GEGENARGUMENTE

Die "Wehrmachtausstellung": Keine Aufklärung über den Krieg gegen die Sowjetunion

Nachtrag zur Ausstellung: Mit dem Kriegsrecht gegen den Vernichtungskrieg?

1.Die alte Legende: Saubere Wehrmacht

2.Die Ausstellung: Es lebe der "normale" Krieg!

3.Das Kriegsrecht: Keine Fessel der Kriegführung

4.Die Besonderheit des Krieges im Osten: Staat = Volk

1.Die alte Legende: Saubere Wehrmacht

Die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944" des "Hamburger Institut für Sozialforschung" ist ein typisches Produkt jener Dauerveranstaltung namens "Vergangenheitsbewältigung", die im Wege der offenen, sogar "schonungslosen" Aufarbeitung des vergangenen Nationalsozialismus dessen gelungene Überwindung durch das gegenwärtige demokratische Deutschland – und Österreich – demonstrieren und so zu dessen Ansehen beitragen will. Das Hamburger Institut für Sozialforschung meint, einen Schwachpunkt dieser Vergangenheitsbewältigung entdeckt und durch die Ausstellung behoben zu haben: Die bisherige Darstellung der "sauberen" Hitler-Wehrmacht soll arg geschönt gewesen sein, und da hat das Hamburger Institut durchaus etwas getroffen. Deutsche Schüler sollten z.B. in den 80er Jahren folgendes über das Verhältnis der Wehrmacht zu den SS-Einsatzgruppen an der Ostfront lernen:

"Die Wehrmacht, die sich als einzige deutsche Instanz in der Regel human gegenüber der Zivilbevölkerung verhielt, war absichtlich so in ihren schmalen Befehlsbereich eingeschnürt worden, daß sie die Situation nirgends zum wesentlich Besseren wenden konnte." (Aus "Informationen zur politischen Bildung" der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1982)

Ausgerechnet die Armee, das Gewaltinstrument des Staates schlechthin, soll nach der früheren Legende "bloß" einen halbwegs normalen, sauberen Krieg geführt haben – und soll sich auf diese Weise geradezu von der Politik der nationalsozialistischen Staatsführung abgesetzt haben! Die Wehrmacht hätte nur dem deutschen Staat gedient, nicht aber dessen rassistischer Politik – als ob das nicht identisch gewesen wäre! Leider war sie obendrein so "eingeschnürt", daß sie ihrer eigentlichen "Humanität" "nirgends" wirklich frönen konnte. So hat die auf die Wiederherstellung der deutschen Ehre erpichte Nachkriegsmoral die Arbeitsteilung zwischen der Wehrmacht und anderen, Himmler unterstellten Verbänden und Polizeieinheiten ausgeschlachtet. Der SS wurde alles angelastet, was über das "normale" Maß an militärischer Brutalität hinausging, und jede Meinungsverschiedenheit zwischen einer Armeedienststelle und den speziell mit Terror beauftragten Brigaden wurde zu einem Indiz der humanistischen Grundhaltung der Wehrmacht aufgeblasen. Demgegenüber vertritt die Ausstellung die zutreffende These, "daß die Wehrmacht als Institution während des Zweiten Weltkrieges an der Planung und Durchführung eines beispiellosen Rassen- und Vernichtungskrieges umfassend beteiligt war."

Die Arbeitsteilung zwischen SS und Wehrmacht war eben wirklich eine Arbeitsteilung, und kein Gegensatz zwischen den Humanisten in Grau und den Bestien in Schwarz. Die Legende über die im Prinzip humane Wehrmacht, die so eingeschnürt war, daß es ihr nicht möglich war, gegen die inhumane SS vorzugehen, die folglich gegen ihr eigenes Ethos in einen "Vernichtungskrieg verstrickt" worden ist – diese Sicht ist allerdings weder das Resultat ungenügender historischer Recherche, noch das Produkt mangelhafter Theoriebildung, und sie ist auch nicht dadurch zustande gekommen, daß Historikern irgendwelche Archive verschlossen waren. Sie ist – auf den ersten Blick erkennbar – das Produkt eines politischen Interesses, das sich die nationalsozialistische Wehrmacht als vom Faschismus leider "mißbrauchte" Armee guter, pflichtgetreuer Soldaten zurechtlegt. Weil sich das moderne Deutschland von der Vernichtungspolitik seines Rechtsvorgängers gegenüber Juden und anderen "Feinden des deutschen Volkes" distanziert, aber selbst viel von einem Militär hält, das dem heutigen Staat ungefähr so ergeben ist wie die Wehrmacht dem damaligen, sollte die Verurteilung der Vernichtungspolitik die Hochschätzung des Instrumentes "Armee" nicht beeinträchtigen. Nach 1945 wurde bald wieder eine neue Wehrmacht gebraucht, und die politisch Verantwortlichen wollten ihr Nachkriegsprojekt nicht durch den "verbrecherischen" verlorenen Krieg moralisch-politisch diskreditiert sehen. Wehrmacht war eben Wehrmacht, die in einem "normalen" Krieg überwiegend ihre "ehrenvolle Pflicht" getan hatte, und die SS war das menschenverachtende Instrument der Vernichtungspolitik des Verbrechers Hitler. In einigen Fällen, in denen einfach nicht zu leugnen war, daß die Wehrmacht ihrem Staat natürlich auch für dessen Vernichtungspolitik zur Verfügung stand, wurde bestritten, daß es sich auch dabei um Fälle soldatischer Pflichterfüllung gehandelt hatte. Zugegeben wurde bestenfalls, daß "Angehörige" der Wehrmacht, aber nicht die Armee als solche an "Säuberungsaktionen" beteiligt waren – und beteiligt nicht an der Durchführung eines militärischen Auftrages, sondern an "Verstößen" gegen militärische Obliegenheiten, beteiligt an "Auswüchsen" unter "Verletzung" der soldatischen Pflicht. Einige dieser Leistungen sind ja auch als Kriegsverbrechen verfolgt worden, natürlich erst nach der Niederlage. So die vor der "Wehrmacht-Ausstellung" ziemlich unbestrittene offizielle Lesart.

Das Hamburger Institut hat die Unangemessenheit dieser Darstellung bemerkt, es will allerdings das zugrundeliegende politische Interesse am deutschen Ansehen nicht thematisieren und kritisieren, sondern dieses seinerseits fördern. Die Botschaft lautet: ‘Wir sind noch nicht fertig mit unserer Vergangenheit. Unsere Glaubwürdigkeit vor uns und vor der Welt steht und fällt mit unserer Bereitschaft, die ganze Schuld zu offenbaren und zu ihr zu stehen.’ Das ist ein gutes neudeutsches, nationalistisches Anliegen. Dieser Nationalismus ist natürlich kein Hurrapatriotismus, er ergreift auch nicht direkt Partei für neudeutsche Kosovo- oder Afghanistan-Kriegseinsätze. Er sorgt sich vielmehr darum, ob das Deutschlandbild auch wirklich den gültigen Maßstäben von einer geläuterten Nation entspricht, und er will die "Vergangenheitsbewältigung" – durch Distanz zur Vergangenheit wird Propaganda für die Gegenwart gemacht, ohne daß diese Gegenwart groß das Thema ist – deswegen glaubwürdiger machen. Also achtet das Hamburger Institut, ob überall eine solide Distanz zur Vergangenheit zur Schau gestellt wird, auch am Fall der Armee – indem es die frühere offizielle Darstellung radikalisiert, und den Vorwurf des "Verbrechens" auf die ganze Wehrmacht ausdehnt: Wo früher zwischen "normaler" Kriegführung und "Auswuchs" unterschieden wurde, besteht die Ausstellung darauf, daß der Krieg im Osten insgesamt ein ziemlicher Auswuchs war. Wo der "normale" Krieg von der "verbrecherischen" Vernichtung unterschieden wurde, besteht die Ausstellung darauf, daß der Krieg vernichtend und die ihn führende Wehrmacht insgesamt verbrecherisch unterwegs war. Wo früher einzelne Missetäter dingfest gemacht wurden, um die Ehre der Wehrmacht zu retten, soll nun die damalige Armee als Institution auf die Anklagebank – und die heutige Armee ist explizit gar kein Thema und wird implizit mit Komplimenten überhäuft, weil sie sich bei ihren heutigen Aufträgen immerhin an die heute gültigen Vorschriften für das Kriegführen hält.

Inzwischen – nach mehreren Jahren der Auseinandersetzung überwiegt wahrscheinlich das Lob der Ausstellung die Kritik von rechts – ziehen die Aussteller daraus eine ziemlich positive Lehre. Sie nehmen sich selbst und ihr Produkt als Beweis dafür, daß Deutschland auf dem richtigen Weg ist. Die öffentliche Anerkennung ihrer Ausstellung ist ihnen Beweis für das geläuterte Deutschland: Weil es die Kritik an der damaligen Wehrmacht geben darf, kann Deutschland heute nicht ganz falsch unterwegs sein.

2.Die Ausstellung: Es lebe der "normale" Krieg!

Der Haupt- und Kardinalfehler der Ausstellung und damit die Grundlegung einer neuen Legende besteht in der Vorstellung, es gäbe den normalen, den rechtlich einwandfreien und insoferne recht ordentlichen Krieg – und an diesem ordentlichen Krieg habe sich die Wehrmacht versündigt:

"Der Krieg gegen die Sowjetunion unterschied sich von allen Kriegen der europäischen Moderne, auch von denen, die die deutsche Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges in anderen Ländern führte. Am 22. Juni 1941 marschierten deutsche Truppen ohne Kriegserklärung in die Sowjetunion ein. Schon im Frühjahr '41 hatten sich Hitler und die versammelte Heeresgeneralität über den besonderen Charakter des zu führenden Krieges verständigt, er war als Weltanschauungskrieg gegen einen als weltverschwörerisch phantasierten ‘Jüdischen Bolschewismus’ geplant. ... Die Sowjetunion als der Feind schlechthin sollte nicht nur militärisch erobert und besiegt, sondern das System des ‘Jüdischen Bolschewismus’ restlos beseitigt werden. Die ideologischen Kriegsziele erforderten nach Auffassung Hitlers eine andere Form der Kriegführung, für die das internationale Kriegs- und Völkerrecht nicht mehr maßgeblich sein könnte. ... Die Wehrmachtsführung erließ daraufhin im Mai und Juni 1941 zentrale Befehle, um die von Hitler geforderte ‘unerhörte Härte’ im Osten zu gewährleisten. Mit dem ‘Kriegsgerichtsbarkeitserlaß’ und dem ‘Kommissarbefehl’ setzte sie für die deutsche Wehrmacht zentrale Bestandteile des damals geltenden Kriegsvölkerrechts außer Kraft und schuf damit die wesentlichen Voraussetzungen für einen bis dahin beispiellosen Rassen- und Vernichtungskrieg. In bewußter Kenntnis der verbrecherischen Folgen ihrer Anordnungen hoben Hitler und das Oberkommando der Wehrmacht den verbürgten Schutz von Zivilisten im Krieg auf und ordneten die Exekution politischer Kommissare an. ... Ausgehend vom damals geltenden Kriegs- und Völkerrecht argumentiert die neue Ausstellung ... Es geht um den Völkermord an den sowjetischen Juden; um das bewußt herbeigeführte Massensterben von mehr als zwei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen; sowie um den Krieg gegen weite Teile der sowjetischen Zivilbevölkerung. Darunter fallen die im Zuge der sogenannten ‘Partisanenbekämpfung’ verübten Verbrechen, als auch die gezielt durchgeführte Ausplünderung und Zerstörung der Sowjetunion, die den Hungertod der städtischen und ländlichen Bevölkerung der Sowjetunion einplante." (Hamburger Institut für Sozialforschung, http://www.his-online.de bzw. http://www.verbrechen-der-wehrmacht.de)

Der Krieg im allgemeinen und auch der Feldzug gegen die Sowjetunion ginge in Ordnung, wenn, ja wenn Hitler eine ordentliche Kriegserklärung zugestellt und die Wehrmacht sich an die einschlägigen Paragraphen gehalten hätte? Diesen – zugegeben etwas demagogischen – Konter hat sich die Ausstellung redlich verdient. Und zwar dadurch, daß sie die zweifellos gegebenen Unterschiede des Krieges im Osten zu andern Kriegen nicht nur erklären will, sondern dadurch, daß sie diese Unterschiede zur speziellen Verurteilung des Krieges gegen die Sowjetunion nutzen will, wodurch eben der "normale" Krieg automatisch als die gültige Regel affirmiert wird, von welcher der Rußlandfeldzug abweicht.

Anders formuliert: Die Ausstellung will den Krieg im Osten leider nicht "nur" kritisieren, sie will vielmehr eine allgemein anerkannte, eine auch von den staatlichen Subjekten des Krieges unterschriebene, unumstrittene Verurteilung erwirken, veranstaltet deswegen ein Tribunal auf Basis des Kriegsrechts, und erklärt den Rußlandfeldzug zu einem Verstoß gegen die Grundsätze des ordentlichen Krieges. Und um dem Einwand zu entgehen, diesen Krieg an Normen zu messen, die damals gar nicht in Kraft waren – eine andere als so eine juristische "Kritik" kennt das Hamburger Institut offenbar nicht –, bedient es sich dafür des "damals geltenden Kriegs- und Völkerrechts". Die Ausstellung bezieht sich damit ausdrücklich positiv auf ein Kriegsrecht, das Terror gegen und die Erschießung von Zivilisten explizit im Angebot hatte, was die Wehrmacht nach Meinung der Ausstellungmacher übermäßig und dadurch "verbrecherisch" genutzt hatte: "Nach damals geltendem Kriegs- und Völkerrecht war es zulässig, Repressalien (Gegenmaßnahmen) gegen die Zivilbevölkerung zu ergreifen und sogar als ‘Sühne’ Geiseln zu erschießen, um Anschläge auf Soldaten abzuwehren und um die Besatzungsherrschaft zu sichern. Die deutsche Wehrmacht nutzte in ganz Europa diese Möglichkeit in einem verbrecherischen Maße." (ebd.) Eine interessante Interpretation – durch die Benutzung des Rechts verbrecherisch zu handeln!

Aber schon diese Berufung auf das "damals geltende" Kriegsrecht gegen die Wehrmacht ist erschwindelt. Immerhin referiert die Ausstellung selber, daß das Dritte Reich das "damals geltende" Kriegs- und Völkerrecht nicht einfach gebrochen, sondern formvollendet außer Kraft gesetzt bzw. durch neue, ab ihrer Einführung "geltende" Bestimmungen ersetzt hatte: "Kriegsgerichtsbarkeitserlaß" und "Kommissarbefehl"; der "Schutz von Zivilisten" im Krieg wurde aufgehoben und die "Exekution politischer Kommissare" angeordnet. Auch was den Krieg anbelangt, hat das Dritte Reich also das normale, das staatlich übliche Verhältnis zum Recht beibehalten, und es schlicht geändert, um es seinen Zwecken anzupassen. Kein Landser konnte das für ihn geltende Kriegsrecht durch die Erschießung von Zivilisten brechen! Das Hamburger Institut teilt die ganz normale und verkehrte Anschauung vom Recht, wonach diese Normierung des Gewaltgebrauchs als eine Beschränkung der staatlichen Gewaltausübung zu verstehen sei, und ignoriert die von ihm selbst am Dritten Reich konstatierte Tatsache, daß jeder Staat sein Recht entlang seiner politischen Zwecke modifiziert, weil er mit dem Recht seinen politischen Zwecken die verbindliche Form gibt! Der souveräne moderne Gewaltmonopolist macht nun einmal die Gesetze und zwingt seine Bürger, sie zu respektieren. Sobald sie ihn wirklich beschränken würden, bricht er sie nicht, sondern novelliert sie – eine zumindest beim Pensions- und Arbeits- und Steuerrecht jedermann geläufige Banalität. Oder er beschließt aus eigener Machtvollkommenheit, sich einfach nicht daran zu halten – neulich bemerkt an der Behandlung der gefangenen Taliban und Al-Kaida-Kämpfer durch die USA: Die gelten nicht als Kriegsgefangene und auch nicht als gewöhnliche Kriminelle; sie leben nicht nur im Käfig, sondern auch in einem rechtsfreien Raum – insofern sie als Feinde der USA aus deren Sicht sowieso jedes Recht verwirkt haben!

3.Das Kriegsrecht: Keine Fessel der Kriegführung

Zuerst einmal gilt das Kriegsrecht gegenüber der eigenen, der ausführenden Mannschaft. Die soll den Kriegszweck respektieren und nur als vollziehendes Organ der Armeeführung, als ihr Vollstrecker funktionieren, und muß deswegen den Unterschied zwischen der befohlenen Gewaltanwendung und etwaigem eigenmächtigem Zuschlagen, womöglich auf private Rechnung, beachten. Die Kriegsgerichtsbarkeit, die auch an der Ostfront des Zweiten Weltkrieges nicht abgeschafft wurde, kümmert sich also um die befehlskonforme Zweckmäßigkeit des Abschlachtens im Gegensatz zu allfälligen anders gelagerten Bedürfnissen und Regungen der eingezogenen Individuen, weswegen bevorzugt Fahnenflüchtige und andere Wehrkraftzersetzer zu ihren Objekten gehören.

Zum anderen reflektiert das Kriegsrecht das Verhältnis zwischen den kriegführenden Parteien – weniger während des Waffenganges, aber um so mehr davor und danach. Nach dem Krieg, wenn es wieder darum geht, die zivilen zwischenstaatlichen Benutzungsverhältnisse einzurichten und den Staaten auffällt, daß deren physische und moralische Grundlagen durch den Krieg schwer gelitten haben, lebt das Bedürfnis nach einem Kriegsrecht auf, das künftige Kriege so regeln möge, daß durch sie ein anschließender brauchbarer Friede nicht verunmöglicht, sondern gefördert würde. Immerhin führen Staaten Krieg, um als Sieger aus dem Ergebnis politischen, territorialen, geostrategischen, ökonomischen Gewinn zu ziehen. Aus diesem Grunde paktieren die potentiellen Kriegsgegner noch in Friedenszeiten, "sinnlose" Zerstörungen und eben solche "Massentötungen" von "unschuldigen Zivilisten" zu vermeiden. In den diesbezüglichen Konventionen verpflichten sich die Staaten also darauf, daß sich die militärische Gewalt aus dem Kriegsziel zu rechtfertigen hat, daß sie nur jene Verwüstungen anrichten wollen, die sie für kriegsnotwendig halten, und sie untersagen sich Kriegshandlungen, die sich nur gegen die feindliche Bevölkerung richten – zumindest sollte dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, denn die Bevölkerung ist nun einmal das Mittel jedes Staates und als solches ist ihre kalkulierte Vernichtung ein Mittel für den Sieg. Während des Krieges gilt dieses von den Staaten gleichwohl anerkannte Recht also nicht im üblichen Sinn – es "regelt" ja genau die Fälle, in denen Staaten einander alle Rechte aufkündigen und die Macht des jeweils anderen Souveräns brechen wollen. Um so mehr gilt es dann nach dem Krieg, nachdem durch den Sieg geklärt wurde, wer es vollstrecken darf – als Instrument und im Rahmen der moralischen Abrechnung der Sieger mit den Verlierern. Nicht nur die Kriegführung im engeren Sinn, der Kriegszweck der Verlierer selbst wird als Unrecht bestraft, von den Siegern und womöglich auch gleich von der von den Siegern neu eingesetzten Staatlichkeit. Durch die Verurteilung der Feindschaft der Staaten als ein Verbrechen von Repräsentanten des unterlegenen Regimes wird Volk und Armee demonstriert, daß sie der falschen Führung gefolgt sind und daß nun andere Verhältnisse herrschen – so leistet diese juristische Abrechnung einen Beitrag zur Beendigung der Feindschaft und zum Beginn neuer geordneter Beziehungen zwischen den Siegern und Verlierern auf Basis von deren Kapitulation. Im Verhältnis zur Sowjetunion allerdings hatte das Dritte Reich gar nicht vor, nach dem Sieg ein so ähnlich gelagertes Verhältnis zu einem Rechtsnachfolger der SU oder zu deren Nachfolgestaaten einzugehen, wie etwa im Westen zum französischen Vichy-Regime, und auch das gehört zu den erklärenswerten Eigenheiten des Krieges im Osten, dessen Kritik die "Wehrmachtausstellung" nicht leistet, wenn sie nur den Verstoß gegen ein vom Hamburger Institut als gültig dekretiertes Kriegsrecht brandmarkt.

Jeder moderne Krieg zwischen Staaten oder "Völkern" ist seiner Natur nach ein Vernichtungskrieg. Im Krieg geht es darum, daß ein Staat mit seinem gesamten Gewaltapparat den zum Feind erklärten Konkurrenzstaat zur Kapitulation, also zur Preisgabe seiner Souveränität über Land und Leute zwingen will. Dafür verrichtet er die passenden Zerstörungen beim Gegner: Er vernichtet das gegnerische Militär und das zivile Leben und alle nützlichen Einrichtungen, Land und Leute, um auf diese Weise den feindlichen Staatswillen zu brechen. Friede herrscht wieder, wenn ein Staat angesichts der bei sich und seiner Kriegsfähigkeit hergestellten Verwüstungen zum Urteil kommt, daß er nicht mehr siegfähig bzw. daß er nicht einmal mehr kriegfähig ist. Es sind nicht nur die besonders brutalen, in ihren Ausmaßen neu dimensionierten Verwüstungen wie der Giftgaseinsatz im 1.Weltkrieg, der Völkermord im 2. Weltkrieg, der Atomschlag in Hiroshima und die US-amerikanische Strategie der verbrannten Erde in Vietnam – vom jahrzehntelang geplanten atomaren "Overkill" für einen 3.Weltkrieg ganz zu schweigen –, die den Namen "Vernichtung" verdienen. Jeder abgefeuerte Schuß hat keinen anderen Zweck, als durch Vernichtung eines Menschen oder mittels der Zerstörung eines Gerätes einen politischen Willen, einen Staatswillen zur Aufgabe zu zwingen. Die Zerstörung von Hiroshima hat dem japanischen Staat bewiesen, daß der amerikanische Feind das japanische Volk, das erste und letzte Mittel des Staates, zerstören kann und will. So wurde die Moral dieses Staates gebrochen. Ein ähnlicher Anlauf in Dresden mit konventionellen Bomben hat nicht so durchschlagend funktioniert. Klar, wenn man den Buchstaben des Kriegsrechts idealistisch uminterpretiert, dann handelt es sich um Kriegsverbrechen. Bloß gilt in dieser Sphäre eine etwas abgewandelte juristische Devise: Wo kein Sieger, da kein Richter.

Noch jeder tatsächliche Krieg blamiert die Vorstellung vom Krieg ohne Massensterben "unschuldiger Zivilisten". "Zivilbevölkerung" bedeutet eben nicht, daß der nichtuniformierte Volksteil aus dem Krieg ausgemischt wäre, und was eine "schuldige" bzw. eine "unschuldige Zivilbevölkerung" ist, hängt während des Krieges allein an der Entscheidung der Feldherren und damit an der militär-politischen Zweckmäßigkeit. Im Krieg ist jeder ein Feind, der den jeweiligen Kriegszielen im Wege steht – egal ob in Uniform oder nicht. Und da die Zivilbevölkerung bekanntlich arbeitsteilig beteiligt ist – als Truppenreserve, als Nachschubproduzent und -lieferant, als moralischer Rückhalt oder als Volkssturm und Sabotagetrupp – geht der Kriegsgegner mit Zivilisten nicht gemäß der Ideologie von den unschuldigen Nichtuniformierten, sondern gemäß deren Funktion im Kriegsfall um. Das noch einmal zum Maßstab des "normalen" Krieges, den die Ausstellung affirmiert.

4.Die Besonderheit des Krieges im Osten: Staat = Volk

Was die Ausstellung den "Weltanschauungskrieg" oder das bloß "ideologische Kriegsziel" des Dritten Reiches im Osten nennt, bestimmt nicht die Besonderheit dieses Krieges, sondern kennzeichnet wieder nur ihre Vorstellung von den "normalen", demokratischen, wirklich staats-materialistischen und – unter Einhaltung des Kriegsrechts! – den nationalen Nutzen eindeutig vergrößernden Kriegszielen, wie das Hamburger Institut sie offenbar kennt und schätzt, aber beim Rußlandfeldzug nicht entdecken kann. Der Vorwurf lautet, das Dritte Reich hätte gar nicht wirklich deutsche Interessen gewaltsam durchsetzen, sondern bloß eine weltanschauliche Wahnvorstellung, eine Ideologie befriedigen wollen, und so ein Vorwurf belegt hauptsächlich die Ignoranz der Ausstellungmacher und grenzt außerdem fast schon an Geschichtsfälschung. Der deutsche Faschismus hatte nämlich nicht nur gegen Staaten Krieg geführt, sondern sah teilweise in den Völkern als solchen seine Feinde. Im Krieg gegen die Sowjetunion und andere Oststaaten verband das Dritte Reich das imperialistische Ziel der Eroberung von "Lebensraum" für das deutsche Volk und dessen Säuberung von den bisherigen undeutschen Bewohnern – kein "normales" staats-nützliches Kriegsziel? – mit dem Vernichtungsfeldzug gegen den "Jüdischen Bolschewismus". Da sollte nicht nur die sowjetische Staatsmacht besiegt, sondern zusätzlich deren Doktrin ausgerottet werden, durch die Ausrottung von deren menschlichen Repräsentanten. Das war das Kriegsziel, und dem gemäß wurde das Kriegsrecht geändert. Da sollte nicht ein Volk eine neue, vom Sieger eingesetzte Regierung bekommen, der es künftig zu Diensten sein sollte; zumindest das jüdische "Volk" als solches sollte eliminiert werden. Der Unterschied zu heute üblichen, geläufigen, "normalen" Kriegszielen liegt in der Art und Weise, wie der Nationalsozialismus dieses besiegte Ausland benutzen wollte. Heutzutage – und das verbindet sogar Chile mit Nicaragua, mit Jugoslawien und dem Irak – soll eine widersetzliche Staatsführung zur Kapitulation gezwungen und die Region für die Sieger nützlich gemacht werden, indem die von den Siegern eingesetzten Regierungen auf offene Grenzen für Waren und Kapital, auf Marktwirtschaft und auf generelle politische Fügsamkeit gegenüber den hegemonialen "Zentren" des Imperialismus festgelegt werden, unter Anerkennung des Rechts auf eine ethnisch bodenständige und gewählte Staatsführung. Demgegenüber wollte das Dritte Reich den Nutzen der besiegten Länder im Osten anders sicherstellen: Durch rege Siedlungstätigkeit und die damit gegebene Bewirtschaftung durch unbedingt zuverlässiges Personal, also durch Inländer. Deutsche sollten Siedlungen gründen und so den Lebensraum des deutschen Staates vergrößern, zumindest die dortige politische Elite sollte deswegen vernichtet werden.

Außerdem sah der deutsche Faschismus im "Juden" den natürlichen Feind Deutschlands und im bolschewistischen Staat dessen politische Verkörperung; der völkische Träger der damaligen Sowjetunion, die kein "normaler" bürgerlicher Staat sein wollte, war für den deutschen Faschismus weniger "der Russe", sondern mehr "der Jude": "Im russischen Bolschewismus haben wir den im zwanzigsten Jahrhundert unternommenen Versuch des Judentums zu erblicken, sich die Weltherrschaft anzueignen ... Deutschland ist heute das nächste große Kampfziel des Bolschewismus." (Mein Kampf, S. 751) Hitler hatte seinen Feind nicht nur im Sowjetstaat ausgemacht, sondern vor allem im "Juden", als dem eigentlichen Stifter von dessen bolschewistischer Identität. Das jüdische "Volk", damals ohne normalen Nationalstaat, das nicht-nationale und staatenlose "Volk", dieses "asoziale", zum Staatenbilden unfähige und an "Wirtsvölkern" "parasitierende" Volk steckt in der faschistischen Vorstellung "hinter" dem unnationalen, dem "multikulturellen" "proletarischen Internationalismus" mit seiner Frontstellung gegen die "normalen" bürgerlichen Klassenstaaten, hinter dem als Sowjetmacht existierenden "Vaterland aller Werktätigen" ohne Privateigentum und Kapital. Hitler hat aus der "Abweichung" der von ihm als ein "Volk" ohne Raum identifizierten Juden von den normalen, staatenbildenden Völkern, und der "Abweichung" der Sowjetunion von den normalen bürgerlichen Staaten auf eine Identität beider geschlossen. Und der Nationalsozialismus hat mit der erzbürgerlichen und ganz normalen Vorstellung der Identität von Staat und Volk auf seine Weise ernst gemacht: Das Volk ist der Träger des Staatswillens und im Volk lebt der Staat weiter, auch nachdem er militärisch besiegt ist, weswegen der militärische Sieg unvollständig ist und Ausrottung ansteht. Folglich führte das Dritte Reich seinen Vernichtungskrieg gegen die Rote Armee, den Kommunismus und die jüdische "Rasse" als dessen Ursprung.

Von der "Vergangenheitsbewältigung" – das ist die Betrachtung des Faschismus gemäß den ideologischen Bedürfnissen der demokratischen Weltanschauung nach 1945 –, wurde der im Nationalsozialismus durchgängige Zusammenschluß von "jüdisch" und "bolschewistisch" aufgelöst. Da nach dem Zweiten Weltkrieg die Sowjetunion für die Demokratien das "Reich des Bösen" war, wie vorher für den Faschismus, der Staat Israel als "Frontstaat" im Nahen Osten hingegen eine ähnlich wichtige Rolle beim antisowjetischen "containment" und "roll back" spielen durfte wie Deutschland in Europa, konnte die materielle "Wiedergutmachung" sowie der in bürgerlichen Augen moralische Bonus der "sinnlos", der "nur" aus "ideologischen" Gründen vernichteten Menschen natürlich nur Juden bzw. dem Staat Israel zugute kommen. Und nach dem etwas anders als in Hitlers Plänen errungenen Sieg über den Kommunismus durch den Abgang der Sowjetunion darf eine Ausstellung den gescheiterten Anlauf des Faschismus über ein halbes Jahrhundert nach der militärischen Niederlage noch einmal moralisch in Grund und Boden blamieren – Demokraten sind irgendwie unersättlich, was den Genuß der Überlegenheit ihres Systems betrifft.