GegenStandpunkt & Diskussion
Betreuter „Bürgerkrieg“ gegen Syrien
Warum
„wir“ dieses Mal für Islamisten sein müssen & die Russen mal wieder die Bösen
sind
Referent Dr. H.L. Fertl
Zeit: Montag, 19.November 2012, um 19:00
Ort: Universität Wien, Neues Institutsgebäude, Hörsaal 3
1010 Wien
Die Rede von einem „Bürgerkrieg“, der in Syrien zwischen Parteigängern und
Gegnern der herrschenden Baath-Partei
und ihres Präsidenten ausgebrochen sei, will als Besonderheit des Gemetzels
entdeckt haben, dass hier eine Regierung mit Waffengewalt gegen „ihr Volk“
zuschlage und die Aufständischen schon allein deswegen politisch und vor allem
auch moralisch schwer im Recht wären. Diese von keinerlei Kenntnissen über die
politisch und ökonomischen Verhältnisse in dieser arabischen Republik getrübte
Parteilichkeit, die natürlich rein
zufällig ziemlich deckungsgleich mit den Positionen der NATO-Regierungen und
ihren Partnern unter den Monarchien & Emiraten im Nahen Osten ausfällt, lässt
sich auch nicht durch die gelegentlich nachzulesenden historischen Informationen
verunsichern, dass etwa Vater Assad durchaus mit Zustimmung der westlichen
Staatengemeinde in früheren Jahren unter aufständischen Islamisten in seinem
Land größere Opferzahlen anfallen ließ.
Deswegen ist dem syrischen Regime von
außen nie die Machtfrage gestellt und offen ein
Regime-Change gefordert oder gar eine
bewaffnete Opposition auf- und ausgerüstet worden. Im Gegenteil: Bush Senior
gliederte Syrien in seine „Koalition der Willigen“ für den ersten Irak-Krieg
ein, deutsche Außenminister – zuletzt Steinmeier – sprachen in Damaskus vor, und
selbst im Dauerkonflikt zwischen Syrien und Israel wegen der Golan-Höhen ergriff
der Westen nicht so umstandslos Partei wie im Fall des iranischen
Kernenergieprogramms.
*
Diesmal jedoch scheint es der Regierung nicht zu gelingen, gestützt auf ihre
Armee und Polizei und die Loyalität der Parteimitglieder, den Aufruhr zu brechen
und Ruhe & Ordnung wieder herzustellen. Nicht nur für die Politiker in den
freiwestlichen Staaten ist es sonnenklar, dass „uns“ die „Zukunft Syriens“ angeht;
auch das hiesige Arbeits- & Wahlvolk engagiert sich und weiß offensichtlich
problemlos Bescheid, wer die Guten
dort sind und wo die Bösen sitzen:
Zunächst in Assads Regierung – denn in deren Auftrag gibt es ja verwundete und
tote „zivile Opfer“. Im Namen der „Opfer“ Partei zu ergreifen
gegen das „Regime“ und für die „Freiheitskämpfer“ ist somit politisch
korrekt. Jedoch intellektuell sehr unredlich: Denn wenn sich die Parteien, die
um das Gewaltmonopol im syrischen Staate Krieg gegeneinander führen, in etwas
nicht unterscheiden, dann darin, dass
sie Leichen produzieren. Das liegt an der Natur der Sache, um die sie kämpfen:
die Eroberung bzw. Beibehaltung der Staatsgewalt.
Den einzig real existierenden Unterschied stiftet folglich die Durchschlagskraft
ihrer Waffen – bislang jedenfalls. Der Verdacht liegt also nahe, dass es vielen
offensiven Freunden und Förderern syrischer Witwen und Waisen letztlich darauf
ankommt, für eine Wende im militärischen Kräfteverhältnis zu werben.
*
Neben den täglichen Horrormeldungen von den Frontabschnitten des innersyrischen
Machtkampfes informieren die Medien auch ganz ungeniert über die äußeren
Interessenten, die das Gemetzel anstacheln und ausrüsten. Man kann durchaus
erfahren, welche großen und kleineren Staaten und militante NGOs da engagiert
sind und es gibt auch Hinweise, welche Interessen und Absichten sie dabei
verfolgen.
- Die USA und ihr waffenstarrender engster Verbündeter vor Ort, Israel, wollen
schlicht und erklärtermaßen den Untergang von „Assads Syrien“, den Präsidenten
also weg haben, tot oder lebendig. Er stört sie bei ihren Ordnungsvorstellungen
für den Nahen Osten, unterstützt „Terroristen“ im Libanon und in Gaza, und,
nicht zuletzt: er unterhält gute Beziehungen zum Iran, den man ja notfalls auch
demnächst mit einem Krieg fertigmachen will.
- Saudi-Arabien und die Golfemirate finanzieren im großen Stil die bewaffnete
Opposition gegen Assad, machen Propaganda über ihre Fernseh- und Radiosender und
lassen sich von den USA zu einer arabischen Gegenmacht gegen den Iran auf- und
ausbauen.
- Die Türkei, die ebenso Ambitionen auf eine regionale Großmachtposition
verfolgt, bietet den Aufständischen auf ihrem Territorium ein Rückzugs- und
Aufmarschgebiet – und nimmt die staatliche syrische Gegenwehr zum Anlass, selbst
militärisch in den Konflikt einzugreifen.
- Russland will sich keinesfalls durch den Sturz Assads endgültig aus dieser
Weltgegend ausmischen lassen und übt deshalb bedingt Loyalität zum
traditionellen Bündnispartner.
- Und auch China weigert sich, das US-Monopol auf Weltordnung durch Zustimmung
zu Sicherheitsratsbeschlüssen gegen Syrien zu ratifizieren.
*
So wird der demokratisch-mündige Bürger in der freien westlichen Welt mit kühlen
strategischen und militärischen Kalkülen vertraut gemacht, für die das
Blutvergießen in Syrien gut oder schädlich sein soll. Auf der Grundlage des
feststehenden Feindbildes vom letzten
Gefecht des Tyrannen Assad gegen das
eigene Volk steht die Moral der
Geschichte vorab fest: Es soll ausschließlich um den
„Schutz der Zivilbevölkerung“ gehen, wenn die USA und ihre Bündnispartner
unter Berufung auf die UNO-Satzung den Aufstand in Syrien und alle beteiligten
auswärtigen Parteien unter ihre Oberhoheit stellen und in ihrem Sinne gegen das
Baath-Regime zu Ende bringen. Dieser politisch korrekten Denkungsart zufolge,
ist es dann natürlich umgekehrt eine
„Schande“, wenn notorische Querulanten in der Staatenwelt des demokratischen
Imperialismus wie Russland und China da anderer Ansicht sind und den Endsieg der
Freiheit in Syrien blockieren wollen.
*
Wie gewohnt kann man von einer Diskussionsveranstaltung des GegenStandpunkt
Verlags kein demonstratives Mitleid mit den Opfern, keine moralische
Verurteilung von Schuldigen oder gar Solidarität mit einer Seite erwarten.
Stattdessen eine Kritik der politischen Ökonomie Syriens unter der Herrschaft
von Vater und Sohn Assad, Gründe und Anlässe für den bewaffneten Aufstand und
nicht zuletzt eine Analyse des historischen Pechs aller Beteiligten vor Ort, zum
Objekt welt-und regionalpolitischer mächtiger und abhängiger Interessen geworden
zu sein.