GegenStandpunkt & Diskussion
Geheimdienst
in der Demokratie
„FREUND“ HÖRT MIT!
Destruktive Wahrheiten über die
freiheitliche Ordnung
ZEIT: Mittwoch 20. November 2013 19:00
ORT: Universität Wien, Neues Institutsgebäude (NIG) HS 2, Universitätsstr. 7, 1010 Wien
„Man hat oft den
Staat privatrechtlich und moralisch haben wollen, aber bei Privatpersonen ist
die Stellung so, dass sie über sich ein Gericht haben, das das, was an sich
Recht ist, realisiert. Nun soll ein Staatsverhältnis zwar an sich auch rechtlich
sein, aber in der Weltlichkeit soll das Ansichseiende auch Gewalt haben. Da nun
keine Gewalt vorhanden ist, welche gegen den Staat entscheidet, was an sich
Recht ist, und die diese Entscheidung verwirklicht, so muss es in dieser
Beziehung immer beim Sollen bleiben.“
G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 330
I
Anlässlich der Enthüllungen des Ex-Geheimdienstlers Snowden müssen sich
jetzt europäische Bürger darüber aufregen, dass der
Big Brother in den USA sie seit Jahr und Tag abhört, wo er nur kann, und „sogar“
das Telefon der deutschen Kanzlerin angezapft hat. Letzteres ginge unter
Freunden keinesfalls, meinte Frau Merkel, womit zum Beispiel die regelmäßige
vorbeugende Hinrichtung mutmaßlicher pakistanischer Talibanführer – ebenfalls
Resultat der Bemühungen amerikanischer Intelligence (so der Titel für die Spitzelei im Angelsächsischen) – mittels
Drohnenflugs als Freundschaftsdienst unter Bündnispartnern offensichtlich in
Ordnung geht. Die politische Mäßigung hiesiger Staatslenker bei der
Zurückweisung des umfassenden Lauschangriffs auf die Souveränität der Nation und
die diplomatische Drangsal einer Verwendung des in Russland Asyl genießenden
„Hochverräters“ zur Aufklärung der deutschen Betroffenheit durch den
NSA-„Skandal“, erklären sich nicht nur aus der exquisiten
„deutsch-amerikanischen Freundschaft“, sondern verweisen auf die prinzipielle
Komplizenschaft der NATO-Partner bei der umfassenden Bespitzelung der eigenen
und der Bürger fremder Staaten. Wenn die Chefs der deutschen Geheimdienste
Anfang November in Washington über die „Grenzen“ amerikanischer verdeckter
Nachrichtenakquise in Deutschland verhandelten, dann erklärtermaßen immer auch
über die Fortsetzung der fruchtbaren Kooperation.
II
Demokratisch verfasste
Rechtsstaaten verteidigen die Eingriffe der Staatsgewalt in die ansonsten
vehement respektierte Privatsphäre der Bürger mit
lauter
besonderen „Fällen“,
bei denen sie darauf rechnen können, dass die meisten ihrer Untertanen
die Vorkehrungen des Staates für seine Sicherheit
als Schutz ihres Lebens und Zusammenlebens gelten
lassen: Mit dem Verweis auf „islamistischen Terror“, dem durch das umfassende
Abhören der Netze schon eine Reihe von Erfolgen verwehrt worden sein soll, wird
die Notwendigkeit umfassender Überwachung demonstriert: Sie rette amerikanisches
und europäisches Leben! Ähnlich verhält es sich mit dem Kampf gegen den
gewalttätigen Rechtsextremismus, die Mafia, Kinderpornographie-Ringe etc. Wenn
Innen- und Sicherheitspolitiker dann aber darauf bestehen, dass sie, um die
jeweiligen besonderen „gefährlichen Elemente“ im Griff zu behalten, die gesamte
elektronische Kommunikation speichern und durchforsten müssen, dass sie – mit
ihren Worten – den Heuhaufen des kompletten Datenstroms verfügbar haben müssen,
um die berühmte Stecknadel darin zu finden, wenn sie also auf der
Kontrollierbarkeit von allem und jedem als Bedingung
dafür bestehen, dass die möglicherweise gefährlichen Leute herausgefischt und
unter Kontrolle gehalten werden können, dann geht
eben der unendliche Streit um die womöglich einander beschädigenden Werte
Freiheit und Sicherheit los.
Kein
Wunder, denn im staatlichen Anspruch universeller Kontrollierbarkeit des
gesellschaftlichen Lebens und aller seiner Akteure zeigt sich ein
Sicherheitsbedürfnis, das
fundamentaler ist als alle Anwendungsfälle, auf die die
Politiker sich berufen. Es reicht weiter und geht jedem möglichen Angriff auf
was auch immer voraus. Denn es fällt zusammen mit dem gewaltmonopolistischen
Ordnungsanspruch des Staates überhaupt: Zugriff auf das Tun und Lassen der
Bevölkerung ist die erste Bedingung und unverzichtbare Grundlage für die
elementare hoheitliche Leistung, flächendeckend und verbindlich Recht zu setzen
und der nationalen Gesellschaft die Bedingungen ihrer ordnungsgemäßen
Handlungsfreiheit vorzugeben.
Wie dieser Zugriff aussieht, wie groß die
Lücken sind, die er lässt, das hängt von der Beschaffenheit der Staatsmacht,
insbesondere von ihren tatsächlich verfügbaren Mitteln ab. An irgendwelche, gar
einschränkende Bedingungen ist er aber nicht geknüpft; und schon gar nicht
wartet der politische Souverän mit der Sicherung seines Gewaltmonopols ab, ob
sich womöglich gegen seine Rechtsordnung Widerstand regt oder rechtswidrig
Gewalt angewendet wird. Souveränität kommt logisch und sachlich und in der
Hierarchie der politischen Güter vor dem besonderen
gesetzlichen Rahmen, den der Souverän seiner Gesellschaft verpasst, und
erst recht vor jeder Ordnungswidrigkeit, um
die er sich kümmert – und sie besteht
in gar nichts anderem als in der prinzipiellen Fähigkeit der staatlichen
Hoheit, alle und alles von den eigenen Vorschriften abhängig zu machen, also der
eigenen Kontrolle zu unterwerfen.
III
Wie jede Diktatur hat auch der demokratische
Staat daher auf alles ein Auge, hält die regierte Menschheit in seinem Griff und
gibt sich so – was Snowden und alle Freiheitshelden des Feuilletons mal mehr mal
weniger ehrlich erschreckt – als Herrschaft zu erkennen.
Zur politischen Freiheit, auf die der demokratische Staat so große Stücke hält,
steht das nicht im Widerspruch: Sie ist nichts
anderes als die Lizenz zu einer ordentlichen Lebensführung, die die Staatsgewalt
den Mitgliedern der überwachten Konkurrenzgesellschaft ausstellt; und die
Sicherheit, für die diese Instanz sorgt, ist nichts anderes als eben die
Funktionstüchtigkeit und Allgegenwart des Gewaltmonopols, mit dem sie für die
Geltung ihrer Erlaubnisse und Verbote sorgt. Insofern sind Freiheit und
Sicherheit tatsächlich die beiden Seiten derselben Medaille: der Hoheit des
staatlichen Lizenzgebers.
Gar nicht neu ist der Standpunkt
der Überwachung der Gesellschaft selbst. Seit je leisten sich freiheitliche
Demokratien Inlandsgeheimdienste, Staatssicherheits- und Verfassungsschutzorgane
und machen damit deutlich, dass sie sich nicht zum ausführenden Organ der
politischen Meinungsbildung im Volk zu machen gedenken, sondern dass sie
umgekehrt dieser Willensbildung den Rahmen setzen, dass sie die Bürger auf die
Freiheit des Privatsubjekts verpflichten, die sie definieren, und dass sie alle
Bestrebungen unterdrücken, die diese
Freiheit missbrauchen oder ablehnen.
IV
Die überwachten Bürger geben ihrem Staat in der Sache recht, was die
ihrer freien Meinung nach zu Recht bespitzelten Teile der Menschheit betrifft.
Was sie empört, ist der angeblich unbegründete Angriff auf
ihre Freiheit, den sie de facto gar nicht zu spüren kriegen und sich deshalb mit
literarischer Phantasie in seiner Unerträglichkeit für ihre sensible
Individualität ausmalen müssen. Leute, die mit dem
permanenten staatlichen Eingriff in
ihre Existenz sang- und klaglos zurechtkommen, entdecken auf einmal in der
geheimen Durchleuchtung ihres privaten Meinens und Treibens einen
skandalösen Übergriff des
Staates, weil sie fest an ihre
Privatsphäre und ihre
Freiheit als ein ihnen zustehendes
absolutes Anrecht glauben, für dessen Schutz der demokratische Staat zuständig
sei. Da täuschen sie sich offensichtlich gründlich.
Nicht die wenigsten unter den
Normalbürgern können die ganze Aufregung nicht verstehen, haben sie doch ihrer
Meinung nach ohnehin nichts zu verbergen und für Kontrolle zur Sicherheit gegen
Umtriebe und Bedrohungen die 'unser Land' schädigen viel übrig. Sie sind damit
zufrieden, dass sie nichts davon
mitbekommen, dass und was die einschlägigen Dienste alles an Daten
von ihnen mitbekommen. Ihr
prinzipielles Einverständnis mit der staatlichen Überwachungspraxis geht
von der Sicherheit aus, dass sie als ordentliche Bürger nie und nimmer die vom
Staat so generös gewährte Freiheit missbrauchen – andere aber schon. Von einer
Einschränkung ihrer Freiheit kann also
keine Rede sein.
Freilich, von solchen Einwänden
wie von solcherart Zustimmung macht sich die Praxis des Staats ohnehin
nicht abhängig: Er garantiert Freiheit als Erlaubnis zum Mitmachen und sorgt für
seine Sicherheit nach den
anspruchsvollen und grenzenlosen Bedürfnissen seiner Gewalt.
Darüber will die Veranstaltung
aufklären und Gelegenheit zur Diskussion bieten.