GEGENARGUMENTE

Vortrag und Diskussion: Was man von Marx über Arbeit und Reichtum im Kapitalismus lernen kann!

Montag 31.März 2014, 19:00

4040 Linz, Johannes Kepler Universität Linz, Hörsaaltrakt, HS 6

In der Öffentlichkeit wird Marx speziell seit dem Beginn der Finanz- und Staatsschuldenkrise von manchen Autoren wieder für ‘aktuell’ und ‘interessant’ erklärt. Sie zitieren ihn sowohl als Propheten der Globalisierung als auch als Krisenprognostiker, der vor den Exzessen gewarnt habe, die heute als ‘Turbo-’ und ‘Casino-Kapitalismus’ beklagt werden. Daneben wird ihm eine gewisse Anerkennung als mitfühlender Menschenfreund zuteil, den die ‘Ungerechtig­keiten’ und das Elend der Arbeiter im Frühkapitalismus zu radikalen Schlüssen verleitet haben, die allerdings durch die Errungenschaften der heutigen Marktwirtschaft und ihrer ‘sozialen Sicherungssysteme’ im Wesentlichen widerlegt seien ...

Linke Kritiker halten Marx dagegen als den Entdecker der ‘Arbeitswertlehre’ in Ehren, der die Arbeit als wahre Quelle alles ‘wirklichen’ Reichtums nachgewiesen habe. Die einen wettern mit Marx' Werttheorie gegen ein neoliberal entfesseltes Finanzkapital: Nicht nur, dass es mit seinen rücksichtslos bis ins Unendliche aufgetürmten und auf immer neue gewinnbringende Anlage berechneten Finanzprodukten zum Reichtum der Gesellschaft nichts beitrage – mit dem Zusammenbruch seiner Schwindeltürme stürze es außerdem die ‘Realwirtschaft’, in der sonst die Arbeit echte ‘Werte’ schaffe, mit in die Krise. Für eine andere Fraktion linker Kritiker ist Marx' Theorie der wissenschaftliche Beweis für die selbstzweckhafte und sinnentleerte ‘Produktion um der Produktion willen’, die es mit ihrer systemischen Selbstbezüglichkeit nicht nur zu periodischen Krisen bringt, sondern auch auf ihren unentrinnbaren historischen Zusammenbruch zusteuere.

Gegen solche Würdigungen hätte Marx sich verwahrt:

Den Klagen über Krisen, die periodisch das Wachstum ruinieren, hat er sich nicht angeschlossen. Erstens hat es Marx für erklärungsbedürftig gehalten, dass Reichtum immerzu und ohne Maß und Grenze wachsen muss, damit die Gesellschaft nicht gleich in eine Krise stürzt. Den Grund dafür hat er in der ökonomischen Natur des kapitalistischen Reichtums entdeckt, die nicht in den produzierten Gebrauchswerten, sondern in der abstrakten, geldförmigen und insofern maßlosen Zugriffsmacht auf sie besteht. Woraus er zweitens geschlossen hat, dass kapitalistische Krisen darin bestehen, dass es zu viel von allem gibt – zu viel Waren, Arbeitskräfte, Produktionsmittel – für diesen Zweck der Geldvermehrung.

Das Lob der Arbeit als ‘Schöpferin aller Werte’ war seine Sache nicht. Er hat nämlich er­kannt, dass Arbeit nur (Tausch-)Wert schafft, wenn sie nicht einfach nützliche Dinge herstellt, sondern unterm Kommando des Kapitals und für dessen Zweck der Geldvermehrung verrichtet wird, also überhaupt nur als dessen Potenz und dessen Bestandteil wirkt. Marx hat darum auch nicht gerechten Lohn gefordert. Weil er gewusst hat, dass der Zweck der vom ‘Faktor Arbeit’ geschaffenen Werte im Mehrwert liegt, der dem Kapital gehört, war ihm auch klar: Der Arbeitslohn ist der deswegen knapp zu kalkulierende Preis dafür, dass mit der Produktion des sachlichen Reichtums auch schon feststeht, dass die Resultate der Arbeit nicht den Arbeitern, sondern der Firma gehören, die sie entlohnt. Im Lohn für Arbeit – und nicht in ganz besonders niedrigen Löhnen – hat Marx also die kapitalistische Form von Ausbeutung erkannt.

Über die Rolle des Staates hat sich Marx nichts vorgemacht: Eine derart gegensätzliche Pro­duktionsweise ist ohne Staatsgewalt nicht aufrechtzuerhalten, die diesen Laden einrichtet und ausgestaltet. Marx hat daher nicht das ‘Nebeneinander von Armut und Reichtum’ beklagt und an den Staat appelliert, die sozialen Gegensätze abzumildern und aushaltbar zu machen. Und auch wenn er den Sozialstaat noch nicht kannte, so hat er dessen zynische Logik schon seinerzeit als Armutszeugnis des Systems denunziert: Dass dem Kapital noch die geringsten Rücksichten auf die Arbeiter per staatlichem Zwang aufgeherrscht werden müssen, hat er für einen Offenbarungseid bezüglich des ruinösen Charakters kapitalistischer Anwendung von Lohnarbeit angesehen.

Was linke Klagen über einen Kapitalismus angeht, der als selbstzweckhaftes System Unternehmer wie Lohnarbeiter, Politiker und Massen gleichermaßen zu systematischer Entfremdung verdammt, so hat Marx sein Hauptwerk nicht ohne Grund „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“ genannt: Er hat an der kapitalistischen Produktionsweise kritisiert, dass die Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums einer Klasse von Privateigentümern auf dem wachsenden Ausschluss der Mehrheit beruht. Die trägt als Klasse der eigentumslosen Arbeitskräfte von dem Reichtum, den sie schafft, den materiellen Schaden davon – eben weil sie ihn schafft. Auf eine unentrinnbare Notwendigkeit des Scheiterns des Kapitalismus ist Marx bei seiner Analyse des Gegensatzes von Arbeit und Reichtum, der Widersprüche kapitalistischer Akkumulation und der Konkurrenz von produktivem und Finanzkapital auch nicht gestoßen. Darum hat er darauf bestanden, dass für die materiell Geschädigten Wissen darüber nottut, wie die schädliche und absurde Rationalität des kapitalistischen Wachstums mit Aufschwung und Krise quasi sachnotwendig funktioniert – damit diejenigen, auf deren Dienst und Dienstbarkeit der Fortbestand der ganzen kapitalistischen Herrlichkeit beruht, auch wissen, wogegen sie sich zur Wehr setzen müssen.