel, aber doch nicht bei der jetzigen Arbeitsmarktlage. Usw. Usf.

Keiner der Eckpunkte der Pensionskürzungsmaßnahmen der Regierung wird von ihm von Grund auf abgelehnt. Im Gegenteil. Was der ÖGB reklamiert ist die Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten Gesichtspunkte bei der Durchsetzung der von der Regierung geplanten Maßnahmen. Er möchte die Kürzungen nicht verhindern, er möchte dabei mitreden. Keine der Verschlechterungen soll einfach umgesetzt werden, ohne dass sie auch seine Handschrift tragen. Dann wäre auch er zufrieden.

Was die Pensionisten davon haben? Eine falsche Frage, darum geht es überhaupt nicht. Wann immer, so wie jetzt von der Gewerkschaft, soziale Gerechtigkeit beim Reformieren eingefordert wird, sind Verschlechterungen der nicht bekämpfte sondern akzeptierte Ausgangspunkt. Die sollen nicht verhindert, sondern gestaltet werden. Dann geht es aber eben immer nur um eines, um die angeblich sachgerechte Verteilung der verordneten Opfer.

Daran, dass eine massive Verlängerung des Durchrechnungszeitraumes - von den derzeit 15 auf die laut Plan der Regierung künftighin besten 40 Arbeitsjahre – eine ebenso massive und auch genauso gemeinte Kürzung der Pensionen nach sich zieht, soll der Vorschlag der Gewerkschaft, weiter zurückliegende Versicherungszeiten besser aufzuwerten, gar nichts ändern. Aber unter dieser Bedingung würde auch der ÖGB laut eigener Aussage der Verarmung der Alten die Attribute "gerecht und sinnvoll" nicht verwehren können. Dass dann die Arbeitnehmer ihre weniger erfolgreichen Arbeitsjahre ein zweites Mal - nun pensionsmindernd – ausbaden dürfen, ein einziger Akt ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen! Und was macht eine Verarmung schon erträglicher, als das Wissen, sie verdient zu haben?

Auch dagegen, dass eine Senkung des Steigerungsbetrages – also jener Prozentpunkte, um die der Pensionsanspruch pro geleistetem Arbeitsjahr ansteigt – die Pensionen ein weiteres Mal senkt, hat der ÖGB nichts auszusetzen. Auch er sieht ein, dass statt wie bisher 40 künftig 45 Arbeitsjahre nötig sind, um in den Genuss dieser sowieso schon verringerten Höchstpension zu kommen. Ob die Arbeitnehmer die erforderlichen Beitragsjahre überhaupt schaffen, das interessiert auch ihn an dieser Stelle nicht. Nur, dass Herr und Frau Arbeitnehmer sich nicht ordentlich auf ihre Verarmung im Alter einstellen können, das hält er für unfair. Wenn schon auf sonst nichts, so doch wenigstens darauf haben Herr und Frau Arbeitnehmer, wenn es nach dem ÖGB geht, ein Recht, rechtzeitig zu wissen, wie schlecht es im Alter um ihre Pension bestellt ist. Für dieses Stück sozialer Gerechtigkeit tritt er ein. Entschieden, wie es immer so schön heißt! Rückwirkende Entwertung lehnt er daher ab und belegt sie sogar ganz keck und mutig mit dem Titel Pensionsraub.

Und wenn die Regierung ein von Staat und Wirtschaft gern angewandtes Mittel ältere und damit zu teure Arbeitnehmer los zu werden – die vorzeitige Alterspension - abschaffen möchte, alles was auf diesem Feld zu tun war ist offenbar getan und überhaupt hat sich manches, was jetzt im Nachhinein den Geruch von Rücksichtnahme auf die Arbeitnehmer trägt, aufzuhören, dann hat der ÖGB recht eigentlich betrachtet auch daran nichts auszusetzen. Aber doch nicht bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage, so sein etwas kindischer weil absichtsvoll an der Sache vorbeigehender Einwand. Genau darum, ältere und zu teuere Arbeitnehmer kostengünstig los zu werden, geht es der Regierung ja. Wer wüßte das besser als der ÖGB, der doch die bisherige und nun wegen immer noch zu hoher Kosten veraltete Methode der Frühpensionierung immer mitgetragen hat. Aber der ÖGB wäre nicht der ÖGB, wenn er sich diese Gelegenheit, Arbeitsplätze zu fordern, entgehen ließe. Ein höheres Gut als Arbeitsplätze kennt der ÖGB ohnehin nicht. Daher wäre der ÖGB auch der Letzte, der was gegen die Verlängerung des Arbeitslebens und die damit einhergehende Verkürzung des Pensionistendaseins einzuwenden hätte, gäbe es nur genügend Arbeitsplätze. Dann könnten noch so viele Arbeitsjahre - 37 ½ Jahre und mehr - im Dienste des Kapitals nicht genug sein. Nur eines findet er gleich doppelt gemein. Erst den Arbeitnehmern ihr laut Gewerkschaft dringlichstes Bedürfnis nach einem Arbeitsplatz nicht zu erfüllen und sie dann auch noch für dieses, der Regierung zur Last gelegte Versäumnis, büßen zu lassen.

Würden all diese Gesichtspunkte berücksichtigt, dann, ja dann, wäre die Pensionsreform sozial gerecht, eine echte Pensionsreform, die den Namen verdient, die die Pensionen auch für die künftigen Generationen sichert. Drängt sich ein wenig die Frage auf, woran genau man nun merkt, dass ausgerechnte die geplante Pensionsreform mit den Adaptierungen des ÖGB gerecht wäre? Eine nicht zu knappe Kürzung der Pensionen, gerade der künftigen Generationen, kommt ja auch mit den gewerkschaftlichen Adaptierungen allemal raus. Aber das ist eben offenbar gar nicht der Punkt. Nicht die Schädigung der materiellen Interessen seiner Arbeitnehmer ist es, die ihn wegen mangelnder sozialer Gerechtigkeit bis hin zum angedeuteten Streik auf die Palme bringt. Da ist mit ihm unter dem Titel "leider notwendig" vieles möglich. Aber diese Verschlechterungen ohne seine Mitwirkung durchzuziehen, das kann doch nicht der Ernst der Regierung sein. Und soweit sie es doch versucht, steht er nicht an, ihr vorzuführen, was ihr doch nur dank seines Wirkens alles erspart bleibt. Der soziale Friede sollte der Regierung doch die Mitsprache des ÖGB wert sein! Zum Leidwesen des ÖGB geht dieser Beweiszweck nicht, ohne ein bisschen daran zu erinnern, wie ein Streik aussehen könnte.

Die Pensionskürzung durch Durchrechnung über 40 Jahre mit den vom ÖGB geforderten höheren Aufwertungsfaktoren, ist zwar nach wie vor eine Pensionskürzung, aber eine, die eben unter Mitwirkung des ÖGB zustandegekommen ist. Geringere Steigerungsbeträge bleiben geringere Steigeungsbeträge, aber erst der ÖGB hat für den nötigen Vertrauensschutz gesorgt. Und auch der Zwang länger zu arbeiten bleibt der Zwang länger zu arbeiten. Aber der ÖGB war dabei. Das Unrecht, das der ÖGB bekämpft, beginnt für ihn eben genau dort, wo sein Recht auf Mitwirkung bestritten wird. Nicht den Angriff auf die Pensionen will der ÖGB abwehren, sondern den Angriff auf die ihm jahrezehntelang zugestandenen und neuerdings durch die Bundesregierung bestrittenen Mitspracherechte bei den politischen Entscheidungen in diesem Land. Und dass es darum und um sonst nichts geht, das sagt er auch ganz unverblümt. In den Worten der GÖD:

"Wie die Alternativvorschläge zeigen, ist die Sicherung der künftigen Pensionen für die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst ein wichtiges Anliegen. Eine Reform dieser Tragweite und dieser Größenordnung darf jedoch nicht als kurz- bis mittelfristige Budgetsanierungsmaßnahme angelegt sein, sondern muss vom Interessenausgleich zwischen Jung und Alt sowie vom Ziel der sozialen Gerechtigkeit getragen werden. Deshalb ist für dieses Vorhaben eine breite Akzeptanz und damit die umfassende Einbindung der Sozialpartner unabdingbar. "Speed kills" in diesem Zusammenhang geht zu Lasten der Qualität und der Gerechtigkeit." (aus "Pensionsreform: "So nicht annehmbar!" in GÖD, Mai 2003)

Was kann man daraus über den Zweck gewerkschaftlicher Alternativvorschläge lernen? Geht es bei diesen Alternativvorschlägen um ihren Inhalt? Geht es der Gewerkschaft wenigstens bei dem, was sie fordert – und was das taugt, ist ja hinlänglich klargestellt -, um die Forderung? Keine Rede davon. Wenn die Gewerkschaft ihre Alternativvorschläge macht, dann nicht einfach, weil sie meint, genau darauf käm es jetzt aber wirklich ganz entscheidend an. Mit ihren Alternativvorschlägen verfolgt sie ein ganz anderes Anliegen, sie dienen dazu, zu zeigen, wie wichtig ihr das Thema Pensionsreformen ist. Dass es die Forderungen gibt, das ist für den ÖGB das eigentlich Entscheidende. An die Adresse der Bundesregierung gerichtet, stellen sie das Material dar, an dem diese beweisen kann, wie ernst sie es mit dem Interessensausgleich meint. Dafür braucht es einerseits ganz eigene Vorschläge, Vorschläge die sich von denjenigen der Regierung unterscheiden. In jedem Fall müssen es aber Vorschläge für die Bewältigung der von der Regierung ausgerufenen Problemlage sein. Schließlich will der ÖGB nicht den Konflikt, sondern seine Anerkennung durch die Regierung als wesentlicher Sozialpartner, als eines Sozialpartners, an dem die Regierung aus eigenem Interesse nicht vorbei kann. Das ist der ganze Inhalt der von der Gewerkschaft geforderten sozialen Gerechtigkeit. Dann ist die soziale Gerechtigkeit gewährleistet, gemäß der Losung: Pensionskürzungen immer, aber nicht ohne die Mitwirkung des ÖGB. Sachfremd wären umgekehrt Forderungen, die den Arbeitnehmern wirklich was bringen würden. Sie kommen daher auf keinen Fall in Betracht.

Wem nützt soziale Gerechtigkeit?

Was taugt also die Forderung nach einer sozial gerechten Pensionsreform wie sie vom ÖGB erhoben wird? - Vor allem dazu, dass die Pensionskürzungen unter Mitwirkung und Zustimmung des ÖGB zustandekommen. Schließt man sich also dessen Protest an, geht es nicht darum, Verschlechterungen des Pensionsrechtes für sich zu verhindern. Dass für ein solches Anliegen der Titel "soziale Gerechtigkeit" ein fragwürdiges Motto ist, könnte einem allein schon daran auffallen, dass doch alle - von der Regierungsparteien angefangen, bis zu den Oppositionsparteien und sonstigen Kritikern wie Befürwortern der geplanten Maßnahmen - im Namen der Gerechtigkeit unterwegs sind. Die Regierung kürzt im Namen von Beitragsgerechtigkeit und einer gerechten Pension für die junge Generation die Pensionen und die SPÖ stellt dem Regierungsmodell ihr Modell der Pensionsgerechtigkeit gegenüber. Der FPÖ fehlt für eine gerechte Reform noch der eine oder andere Abstrich bei Politikerpensionen usw. Gerechtigkeit rangiert in der Werteskala von Politikern also ganz oben und ist als Kritik an der Modernisierung des Sozialstaates höchst anerkannt, um nicht zu sagen willkommen. Das Schöne an diesem Wert ist nämlich, dass er die Politik unwidersprechlich zu jeder Beschränkung von Interessen berechtigt, wenn sie dabei nur Gerechtigkeit walten lässt.

Wer gegen diese Beschränkung seiner Interessen im Namen der Gerechtigkeit antritt, der relativiert aus freien Stücken die eigenen materiellen Interessen an den Notwendigkeiten eines Allgemeinwohls. Der akzeptiert, dass es Wichtigeres gibt als seine eigenen Sorgen und Nöte. Als ob nicht der Umstand, dass es sich etwa bei der Pension um das einzige Einkommen der nicht mehr Aktiven handelt, von dem nach wie vor nicht nur Wohnung, Nahrung, Kleidung, Freizeitgestaltung sondern mit zunehmendem Alter auch so mancher Betreuungsbedarf zu bezahlen ist, Argument genug wäre, nicht nur keine Pensionskürzung, sondern eine Pensionserhöhung zu verlangen.

Klar, mag schon sein, man ordnet sich diesem Allgemeinwohl nicht ohne Hintergedanken unter. Natürlich meint jeder, seinem Anliegen gerade dadurch eine besondere Wucht verleihen zu können, dass es nicht bloß als das eigene Anliegen daherkommt, sondern als das der ganzen Gesellschaft – der Sozietät. Aber wird man nicht gerade damit erst recht geständig, wie wenig die eigenen Anliegen zählen. Just dann, wenn man etwa merkt, wie wenig die eigene Pension sich mit den Zwecken der Gesellschaft verträgt, hält man die Notwendigkeiten der Gesellschaft für einen gelungenen Berufungstitel! Dagegen lohnt es sich, sich klar zu machen, dass, wo immer zwei moralische Anspruchstitel aufeinanderprallen, es noch allemal die überlegene Gewalt ist, die darüber entscheidet, was in allgemeinem Interesse ist und was nicht, welchen moralischen Ansprüchen demgemäß Gültigkeit zukommt und welchen nicht.

Gegen die staatlich durchgesetzte soziale Gerechtigkeit will auch der ÖGB nicht antreten, unabhängig von der Streikbereitschaft der Arbeitnehmer. Das käme schließlich einer Aufkündigung des sozialen Friedens gleich – und das kommt für ihn keinesfalls in Frage. Dem gilt im Gegenteil seine ganze Sorge. Dass er aber wenigstens moralisch im Recht ist, darauf will er nicht verzichten. Oder in den Worten eines führenden Gewerkschaftsfunktionärs laut Format Nr.23, 6.6.2003:

"Wir haben die Auseinandersetzung mit der Regierung zwar verloren – aber mit Anstand und nicht kampflos."

Dieser Standpunkt bringt zwar den Arbeitnehmern nichts, aber wenigstens der ÖGB gehört zu den Siegern – moralisch gesehen.

Man sieht, Einwände der Sorte "unsozial" und "ungerecht" taugen nur zu einem, als die passende demokratische Begleitmusik einer Politik, die die Lebensbedingungen weiter Schichten auf ein immer niedrigeres Niveau senkt.