GEGENARGUMENTE

DAS VOLKSBEGEHREN "SOZIALSTAAT ÖSTERREICH"

Einleitung

Der Sozialstaat galt einmal als eine große Errungenschaft. Durch ihn wurde angeblich der Kapitalismus gezähmt und heißt deshalb seit damals "Soziale Marktwirtschaft".

Heute werden nun Stimmen laut, die den Sozialstaat in seiner heutigen Form in Frage stellen. Allenthalben wird sogar die Meinung vertreten, dass er in seiner heutigen Verfassung eine einzige Behinderung seiner angeblich ureigensten Ziele sei. Die völlige Abschaffung des Sozialstaates fordert – zumindest bis heute – trotzdem niemand.

So bekennen sich Politiker aller Parteien nach wie vor zu ihm. Insbesondere dann, wenn sie wieder einmal daran gehen im Namen seiner Sicherung sozialstaatliche Leistungen zu kürzen, wenn sie also etwa neue Selbstbehalte im Gesundheitsbereich einführen, Arbeitslosengelder und Pensionen kürzen und die gesetzliche Sozialversicherung um eine private Vorsorge ergänzt wissen wollen.

Immer wenn Regierungen darangehen, derartige, Reformen genannte Schritte, zu setzen, sehen sich verantwortliche Staatsbürger dazu aufgerufen, den Staat vor den Folgen seines Tuns zu warnen. Jüngstes Beispiel dafür ist das in der Woche vom 3. bis 10.April 2002 stattfindende Volksbegehren "Sozialstaat Österreich" mit dem Ziel der Verankerung des Prinzips der Sozialstaatlichkeit in der österreichischen Bundesverfassung.

Wir wollen im weiteren folgenden Fragen nachgehen:

Was ist vom guten Ruf des Sozialstaates zu halten?

Tatsächlich beseitigt der Sozialstaat keinen einzigen der vielen Sozialfälle dieser Republik. Worin besteht denn das Glück, vom Staat sozial betreut zu werden? Darin, dass man ohne staatliche Fürsorge noch ärmer dran wäre? Das stimmt zweifellos. Diesem Sachverhalt ist jedoch nur zu entnehmen, dass den von Sozialleistungen Abhängigen alle Mittel, ihren Unterhalt zu bestreiten, entzogen sind. So schreiben die Proponenten des Sozialstaatsvolksbegehrens in ihrem Aufruf, dass

"Arbeitslosigkeit nicht zu Armut und Ausgrenzung führen darf; Gesundheit für jede(r) mann/frau leistbar sein muss; Pensionen sicher sein müssen..."(Flugblatt Volksbegehren) usw.

Ohne diese Armut der tagtäglichen Lohnarbeit, noch lange vor dem tatsächlichen Eintritt eines der sogenannten Wechselfälle des Arbeitnehmerlebens, bräuchte es und gäbe es keinen Sozialstaat. Diese normale Armut aller Arbeitnehmer ist also die Kehrseite und Grundlage des Sozialstaates. Sie wird durch den Sozialstaat nicht aus der Welt geschafft sondern nur verwaltet.

Statt also den Sozialstaat dafür zu loben, dass er die ständig auftretende Armut mehr oder minder erfolgreich bekämpft, sollte man besser folgende Frage stellen, von der die Freunde des Sozialstaates immerzu nichts wissen wollen: Wie kommen sie denn immerzu zustande, die massenhaften sozial Schwachen, die der staatlichen Obsorge bedürfen? Oder anders, worin hat denn die dauerhafte Armut ihren Grund?

 

Wie kommen sie denn immerzu zustande, die vielen sozial Schwachen?

Anders als allgemein behauptet findet der Staat die Armut nicht vor und betreut sie dann mehr oder weniger erfolgreich. Es verhält sich genau umgekehrt. Er schafft Armut, weil nur so der Reichtum wächst, auf den es ihm ankommt.

Der Staat schützt mit seiner Gewalt das Eigentum. All jenen Bürgern, die über keinen Reichtum in ausreichendem Umfang verfügen, bleibt damit als einzige Alternative, sich ein Einkommen zu verschaffen, der Dienst am fremden Reichtum. Von einem oftmals in Sonntagsreden von Politkern, Wirtschaftskämmerern und Vertretern des ÖGB beschworenen "harmonischen Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Wohle aller" kann daher bereits im Ausgangspunkt keine Rede sein. Das vom Staat mit seiner Garantie des Eigentums in Kraft gesetzte Produktionsverhältnis bringt einerseits eine beständig zunehmende Masse an Reichtum hervor. Auf Seiten der Arbeitnehmer steht dem die Notwendigkeit zu lebenslanger Arbeit gegenüber.

Den so zustandekommenden Reichtum schätzt der Staat als Quelle seiner eigenen ökonomischen und politischen Macht. Der Erfolg der in seinem Einflussbereich angesiedelten Wirtschaft verschafft ihm die Mittel, die er zur Durchsetzung seiner politischen Ziele nach Innen ebenso wie nach Außen braucht. Deshalb verhilft er - mit der Verpflichtung aller auf die Anerkennung des Eigentums - nicht nur der kapitalistischen Produktionsweise zum Durchbruch, er unterstützt und fördert diesen Reichtum darüberhinaus wo immer er kann. Dabei weiß er, dass der Lohn der Arbeitnehmer einen Abzug von dem Reichtum darstellt, auf den es ihm ankommt, und dass er daher notwendig und dauerhaft so knapp ausfällt, dass er zum Leben nur reicht, solange kontinuierlich gearbeitet wird. Und er weiß auch, dass dieser Zwang zur lebenslangen Lohnarbeit alles andere ist als eine Garantie, sich auch tatsächlich als Arbeitnehmer betätigen zu können:

Für diese, gar nicht zufälligen und erst durch das Tun des Staates in die Welt kommenden Wechselfälle eines Arbeiterlebens, sorgt der Staat als Sozialstaat vor. Warum und wie er das macht, soll im weiteren besprochen werden.

Was sind die Leistungen des Sozialstaates?

Der Unmöglichkeit, von Lohnarbeit zu leben - also der Unmöglichkeit, als noch rüstige Arbeitskraft für das Alter, für den Krankheitsfall und für Zeiten der Arbeitslosigkeit vorsorgen zu können - begegnet der Staat mit dem gesetzlich geregelten Sozialversicherungswesen.

Finanziert werden diese Kassen aus dem Lohn derer, die sie beanspruchen müssen. Das sonst so gerne in Anschlag gebrachte "Verursacherprinzip", das eindeutig auf die Kapitalisten zurückverweisen würde, gilt in diesem Fall überhaupt nicht. Vielmehr verordnet der Staat den "lohnabhängig Beschäftigten" eine Zwangssolidarität, indem er eine Umverteilung von Geld innerhalb der lohnarbeitenden Bevölkerung vornimmt. Mit ihren Beiträgen zu den diversen Kassen, die der Staat seinen lohnabhängigen Bürgern im Wissen um ihren dauernden Mangel an Geld gleich an der Quelle abziehen lässt, sollen die Kranken, Alten und Entlassenen finanziert werden. Er behandelt damit die Lohnabhängigen als Klasse, die insgesamt vom österreichischen Lohn zu leben hat. Damit macht er das Paradoxon praktisch, dass das, was für den einzelnen nicht reicht, für die Klasse als ganze reichen muss.

Zunehmende Arbeitslosigkeit und Krankheit sind dann eine Belastung dieses Kassenwesens und auch die längere Lebenserwartung unserer Alten ist für Sozialpolitiker nicht nur Grund zur Freude. Ewig knappe Mittel machen es unumgänglich notwendig, jeden einzelnen Fall sorgfältig daraufhin zu überprüfen, ob tatsächlich ein Versicherungsfall vorliegt und wenn ja in welchem Maße Unterstützung gewährt wird. Einzelfälle, die durch die sogenannten "Maschen des sozialen Netzes" fallen, können zwangsläufig nicht ausbleiben, für die Erhaltung der Klasse als ganzes ist aber gesorgt. Wer der wahre Nutznießer des Sozialkassenwesens ist, ist damit klar: das Kapital. Dank sozialstaatlicher Betreuung der Arbeiterklasse findet es zu allen Zeiten Arbeitnehmer in ausreichender Menge und ausreichender Qualifikation vor. Und mehr wird dann wohl der Zweck des Sozialkassenwesens nicht sein.

Die Rücksichtslosigkeit der Marktwirtschaft gegen ihre lohnabhängige Mehrheit wird also durch ihre sozialstaatliche Betreuung nicht nur nicht abgeschafft, sondern vielmehr als Prinzip anerkannt. Die anfallenden Unkosten werden unter Schonung von Unternehmensbilanzen und Staatskasse auf die in Frage kommenden Opfer verteilt.

Dieses Sozialkassenwesen will auch die jetzige Bundesregierung nicht abschaffen, wenn sie in ihrer Regierungserklärung schreibt:

"Wir vertreten den Standpunkt, dass es zum Wesen einer sozialen Gesellschaft gehört, denjenigen zu helfen, die unzureichend oder gar nicht zur Selbsthilfe fähig sind. Moderne Sozialpolitik steht dabei im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Verantwortung, von Leistungsbereitschaft und Solidarität."(Österreich neu regieren, S17)

Die Aufgaben der Sozialkassen neu bestimmen will sie aber schon. Die zunehmend löchriger werdenden Beschäftigungsbiographien - längere Zeiten der Arbeitslosigkeit, zunehmende Teilzeitarbeit, Zunahme geringfügiger Beschäftigung usw. - und die zunehmende Verbilligung der Beschäftigten durch Arbeitszeitflexibilisierung und Lohnsenkungen führen dazu, dass das an den Lohneinkommen durchgezogene Zwangssparen immer weniger ausreicht, die Lohnarbeiterklasse in ihren zunehmenden sozialen Notlagen nach den bisher geltenden Grundsätzen zu erhalten.

Eine Erhöhung der Beiträge schließt die Regierung mit dem Verweis auf steigende Lohnnebenkosten – jenes Teils der Sozialabgaben, den die Unternehmer zu entrichten haben – aus. Um den Wirtschaftsstandort Österreich für das Kapital attraktiver zu machen ist im Gegenteil sogar die Senkungung dieser Lohnnebenkosten geplant. Da auch eine Finanzierung aus Steuermitteln für die Regierung nicht in Frage kommt, ist dies gleichbedeutend mit der Entscheidung, die Arbeiterklasse nicht mehr im bisherigen Umfang zu erhalten.

Im Bereich der Krankenversicherung bedeutet dies, dass die Kostensteigerungen ausschließlich den Leistungsbeziehern über Selbstbehalte und Ambulanzgebühren angelastet werden. Im - wie es in der Regierungserklärung heißt - "Spannungsfeld zwischen Freiheit und Verantwortung" dürfen sich die Leistungsempfänger seither die Frage stellen, ob die Behandlung ihrer Leiden aus ökonomischer Sicht wirklich notwendig ist.

Im Bereich der Altersvorsorge hat die Regierung den in der Regierungserklärung angekündigten "Vorrang der Vorsorge vor Fürsorge" wahrgemacht. Seitdem können sich die künftigen Pensionisten sicher sein, dass sie sich von der - zu einer von drei Säulen umdefinierten - staatlichen Pension mehr als das bloße Überleben nicht zu erwarten brauchen. Dafür dass das so ist, sorgt die seit Jahren laufende und fortgesetzte Senkung des Rentenniveaus durch Erhöhung der Durchrechnungszeiträume, die Einführung und Erhöhung von Abschlägen bei Frühpensionen, die Streichung von Anrechnungen wie Studienzeiten usw. In Hinkunft soll man zusätzlich von einer - eigens durch defacto Enteignung der Abfertigung eingeführten – 2.Säule namens Betriebspension und einer 3.Säule namens Privatvorsorge, also insgesamt von einem kapitalgedeckten Pensionssystem abhängen. Wenn eine abnehmende aktive Bevölkerung für eine zunehmende Zahl von Alten aufzukommen hat, wenn gleichzeitig den Unternehmern von Staats wegen "Belastungen" erspart werden müssen und der Staat seinerseits auch keine Steuermittel für die Finanzierungslücke aufwenden will, dann müssen die Arbeitnehmer eben zusehen, auf welche neue Weise sie mit dem Risko ihres Alters fertig werden.

Die Arbeitslosenversicherung wird zunehmend als Hindernis für Beschäftigung behandelt. Es wird klargestellt, dass Arbeitslosengeld eben nicht als bloßer Einkommensersatz für beschäftigungslose Zeiten gedacht ist, sondern nur dafür gezahlt wird, dass man als Arbeitskraft fürs Kapital erhalten wird. Daher werden ständig neue Anforderungen an die Arbeitslosen formuliert, an deren Erfüllung sie ihre Arbeitswilligkeit unter Beweis stellen müssen. Zumutbarkeitsbestimmungen werden überprüft und korrigiert. Und für Arbeitslose, für die langfristig keine Beschäftigung für das Kapital in Aussicht ist, wird der verpflichtende Arbeitsdienst angedacht.

Zusammengefasst heißt das:

Weil immer größere Teile der Arbeiterschaft nicht mehr gebraucht werden, werden sie ganz entlang der Bestimmung des Sozialstaates als einer Einrichtung die dafür sorgen soll, dass das Kapital die benötigte Arbeitermannschaft vorfindet, auch nicht mehr erhalten. Wie von der Regierung angekündigt, wird der Sozialstaat damit nicht abgeschafft, sondern den veränderten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen angepasst.

Was will das Sozialstaatsvolksbegehren?

Die dargestellte Politik der Bundesregierung ist für die Betreibern des Volksbegehrens "Sozialstaat Österreich" Anlass zur Sorge. Sie begründen ihre Initiative wie folgt:

"Mit dem Hinweis auf wirtschaftliche Zwänge läuft in Europa seit Jahren eine Offensive zur Schwächung des Sozialstaats. Politik kürzt Leistungen, schwächt Institutionen und untergräbt den Grundsatz der Solidarität.

Propagiert wird die Eigenvorsorge im Fall von Krankheit, Unfall .... Armutsbekämpfung bleibt Lippenbekenntnis.

Neue Probleme wie die soziale Absicherung atypisch Beschäftigter .... werden nicht als Herausforderungen an einen modernen Sozialstaat begriffen. ....

Diese Entwicklungen unterminieren den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Denn individuelle Freiheit und Demokratie bedürfen der materiellen Absicherung durch den Sozialstaat. ....

Sozialstaatliche Politik ist für die meisten Menschen in unserer Gesellschaft unverzichtbar."(Homepage des Volksbegehren Sozialstaat: Warum ein Volksbegehren Sozialstaat)

Die Betreiber des Volksbegehrens machen sich keine Illusionen über den Charakter der nach freiheitlichen und demokratischen Grundsätzen verfassten Gesellschaften Europas. Ohne sozialstaatliche Absicherung würde jede Krankheit und jeder Unfall, jeder Fall von Arbeitslosigkeit ebenso wie der unvermeidbare Umstand des Alterns ziemlich unmittelbar eine Bedrohung der Existenz der betroffenen Arbeitnehmer bedeuten. Die Betreiber des Volksbegehrens wissen daher, was die von der Regierung teilweise schon durchgesetzten, teilweise erst noch geplanten sozialpolitischen Maßnahmen wie die Kürzungen des Arbeitslosengeldes und der Pensionen, ständig steigende Selbstbehalte im Gesundheitsbereich usw. für die Arbeitnehmer bedeuten.

Mit einer Sorge um das Wohlergehen, der auf die sozialstaatlichen Leistungen angewiesenen Bevölkerung, ist die von ihnen vorgetragene Kritik an der herrschenden Politik aber nicht zu verwechseln. Zwar erinnern die Betreiber des Volksbegehrens an die Not der Arbeitslosen oder an die Lage der ständig wachsenden Zahl atypisch Beschäftigter, für die nur eines sicher ist, dass sie vom Verdienten immer weniger auch nur die tagtäglichen Auslagen bestreiten können. Ihre Sorge gilt aber nicht den von der dargestellten Armut betroffenen Arbeitnehmern, ihre Sorge gilt dem Zusammenhalt und zwar ausgerechnet der Gesellschaft, die die laufenden Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen hervorbringt.

Als Freunde der individuellen Freiheit möchten sie den Staat davor warnen, nur ja nicht zu übersehen, dass die Praktizierung dieser Freiheit nicht nur jede Menge Reichtum in den Händen derjenigen hervorbringt, die die Wirtschaft heißen - "Österreich zählt ohne Zweifel zu den weltweit wohlhabendsten Gesellschaften" schreiben sie auf ihrer Homepage – sondern, auf Seiten der Arbeitnehmer für ein Ausmaß an Armut sorgt, das ohne ihre sozialstaatliche Betreuung die Funktionsfähigkeit und Haltbarkeit der Gesellschaft selbst in Frage stellen könnte. Wenn sie den Staat daran erinnern, dass "Sozialstaatliche Politik .... für die meisten Menschen in unserer Gesellschaft unverzichtbar" ist, dann nicht deshalb, weil sie auf den Grad an Armut in einer der reichsten Gesellschaften hinweisen wollen, sondern deshalb, weil sie den Staat davor warnen wollen, durch allzu rigide Kürzungen sozialstaatlicher Leistungen niemand anderen als sich selbst zu schwächen. Im Namen des Zusammenhaltes der Gesellschaft fordern sie ihn daher dazu auf für die notwendige Solidarität auch der Nutznießer der Verhältnisse mit ihren Opfern zu sorgen.

Mit ihrem Volksbegehren treten sie also als Fachleute in Sachen schädlicher Wirkungen der Marktwirtschaft auf die Arbeitnehmer an. Durch die Verankerung des Prinzips der Sozialstaatlichkeit in der Verfassung möchten sie gewährleistet wissen, dass der Sozialstaat auch hinkünftig der ihm von ihnen zugedachten Aufgabe als Stütze und Schild von Freiheit und Demokratie nachkommen kann, damit auch für die Zukunft sichergestellt ist, dass aus den gewussten und in Kauf genommenen Schädigungen der Arbeitnehmerinteressen keine Schädigung der Gesellschaft wird.

Zwar weiß die Politik, dass sie den Sozialstaat nicht dafür einrichtet, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu gewährleisten. Als Mittel dafür hat sie ihre exekutive Gewalt. Sich um diesen Zusammenhalt zu sorgen gilt ihr aber als ein hochanständiges und anerkennenswertes Anliegen. Niemand Verantwortlicher, der sich ihm verschließen müsste, kein Politiker, der das Volksbegehren daher nicht unterschreiben könnte, auch und gerade all jene, die über die Jahre hinweg genau durch ihre Politik für den Zustand gesorgt haben, der jetzt in seinen Resultaten als potentielle Gefährdung des Zusammenhaltes der Gesellschaft besprochen wird.

Der Text des Volksbegehrens

passt genau zum Anliegen seiner Proponenten. Beantragt wird folgende Ergänzung des Artikels 1 der Österreichischen Bundesverfassung:

"Österreich ist ein Sozialstaat.

Gesetzgebung und Vollziehung berücksichtigen die soziale Sicherheit und Chancengleichheit der in Österreich lebenden Menschen als eigenständige Ziele.

Vor Beschluss eines Gesetzes wird geprüft, wie sich dieses auf die soziale Lage der Betroffenen .... auswirkt (Sozialverträglichkeitsprüfung). ..."

Durch die Anfügung dieses Absatzes sollen der jetzigen ebenso wie künftigen Bundesregierungen die Hände gebunden werden, wenn es darum geht Gesetze zu erlassen, die sich auf "die soziale Lage" und "den gesellschaftlichen Zusammenhalt" auswirken. Nicht in dem Sinn, dass irgendein derartiges Vorhaben einer Regierung auch nur ernsthaft behindert werden soll. Dafür, dass das nicht so ist, sorgt nicht nur die Einführung der neuen Bestimmung in die Verfassung als Staatsziel, also in den Rang von Bestimmungen, die allerhöchstens "als Auslegungsregeln für Zweifelsfälle zu verstehen" sind. Dafür ist darüberhinaus auch durch den Inhalt der Bestimmung selbst noch einmal extra Sorge getragen. Schließlich ist eine Überprüfung der Auswirkungen eines Gesetzesvorhabens auf die soziale Lage nicht mit der Verhinderung der damit einhergehenden Verschlechterungen zu verwechseln.

Dass sich das Volksbegehren gegen nichts und niemanden richtet und noch nicht einmal gegen die von der jetzigen blau-schwarze Bundesregierung durchgesetzten Verschlechterungen der Lage der arbeitenden Klasse Österreichs Opposition einlegen möchte, kann man schließlich auch noch der gewählten Form des Protestes entnehmen. Durch ein Volksbegehren wird der Gesetzgeber schließlich zu nichts weiter verpflichtet als dazu, den in Form eines Gesetzesentwurfs vorliegenden Antrag parlamentarisch zu behandeln, übrigens genau jener Gesetzgeber, der schon für die bisherigen Verschlechterungen verantwortlich zeichnet.

All das wissen auch die Betreiber des Volksbegehrens. So wird etwa Universitätsprofessor Tàlos auf der Homepage des ÖGB folgendermaßen wiedergegeben:

"Wir meinen nicht, es gäbe keinen Sozialstaat in Österreich, aber wir wollen eine Diskussion darüber, was mit Sozialstaat gemeint ist."

Tàlos gibt damit zu Protokoll, dass das worum es geht eben nicht die Durchsetzung sozialpolitischer Meilensteine oder wenigstens die Verhinderung zukünftiger Verschlechterung der Leistungen ist, auf die die Arbeitnehmer angewiesen sind. Ihm und seinen Mitstreitern geht es darum, dass darüber was Sozialstaat sein soll, diskutiert wird. Der Erfolg ist dem Volksbegehren schon mit seinem Stattfinden sicher!

Was die Proponenten des Volksbegehrens erreichen möchten ist eben etwas völlig anderes, als die Verhinderung künftiger Verschlechterungen der Lage der Arbeitnehmer. Immer dann, wenn Regierung und Gesetzgeber wieder einmal darangehen, die soziale Lage von Herr und Frau Österreicher zu verändern, immer dann sollen Bundesregierung und Gesetzgeber niemand anderem als sich selbst gegenüber Rechenschaft darüber ablegen, ob das zu beschließende Gesetz wirklich nur die Auswirkungen auf die soziale Notlage der Betroffenen hat, die auch tatsächlich gemeint sind.

Resümee:

Im Volksbegehren Sozialstaat betätigt sich nicht ein politischer Wille, der die zunehmende Verarmung der hiesigen Bevölkerung bekämpfen will, sondern ein selbstbewußter Untertanengeist, der Staat – das Subjekt dieser Veramung – auf die Gefahren aufmerksam machen will, die ihm daraus erwachsen könnten. Wer sich dem nicht anschließen will, wer zwischen gegensätzlichen Interessen und "Problemen, die uns alle angehen" zu unterscheiden weiß, wer erkannt hat, dass der Kapitalismus durch seine sozialstaatlichen Einrichtungen nicht menschenfreundlich wird oder wer sonst mit uns über die heutige Sendung diskutieren will, der möge sich mit uns über unsere E-mail-Adresse: gegenargumente@chello.at oder über unsere Homepage www.gegenargumente.at in Verbindung setzen.