GEGENARGUMENTE

Verschwörungstheorien:
Abweichende Meinungen zu „nine/eleven“

An hintergründigen Theorien darüber, was an jenem 11. September 2001 wirklich passierte, fehlt es nicht. Zwei Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center haben auch renommierte Verlage und namhafte Autoren – so z.B. der Geheimdienstexperte und frühere deutsche Minister Andreas v. Bülow – eine Reihe von Bestsellern auf den Markt gebracht, die einem „ungeheuren Verdacht“ nachgehen: Ließ die amerikanische Regierung die Anschläge sehenden Auges geschehen, oder hat sie die Anschläge womöglich selbst inszeniert? Haben die „geopolitischen Schachmeister“ im Weißen Haus „zwei Türme“ geopfert, um die „globale Vorherrschaft“ zu erringen?

Verschwörungstheorien ...

„Cui bono?“ – „Wem nützt es?“ – fragen sich diese Autoren und gelangen zu einem eindeutigen Befund:

„Die wichtigste Spur zur Aufklärung eines Verbrechens ist das Motiv. Während man Fingerabdrücke, Telefonanrufe, Funksprüche, Trümmerteile und sogar Leichenteile präparieren oder nach Gutdünken verschwinden lassen kann, kann das Motiv niemals verschwinden. Denn ohne Motiv hätte es die Tat niemals gegeben. Man kann höchstens versuchen, falsche Motive zur Verfügung zu stellen, um das wahre Motiv zu überlagern. Auch in Sachen 11.9. sind falsche und echte Motive im Umlauf. ... Zieht man eine nüchterne Bilanz nach dem „Wem nützt es“-Prinzip, stellt man fest, dass fast die ganze Welt nur Nachteile durch die Anschläge hatte. ... Die einzigen Staaten, denen die Angriffe vom 11. September wirklich nützen, waren die Vereinigten Staaten und Israel. Die USA nutzten die einmalige Gelegenheit und die Legitimation, um den gesamten Globus in den Griff zu bekommen. Sie konnten von ihrer verheerenden wirtschaftlichen Situation und von den hausgemachten Finanzskandalen ablenken sowie gleichzeitig Rettung im Zugriff auf die Ölquellen der arabischen Welt suchen.“ (Gerhard Wisnewski, Operation 9/11, S. 289ff.)

Mit der Frage nach dem „Motiv“ beginnen die abweichenden Theorien zum 11. September, und mit ihr sind sie im Grunde genommen auch schon wieder fertig: Weil die USA ihre Kriege mit den Anschlägen rechtfertigen, schließen die Autoren daraus: die Bush-Administration muss die Anschläge inszeniert oder zumindest zugelassen haben. Dabei sind sie ihrer Sache so sicher, dass sie mit dem Argument „cui bono?“ alle nicht zu dieser Beschuldigung passenden Umstände zu einem bloßen Schein erklären, von dem sie sich nicht beirren lassen. Jeder unpassende Sachverhalt wird geleugnet bzw. in das Weltbild eingebaut: Alles ist nicht nur Schein, sondern ein zweckmäßig konstruierter Schein, eine bewußt gelegte „falsche Spur“, eine „Fälschung“. Aus den propagandistischen Benutzern der Tat werden so Verbrecher und Verschwörer, die ihre böse Tat mit einem Gespinst aus „Lügen, Täuschungen und falschen Spuren“ überziehen, das von „Brainwashington D.C.“ um so feiner gewoben sein muss, je mehr der Augenschein ihm widerspricht. Kurz: Ist der Verdacht erst einmal in der Welt, „verdichtet“ er sich ganz von selbst und ist kaum mehr zu erschüttern. Die Autoren bestehen ja ausdrücklich darauf, dass wegen des Vertuschens und Verschleierns der US-Behörden niemand genau wissen kann, was da wirklich passiert ist – und sie sprechen sich so ein Stück weit frei von der Pflicht zum Nachweis ihrer Behauptungen; ihre Anklage kann sich damit bescheiden, Zweifel an der offiziellen Version zu verbreiten. Zeugenaussagen, Akten, Presseberichte, Tatfotos usw. werden auf „Ungereimtheiten“ befragt. Jede Unstimmigkeit gebiert neue „offene Fragen“, und das Aufwerfen von so vielen offenen Fragen beweist schon zur Genüge, dass man sie zu Recht aufgeworfen hat und an der Sache etwas oberfaul sein muß.

Das kann zwar nur die überzeugen, die sich gern überzeugen lassen und schon halb überzeugt sind, ist aber umgekehrt auch nicht widerlegbar, zumal die Stichhaltigkeit jedes einzelnen Beleges ohnehin nicht weiter wichtig ist.

... und ihr Motiv

Denn die Urheber der Verschwörungstheorien selbst können sich das „Unvorstellbare“, die Inszenierung der Anschläge durch US-Instanzen, auch nicht primär wegen dieser „Häufung von Ungereimtheiten“, sondern deswegen so gut vorstellen, weil sie die Konsequenzen nicht billigen, zu denen sich Amerika nach den Anschlägen berechtigt sieht:

„Es wäre vermessen, Vorgeschichte und Tat des 11. 9. in allen Einzelheiten ohne die Hilfe aus den Riesenapparaten des FBI, der CIA, der NSA oder des Mossad aufklären zu wollen. Doch die Zweifel an der offiziellen Version reichen aus, um der amerikanischen Regierung bei ihrer Darstellung des Geschehens und der daraus abgeleiteten politischen wie militärischen Strategie eines ‘Weltkriegs’ schlicht die Gefolgschaft zu verweigern. Diese Strategie gefährdet ... den globalen Frieden. Schließlich drohen nicht nur ‘Präventivkriege’ des extrem aufgeblasenen amerikanischen Militärapparats, sondern auch die Beseitigung der Vereinten Nationen als ausgleichender Faktor zwischen den Nationen, es droht die Zerstörung des über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte entwickelten Völkerrechts.“ (v. Bülow, Die CIA und der 11. September, S. 10).

An der außenpolitischen Linie, die Amerika unter Berufung auf den 11. 9. eingeschlagen hat, bemerkt v. Bülow die Abwendung von der etablierten internationalen Geschäftsordnung – die ihm jetzt und im nachhinein gleich als Hort des Friedens und der internationalen Gerechtigkeit erscheint. Die offiziellen Gründe für diesen gefährlichen Akt der Zerstörung einer ihm lieb gewordenen Weltordnung – „Kampf gegen den Terrorismus“ – will er so nicht gelten lassen, und prompt findet er die Wahrheit in den Strategie-Papieren amerikanischer Außenpolitiker:

„Die Pläne, lange vor dem 11. 9. 2001 von maßgeblichen Vertretern der derzeitigen amerikanischen Administration diskutiert und schriftlich niedergelegt, ... zielen auf die Sicherung eines Jahrhunderts globaler amerikanischer Weltherrschaft, die Eindämmung der Milliardenvölker Chinas und Indiens, die Verhinderung des Aufstiegs konkurrierender Gegenmächte auf dem eurasischen Kontinent und schließlich den Zugriff auf die Lagerstätten des Öls, den knapper werdenden Rohstoff von strategischer Bedeutung, und die damit verbundene Finanzmacht. Die Bush-Administration nutzte die Ereignisse des 11. 9., ohne auch nur einen Moment zu zögern, um diese schon vorab formulierte Politik im Zuge des Kampfes gegen den Terror durchsetzen und rechtfertigen zu können.“ (v. Bülow, S. 8)

Über den Imperialismus der USA macht sich v. Bülow also nichts vor – und wenn es ihm um Gründe und Ziele des amerikanischen Kriegsprogramms ginge, dann hätte er eine beachtliche Liste beieinander und wäre im Grunde genommen schon fertig. Aber so ist es eben nicht. Ausgerechnet die kriegerische Neuordnung der Welt, bei der es, wie er selber schreibt, um nichts als um US-Interessen, um imperialistische Konkurrenzmanöver, um Macht und Gewalt geht, die meint er kritisch daraufhin überprüfen zu müssen, ob sie denn wirklich wegen des Terroranschlags passiert. Obwohl sie dagegen sind, wollen v. Bülow u.a. die Rechtmäßigkeit eines solchen „Krieges gegen den Terror“ nicht umstandslos verneinen – sondern sie steigen sehr konstruktiv und affirmativ ein in die Prüfung, ob der ungeheuere Bruch mit den Praktiken der Weltpolitik wegen eines ebenso ungeheueren, noch nie da gewesenen Angriffs auf das amerikanische Territorium vielleicht doch in Ordnung gehen könnte.

Denn auch und erst recht diesen Kritikern der USA scheint das Recht offizieller Staatsgewalten, inoffizielle „terroristische“ Angreifer und unbotmäßige Staaten zu vernichten, so selbstverständlich zu sein, dass sie gar nicht bemerken, wie sehr sich das unterschiedliche moralische Gewicht der beiden gewalttätigen Seiten in den Augen der Weltöffentlichkeit auf die Größe und den Erfolg ihrer jeweiligen Gewalt stützt, und auf sonst gar nichts. Auch den radikalen Gebrauch, den Bush vom Rechtstitel „Krieg gegen den Terror“ macht, finden die Autoren nicht hinreichend entlarvend. Wenn Amerika den Abbruch zweier Hochhäuser zum Anlaß nimmt, den gesamten Globus als Gefechtsfeld zu definieren und unter dem Stichwort „Krieg gegen den Terror“ die Unantastbarkeit seiner Macht der übrigen Welt als Friedensbedingung zu diktieren, dann glauben die Autoren den Amis zwar nicht, dass dieser Vorfall wirklich der Grund der „Antwort“ war – konsequent dagegen anzustinken trauen sie sich aber nur, indem sie behaupten, dass es den Anlaß in Wahrheit gar nicht gegeben hat.

Da melden sich eben doch keine Feinde des Imperialismus, sondern Idealisten des bisherigen Völkerrechts und alternative Euro-Nationalisten zu Wort, die dem ärgerlichen Imperialismus der überlegenen Vormacht die Berechtigung absprechen. Leute, die weder dem Niedermachen inoffizieller „terroristischer“ Kämpfer noch dem gewalttätigen Weltordnen etwas Schlechtes nachsagen wollen, die also am Inhalt der amerikanischen Politik nichts auszusetzen finden, meinen dem Krieg schlagend nur widersprechen zu können, wenn sie die Fakten bestreiten, aus denen die Bush-Administration die Rechtfertigungen des Kriegs bastelt: Bülow und die anderen Fanatiker des gerechten Krieges gegen den Terror wüßten gegen ein brachiales Recht auf weltweite Selbstverteidigung und präventives Zuschlagen keine Einwände vorzubringen, wenn der Angriff auf die Türme wirklich in der dargestellten Weise stattgefunden hätte. Und umgekehrt – wer aus dieser Geisteshaltung den Gangstern in Washington dennoch nicht recht geben will, muß sich an den „Ungereimtheiten“ der „offiziellen Version“ zu schaffen machen!

Dass die das Vertrauen der Welt nicht verdienen, runden Verschwörungstheoretiker (Bröckers, Wisnewski, v. Bülow) gern mit einem Charakterbild von Bush und seiner Mannschaft ab, das mit den Anschlägen des 11.9. und den aktuellen Kriegen endgültig überhaupt nichts mehr zu tun hat. Abschweifungen bringen die Autoren so richtig in Fahrt und zum Kern der Sache: Da erfährt man – von einem anderen Autor – etwa, dass George Bush Mitglied in der gleichen „reaktionären Neuengland-Brüderschaft“ ist, in deren Auftrag schon Großvater Prescott Bush „den Schädel des Apachenhäuptlings Geronimo als Trophäe gestohlen“ hat, der später auch noch „einer der wichtigsten Finanziers und Unterstützer des Naziregimes wurde“ (Bröckers); oder dass US-Geheimdienste „aufs Engste mit der organisierten Kriminalität und dem illegalen Waffen- und Drogenhandel verstrickt“ sind (Bröckers und Wisnewski), und vor allem, dass die Administration mit den Attentätern beste Beziehungen unterhielt („Pack schlägt sich – Pack verträgt sich: die Bush-Bin Laden-Connection“; „Bush und Bin“; „Alte Kameraden“: alle unisono). Eine solche Administration hat sich durch die Zusammenarbeit dem Bösen diskreditiert! „Selber Terrorist!“, rufen die Autoren und wissen genau, was sie davon zu halten haben, wenn eine solche Regierung sich auf eine so heilige Sache wie den Kampf gegen Terroristen beruft.

Damit ist das Weltbild komplett und nach Auffassung der Autoren auch alles Nötige zu den laufenden Kriegen gesagt: Bei einer Macht, der man ihre Rechtstitel nicht glauben will, sieht man konsequent nur noch den Verstoß gegen Recht und Moral: Welche Interessen die USA auch haben mögen – dieser Macht geht es „nur“ um die Macht, also um das „nackte Interesse“ und, schon wieder unbekleidet, um die „nackte Gewalt“, oder um eine „unverfälschte Machtpolitik ohne Bindung an Moral und Gesetz“ moniert v. Bülow, offenbar ein Anhänger von „Interessen“, die mit viel „Moral“ zur Behübschung bekleidet wurden (v. Bülow, S. 226). Es wird zum „Angriff auf den Globus“, den unschuldigen, geblasen; der Kampf gilt nicht dem Terrorismus, sondern „der Zivilisation“, der braven. „Befindet sich die führende Schicht der USA im Blutrausch?“, fragt Wisnewski (S. 349).

Der ganz normale Wahnsinn I: Verschwörungstheorien und ihre Kritiker

Die Verschwörungstheorien zum 11. September mögen populär sein – in der demokratischen Öffentlichkeit haben sie einen schlechten Ruf. Von der konservativen NZZ („Amoklauf einer entfesselten konstruktivistischen Phantasie“) bis zur alternativen taz („Für manche ist das Leben wunderbar einfach“) fühlt sich die seriöse Presse herausgefordert, eine Art Gegen-Gegenöffentlichkeit zu bilden und mit den „wilden Verschwörungstheorien“ aufzuräumen. Allerdings: Das Verfahren, die Weltmacht an ihren eigenen Begründungen bzw. Sprachregelungen zu blamieren, haben die Verschwörungstheoretiker nicht selbst erfunden, sondern aus der etablierten Presse übernommen. Wer hat denn seine Leser mit Enthüllungen darüber vertraut gemacht, dass es bei den ausgreifenden Aktionen der Weltmacht „in Wahrheit“ nicht um den ehrenwerten Kampf gegen den Terrorismus, sondern eben „bloß“ darum geht, „die Ölfelder zu besetzen“, oder „von den schlechten Wirtschaftsdaten abzulenken“ oder das Image des Präsidenten „im Kampf gegen sinkende Umfragewerte“ aufzupolieren? Wer bescheinigt denn unentwegt der amerikanischen Propaganda ihre mangelnde Glaubwürdigkeit und sieht „George Bush in Beweisnot!“ – nur weil dessen Spezialisten im besetzten Irak die gesuchten „weapons of mass destruction“ nicht finden können?! Wo die seriöse (europäische) Presse den USA mehr oder weniger offen den Mißbrauch des Terroranschlags zur Durchsetzung nationaler Interessen vorwirft, da gehen die Verschwörungstheoretiker nur den einen Schritt weiter, und stellen die Frage nach der Authentizität dieses „Vorwandes“ selber!

Offensichtlich handelt es sich bei der Unfähigkeit, die Politik anders als aus dem Blickwinkel der staatlichen Moral- und Propagandatitel wahrzunehmen, nicht um die Verschrobenheit einiger journalistischer Außenseiter, sondern um eine Berufskrankheit. Die demokratische Öffentlichkeit hat es sich zur Gewohnheit gemacht, über Politik in erster Linie unter dem Gesichtspunkt ihrer Übereinstimmung mit ehrwürdigen Prinzipien nachzudenken; sie kennt nichts anderes aus der Welt der Politik als die Dichotomie eines schönen Scheins – für den sie viel übrig hat – und des dazugehörigen Verdachts, es könnte sich dabei um bloßen Schein handeln. Weil sie an der Fassade der Politik hängt, ist sie anlaßbezogen auch bereit, sie zur bloßen Fassade zu erklären, die es zu durchschauen gilt. Daß man Politikern, und vor allem ausländischen Politikern, sowieso nichts glauben darf, ist ein journalistischer Gemeinplatz, erst recht nicht, wenn die Typen lauter noble und ehrwürdige Motive beanspruchen. Die Ziele der Politik erfährt man daher nicht in Pressekonferenzen oder entnimmt sie den politischen Taten – Einblick in die „wahren“ Absichten der Mächtigen erhält man durch ausgestreute „Indiskretionen“ – denen man allerdings nicht leichtsinnig auf dem Leim gehen darf! – sowie durch „Insiderinformationen“ – ein modernes Wort für die frühere Kammerdienerperspektive.

Dem Blick „hinter die Kulissen“ zeigt sich dann das immergleiche Bild: Hinter der Fassade der Verantwortung für das Gemeinwesen tummeln sich „Parteiengezänk“, „Gerangel um Posten“, „Vetternwirtschaft“ und wie die sonstigen Pseudonyme für das Fehlen von Verantwortung heißen. Eine kritische Öffentlichkeit scheut nicht davor zurück, das politische Programm in einer Klassengesellschaft zur bloßen Täuschung zu erklären: Die Erfüllung einer ehrenwerten Tagesordnung werde nur fingiert, während es den Politikern in Wahrheit „bloß“ – als ob das ein Gegensatz wäre! – um den eigenen Machterhalt gehe. In dem Bedürfnis, sich „nichts vormachen zu lassen“, konsumiert die Leserschaft Publikationen, die sich um die Verwechslung von Gründen mit Hintergründen, von Kritik mit Entlarvung verdient machen. Leute, die an ihrem Vertrauen in Marktwirtschaft und Demokratie nicht rütteln lassen, sind voller Mißtrauen gegen die Verantwortungsträger und sehen liebend gern hinter Ereignissen der Zeitgeschichte verborgene Kräfte walten: Der Tod von Lady Di – ein Mordanschlag; die Mondlandung der NASA – in der Wüste nur fingiert usw. usf.

Wenn die Verschwörungstheoretiker dennoch mit solchen Vorwürfen überhäuft werden, dann liegt das nicht daran, dass sie die Bandbreite des gewohnt Absurden, sondern dass sie den Boden des politisch Opportunen verlassen. Bei aller Verbitterung im alten Europa über den neuen Kurs „unserer amerikanischen Freunde“: Die provokante Theorie, der neue Weltenherrscher im Weißen Haus hätte, wie das eine klassische Verschwörungstheorie dem römischen Kaiser Nero nachsagt, die eigene Metropole mit friendly fire belegt, um einen Vorwand für die Errichtung eines „neuen amerikanischen Jahrhunderts“ zu schaffen – diese Behauptung ist dann doch zu giftig, um von den europäischen Juniorpartnern der USA diplomatisch, und von der seriösen Presse dieser Länder journalistisch vertreten zu werden.

Der ganz normale Wahnsinn II:
Verschwörung und Verschwörungstheorie in der Weltgeschichte

Die brutalsten Scherze macht aber immer noch das Leben selbst: Während die Welt des bürgerlichen Journalismus ihre alternativen Verschwörungstheorien ausheckt, ist die Welt des Imperialismus voll von praktisch wirksamen Verschwörungstheorien. Die Mutter aller Verschwörungs­theorien zu „9/11“ kommt übrigens direkt aus dem Weißen Haus und faßt nicht nur ein komplettes Weltbild, sondern auch ein Weltkriegsprogramm in eine griffige Metapher. Die Rede ist von der „Achse des Bösen“, mitsamt deren „Massenvernichtungswaffen“.

Wie bei jeder Verschwörungstheorie aus dem Innersten der Macht nimmt auch die „Achse des Bösen“ ihren Ausgang in der Auffassung, die nationalen Interessen der USA wären eine zutiefst berechtigte Angelegenheit, hätten also naturgemäß schrankenlos und absolut zu gelten. Dabei lässt es sich God´s own country nicht nehmen, das Attribut „berechtigt“ gleich in ein eigenständiges Subjekt zu verwandeln: Das ist die Geburtsstunde des Guten, das fortan höchstpersönlich als Auftraggeber der Interessen firmiert, die sich von Amerika aus über den Globus erstrecken. In deren Sinn ist die Welt zu ordnen, und überall dort, wo amerikanische Direktiven nicht als fraglose Grundlage der jeweiligen Staatsräson willkommen geheißen werden, beginnt die Welt der „Schurkenstaaten“. Die vergehen sich an dieser Ordnung, und ihre Staatsräson ist daher ein Verbrechen: das Böse. Daß Amerika sich an denen stört, wird so wahrgenommen, daß deren wahre Staatsräson darin bestünde, das Reich des Guten zerstören zu wollen.

Mit der „Achse des Bösenwird obendrein das Bild einer Weltverschwörung gezeichnet, in der die einzelnen Schurkenstaaten nicht nur böse, sondern auch noch zu einem geheimen Kollektiv des kämpferischen Antiamerikanismus verbunden sind – mögen die so bezeichneten Staaten sich auch gleichgültig bis feindlich gegenüberstehen wie der Irak und der Iran, die gegeneinander immerhin einen zehnjährigen Krieg geführt haben. Egal: Staaten produzieren „weapons of mass destruction“, um sie an Geheimbünde weiterzuleiten, die sie hemmungslos einsetzen können, weil sie nichts zu verlieren haben. Können UN-Waffeninspektoren diesen Staaten trotz intensiver Suche den Besitz solcher Waffen nicht nachweisen, so beweist das erst recht deren Heimtücke und Hinterlist – das Weltbild ist so wasserdicht wie es Verschwörungstheorien eben sind.

Als Theorie ist die amerikanische Version der Ereignisse also nicht weniger hirnrissig als die von Bülow und Co.: Wo im einen Fall der Mossad und die CIA, werden im anderen Fall Saddam Hussein und die Taliban als Täter hinter dem Täter identifiziert. Aber die Verschwörungstheorie aus dem Weißen Haus zielt nicht darauf, ein moralisches Weltbild ins Recht zu setzen, um sich dann mit dem Lauf der Welt abzufinden. Im Unterschied zu einer Weltsicht, die sich das normale Volk bei Gelegenheit leistet, paßt bei einer zum Krieg entschlossenen Weltmacht der Verfolgungswahn nicht nur zu ihren Interessen, sondern ist auch höchst praktisch gemeint: Die US-Administration macht blutigen Ernst mit ihrem moralischen Fundamentalismus, der in der Welt nur noch das Gute – das deswegen zu jeder Scheußlichkeit berechtigt ist – und das Böse kennt, das keine Existenzberechtigung hat. Mit Krieg lässt sie ihr Unwerturteil über das Böse Wirklichkeit werden und verschafft ihren Interessen praktische Geltung. Und vom Rest der Welt verlangen die USA Gefolgschaft, indem sie den Glauben an ihre Verschwörungstheorie verlangen.

Für diese Weltsicht haben die USA die Anschläge des 11. September als Berufungsmaterial genutzt. Die Katastrophe wird zu einem unvergeßlichen Posten im Gefühlshaushalt der Nation aufgebaut: „Ground Zero“ ist ein Denkmal für die unverbrüchliche Einheit von Volk und Führung, zusammengeschweißt durch einen hinterhältigen Anschlag ausländischer Verbrecher, und ein Sinnbild der Gerechtigkeit der amerikanischen Gewalt, die dieses Verbrechen sühnt. All das ist der amerikanischen Öffentlichkeit so geläufig, dass die bloße Angabe des Datums der Anschläge genügt, um mit „9/11!“ alles abzurufen, was zur Rechtfertigung der laufenden Kriege nötig ist. Diesen Aufwand treibt die amerikanische Administration nicht, weil ein so friedliebendes Volk wie das amerikanische nur durch Lug und Trug zum Krieg verführt werden kann. Umgekehrt: Einleuchten lässt sich das Argument „9/11!“ nur derjenige, der ohnehin bereit ist, für die Geltung der amerikanischen Rechtsansprüche in den Krieg zu ziehen. Genau wie bei den abweichenden Meinungen ist auch bei der staatlichen Propaganda die Parteilichkeit der Vater der Überzeugung; auch hier bekommt die moralische Einstellung nur Anschauungsmaterial geboten, das die Einstellung nicht herstellt, sondern ihr Bestätigung bietet.

Um sich und dem Rest der Welt das eigene Recht auf den jeweiligen Krieg klarzumachen, will sich keine Kriegspartei nachsagen lassen, den ersten Schritt zur Konkurrenz der Waffen ohne Not eingeleitet zu haben; der Glaube, dass immer nur „zurückgeschossen wird“, der gehört zum Selbstbewusstsein jeder Krieg führenden Nation. Die Kriegsgeschichte zivilisierter Nationen ist voller Mythen und Legenden; und zur Geschichte der amerikanischen Kriegseintritte gehört auch eine Reihe inszenierter Zwischenfälle, etwa seinerzeit der berühmte „Zwischenfall von Tonking“ anläßlich der Eskalation des Vietnamkrieges. So schafft sich ein patriotisches Rechtsbewußtsein seine Fakten, und das vaterländische Gemüt bekommt den Betrug, nach dem es verlangt.